E-Book, Deutsch, Band 3162, 64 Seiten
Reihe: Perry Rhodan-Erstauflage
Perry Rhodan-Zyklus "Chaotarchen"
E-Book, Deutsch, Band 3162, 64 Seiten
Reihe: Perry Rhodan-Erstauflage
ISBN: 978-3-8453-6162-8
Verlag: Perry Rhodan digital
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Autoren/Hrsg.
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1. Früher: Jenseits der Kälte Ich spürte die Dehnung im Hals, als ich tief durchatmete. Die eiskalte Luft erfrischte mich. Ein belebendes Gefühl. Die Haut verfärbte sich schnell in der niedrigen Umgebungstemperatur. Ich sah mich um. Wie von Lika Asano versprochen, hatte die Versetzung aus der Kobaltblauen Walze problemlos funktioniert. Nur an eines hatte der alte Yakonto nicht gedacht – überall lag Schnee, und meine Kleider waren alles andere als dick. Oder hatte er sehr wohl daran gedacht, es aber verschwiegen? War es seine Art von Rache dafür, dass er den Testflug der werftfrischen Walze ins Brakolasystem hatte lenken müssen, um mich abzusetzen? Was soll ich dort?, hatte er mich gefragt. Nur deinetwegen kann ich den Kurs nicht frei bestimmen, weil du mich ausgerechnet dorthin zwingst! Weißt du überhaupt, wie selten eine neue Kobaltblaue Walze fertiggestellt wird? Weißt du, dass es so gut wie nie vorkommt, dass ein Yakonto einen Testflug leiten darf? Und weißt du, dass das vielleicht die einzige Gelegenheit in meinem Leben ist? Die korrekten Antworten auf die drei letzten Fragen lauteten: Nein. Nein. Und nein. Aber ich hatte geschwiegen, in der Annahme, dass er das gar nicht hören wollte; ihm ging es nur darum, zu jammern und sich zu beklagen. Ein Verhalten, das ich bei vielen sogenannten Intelligenzwesen beobachtet hatte: Sie suhlen sich darin, wie schlecht es ihnen doch geht. So war es gekommen, dass ich ihn ohne ein weiteres Wort in seinem knallbunten mobilen Inspektionswürfel zurückgelassen hatte. Und nun stand ich an der Nordspitze des einzigen Kontinents des vierten Planeten im Brakolasystem und fror. Ein massiges sechsbeiniges Wesen mit grauem Zottelfell zog eine Spur durch den Schnee. Eine Wolke von Fliegen umschwirrte die herauspendelnde Zunge. Wahrscheinlich suchten sie die Körperwärme. »Meine Herrin schickt mich!«, sprach ich ins Leere. Es gab keine Reaktion. »Und du solltest froh sein, Lika Asano, dass du einen Teil dazu beitragen konntest, einen von Mu Sargais Aufträgen zu erfüllen!« Natürlich hörte er mich nicht. Die Kobaltblaue Walze stand einige Zehntausend Kilometer entfernt, falls sie nicht bereits wieder beschleunigte. Ich war auf mich allein gestellt. Das Wesen drehte den Kopf zu mir und starrte mich aus vier Augen trübsinnig an, ehe es ein Grunzen von sich gab und weitertrottete. Immerhin, dachte ich, greift es mich nicht an. Dieser Gedanke lenkte meine Überlegungen an den seltsamsten Punkt dieser Mission: Ich hatte den Planeten vollkommen ungeschützt betreten. Kein Schutzanzug, keine Waffen, keine Technologie. Diese Bedingung war ein eindeutiger Teil der WEISUNG. Nur gab es leider keinerlei Erklärung, wie es von diesem Ort aus weitergehen sollte. Ich wusste nur eins – ich fühlte mich nicht wohl. Für eine derartige Kälte waren Irosganten einfach nicht gemacht. Ich ging bis zu dem Punkt, wo der Boden steil zum Meer hin abfiel. Wegen der Schneedecke konnte ich die Abbruchkante nicht klar sehen und blieb lieber einige Schritte zurück. Mindestens 50 Meter tiefer krachten die Wellen gegen Felsen und versprühten Gischt. Ein Absturz wäre gleichbedeutend mit meinem sicheren Tod. Halb hatte ich gehofft, dort unten etwas zu entdecken, das mir weiterhalf; etwas außer dieser rauen und zerstörerischen Naturschönheit. Etwas, das mir zeigte, was als Nächstes geschehen sollte und was auf diesem Planeten auf mich wartete. Aber nein – es gab weder eine hoch technisierte Plattform noch ein sonstiges Refugium. Immerhin gab es eine Ausnahme von der Regel, dass ich keine Technologie mit mir führen durfte – die Scheibe der WEISUNG war erlaubt. Also nahm ich sie aus meiner Gürteltasche und legte sie auf meinen flachen Handteller. Ein Luftstoß wehte Schnee in mein Gesicht, ich wischte ihn mit einer beiläufigen Bewegung weg. Dabei gelangte etwas in mein mittleres Auge und brannte; ich blinzelte mehrmals und hielt es eine Zeit lang geschlossen, bis der Schmerz nachließ. Ich aktivierte die Scheibe, obwohl ich kaum hoffte, beim nunmehr 17. Abspielen könnte ich ein Detail entdecken, das mir bislang entgangen war. Ein Holopanorama baute sich zuerst in der Luft vor meinem Kopf auf und wuchs von dort rund um mich. Mit einem Mal glaubte ich, im Grünen Festsaal zu stehen, jenem Ort, an dem Mu Sargai einst geboren worden war. Natürlich war es nur eine von vielen Legenden – denn wie könnte es den definierten Geburtsort einer Kosmokratin geben? Doch mir gefiel diese Geschichte seit jeher. In manchen Dingen kam es auf das Herz an, auf das Gefühl, und nicht darauf, was die Logik diktierte. Eines der zahllosen Rätsel des Grünen Festsaals war seine Namensgebung. Bei meinem ersten Besuch dort war er blau gewesen, später gelb, himmelrot und einmal derart bunt, dass ich keine Bezeichnung dafür fand. Nur grün hatte ich ihn noch nie erlebt. Ich hatte geglaubt, es handelte sich um einen Übersetzungsfehler aus der Sprache der Mächtigen, aber all meinen Nachforschungen zufolge – und ich hatte mir dafür viel Zeit gelassen, über Jahrzehnte hinweg – lag kein derartiger Fehler vor. Sah man von der Farbe ab, präsentierte sich der Festsaal stets gleich. Im weiten Raum wanderten spiralige Metallkonstruktionen umher. Sobald man sie berührte und sich gegen sie lehnte, blieben sie stehen und formten sich zu einer passenden Sitzgelegenheit. Ich hatte Arachnoide darauf sitzen sehen, Insektoide, tonnenförmige Exzentriker und sogar formlose Plasmawesen. Ich selbst jedoch hatte mich nie niedergelassen, denn es erschien mir wie ein Sakrileg, es mir an einem solchen Ort bequem zu machen. Aus der wellenförmigen Decke, die mal zehn, mal 20 Meter über mir lag, ragten lichterfüllte Stäbe, die den Raum mit Helligkeit und Schatteninseln füllten. Aus den Zonen der Dunkelheit drangen die üblichen, sinnverwirrenden Melodien. In der Luft lag der Geruch einer köstlichen Mahlzeit; köstlich für jedes Wesen, das den Grünen Festsaal betrat. Ich hatte einst einen Käferartigen gesprochen, der von wunderbarem Verwesungsduft sprach, während mich die herbste Fleischcremespeise lockte. Und nun, in der Schneewüste des vierten Planeten des Brakolasystems, roch ich wieder jenes herrliche Aroma. Oder war es nur die Erinnerung an meine Besuche in dem echten Festsaal, die meine Sinne täuschte? Schließlich stand ich nur inmitten einer holografischen Nachbildung! Eines jedoch bewirkte das Panorama ganz objektiv – die Eiseskälte meiner schneebedeckten Umgebung wich einer angenehmen Wärme wie von einem der wallenden Feuerseen meines Heimatplaneten. Meine Haut verlor die Kältefärbung, ich fühlte eine rieselnde, tanzende Entspannung auf dem Rücken. »Erantoar«, sprach mich die Yodorin in der Aufzeichnung an, »ich überbringe dir eine Nachricht. Mu Sargai hat eine WEISUNG für dich.« Mit diesen Worten trat sie hinter einer der Metallkonstruktionen hervor – genau wie die 16 Male vorher, die ich die Botschaft abgespielt hatte. Das vage arachnoide Wesen ging auf vier Beinen und streckte mir ebenso viele Arme entgegen. Die Finger bewegten sich unablässig. Die Linsenaugen glänzten wie geschliffene Türkise. Der Körper war in bunte, metallisch schimmernde Folien gewickelt. Sie nutzte die Sprache ihres Volkes, das Yod, das ich vor mehr als 100 Jahren in mühsamem Selbststudium gelernt hatte; eines der schwierigsten Idiome, die ich mir bislang angeeignet hatte. Illustration: Swen Papenbrock Ich vermutete, dass ich diese Yodorin kannte, ganz sicher war ich mir jedoch nicht. Auch nach all der Zeit fiel es mir schwer, Angehörige dieses Volkes voneinander zu unterscheiden. Das Holopanorama reagierte auf meinen Standort; die Aufzeichnung der Yodorin wandte sich mir genau zu. »Die Kosmokratin ruft dich in einen neuen Dienst. Geh zum Brakolasystem, zum vierten Planeten.« Danach nannte sie exakte Koordinaten an der Nordspitze des Kontinents, an der ich nun stand, und teilte die Bedingung mit, dass ich nur ein einziges Stück Technologie mit mir führen durfte – eben die Scheibe der WEISUNG. »Dich erwartet eine bedeutungsvolle Aufgabe, der nächste Abschnitt deines Lebens.« »Was soll ich dort tun?«, hatte ich beim ersten Ansehen gefragt, wohl wissend, dass das Panorama auf solche naheliegenden Fragen selbstverständlich reagieren konnte und nun bei jedem weiteren Aufruf erneut reagierte. »Du bist berufen, Erantoar«, sagte sie und fügte etwas hinzu, das meine Frage zwar nicht beantwortete, das aber ... ... nun, es beantwortete sie doch, auf eine Weise, wie nur höhere Mächte und deren Abgesandte antworten können: »Mu Sargai sieht dich.« Damit erlosch das Panorama. Kein neues Detail, keine versteckte Botschaft, die nun erst, vor Ort, Sinn ergab. Nur die Kälte, die erneut meine Haut verfärbte. Mir blieb also vorläufig nur eines – ich musste abwarten. Oder? Was erwartete Mu Sargai von mir? Geduldiges Ausharren in widrigen Umständen? Die Alternative wäre ein aktives Erforschen meiner Umgebung, um aus eigener Kraft den nächsten Schritt gehen zu können. Beides erschien mir gleichermaßen logisch, und während Lika Asano als typischer Yakonto Wahrscheinlichkeiten errechnet hätte, entschied ich mich für einen anderen Weg. Wie hatte ich vorhin noch gedacht? Manchmal kam es eben nicht auf die Logik an, sondern auf das Herz. Und das diktierte mir, nicht einfach abzuwarten. Ich stapfte los, folgte der Spur, die das Tier im Schnee hinterlassen hatte. Wo es herkam, gab es womöglich etwas; eine Höhle,...