Montalbán | Carvalho und der Mord im Zentralkomitee | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Reihe: Ein Pepe-Carvalho-Krimi

Montalbán Carvalho und der Mord im Zentralkomitee

Ein Kriminalroman aus Madrid
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8031-4167-5
Verlag: Verlag Klaus Wagenbach
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein Kriminalroman aus Madrid

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Reihe: Ein Pepe-Carvalho-Krimi

ISBN: 978-3-8031-4167-5
Verlag: Verlag Klaus Wagenbach
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



35
Nach dem Mord an Fernando Garrido, Generalsekretär der Kommunistischen Partei Spaniens, während der Sitzung des Zentralkomitees ist ganz Spanien in Aufruhr. Dabei erholt sich das Land gerade erst vom Franco-Regime und manch einer fürchtet bereits einen neuen Bürgerkrieg. Auch Privatdetektiv und Feinschmecker Pepe Carvalho bereitet sich auf das Schlimmste vor und legt sicherheitshalber Lebensmittelvorräte an. Doch dann holt ihn seine eigene kommunistische Vergangenheit ein, denn die Partei beauftragt ihn, den spektakulären Mord in Madrid diskret aufzuklären. In der Hauptstadt begegnet Carvalho einer Vielzahl von politischen Intrigen und alten Bekannten, die ihn misstrauisch beäugen. Am meisten aber quält ihn die Frage: Wo zum Teufel soll man in Madrid essen gehen? Auch dieser Fall des misanthropischen Privatdetektivs Pepe Carvalho erscheint in einer sorgfältigen Neubearbeitung, die Manuel Vázquez Montalbáns unverwechselbare und bissige Beschreibungen eindrücklicher denn je ins Deutsche überträgt.

Montalbán Carvalho und der Mord im Zentralkomitee jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


Santos ordnete zerstreut die Mappen. Die Vorspiegelung irgendeiner Beschäftigung entlastete ihn von der Pflicht, jeden der nach und nach Eintreffenden persönlich begrüßen zu müssen. »Die hier haben sich bei der letzten Sitzung vergeblich um einen Liebhaber bemüht.« Die Sekretärin wies auf einen Haufen frustrierter Aktendeckel am Rande eines großen Tisches, der vollgestellt war mit Karteikästen und frischen Mappen, in denen die Mitglieder des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Spaniens die Tagesordnung, die Kurzfassung des politischen Berichts des Generalsekretärs sowie die vollständige Rede des Verantwortlichen für die Belange der Arbeiterbewegung vorfinden würden. »Zu meiner Zeit hätte man sein Leben gegeben, um ZK-Mitglied zu werden, und heutzutage drückt man sich vor Wochenendsitzungen.« Santos lächelte Julián Mir zu, der den Ordnungsdienst leitete. »Ich würde die heutige Zeit nicht gegen die damalige eintauschen.« »Nein, Santos, ich auch nicht, aber die Rücksichtslosigkeit mancher Genossen macht mich wütend. Es gibt Leute, die siebenhundert Kilometer mit der Bahn auf sich nehmen, um zu einer ZK-Sitzung zu kommen, während andere zu Hause in Argüelles bleiben, eine halbe Stunde im Taxi von hier.« »Also, was mache ich mit den Mappen der Genossen, die nicht zur letzten Sitzung gekommen sind?« »Leg sie zu denen von heute!« Die junge Frau kam Santos’ Anordnung nach, und Julián Mir verwandelte sich wieder in den Chef des Ordnungsdienstes, der mit fachmännischem Blick das Kommen und Gehen seiner Männer verfolgte, die an einer roten Armbinde zu erkennen waren. »Eines Tages kriegen wir hier Ärger. Der Ort gefällt mir nicht.« Santos beantwortete die mürrische Kritik von Julián Mir mit einem zweideutigen Wiegen des Kopfes, das ebensogut Zustimmung wie Ablehnung bedeuten konnte. Es war genau jenes Wiegen des Kopfes, das er Julián Mir gegenüber seit ihrer Zeit im Fünften Regiment verwendete. Julián mißfiel die Dunkelheit der Abenddämmerung, in der es von Soldaten Francos nur so zu wimmeln schien. Ebensowenig gefiel ihm das Morgengrauen, das der Vorhut der Regulares den Weg bereitete. Und ebensosehr, wenn nicht noch mehr, mißfiel ihm später in Südfrankreich das waldige Dickicht am Tarn, eine Macchia, die schon im Pleistozän für die Bedürfnisse der deutschen Patrouillen maßgeschneidert worden war. Auch die Aktionen, mit denen er später im spanischen Inland betraut wurde, gefielen ihm nicht, aber er führte sie mit der überheblichen Selbstsicherheit eines Westernhelden durch. »Schwierigkeiten?« »Vier Faschisten, die vor Angst gestorben sind.« Das war Mirs unveränderliche Antwort, wenn er von einer seiner Expeditionen ins franquistische Spanien zurückkehrte. So war er immer gewesen. Wahrscheinlich ist er schon so zur Welt gekommen, dachte Santos, plötzlich überrascht von der Erkenntnis, daß Julián Mir eines Tages geboren worden war, vor langer, allzu langer Zeit, die sich in seinem ebenso borstigen wie weißen Haar und der Muskulatur des athletischen Alten angesammelt hatte, der schon viel zu lange allein verantwortlich war für sein Kampfhahngesicht. »Mir gefällt dieser Ort nicht.« »Immer dieselbe Leier! Wo willst du denn das Zentralkomitee zusammenrufen?« »Ich will hier weniger Einheimische, die sich halb totlachen! Das ist es, was ich will. Und eine anständige Parteizentrale, wie sie jede richtige kommunistische Partei hat. Glaubst du, daß es Gerechtigkeit gibt? Hier in diesem Raum wurde gestern eine Zusammenkunft der Wiedertäufer von der Militärbasis von Torrejón de Ardoz gefeiert. Und dann dieses Plakat! Was steht da?« »Ohne Brille sehe ich das nicht.« »Sag bloß! Seit du ein Tintenkleckser der Partei geworden bist, baust du ab. Ich kann’s sehr gut lesen: ›Der Pfad des Geistes auf dem Weg des Körpers‹. Ein Vortrag von Yogi Sundra Bashuartï. Der hat gestern hier stattgefunden. Ich weiß nicht mehr, ob wir hier eine Sitzung des Zentralkomitees oder ein Fakirtreffen veranstalten. Die Kommunisten in einem Hotel, wie Touristen oder Unterwäschevertreter!« »Du hast deinen schlechten Tag.« »Eines Tages schmuggelt sich hier noch ein Faschokommando ein, verkleidet als brasilianisches Tanzorchester. Denn ab und zu hört man hier die Musik aus dem Tanzsaal.« »Das ist Hintergrundmusik.« Santos überließ Mir seinem Unglück, um sich der stürmischen Umarmung des Genossen Bürgermeister von Liñán de la Frontera zu stellen. Nein, er hatte nicht abgebaut. Santos’ Gedächtnis war immer noch wie frischer Ton, der die Abdrücke aller Gesichter der Partei bewahrte, und seine Arme beantworteten in herkulischer Verzweiflung die sowjetischen Umarmungen, mit der sich die entferntesten Genossen bemühten, die Festigkeit seiner betagten Knochen zu überprüfen. »Warum umarmen wir uns eigentlich auf diese Art?« hatte er eines Tages Fernando Garrido gefragt. Der hatte die Achseln gezuckt. »Vermutlich seit dem Bürgerkrieg. Jeder Abschied und jede Begegnung waren von großer Tragweite.« »Ich glaube, es ist der sowjetische Einfluß. Die Sowjets begrüßen sich immer so. Zum Glück haben wir nicht auch noch angefangen, uns so zu küssen wie die.« »Hör bloß auf, Mann! Jedesmal, wenn sie mich auf den Mund geküßt haben, fragte ich mich, ob ich sie in die Eier treten oder mich knutschen lassen sollte.« Garrido ließ indes auf sich warten. Die Genossen standen in Gesprächskreisen im Vorraum des großen Saals, wo die Sitzung stattfinden sollte. Die Kreise würden bleiben, bis die Tür aufging und jene elektrisierende Spannung einzog, die stets den Einzug Garridos ankündigte. Dann würden die Kreise sich öffnen wie Augen, um einmal mehr der Wiederholung des Wunders beizuwohnen, das Wunder der Fleischwerdung der Avantgarde der Arbeiterklasse in der Person eines Generalsekretärs. Santos beschloß, den Versammlungsraum einer letzten Kontrolle zu unterziehen, bevor Garrido im unsichtbaren Pallium der Geschichte Einzug halten würde. Er stand auf der Schwelle; hinter sich die lebhaften, immer lauter werdenden Gespräche, vor ihm der leere Konferenzsaal des Continental und die vorsorgliche symmetrische Konzentration der Tische und Stühle, die ohne die Wärme von Leder oder Stoff das niedrige Podium bedeckten, auf dem jener Tisch die Macht ausübte, an dem Garrido sitzen würde, in der Mitte, mit zwei Mitgliedern des Exekutivkomitees zur Linken und zwei zur Rechten. »Ist der Ton in Ordnung? Habt ihr das Aufnahmegerät ausprobiert?« Die verantwortlichen Köpfe nickten Santos zu. »Wer sitzt heute neben Garrido?« »Martialay, Bouza, Helena Subirats und ich.« »Also Baskenland, Galicien, Katalonien und Kastilien – die Einheit der Menschen und Länder Spaniens!« »Martialay sitzt nicht da, weil er Baske ist, sondern als Verantwortlicher für die Arbeiterbewegung.« »Ich weiß, ich weiß. Es war ein Scherz.« »Das Thema ist heute nämlich monographisch.« Santos antwortete auf den Einwurf des ironischen Junggenossen, und gleichzeitig ging er im Geiste dessen politische Herkunft durch: Paco Leveder, Professor für Politisches Recht, damals mit der Gruppe aus dem Sindicato Democrático zur Partei gestoßen. Aus dem wird ein guter Parlamentarier, hatte Garrido bemerkt, als er ihn in jenem Institut von Ivry reden hörte, das damals die Kommunistische Partei Frankreichs für ein geheimes Treffen mit den Universitätskadern aus dem spanischen Inland zur Verfügung gestellt hatte. Heute war er nichts weiter als ein Parlamentarier. »Garrido kommt zu spät.« »Nicht nur Garrido. Es fehlen noch vierzig Prozent des Zentralkomitees. Der Sinn für Pünktlichkeit ist das erste, was in der Legalität verlorengeht. Auch du warst nicht bei der letzten Sitzung und hast dich nicht für deine Abwesenheit entschuldigt!« »Ich habe es Paloma am Telefon gesagt! Ich mußte zu einer Veranstaltung.« »Du weißt genau, daß ZK-Sitzungen Vorrang haben vor jeder Veranstaltung, auch wenn es sich um eine Parteiveranstaltung handelt.« »Wetten, du erklärst mir jetzt, daß das ZK das oberste Organ zur Führung der Partei ist?« »Ich glaube nicht, daß das nötig wäre.« »Hast du schon mal die Parolen...


Manuel Vázquez Montalbán, geboren 1939 in Barcelona und gestorben 2003 in Bangkok, war Lyriker, Romanautor, Essayist, Kolumnist und Gourmet. Außer den neu aufgelegten Carvalho-Krimis sind im Verlag Klaus Wagenbach von ihm auch Das Quartett, Die lustigen Jungs von Atzavara und Robinsons Überlegungen angesichts einer Kiste Stockfisch lieferbar.

Manuel Vázquez Montalbán, geboren 1939 in Barcelona und gestorben 2003 in Bangkok, war Lyriker, Romanautor, Essayist, Kolumnist und Gourmet. Außer den neu aufgelegten Carvalho-Krimis sind im Verlag Klaus Wagenbach von ihm auch Das Quartett, Die lustigen Jungs von Atzavara und Robinsons Überlegungen angesichts einer Kiste Stockfisch lieferbar.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.