E-Book, Deutsch, Band 14, 204 Seiten
Reihe: Kirche & Weltkrieg
Eine Dokumentation zu Angeboten der "Kirchlichen Kriegshilfe" 1940-1944
E-Book, Deutsch, Band 14, 204 Seiten
Reihe: Kirche & Weltkrieg
ISBN: 978-3-7562-7282-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Prof. Dr. Heinrich Missalla (1926-2018), geboren in der Arbeiterstadt Wanne-Eickel, gehörte von 1986 bis zum Jahr 2000 dem Präsidium der deutschen Sektion der Internationalen Katholischen Friedensbewegung pax christi an. Zwischen 1987 und 1996 war er auch Geistlicher Beirat der Bewegung. Sein Einsatz für den Frieden reicht freilich viel weiter zurück. Als Hintergrund kommt in der Autobiographie "Nichts muss so bleiben, wie es ist" (2009) eine Jugendzeit im Krieg zur Sprache: "Mit dem 15. Februar 1943 - kurz nach dem Ende der Schlacht um Stalingrad - wurde ich gezwungen, bei der leichten Flak-Abteilung 839 als Luftwaffenhelfer anzutreten. Mit 16 Jahren mussten wir Schüler Soldaten ersetzen, die an der Front gebraucht wurden." - Im Herkunftsmilieu Missallas wussten auch die Jungen, dass die Nationalsozialisten Feinde des Christentums waren und aufmüpfige Katholiken ins KZ sperrten. Doch man wollte gleichermaßen "treu deutsch und gut katholisch" sein. Gehorsam gegenüber der Obrigkeit galt als Katholikenpflicht. Nach Kriegsende bleibt der Jungsoldat Heinz Missalla bis Juni 1946 in Gefangenschaft, überwindet eine schwere Erkrankung und zweifelt an den "katholischen" Kriegskonstruktionen. Seit seiner Entlassung aus dem berühmten, von Franz Stock geleiteten "Stacheldrahtseminar" in Chartres hat ihn die Frage nach dem Frieden nicht mehr losgelassen. Mitte der 1950er Jahre wird der junge Priester Mitglied von pax christi, verspürt jedoch Unbehagen am sehr unpolitischen und zahmen Kurs der Bewegung. Kirchenleitung, katholische Verbände und Theologen unterstützen fast ausnahmslos die Wiederaufrüstung der Adenauer-Ära samt der nachfolgenden Pläne einer atomaren Bewaffnung. Missalla gehört zu den ungeliebten "Non-Konformisten". Mit seiner Pionierstudie "Gott mit uns" (1968) über die deutsche katholische Kriegspredigt 1914-1918 beleuchtet er den ersten Abgrund kirchlicher Kriegsassistenz im 20. Jahrhundert. In den 1970er Jahren folgen gründliche Forschungen zur katholischen Militärseelsorge in Hitlers Wehrmacht, die zu drei weiteren Buchprojekten führen: "Für Volk und Vaterland" (1978), "Wie der Krieg zur Schule Gottes wurde" (1997), "Die Verstrickung der katholischen Seelsorge in Hitlers Krieg" (1999); zuletzt "Erinnern um der Zukunft willen. Wie die katholischen Bischöfe Hitlers Krieg unterstützt haben" (Publik Forum 2015). - Missalla wurde bei kritischen Katholiken im ganzen Land bekannt. Zeitweilig kam es jedoch zum Redeverbot in einigen kirchlichen Akademien!
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2.
Die Sprache der Dokumente
Mit dieser Veröffentlichung komme ich auch einem schon 1964 geäußerten Wunsch von Georg Werthmann nach, der von 1936 bis 1945 Feldgeneralvikar der Deutschen Wehrmacht und von 1956 bis 1962 Generalvikar für die Deutsche Bundeswehr gewesen ist. Angesichts so mancher Fehlurteile und „Gerüchte“ über die Militärseelsorge im Zweiten Weltkrieg hatte er gefordert, dass „die Dokumentation an die Stelle von Kombination und Vermutung treten“ müsse. „Dokumente“ – so meinte er – „übernehmen die Rolle von schlechthin idealen Zeugen. Sie sind keinem Erinnerungsverlust unterworfen und erliegen keiner Selbsttäuschung; sie sind sinnlich und geistig unbestechliche Zeugen der Zeit.“11 Das Katholische Militärbischofsamt hat 1991 und 1994 zwei Bände mit Erinnerungen von noch lebenden Priestern, Ordensleuten und Theologen herausgegeben, die während des Zweiten Weltkriegs als Feldseelsorger oder als Sanitäter bei der Deutschen Wehrmacht gewesen sind.12 Diese Aufzeichnungen lassen einiges erkennen von der Not und den Leiden, der Hilf- und Ratlosigkeit, dem Glauben und den Zweifeln der damaligen Priester- und Theologengeneration. Aber es sind Erinnerungen, die mehr als vier Jahrzehnte nach den in Frage stehenden Ereignissen aufgeschrieben wurden, und es darf wohl gefragt werden, ob diese Erinnerungen immer vollständig oder ungetrübt sind, ob nicht doch im einen oder anderen Fall eine Differenz besteht zwischen dem damaligen Geschehen und der Erinnerung von heute. Als Christel Beilmann – zur Zeit des „Dritten Reiches“ Mitglied einer katholischen Jugendgruppe im Ruhrgebiet – vor einigen Jahren Tagebuchnotizen, Briefe, Berichte, Programme, Bücher und Zeitschriften aus den Jahren 1933 bis 1945, die viele Jahre im Keller gelagert hatten, hervorholte, um ihre Erinnerung aufzufrischen, stellte sie fest: „Je mehr ich las, umso erschrockener wurde ich, erschrocken über die Art und Weise, wie wir beteiligt und doch nicht beteiligt waren. Manchmal wollte ich nicht weiterlesen, am liebsten hätte ich mich versteckt, aber wohin? Es gibt kein Ausweichen: Die sich hier äußern, das waren wir, das war ich. Das ist auszuhalten. Ich hatte uns etwas anders in Erinnerung, stärker dem Nationalsozialismus die Stirn bietend, nicht so sehr im katholischen Milieu Gefangene. Ich merkte, wie Erinnerung sich färbt in den Wünschen von heute ...“13 Durch Vorlage dessen, was in den Jahren des Krieges von katholischen Priestern und Theologen wirklich gedacht, geschrieben und gesagt wurde, soll einer Verfärbung oder gar Verfälschung der Erinnerung entgegengewirkt werden. Es handelt sich um Texte, die die Gedanken und Betrachtungsweise, die Bewusstseinslage und Vorstellungen jener Männer widerspiegeln, die häufig während der 1930er-Jahre als Jugendführer oder Jugendseelsorger gewirkt und einen nicht unerheblichen Einfluss auf das Fühlen und Denken der heranwachsenden jungen Katholiken ausgeübt hatten und die bei Beginn des Krieges als Kriegspfarrer überwiegend zwischen 25 und 30 und als Sanitätssoldaten meistens zwischen 20 und 25 Jahre alt waren.14 Hinsichtlich der vermeintlichen Unbestechlichkeit von Dokumenten und ihrer Zeugenschaft sind jedoch einige Anmerkungen zu machen. So unverzichtbar Aufzeichnungen, Tagebücher, Briefe und Dokumente jeder Art zur „Rekonstruktion“ vergangener Zeiten auch sind, so muss doch die Meinung oder Hoffnung, über den bloßen Wortlaut der Texte einen unverfälschten Zugang zu den vergangenen Ereignissen erhalten zu können, korrigiert werden. Auch die Authentizität schriftlicher Unterlagen eröffnet nur bedingt einen Zugang zu ihrer „Wahrheit“. Texte einer vergangenen Zeit müssen erschlossen werden; sie werden fast zwangsläufig missverstanden, wenn nicht die Bedingungen und Umstände ihrer Entstehung berücksichtigt werden, wenn man also sowohl die geschichtliche Situation als auch die persönlichen Befindlichkeiten der jeweiligen Autoren außer Acht lässt. Selbst die beste und lauterste Absicht sowie die Berücksichtigung des historischen Bedingungsgeflechts ihrer Entstehung erlaubt nur Annäherungen an das volle Verständnis sowohl der Texte als auch jener Menschen und Ereignisse, über die wir uns Auskunft erhoffen. Zum Verständnis von Texten aus der Zeit der NS-Herrschaft genügt nicht die bloße Berücksichtigung der Tatsache, dass sie zwischen 1933 und 1945 entstanden sind, denn auch während dieser zwölf Jahre gab es entscheidende Veränderungen, die nicht nur jeweils andere Erkenntnisse und Beurteilungen, sondern auch andere Handlungs(un)möglichkeiten zur Folge hatten. Was für Katholiken vor dem Abschluss des Reichskonkordats möglich und notwendig gewesen ist, konnte nach dem 20. Juli 1933 nicht mehr realisiert werden. Die Mordaktion gegen politische Gegner mit Hilfe von SS und Gestapo anlässlich des so genannten „Röhm-Putsches“, für die Hitler in seiner Reichstagsrede vom 3. Juli 1934 vor aller Welt die Verantwortung übernahm, oder die Pogromnacht 1938 waren entscheidende Ereignisse, die es nicht mehr erlaubten, weiterhin unreflektiert vom pflichtschuldigen Gehorsam gegenüber der konkreten staatlichen Obrigkeit zu reden und der Staatsführung immer noch jenes Vertrauen zu schenken, das man ihr in der ersten Hälfte des Jahres 1933 aufgrund der gegebenen Zusicherungen oder – oft gegen besseres Wissen – als Vorleistung in der Hoffnung auf eine mit der Zeit sich ergebende Normalisierung der Verhältnisse entgegengebracht hatte. Wieder anders war die Lage zur Zeit des Krieges; und auch hier sind die Situation und die Erkenntnislage vom September 1939 nicht gleichzusetzen mit der nach Stalingrad und nach der Rede von Dr. Goebbels am 18. Februar 1943 im Berliner Sportpalast mit der berühmt-berüchtigten Frage: „Wollt ihr den totalen Krieg?“ Ein angemessenes Verständnis der Dokumente setzt also eine Klärung darüber voraus, wann und wo und unter welchen Umständen dieser oder jener Text entstanden ist, welche Voraussetzungen der jeweilige Autor mitbrachte und an welchen Adressatenkreis das Schreiben gerichtet war. Darüber hinaus hat Konrad Repgen schon vor 30 Jahren darauf aufmerksam gemacht, dass sich hinter dem Wort „Katholizismus“ eine „ganz komplexe Wirklichkeit“ verbirgt; der „Verbandskatholizismus mit seinen damals (d.h. Januar 1933; H.M.) circa 280 großen und kleinen Organisationen und Organisatiönchen“15 mit ihrem oft in Spannung zueinander stehenden Sonderbewusstsein – lässt die Vielfalt von Vor- und Einstellungen auch unter den im katholischen Glauben geeinten Menschen erahnen. Und was er über das bunte „Kaleidoskop von Motiven“ für die Brückenbauversuche zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus im Sommer 1933 befindet – „ehrliche Illusion und durchsichtiger Opportunismus, Verblendung und Überzeugung, Aktualitätshascherei und Geltungsdrang und noch sehr viele andere Gründe, die nur biographisch fassbar wären“16 –, gilt prinzipiell auch für spätere Phasen der Nazi-Herrschaft, wobei nicht vergessen werden darf, dass mit der Stabilisierung der NS-Herrschaft auch die Angst vor zunehmend verschärften Strafmaßnahmen immer mehr das Verhalten der Menschen mitbestimmte. – Es darf ferner nicht vergessen werden, dass die Informationsmöglichkeiten in jenen Jahren außerordentlich beschränkt waren. Die Presse wurde schon 1933 gleichgeschaltet, mit Kriegsbeginn erfolgte das Verbot des Abhörens ausländischer Rundfunksender. Wer in jenen Jahren verantwortlich publizieren wollte, musste zwischen drei Möglichkeiten wählen: Er konnte emigrieren; er konnte schweigen; oder er musste in einer Art Schwejk-Taktik seine Texte so formulieren, dass die Kontrollorgane der Partei keinen Anlass zum Eingreifen fanden und geübte Leser und Leserinnen dennoch „zwischen den Zeilen“ das Gemeinte in etwa zu entdecken vermochten. Offenes Reden und Schreiben war bei der schnell sich verstärkenden Überwachung des gesamten öffentlichen Lebens und erst recht während des Krieges ohne Gefährdung des eigenen Lebens nicht möglich. Bei jeder Präsentation von Texten aus der Zeit des Nationalsozialismus ist des Weiteren zu fragen, ob ein politischer Widerstand noch möglich und verantwortbar gewesen ist oder nicht; seit wann Menschen sich legitim darauf beschränken konnten, inmitten einer Welt von Lüge und Gewalttätigkeit ihre persönliche Integrität (im Glauben) zu bewahren; in welcher Phase oder Situation das Martyrium (vielleicht) unausweichlich war. Alle diese Umstände machen eine Verständigung über die Einschätzung der verschiedenen Ereignisse und der Handlungsmöglichkeiten während der Zeit des Nationalsozialismus so schwierig und nötigen zur Behutsamkeit bei ihrer Interpretation. – Die hier vorgelegten Texte sind nicht nur aufschlussreich für das Verständnis der Priester und Theologen als Individuen mit ihrem je eigenen Schicksal, sondern auch für den Geist, in dem sie...