E-Book, Deutsch, 120 Seiten
Reihe: Essay [KUP]
Miller Figuren des schwulen Kinos
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-8353-9756-9
Verlag: Konstanz University Press
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Cruising, Brokeback Mountain und Call Me by Your Name
E-Book, Deutsch, 120 Seiten
Reihe: Essay [KUP]
ISBN: 978-3-8353-9756-9
Verlag: Konstanz University Press
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Spektakel verantwortungsloser Lust – ebenso aufregend wie bedrohlich: D. A. Millers Essays zeigen, wie die Herstellung und Aufrechterhaltung heterosexueller Identität untrennbar an Figuren des Homosexuellen geknüpft sind.
Das schwule Kino wirft Schlaglichter auf eine Welt, die bis heute weitgehend filmisch unsichtbar geblieben ist. Filme wie William Friedkins Cruising (1980) assoziieren die Darstellung des Homosexuellen mit dem Verbrechen, verknüpfen schwules Begehren mit Gewalt und visualisieren die paranoide Angst des ›normalen Mannes‹, durch Kontakt mit dem Homosexuellen selbst homosexuell zu werden. Bis heute arbeitet sich das Kino an solchen Ängsten ab. Erfolgsfilme wie Ang Lees Brokeback Mountain (2005) oder Luca Guadagninos Call Me by Your Name (2017) machen es kaum besser. Für ihre subversive Ehrlichkeit gefeiert und zu Meisterwerken intensiver Sinnlichkeit verklärt, verkommt der schwule Mainstream-Film trotz seiner scheinbaren Rauheit und Aufrichtigkeit letztlich zum Trostfilm. Schön sind diese Filme gewiss, wie die begeisterten Kritiken festhielten; aber unter der meisterhaften Oberfläche der Bilder vollständig gezähmt durch einen süßlich-abgeschmackten, scheinliberalen Blick, der das homosexuelle Objekt nur unter der Bedingung gutheißt, dass es weder wirklich gezeigt noch angeschaut wird.
Wer die Essays von D. A. Miller zur Hand nimmt, wird eine andere Sicht auf den schwulen Film kennenlernen, eine ebenso eindringliche wie subtile Kritik der Darstellung von Homosexualität nicht nur im Kino.
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CRUISING
»Die Lederszene in Cruising ist einfach ein Hintergrund für einen rätselhaften Mordfall.« Seit die Dreharbeiten an Cruising 1979 von New Yorker schwulen Protestierenden gestört wurden, hat William Friedkin dieses Argument so oft vorgetragen, dass er ihm, zweifellos ungeduldig, es ein für allemal abgehakt zu haben, in seinem Kommentar zur neuen DVD-Ausgabe von Cruising die selbsterklärende Logik einer Tautologie verleiht: »Der Hintergrund der Lederbars … ist einfach ein einzigartiger Hintergrund.« Doch auch die mantraartige Wiederholung kann nichts daran ändern, dass bezüglich Cruising die Lederszene, eben aufgrund ihres »einzigartigen« Aspekts, niemals nur einfach ein Hintergrund gewesen ist. Friedkin selbst war ganz im Gegenteil ohne diesen Hintergrund gar nicht an der Kriminalgeschichte interessiert gewesen. Als er zum ersten Mal gefragt wurde, ob er Gerald Walkers Romanvorlage von 1970 verfilmen wolle, einen Text, in dem die Homosexuellen feingliedrig waren, Pony trugen und biblisch gesprochen ihren Arsch nicht von ihrem Ellbogen unterscheiden konnten, verzichtete er gelangweilt. Das war, bevor er begann, mit nichts am Leib als einem Jockstrap und (sicherheitshalber) begleitet von einer bewaffneten Mafiaeskorte im gleichen Kostüm, sich ins Mineshaft zu wagen, um mit eigenen Augen die schwule Sexszene anzusehen, die sich dort in letzter Zeit entwickelt hatte. Was er zu sehen bekam, rüttelte ihn wach und überzeugte ihn davon, dass der Roman, in dieses neue Milieu verlegt, auf der Leinwand funktionieren könnte. Seine nächtlichen Besuche tauchen im Film wieder auf, wo sie vom Hauptprotagonisten Steve Burns (Al Pacino) abgehalten werden, einem straighten Undercover-Polizisten, der auf der Suche nach einem Homo-Mörder die New Yorker schwulen Lederbars und -clubs infiltrieren muss. Die entsprechenden Kamerafahrten vor Ort sind das, was Cruising 1980 so aufregend machte; und sogar heute lassen sie sich nicht als Banalität abtun. Protestflyer gegen die Produktion von Cruising Es ist leicht ersichtlich, warum. Die Kameraeinstellungen, die durch das Dunkel von Bars mäandern, deren Gäste ebenso gut gerade dabei sein könnten, Schwänze zu lutschen wie Bier zu schlürfen – und wo selbst jenes Bier dazu bestimmt zu sein scheint, auf Männer gepisst zu werden, die eigens dafür in Badewannen sitzen –, werfen ein beinahe blendendes Schlaglicht auf eine Sexualität, die so tief im Schatten verborgen lag, dass sie bis heute weitgehend filmisch unsichtbar ist. Hollywood, bis dahin kaum imstande, anzudeuten, was zwei schwule Männer daheim unter der Bettdecke anstellten, geht plötzlich dazu über, uns eine vollständige und akkurate Vorstellung davon zu liefern, was etliche von ihnen in Schlingen gefesselt im Anvil trieben. Wirkliches cruising findet in diesen Einstellungen ausgesprochen selten statt (und die wenigen Aufreißversuche scheinen in fantastisch kurzer Zeit erfolgreich zum Ziel geführt zu haben); die meisten Männer sind anscheinend bereits kurz davor abzuspritzen. Kein trauriges, einsames Sehnen hier; stattdessen ein höchst opulentes Spektakel von Vollzug und Sinnesfreuden, so sehr von Körpern wimmelnd wie ein Gemälde von Bosch. Die Protestierenden behaupteten sicherlich zurecht, dass Cruising eine lange Hollywoodtradition fortsetzt, in der das Homosexuelle und das Mörderische gleichgesetzt werden, doch in seinen Vorgängern – vor allem in Hitchcocks Rope (1948, dt. Cocktail für eine Leiche) und Strangers on a Train (1951, dt. Der Fremde im Zug / Verschwörung im Nordexpress) – war das Mörderische alles, was wir zu sehen bekamen; schon allein, uns das »Sexuelle« im »Homosexuellen« überhaupt sehen zu lassen, ganz zu schweigen von der Ausgiebigkeit, in der Friedkin es getan hat, ist eine territoriale Eroberung, die den Vergleich mit Cortez nicht zu scheuen braucht. Und James Contners Kameraarbeit zeigt sich dem Anlass gewachsen, indem sie das Fries der Ledermänner in ein ätherisch blaues Licht taucht – ausgezeichnete Gloriole für die Jeans und die Metallteile, die sie tragen –, sodass sie sich von ihren Ecken und Winkeln abheben wie die vergoldeten Heiligenfiguren in so vielen Seitenkapellen. Der Film ist unterlegt mit grandioser Originalmusik von The Germs, deren pulsierender Punk wie alles hier zu eindringlich ist, um nur Hintergrund zu sein. Schwuler Neorealismus Neben all ihrem offenkundigen ästhetischen Verstärkungseffekt transportieren diese Einstellungen auch eine dokumentarische Kraft. Der bebilderten schönen neuen Welt gab Friedkin die authentifizierenden Verfahren des Neorealismus bei, indem er tatsächlich existierende Örtlichkeiten nutzte und neben seinen professionellen Schauspielern Laien auftreten ließ. Diese nicht bloß aus der Lederszene ausgesuchten Komparsen wurden dabei gefilmt, wie sie die suggerierten sexuellen Handlungen wirklich ausführten. »Ich gab den Leuten in diesen Szenen nicht irgendeine Richtung vor; ich bat sie einfach, ihr Ding zu machen und mich das filmen zu lassen.« Auch wenn dem Film die Explizitheit von Pornos fehlt, teilt er mit der Pornographie die Bejahung der »Ontologie des fotografischen Bildes« im Sinne Bazins. Die realen Orte sind nicht so ähnlich wie die gefilmten, es sind diese Orte; die Männer im Hintergrund sind nicht einfach hergekommen, um den Männern an diesen Orten zu ähneln; sie sind diese Männer. Ihr Spielen mit den Brustwarzen ist nicht nur Spiel, oder anders gesagt, es ist nur Spiel, und nicht die anspruchsvolle »Arbeit«, die es für gewerkschaftlich organisierte Komparsen sein müsste. Die Dioramen aus Cruising überzeugen uns, dass schwuler Sex passiert, und das ist, in einer Kultur, die lebhaft damit beschäftigt ist, alle Spuren homosexuellen Begehrens zu tilgen, keineswegs eine universell selbstverständliche Behauptung. Arthur Bell, der Initiator der Proteste, fürchtete, dass Cruising »die Schwulen zurück in den Closet[28] treiben« könnte, doch das verkennt die Beweiskraft, die in der Beinahe-Pornographie des Films liegt. Es ist sehr viel wahrscheinlicher, dass Cruising heimliche Schwule in die Clubs rennen ließ, um sich Bestätigung dafür zu holen, dass es dort wirklich so zuging. Vorher hatte man nichts auch nur annähernd Ähnliches auf der Leinwand gesehen, und der glückliche historische Moment, der die Entstehung des Films begünstigte – nach der Gay Liberation, doch vor AIDS, als neugierige Heterosexuelle wie Friedkin (mit den entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen) in ihrer Faszination für die Szene schwelgen konnten –, wird sich nicht ohne Weiteres wiederholen. Friedkin fasst die Originalität der Szene ungefähr so auf wie Michel Foucault, der in diesen »Laboratorien sexueller Erprobung«, wie er die SM-Hinterzimmer in New York und San Francisco nannte, eine Neuerfindung des Sex sah, bei dem es darum gehe, »jeden Teil des Körpers als sexuelles Instrument zu verwenden«.[29] Prominent in den Laboratorien von Cruising ist sicherlich die anale Liebkosung, eine Vorliebe, für die sowohl die vielen aus den Hosentaschen lugenden roten und marineblauen Taschentücher als auch, mit weniger Förmlichkeit, die in stattlicher Zahl vorbeidefilierenden nackten Ärsche zeugen. Nicht länger privatisiert, sondern stolz zur Schau gestellt, ob tätowiert, haarig oder sogar schmutzig, drängen diese Hinterteile (wie der Hintergrund insgesamt) in den Vordergrund unserer Aufmerksamkeit. Doch diese anale Responsivität irrt nicht nur zu anderen Körperteilen ab (Achselhöhlen, an denen geschnüffelt, Brustwarzen, an denen gekaut oder gezerrt werden muss), sondern auch zum Körper als Ganzem. Manchmal scheint tatsächlich das Reinstecken der Geschlechtsorgane eine fast zufällige Begleiterscheinung zu etwas zu sein, was auf grundlegendere Weise ein ekstatisches, nicht jugendfreies Kuscheln ist, dessen Ziel darin besteht, jeden Körper in totalen erotischen Kontakt mit jedem anderen zu bringen. »Unsere Arschlöcher sind revolutionär!« Allerdings ist keine der hier abgebildeten Praktiken, auch nicht die eher schockierenden, so sexy, so nah an der Inkarnation völliger Körperbereitschaft wie das Tanzen. Der Dancefloor bietet eine Art sexuelles Vorzimmer, in dem Körper, hilfreicherweise chloroformiert mit poppersgetränkten Bandanas, jegliche Form von Bloßlegung, Berührung, Gruppierung antizipieren. Deshalb bietet der Moment, in dem Steve mittanzt, das maximale »Gaying«, das für seine Figur möglich ist, umso einfallsreicher, als uns eingedenk dessen, dass er »die Pacino-Rolle« ist, niemals etwas Expliziteres zugestanden werden würde. Anders als bei der schwulen Tanzszene in Philadelphia (1993), wo in konventioneller Paarformation im Ballsaal getanzt wird, dehnt Steves Tanzen die Berührbarkeit über seinen ganzen Körper aus, sodass, ganz gleich, wer ihn letztendlich berührt – einschließlich Steves Freundin Nancy (Karen Allen) – und wo er berührt wird – selbst an den unanstößigsten Stellen – dieser Körper bereits vollständig der homosexuellen Drift anheimgegeben ist. Das ist die implizite Bedeutung der letzten Einstellung, in der sich Steve nach abgeschlossenem Einsatz vor einem Spiegel...