Michaelis | Die Bucht des blauen Oktopus | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 300 Seiten

Michaelis Die Bucht des blauen Oktopus

E-Book, Deutsch, 300 Seiten

ISBN: 978-3-96052-299-7
Verlag: Verlag Friedrich Oetinger GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Beim Urlaub in Griechenland lernt die 11-jährige Kiki den Jungen Jorgos kennen, der allein mit seinem kleinen Bruder am Strand lebt. Jorgos träumt davon, einen Schatz zu finden, der im Meer verborgen liegen soll. Doch auch der fiese Alexis und seine Bande aus dem Dorf sind auf der Suche danach. Werden Jorgos und Kiki den Schatz als Erste finden? Und kann vielleicht der in der Bucht lebende geheimnisvolle, uralte blaue Oktopus ihnen dabei helfen? Eine spannende und magische Reise über das Meer beginnt …
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Erstes Buch Was in der Tiefe schläft
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Jorgos
Da war etwas Blaues. Kurz über der Wasseroberfläche. Etwas wie eine Bewegung. Anders blau als das Meer. Blauer. Man hatte einen guten Blick auf das Meer von der Terrasse des alten Hauses: Man sah über das Dorf mit seinen eng aneinandergedrängten weißen Häusern, den Hang hinunter mit seinen Dornensträuchern, auf denen die Sonne brütete, und dann hinunter über die Felsen und weiter, über die Wellen, bis zum Horizont. Ich kniff die Augen zusammen. »Da ist etwas Blaues«, sagte ich. »Pappoús?« Und für einen Moment löste ich meinen Blick vom Meer und sah den Alten an, der auf seinem Stuhl vor der Brüstung der Terrasse saß, diesen uralten Mann mit seinen tausend Falten im Gesicht, die Augen im Schatten seiner schwarzen Kappe. Pappoús. Meinen Großvater. »Das Meer ist blau«, knurrte er. »Der Himmel ist blau. Alles ist blau. Viel zu viel Blau in diesem Land.« »Dreh dich um«, sagte ich. »Es ist … wie der Arm eines Oktopus. Eines riesigen Oktopus.« Aber als ich selbst wieder hinsah, war das Blaue fort. »Ich brauche mich nicht umzudrehen, ich kenne das Meer, in- und auswendig, seit 82 Jahren«, fauchte der Alte. »Ich will es gar nicht sehen. Du bildest dir Dinge ein.« Seine Hand schnellte auf einmal vor und umklammerte meinen Arm. »Jorgos! Wo hast du überhaupt gesteckt? Warst du in der Schule?« Ich fragte mich, ob er wusste, wie lange ich nicht dort gewesen war. Wahrscheinlich nicht. »Klar war ich in der Schule«, sagte ich und entwand meine Hand seinem Griff. »Ich bin gekommen, um dir deine Einkäufe zu bringen.« Und ich ließ das Einkaufsnetz auf den Boden fallen: zwei Laibe Weißbrot, Konservendosen, Kaffee, Gurken, Tomaten. »Und du solltest deine Medikamente nehmen.« Ich griff in meine Tasche und zog die Pillendose heraus. »Hier. Lag in der Küche. Du hast die nicht genommen. Da sind noch viel zu viele drin.« »Hab ich nachgefüllt«, knurrte er, aber ich sah, dass er log. Im Lügen waren wir beide gut. Ich ließ ihn sitzen und tauchte ins Dunkel des winzigen Wohnzimmers. Es war vollgestopft mit alten Kommoden und verstaubten Spitzendeckchen, alles war alt hier, alles war vergangen. Die Holzbalken der Decke waren so niedrig, dass ich sie leicht mit der Hand berühren konnte. Vor dem kleinen Fenster stand Pappoús’ ebenso altes Fernglas. Es glänzte wie ein Auge in der Dunkelheit. »Da war doch etwas Blaues«, sagte ich und nahm das Glas von seinem dreibeinigen Ständer. Der Alte schnappte es mir weg. Ich hatte nicht einmal gemerkt, dass er mir nachgekommen war. »Fass das nicht an!«, zischte er. »Du weißt, dass du das nicht darfst! Lässt dich zwei Wochen nicht blicken, und dann tauchst du auf und schnüffelst in meinen Sachen rum. Die von der Schule waren hier und haben nach dir gefragt. Und du brauchst mir keine Einkäufe zu bringen. Genauso wenig, wie du meine Tabletten kontrollieren musst.« »Wir haben das besprochen«, sagte ich. »Der Arzt und ich. Pappoús, bitte.« »Pah.« Er schnaubte. »Wer von uns ist 82, und wer ist elf? Und wer kann sich wohl besser um sich selber kümmern?« Er drückte das Fernglas an sich wie einen Schatz. »Scher dich zum Teufel, Jorgos«, sagte er. »Und geh zur Schule.« Ich lachte. »Kommt aufs Gleiche raus, was?« Pappoús hob das Fernglas, als wollte er mir Prügel androhen. »Stephanos wollte, dass du zur Schule gehst. Dein Vater. Er hätte …« »Er ist nicht da«, sagte ich schroff. Und ich schlüpfte an ihm vorbei in den Flur, war schon fast fort. »Wo ist der Kleine?«, fragte der Alte und kam mir nach. »Wo ist dein Bruder? Du sollst auf ihn aufpassen, das weißt du.« »Nikos? Spielt Fußball mit den anderen Kindern«, sagte ich. »Jorgos, warte!«, rief der Alte, aber ich war schon draußen, in der Gasse. Das Sonnenlicht malte gelbe Flecken auf die Pflastersteine. Das ganze verdammte Dorf war ein Mittelalterding, Touristen fotografierten es gern. Es stimmte, die Kinder spielten auf der Gasse Fußball, dort, wo sie sich gabelte und mehr Platz war. Nur dass Nikos mitspielte, stimmte nicht. Er stand hinter der Ecke der Kirche, im Schatten, und beobachtete die anderen. Ich legte ihm eine Hand auf die schmale Schulter, und er zuckte zusammen. »Lassen sie dich wieder nicht mitmachen? Oder hast du gar nicht gefragt?« Nikos zuckte die Schultern und steckte die Hände in die Taschen seiner löchrigen Shorts. Er ist erst fünf, klein und dünn für sein Alter, und er zieht ständig die Nase hoch. Aber ich habe ihn lieb. Wir haben sonst niemanden, nur uns. Der Alte zählt nicht. Jetzt sahen die anderen herüber, und Alexis rief: »Hey, guckt mal! Stephanos’ Jungs! Wie sieht’s aus, haste deinen Vater inzwischen gefunden, beim Tauchen, da unten auf dem Meeresboden?« »Halt den Mund«, sagte ich leise. »Kommst du runter bis zu den Schwämmen?« »Es gibt seit Ewigkeiten keine Schwämme mehr«, sagte ich. »Ich weiß, wo noch welche wachsen«, sagte Alexis und holte ein Smartphone aus der Tasche. »Ich hab ein Foto davon. Aber das ist zu tief für dich, wetten? Ich komm runter …« »Wetten! Wetten!«, riefen die anderen Jungs. »Taucht um die Wette!« »Kannst mich ja anrufen, wenn du Lust auf ’ne Wette hast«, sagte Alexis und steckte das Telefon ein. Dann schlug er sich an die Stirn. »Ach nein, ich Dummkopf! Er hat ja gar kein Telefon!« Sie lachten alle. Nur ein kleines Mädchen, das ein bisschen abseits saß, guckte uns mit großen Augen an, ohne zu lachen. Alexis’ kleine Schwester Nephele. Die ließen sie auch nicht mitspielen. Weil sie kein Junge war. »Gehen wir nach Hause«, sagte ich. »Zu Pappoús?«, fragte Nikos zweifelnd. »Nach Hause«, sagte ich. Und dann verließen wir das Dorf und schlugen den Ziegenpfad zwischen den Sträuchern ein, den sonst niemand geht, hinunter zum Meer. »Ich hab was gesehen«, sagte ich. »Von Pappoús’ Terrasse aus. Draußen, neben dem großen Felsen. Es ist was, was womöglich … nicht alle sehen.« »Einen von den kleinen Drachen?«, fragte Nikos begierig. Ich legte den Finger an den Mund. »Du sollst nicht über sie reden. Aber … nein. Etwas anderes.« Kiki
Da war etwas Blaues. Kurz über der Wasseroberfläche. Etwas wie eine Bewegung. Anders blau als das Meer. Blauer. Man hatte einen guten Blick auf das Meer, von meinem Platz im Restaurant aus, ich saß dem Bild genau gegenüber. Es war natürlich nur ein Bild. Eine Fotografie. Ziemlich alt und in einem protzigen Goldrahmen. »Da ist etwas Blaues«, sagte ich laut in das Gläsergeklirr und Gerede. »Im Meer. Da draußen, neben dem großen Felsen. Wie der Arm von einem Oktopus.« »Oktopus!«, sagte Dora und drehte an ihrem Hörgerät herum. »Oktopus willst du essen, Kiki? Barbarisch! Oktopusse lösen mathematische Gleichungen. Ich bestelle Kalbsschnitzel.« »Dora, du übertreibst«, sagte Mama und seufzte. »Calamares lösen keine Matheaufgaben.« »Nicht mehr, wenn sie als Ringe auf dem Teller liegen«, sagte Dora und nickte, zufrieden über das erschrockene Gesicht von Max. Max war neu in der Familie und noch nicht gewöhnt an Dora. Er ist Mamas Freund und der Vater der Zwillinge, die auch neu sind, so neu, dass sie nicht viel tun außer Brüllen. Und er versucht, immer besonders nett zu Dora zu sein, weil Dora so etwas ist wie Mamas Mutter, obwohl sie eigentlich eine Tante ist und steinalt. Sie ist die eigensinnigste steinalte Tante, die man sich vorstellen kann. »An diesem Tisch wird kein Oktopus gegessen«, sagte sie. »Ich habe überhaupt nicht gesagt, dass ich einen essen will!« Ich beugte mich näher zu ihr. »Ich habe gesagt, da ist etwas auf diesem Bild, das aussieht wie der Arm von einem Oktopus. Einem blauen.« »Da ist kein Oktopus, Kiki«, sagte Mama und gab Max den schlafenden Zwilling, um den anderen auf den Arm zu nehmen, der nicht schlief und hungrig war. »Es war nie ein Oktopus drauf. Wir müssen also nicht darüber streiten, ob jemand ihn isst.« Sie klang erschöpft. »Kleo, niemand streitet«, sagte Max und streichelte ihren Arm. »Kiki hat nur etwas gesehen … vielleicht war es das Licht.« Aber es war nicht das Licht gewesen. Es war eine Bewegung gewesen. Tausendprozentig. Ich sah Tante Dora an. »Kann schon sein, dass da einer war«, sagte sie ganz leise – so leise, wie sie eigentlich gar nicht sprechen kann, weil sie doch so schlecht hört. Manchmal habe ich den Verdacht, sie hört gar nicht schlecht. »Passt ihr nur alle auf, dass euch kein Oktopus in die Fänge bekommt«, sagte sie dann, lauter. »Wir haben nicht vor, in nächster Zeit im Mittelmeer zu schwimmen«, erklärte Mama. »Können wir jetzt bestellen?« »Teilt jemand mit mir die Nudeln mit Meeresfrüchten … Oh. Mit Schinkensoße«, sagte Max. Mama nickte müde. Sie hatte eigentlich genug damit zu tun, die Zwillinge mit ihm zu teilen. »Oh, aber ihr werdet, ihr werdet im Mittelmeer schwimmen«, sagte Dora. Und sie nahm ihre Gabel und schlug an ihr Weinglas. Der schlafende Zwilling wachte auf und schrie, und da fing der andere Zwilling auch an. »Es ist nämlich so«, sagte Dora über das Geschrei hinweg, »dass dies ja nun mal mein achtzigster Geburtstag ist. Weshalb ich euch alle zum Essen einlade. Genau hier, in dieses schöne griechische Restaurant, das seit Jahrzehnten...


Antonia Michaelis studierte Medizin in Greifswald. Sie engagiert sich für Kinder in Madagaskar und hat zahlreiche Romane für Kinder, Jugendliche und Erwachsene veröffentlicht.


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