E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Mezrich Bitcoin-Milliardäre
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-96267-196-9
Verlag: REDLINE
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine wahre Geschichte über Genie, Verrat und Genugtuung
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-96267-196-9
Verlag: REDLINE
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Traum vom neuen Gold
Viele kennen die Geschichte von Mark Zuckerberg und der Gründung von Facebook, besonders seit dem oscarprämierten Filmdrama »The Social Network« nach Ben Mezrichs Buchvorlage. Dort noch Nebendarsteller, stehen nun die eineiigen Winklevoss-Zwillinge Tyler und Cameron im Fokus.
Die beiden Investoren bezichtigten Mark Zuckerberg des Ideenklaus und verklagten den Facebook-Gründer auf Entschädigung. Sie investierten ihre Millionen-Entschädigung in die damals aufkommende Kryptowährung Bitcoin, eine ebenso chancenreiche wie riskante Geldanlage. Ihre Geschichte ist eine wilde und überraschende Reise in die obskure Welt der Kryptowährungen.
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1
IM TIGERKÄFIG
22. Februar 2008 Zwanzigster Stock eines unauffälligen Büroturms am Rand des Finanzviertels von San Francisco. Die üblichen aus Glas, Stahl und Beton zurechtgeschnittenen, überklimatisierten, hell erleuchteten Würfel. Eierschalenfarbene Wände, bürobeige Teppiche. Neonröhren, die das Tic-Tac-Toe-Raster der Zwischendecken durchkreuzten. Glubschende Wasserspender, Konferenztische mit Chromleisten, verstellbare Stühle aus Kunstleder. Es war kurz nach drei an einem Freitagnachmittag. Tyler Winklevoss stand vor einem bodentiefen Fenster mit Blick auf ein Nadelkissen aus gleichartigen Bürogebäuden, die im Mittagsnebel steckten. Er versuchte, aus einem papierdünnen Einwegbecher Filterwasser zu trinken, ohne zu viel davon auf seine Krawatte zu schütten. Nach so vielen Tagen, Monaten, – ach was! – Jahren war die Krawatte kaum notwendig. Je länger sich diese Tortur hinzog, desto wahrscheinlicher wurde es, dass er irgendwann zur nächsten endlosen Sitzung in seiner Olympia-Ruderjacke aufkreuzen würde. Es gelang ihm, das Wasser eben noch zu kosten, bevor der Becher unter seinen Fingern nachgab, und das Rinnsal seine Krawatte zwar verfehlte, aber den Ärmel seines Oberhemdes durchnässte. Er warf den Becher in einen Mülleimer neben dem Fenster und schüttelte die nasse Manschette aus. »Das kommt auch noch auf die Liste. Pappbecher in Eiswaffelform. Welcher Sadist hat sich das bloß ausgedacht?« »Vielleicht der, der diese Beleuchtung erfunden hat. Ich bin zwei Stufen brauner geworden, seit sie uns auf dieser Etage einquartiert haben. Ich wette, das Fegefeuer besteht aus Neonröhren.« Auf zwei der Kunstledersessel am anderen Ende des Raumes fläzte sich Tylers Bruder Cameron, seine langen Beine auf die Kante eines rechteckigen Konferenztisches gelegt. Er trug Blazer, aber keine Krawatte. Einer seiner Lederschuhe der Größe 48 stand gefährlich nah am Bildschirm von Tylers offenem Laptop, aber Tyler sah darüber hinweg. Der Tag war schon lang gewesen. Tyler wusste: Die Langeweile war beabsichtigt. Eine außergerichtliche Einigung war etwas anderes als ein Rechtsstreit. Letzteres war ein Stellungskrieg, bei dem sich zwei Parteien ihren Weg zum Sieg erkämpften – also das, was Mathematiker und Ökonomen als Nullsummenspiel bezeichnen würden. Gerichtsverfahren hatten Höhen und Tiefen, aber unter der Oberfläche lauerten Urkräfte; vom Wesen her war es Krieg. Bei einem Schlichtungsverfahren war es anders. Wenn es gut geführt wurde, gab es keine Gewinner oder Verlierer, sondern nur zwei Parteien, die über Kompromisse zu einer Lösung gelangt waren und sich nun, wie man sagte, »das Kind aufteilten«. Schlichtung fühlte sich nicht wie Krieg an, sondern eher wie eine sehr lange Busfahrt, die erst dann endete, wenn alle Mitreisenden die Landschaft so satt hatten, dass man sich auf ein Ziel einigen konnte. »Genau genommen«, sagte Tyler und wandte sich wieder dem Fenster und dem vertrauten Grau in Grau des nordkalifornischen Nachmittags zu, »sind wir nicht die, die im Fegefeuer stecken.« Sobald die Anwälte draußen waren, gaben sich Tyler und Cameron immer alle Mühe, um sich nicht mit ihrem Fall zu befassen. Anfangs war das anders gewesen. Anfangs war das Gefühl der Wut und des Betrogenseins so groß gewesen, dass sie kaum an etwas anderes denken konnten. Aber als die Wochen zu Monaten wurden, kamen sie zu der Einsicht, dass Wut der geistigen Gesundheit nicht zuträglich ist. Immer wieder hieß es von den Anwälten, dass sie dem System vertrauen müssten. Wenn sie alleine waren, sprachen sie daher möglichst über etwas anderes als das, was sie hierhergebracht hatte. Dass sie nun auf die Literatur des Mittelalters zu sprechen kamen, genauer gesagt auf Dantes Idee von den unterschiedlichen Kreisen der Hölle, war ein Zeichen für das Aufweichen der Vermeidungstaktik. Ihr Vertrauen in das System hatte sie offenbar in einen dantesken Höllenkreis geführt. Immerhin hatten sie dadurch etwas Ablenkung. Als Heranwachsende in Connecticut waren Tyler und Cameron von Latein besessen gewesen. Als es im Abschlussjahr für sie keine Kurse mehr zu belegen gab, rangen sie dem Schulleiter ein Seminar zum Latein des Mittelalters ab, das der Fachleiter für Latein, ein Jesuitenpriester leitete. Gemeinsam übersetzten die Brüder und der Pater die Confessiones des heiligen Augustin und andere mittelalterliche Schriften. Zwar hatte Dante sein berühmtestes Werk nicht auf Latein geschrieben, aber Tyler und Cameron konnten genug Italienisch, um in ihren Scherzen das Inferno neu zu möblieren: Wasserspender, Leuchtstoffröhren, Whiteboards … Anwälte. »Genau genommen«, meinte Tyler, »sind wir im Limbus. Im Purgatorium ist er. Wir haben nichts Unrechtes getan.« Plötzlich klopfte es. Einer ihrer eigenen Anwälte, Peter Calamari, trat als Erster ein. Sein hoher Haaransatz umrahmte eine vorstehende Stirn und ein zu kleines, weiches Kinn. Das Hemd mit Palmenmuster steckte schlampig im Hosenbund einer Jeans, die ihm derartig zu groß war, dass er komisch darin ging. Tyler wäre nicht überrascht gewesen, wenn das Etikett noch daran gehangen hätte. Schlimmer noch, Calamari trug doch wirklich Sandalen. Wahrscheinlich dort gekauft, wo er seine Jeans her hatte. Hinter dem Anwalt kam der Mediator herein. Antonio »Tony« Piazza machte eine weitaus beeindruckendere Figur. Er war schlank, fast schon hager, und makellos in Anzug und Krawatte gekleidet. Sein graumeliertes Haar war kurz und ordentlich geschoren, seine Wangen angemessen gebräunt. In der Presse galt Piazza als »Meister der Mediation«. Er hatte mehr als viertausend komplizierte Zwistigkeiten erfolgreich beigelegt, besaß angeblich ein fotografisches Gedächtnis und war nebenbei ein Kampfkunstexperte – er meinte beim Aikido gelernt zu haben, wie man Aggressionen in etwas Produktives kanalisiert. Piazza war nicht müde zu kriegen. Eigentlich war er der perfekte Busfahrer für diese endlos scheinende Fahrt. Noch ehe sich die Tür hinter den beiden Anwälten schloss, hatte Cameron die Füße vom Tisch genommen. »Hat er eingewilligt?« Die Frage war an Piazza gerichtet. In den letzten Wochen war ihnen Calamari, immerhin Teilhaber der protzigen Kanzlei Quinn Emanuel, eher wie ein Botengänger zwischen ihnen und dem Aikido-Meister vorgekommen. Mit seinen lockeren Jeans und Sandalen suchte er wohl Anschluss ans Silicon Valley, aber in Camerons Augen machte sich der Anwalt damit zur Witzfigur. Eigentlich sollte er gar nicht hier sein. Calamari war die Vertretung für Rick Werder Jr., der eigentlich den Fall betreute und in letzter Minute hatte absagen müssen, um stattdessen einem Unternehmen im 2 Milliarden Dollar schweren Insolvenzverfahren beizustehen. Obwohl das Schicksal des Winklevoss’schen Falles allein auf seinen Schultern ruhte, war Werder nicht zur Schlichtung erschienen, dem alles entscheidenden Moment des Falls. Vermutlich erschien ihm der Deal, dem er gerade nachjagte, größer und besser. Die Zwillinge hatten die Kanzlei Quinn Emanuel zur Verstärkung ihres Anwaltsteams engagiert, als die Voruntersuchung zu Ende ging und der Prozessbeginn bevorstand. Das 1986 von John B. Quinn gegründete Unternehmen war für seine zähen Prozessanwälte bekannt, die sich ausschließlich mit Wirtschaftsstreitigkeiten und Schiedsverfahren befassten. Die Kanzlei hatte durch den Verzicht auf eine formelle Kleiderordnung Pionierarbeit geleistet – unerhört in der Welt der piekfeinen Sozietäten. Diese Innovation war schuld an Calamaris modischem Totalschaden. »Abgelehnt hat er nicht«, sagte Piazza, »aber er hat Bedenken.« Tyler sah seinen Bruder an. Der Vorschlag, den sie unterbreitet hatten, war ursprünglich Camerons Idee gewesen. Nach dem ganzen von Anwälten betriebenen Hin-und-Her – mit Piazza in der Mitte, als silbrige Sphinx auf der Suche nach Anknüpfungspunkten – hatte sich Cameron gefragt, ob man das ganze Brimborium nicht einfach weglassen könnte. Sie waren doch eigentlich drei Studenten, die einander vor nicht allzu langer Zeit in der Mensa kennengelernt hatten. Könnte man sich nicht zusammensetzen, nur zu dritt, ohne Anwälte, und die Sache besprechen? »Was für Bedenken?«, fragte Cameron. Piazza zögerte. »Sicherheitsbedenken.« Tyler brauchte einen Moment, um zu kapieren, was der Mann sagte. Sein Bruder erhob sich aus dem Sessel. »Er glaubt, wir würden ihm eine reinhauen?«, fragte Cameron. »Echt?« Tyler spürte, wie sich seine Wangen röteten. »Das ist ein Scherz, oder?« Ihr Anwalt trat beschwichtigend näher. »Worauf es ankommt ist doch, dass er abgesehen von den Sicherheitsbedenken für die Idee zu haben ist.« »Jetzt mal im Ernst«, sagte Tyler. »Er glaubt, wir würden ihn vermöbeln? Mitten im Schiedsverfahren? Im Büro eines...