E-Book, Deutsch, 411 Seiten
ISBN: 978-3-7438-4269-4
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
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Jayden
„Machst´ Feierabend?“ Taylor Conner tippte sich kurz an die Hutkrempe und lächelte freundlich. „Hey Sunny. Ja ist heut nicht viel zu tun.“ „Mach das und grüß deine Familie von mir!“ Taylor mochte Sunny. Sie war schon mindestens siebzig, aber noch immer der Chef im Laden. Der Familie von Sunny gehörte das Diners Inn auf der anderen Straßenseite. Sie hatte zwei Söhne, die auch schon an die fünfzig sein mussten, aber trotzdem noch nach Mamas Pfeife tanzten. Was vielleicht nicht mal das Schlechteste war. Zumindest wenn es nach Taylor ging. Er griente noch mal in seinen nichtvorhandenen Bart und stieg in seinen Mercury. Eigentlich hätte er das Auto gar nicht gebraucht, aber er wollte schnell nach Hause und er hatte vor allem keine Lust überall stehen zu bleiben, um sich mit irgendwem über Belanglosigkeiten zu unterhalten. Hier in Meadows Creek wäre das zu Fuß ein Ding des Unmöglichen. Meadows Creek war eine kleine Ortschaft, etwa vier Autostunden von der äußeren Grenze von New York City entfernt. Aber hier war alles anders als in der City. Die Ortschaft hatte gerademal 300 Einwohner, wenn man es genau nahm, dann nur 298, und da war eben alles ein wenig familiärer. Da konnte man nicht einfach so mal eben schnell durch das Dorf laufen, ohne mindestens einmal angesprochen zu werden. Vor allem nicht er. Denn Taylor war hier der Sheriff. Meistens schaffte er seine Arbeit allein, aber es gab auch Zeiten, da wuchs das Dorf schlagartig an. Ferienzeiten. Da schien Meadows Creek regelrecht zu explodieren. Es wimmelte dann hier von jungen Leuten geradezu. Vor allem Eltern, die nicht über das nötige Geld verfügten, und solche, die es gar nicht wollten, schickten ihre Teenager gerne in den Ferien hier her. Vor allem aus New York City. Aber auch aus anderen Teilen des Landes kamen die jungen Urlauber, sogar seit einiger Zeit ein paar aus Europa oder Asien. Diese Leute wollten sich die City ansehen, aber da die Übernachtungskosten hier so weit unter dem Limit von New York lagen, übernachteten sie einfach hier. Dem Dorf tat das gut. Viele der Bewohner lebten fast ausschließlich vom Tourismus. So gehörten, trotz der geringen Größe des Dorfes, auch zwei Diskotheken, drei Bars, zwei Hotels, einschließlich des Diners Inn, ein Sportplatz mit Kegelbahn und so einige Restaurants zum Dorf. Eigentlich war das alles nicht schlecht, aber es war nun mal so, dass in diesen Zeiten hier der Bär tanzte. Oh Gott, Taylor grunzte vor sich hin. In den letzten Wochen hatte er so viele Arbeitsstunden geschoben, wie im ganzen letzten Jahr nicht mehr. Obwohl er für diese Zeit zwei Helfer hatte. Allein wäre das ganze Tohuwabohu gar nicht zu schaffen gewesen. Ständig angetrunkene Kids, die glaubten, dass allein Muskelkraft sie zu Königen werden ließ. Trotzdem genoss Taylor diese Zeit. Aber eigentlich nicht wegen den zusätzlichen Einnahmen oder der Abwechslung, die diese Ferien nach Meadows Creek brachten, sondern eher wegen seinem Sohn. Denn Ferien hieß auch, das Jayden nach Hause kam. Er studierte Medizin am Albany medical College in Albany. Da hatte er während des Studiums wenig Zeit, um nach Hause zu kommen. Aber in den Ferien war Taylors Familie wieder zusammen. Medizin, dachte Taylor, und sein Mund verzog sich zu einem Grinsen. Er dachte daran, wie überrascht er damals war, als Jayden ihm eröffnete, dass er studieren wollte. Medizin! Tja, Taylor wusste auch noch, wie schwer er sich damit getan hatte, denn eigentlich war er die ganzen Jahre davon ausgegangen, dass sein Sohn, wenn nicht der nächste Sheriff hier, so doch auf jeden Fall etwas im Polizeidienst machen würde. Als sich schon in den ersten Schuljahren gezeigt hatte, dass Jayden einmal studieren würde, da dachte Taylor doch an Rechtswissenschaften. Auf keinen Fall hatte er damit gerechnet, dass sein Sohn einmal Arzt werden wollte. Taylor schüttelte über sich selbst den Kopf. Dr. Conner! Tja, nun sah es eben so aus, als wenn der nächste Arzt hier aus der Connerfamilie kommen sollte. Auch kein so schlechter Gedanke, dachte er und grinste erneut. Überhaupt war er heute wirklich gut drauf. Aber jetzt fuhr er auf die Kiesfläche vor seinem Haus und schaltete den Motor aus. Drinnen duftete es schon nach Hotdog und köstlichem Cheescake. Taylor umarmte seine Frau in der Küche. „Hey Darling. Du kochst?“, fragte er, obwohl er es ja eigentlich schon wusste. Klar, schließlich war ja auch Jayden da! Emely stellte sich auf die Zehenspitzen, obwohl sie das ja gar nicht gemusst hätte, denn sie war ja fast so groß wie er und erwiderte seinen Kuss. „In einer halben Stunde ist alles fertig. Du kannst dich ja so lange etwas entspannen.“Damit gab sie ihm einen zärtlichen Stups vor die Brust und bugsierte ihn aus der Küche. Sollte ihm recht sein! Taylor ging in sein „Heimbüro“, wie er den Raum nannte, der nur ihm allein gehörte. Hier machte er sozusagen seine Schularbeiten, eben Dinge, die er im Büro nicht mehr geschafft hatte, oder einfach keine Lust dazu gehabt hatte. In der Mitte stand ein wuchtiger Schreibtisch, mit einem bequemen Bürostuhl dahinter. Aber es gab auch ein kleines Sofa, das zwei Personen Platz bot, einen Sessel und einen niedrigen Tisch. Außerdem stand hier auch ein Fernseher. Nur für den Fall, dass er einmal eine Sendung sehen wollte, die seine Frau nicht ausgesucht hatte. An zwei Wänden befanden sich Regalschränke. In einem waren Akten, Bücher mit Gesetzestexten und eben solche Dinge. Aber der andere enthielt sein Hobby! Jagdgewehre. Taylor war ein passionierter Jäger, und er liebte seine drei Gewehre. Nicht dass er ein brutaler Mensch war; er liebte selbst an der Jagd das Anschleichen und Warten, bis das gewünschte Tier endlich auftauchte, mehr als das Schießen. Aber trotzdem waren die drei Gewehre sein ganzer Stolz. Zwei Sauer und eine 357 Magnum. Taylor besah sich die Waffen, griff dann nach einer Sauer und nahm sich das Pflegemittel, das er im selben Schrank aufbewahrte. Seine Dienstwaffe, eine Beretta 92, befand sich noch im Halfter, das er jetzt achtlos auf den Couchtisch warf. Dann setzte er sich an seinen Schreibtisch, stellte sein Waffenöl und einen Lappen darauf ab, und widmete sich dem Gewehr. Taylor hätte selber nicht zu sagen vermocht, weshalb ihn diese Tätigkeit so entspannte. Aber genau so war es. Er liebte es mit dem, mit Waffenöl durchtränkten Lappen, das Holz der Sauer einzureiben, bis es glänzte. Vermutlich hatte er diese Macke seinem Vater zu verdanken, dachte Taylor, denn der hatte ebenfalls eine Sammlung gehabt. Nur dass die seines Vaters viel größer war. Eigentlich waren drei Waffen ja auch keine Sammlung. Das musste er schon zugeben. Auch wenn er bei seinen Freunden das gerne anders erzählte. In dem Moment hörte er die Haustür gehen. Sein Sohn war also gerade nach Hause gekommen. Taylor rechnete fest damit, dass Jayden sofort in die Küche ging, denn der schien immer vor Hunger zu sterben. Aber stattdessen kam er zu ihm. Er lächelte und wirkte irgendwie glücklich, als er so da stand. „Hey Junge. Na, du strahlst ja so. Hast du etwa ein Mädchen kennengelernt?“, fragte Taylor und widmete sich dann wieder seiner Arbeit. Jayden antwortete nicht. Auch gut, dachte er. Der Junge wird schon mit der Sprache rausrücken, wenn er es für wichtig hält. Doch nachdem einige Minuten vergangen waren und noch immer kein Ton von seinem Sohn kam, sah Taylor wieder zu ihm hinüber. Noch immer grinste er über das ganze Gesicht. Es lag ein Strahlen in seinen Zügen. Anders hätte Taylor es nicht ausdrücken können. Was war nur los mit ihm? Vielleicht war der Junge wirklich verliebt? Alt genug war er ja schließlich. Mit 22 hatte Taylor selbst ja schon seine Mutter gekannt. Und geliebt. Jayden sah ihn nicht an, sondern sein Blick schweifte verträumt über den Tisch. Dann griff er zu Taylors Halfter und zog die Beretta hervor. Er drehte die Waffe in seiner Hand und lächelte noch immer. Eigentlich hatte Taylor sich das immer gewünscht, dass sein Sohn etwas mehr Interesse an Waffen zeigte. Einfach nur, weil es zu seiner Familie gepasst hätte. Aber diesmal … „Gefällt sie dir? Pass aber auf, die ist geladen. Wenn du dich doch neuerdings für Waffen …“ Weiter kam er nicht. Es ging alles so schnell. Und doch sollten die nächsten Sekunden sich in Taylors Kopf einbrennen, als wäre alles in Zeitlupe abgelaufen. Jayden winkelte seinen Arm an, entsicherte die Waffe, und öffnete den Mund. Er nahm den Lauf zwischen die Lippen, ohne dass sich sein Lächeln veränderte. Jayden drückte ab! Sein Kopf explodierte förmlich. Blut und eine grauweiße Substanz spritzten augenblicklich durch den Raum. Jaydens Körper knickte zuerst in den Kniekehlen ein. Ganz langsam. Dann erst schlug er hart auf dem Boden auf. Taylor saß wie versteinert. Er hörte eine Frauenstimme schreien. Seine Frau. Er sah sie an der Tür stehen, die Hände nach vorne gestreckt, rannte sie auf den toten, blutverschmierten Körper zu, der einmal sein Sohn gewesen war. „Jaaaaaayden! Oh mein Gott. Tu doch was“,schrie sie. Taylor sah, wie auch ihre Hände jetzt blutig waren. Mit diesen blutigen Händen fuhr sie sich in die Haare, ließ ihren Oberkörper nach vorne kippen und weinte. Und schrie. Und weinte. Taylor konnte nichts tun. Er begriff nicht einmal, was wirklich geschehen...