Messud | Des Kaisers Kinder | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 544 Seiten

Messud Des Kaisers Kinder


1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-455-00606-3
Verlag: Atlantik Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 544 Seiten

ISBN: 978-3-455-00606-3
Verlag: Atlantik Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Manhattan, kurz vor 9/11. Danielle, Marina und Julius, alle um die dreißig und Freunde seit Collegetagen, stellen fest, dass es mit den großen Dingen, die sie sich einst vorgenommen hatten, nichts geworden ist. Da taucht aus der Provinz Marinas ehrgeiziger Cousin auf und stellt das Leben der Freunde in Frage, kurz bevor die Welt von heute auf morgen eine andere wird.

Scharfsinnig, amüsant, mit spitzer und doch warmer Feder geht Claire Messud in ihrem großen Gesellschaftsroman den Irrungen und Wirrungen ihrer Figuren auf den Grund und zeigt auf, wie sehr wir von der Zeit, in der wir leben, geprägt werden.

"Lange gab es keinen Roman von vergleichbarem Format, der den Mythos des 'amerikanischen Traums' auf ähnlich elegante und erbarmungslose und am Ende doch sehr ironische Weise bloßgestellt hat wie dieser." Frankfurter Allgemeine Zeitung

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Weitere Infos & Material


Cover
Titelseite
Widmung
Motto
März
Mai
Juli
September
November
Über Claire Messud
Impressum


März
Kapitel Eins Unser Chefkoch ist in London eine Berühmtheit
»Willkommen, ihr Süßen! Sie sind bestimmt Danielle?« Lucy Leverett, zierlich, geschmeidig und mit riesigen Kajalaugen, erinnerte zwar an eine Babyrobbe, sprach aber mit eindrucksvoll rauchiger Stimme. Ihre Fächerohrringe klirrten, als sie sich vorbeugte, um ihre Gäste zu küssen, Danielle eingeschlossen, und obwohl sie die Zigarette, die in einer Perlmuttspitze steckte, auf Armeslänge von sich weghielt, trieb der Rauch Danielle Tränen in die Augen. Sie wischte sie nicht ab, aus Angst, ihr Make-up zu zerstören. Nachdem sie vor dem trüben Spiegel in Moiras und Johns Bad eine halbe Stunde damit zugebracht hatte, ihre Schönheitsfehler anzustarren und energisch zuzuschminken – die bläulich geschwollenen Tränensäcke unter den müden, ovalen Augen, die seltsam geröteten Nasenflügel, die hohe Stirn, von der sich die Haut schälte –, hatte sie nicht die Absicht, fremden Leuten den Zerfallsprozess unter der Farbschicht zu enthüllen. »Rein mit euch, ihr Süßen, rein mit euch!« Lucy folgte den dreien und manövrierte sie in Richtung der Gäste. Das Wohnzimmer der Leveretts war dunkelviolett gestrichen – aubergine nannte man das hier – und die Fenster waren mit Samtvorhängen drapiert. Von der Decke hing ein monströser schmiedeeiserner Leuchter herab, der aussah, als habe man ihn aus einer mittelalterlichen Burg entwendet. Drei Männer lehnten am Erkerfenster und starrten auf die Straße hinaus, während sie sich unterhielten. Ihre Rotweingläser funkelten im Widerschein des Abendlichts. Auf einem langen, kissenübersäten Sofa, das eine ganze Wand einnahm, hatten sich vier Frauen ausgestreckt wie Odalisken in einem Harem. Zwei von ihnen hatten sich an den entgegengesetzten Enden des Diwans niedergelassen, die Beine untergeschlagen, die Arme um die Kissen geschlungen, während zwischen ihnen, auf dem Schoß der dritten Frau, der Kopf der vierten ruhte; sie wisperte mit geschlossenen Augen lächelnd zur Zimmerdecke hinauf, während ihr die Freundin über das dichte Haar strich. Danielle nahm die ganze Szene etwas verschwommen wahr, als sei sie in einen fremden Traum hineingeraten. Hier in Sydney, so weit weg von zu Hause, beschlich sie dieses Gefühl immer wieder: Sie hätte es zwar nicht direkt als irreal bezeichnet, aber ihre Realität war es bestimmt nicht. »Rog? Rog, mehr Wein!«, rief Lucy ins Innere des Hauses, wandte sich wieder ihren Gästen zu und legte Danielle in einer vereinnahmenden Geste die Hand auf den Oberarm. »Rot oder weiß? Wahrscheinlich hat er auch Rosé, wenn Ihnen danach ist. Ich für meinen Teil ertrage das Zeug nicht – ist mir zu sehr Westcoast.« Sie grinste; und aus den Krähenfüßen, die dabei um ihre Augen entstanden, schloss Danielle, dass sie wohl um die vierzig sein musste. Zwei Männer traten, mit Flaschen in der Hand, aus dem Halbdunkel des kerzenerleuchteten Esszimmers, beide waren schlank, beide wirkten auf den ersten Blick etwas geistesabwesend. Danielle vermutete, dass es sich bei dem imposanten Mann, der vorausging – er trug ein lavendelbaues Hemd, und die hohe, glatte Stirn über den Augen mit den hängenden Lidern ließ sie an Nabokov denken –, um ihren Gastgeber handelte. Sie streckte die Hand aus. »Ich bin Danielle.« Seine Finger waren gepflegt, seine Handfläche fühlte sich kühl an. »Aha«, sagte er. Der andere Mann, mindestens zehn Jahre älter, mit Spitzbart und leicht vorstehenden Zähnen, meldete sich hinter seiner Schulter hervor zu Wort. »Ich bin Roger«, sagte er. »Freut mich, Sie kennen zu lernen. Machen Sie sich nichts draus, Ludo spielt gern den Unnahbaren.« »Ludovic Seeley«, stellte Lucy vor. »Danielle –« »Minkoff.« »Die Freundin von Moira und John. Aus New York.« »New York«, wiederholte Ludovic Seeley. »Da ziehe ich nächsten Monat hin.« »Rot oder weiß?«, fragte Roger, dessen offenes Hemd eine gebräunte, von grauen Haaren spärlich bedeckte Brust enthüllte. Er trug ein dünnes Goldkettchen. »Rot, bitte.« »Gute Wahl«, sagte Seeley leise. Er musterte sie von oben bis unten – sie spürte es mehr, als dass sie es sah; sein Blick unter den hängenden Lidern wirkte völlig reglos. Danielle hoffte, dass ihr Make-up nicht verschmiert war. Sie spürte es sofort. Ausgerechnet hier, in dieser seltsamen, unbedeutenden Enklave, hatte sie einen Vertrauten entdeckt. Sie fragte sich, ob auch er es empfand: dass es sich hier um etwas Bedeutsames handelte. Ludovic Seeley: Sie wusste nicht, wer er war, und doch hatte sie das Gefühl, ihn zu kennen oder sogar auf ihn gewartet zu haben. Es lag nicht nur an seiner äußeren Erscheinung, der großen, katzenhaft geschmeidigen Gestalt, die ihn gleichzeitig lässig und beherrscht wirken ließ, ganz so, als ob er mit der Illusion von Lässigkeit nur spiele. Es lag auch nicht am Timbre seiner Stimme – tief und doch nicht sonderlich sonor, der australische Tonfall so vage, dass er fast britisch klang. Es musste, dachte sie, an seinem Gesichtsausdruck liegen: Er wusste es. Sie hätte allerdings nicht sagen können, was er wusste. Da waren die Augen, von überraschend tiefem, goldgeflecktem Grau, deren leicht abwärts verlaufende Falten ihm einen traurigen und zugleich amüsierten Anschein gaben, und die sonderbare kleine Furche, die sich schon beim kleinsten Lächeln in seine rechte Wange grub. Seine dicht am Kopf anliegenden Ohren verliehen ihm etwas Ordentliches; das dunkle Haar, so kurz geschoren, dass der Schädel bläulich durchschimmerte, unterstrich sowohl seinen spöttischen Ausdruck als auch seine Beherrschtheit. Die Haut war blass, fast so blass wie die Danielles, und seine Nase bildete eine feine, scharfe Knorpelgerade. Sein Gesicht, ein Charakterkopf, erinnerte sie an ein Porträt aus dem neunzehnten Jahrhundert, von Sargent vielleicht, die reine Verkörperung boshafter Klugheit, weltläufiger Eleganz, aristokratischer Vornehmheit. Und doch, der Schnitt seines Hemdes, die Konturen des Oberkörpers, die anmutigen, aber nicht unmännlichen Bewegungen der schlanken Finger (und ja, der Handrücken war leicht, aber doch eindeutig behaart – sie blieb dabei: Sie fand es attraktiv. Ein Mann sollte nicht unbehaart sein) verliehen ihm ausgesprochene Präsenz. Vielleicht wusste er einfach, was er wollte. »Kommen Sie, Schätzchen.« Lucy nahm sie am Ellbogen. »Jetzt stellen wir Sie dem Rest der Clique vor.«   Dies, das Dinner bei den Leveretts, war Danielles letzter Abend in Sydney vor ihrer Heimreise. Am nächsten Morgen würde sie ins Flugzeug steigen und schlafen, sich nach gestern zurückschlafen oder, von morgen aus gesehen, nach heute, in New York. Sie war eine Woche lang weg gewesen, um mit Hilfe ihrer Freundin Moira für ein Fernsehprojekt zu recherchieren. Gedreht würde, wenn überhaupt, erst in ein paar Monaten, ein Feature über die Beziehung zwischen den Aborigines und ihrer Regierung, über die formalen Entschuldigungen und die Wiedergutmachungsversuche der letzten Jahre. Der Witz dabei war, Wege möglicher Entschädigungen für Afroamerikaner – ein prominenter Professor veröffentlichte gerade ein Buch darüber – aus australischer Perspektive zu erforschen. Nicht einmal Danielle selbst war klar, ob das funktionieren würde. Was interessierten den amerikanischen Zuschauer denn schon die Aboriginies? Waren die Situationen überhaupt vergleichbar? Die Woche war voll hektischer Termine gewesen – das exaltierte Getöse ihrer Branche, die vorgetäuschte Gewissheit, wo es eigentlich keine gab. Moira glaubte fest daran, dass es klappen konnte, klappen musste; doch Danielle war nicht überzeugt. Von Sydney nach New York war es ein weiter Weg. Eine Woche lang hatte sich Danielle, im angenehmen Schwebezustand der Entfremdung, der Vorstellung von einem ganz anderen Leben hingegeben – schließlich war Moira erst vor zwei Jahren von New York nach Sydney gezogen – und damit auch einer anderen Zukunft. Sie erwog selten, woanders zu leben; so wie vermutlich die meisten Leute aus einer gewissen Skepsis heraus niemals erwogen, in New York zu leben. Aus dem Fenster ihres Schlafzimmers bei ihren Freunden, in dem filigranen Reihenhaus mit dem Blechdach, das am Ende einer zwielichtigen Straße in Balmain lag, konnte sie das Wasser sehen. Weder den großzügigen Bogen des Hafens mit seiner gewölbten Brücke, noch das Opernhaus, das an die Flügel einer aufgeplusterten Möwe erinnerte, sondern jenseits des Parks einen stillen Streifen Blau, manchmal vom Kielwasser der Fähren gekräuselt, die in der frühen Abendsonne blinkten. Herbstanfang in Sydney, zu Hause war es noch bitterkalt. In den Jacarandabäumen Schwärme kleiner, schreiend bunter Vögel, die fröhlich lärmten. Sehr früh am Morgen hatte sie vor einem im dämmrigen Licht gräulich wirkenden Busch im Garten ein enormes, vom Tau funkelndes, fein gesponnenes Spinnennetz entdeckt, an dessen Rand eine riesige haarige Spinne balancierte. Hier gab es noch Natur in der Stadt. Es war eine andere Welt. Sie hatte sich ausgemalt, die 747 ohne sie davonfliegen zu lassen und ein neues Leben zu beginnen. Aber nicht wirklich. Sie war New Yorkerin. Für Danielle Minkoff gab es nur New York. Dort arbeitete sie, dort waren ihre Freunde – sogar ihre Kommilitonen von der Brown University vor zehn Jahren waren noch da –, und sie hatte sich in der komfortablen Kakophonie des Village eingerichtet. Von ihrem Studio aus, in dem verblichenen Backsteingebäude in der Sixth Avenue Ecke Twelfth Street, blickte sie wie eine Kapitänin im...


Hübner, Sabine
Sabine Hübner, 1957 in Stuttgart geboren, studierte Anglistik und Germanistik. Sie lebt in München, ist seit 1990 als Literaturübersetzerin tätig und hat viele namhafte Autoren ins Deutsche übertragen, darunter Aldous Huxley, Mark Haddon, Claire Messud, Susan Faludi, Stephen Carter, Brady Udall und Willy Russell.

Messud, Claire
Claire Messud, geboren 1966, stammt aus einer kanadisch-französischen Familie und wuchs in den Vereinigten Staaten, Kanada und Australien auf. Sie studierte an der Yale University sowie an der Cambridge University. Ihr Großstadtroman Des Kaisers Kinder war ein weltweiter Erfolg. 2018 erschien ihr Roman Das brennende Mädchen. Sie unterrichtet Kreatives Schreiben an verschiedenen Colleges und ist mit dem britischen Literaturkritiker James Wood verheiratet; das Paar hat zwei Kinder und lebt in Washington, D.C. und in Somerville, Massachusetts.

Claire Messud, geboren 1966, stammt aus einer kanadisch-französischen Familie und wuchs in den Vereinigten Staaten, Kanada und Australien auf. Sie studierte an der Yale University sowie an der Cambridge University. Ihr Großstadtroman Des Kaisers Kinder war ein weltweiter Erfolg. 2018 erschien ihr Roman Das brennende Mädchen. Sie unterrichtet Kreatives Schreiben an verschiedenen Colleges und ist mit dem britischen Literaturkritiker James Wood verheiratet; das Paar hat zwei Kinder und lebt in Washington, D.C. und in Somerville, Massachusetts.



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