Glaubensbasierte Maßstäbe für katholische Kapitalanleger: Ein Ausgangspunkt und Aufruf zum Handeln
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
ISBN: 978-3-451-83788-3
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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Kapitel I
Die Grundsätze für Mensuram Bonam
Anleitung aus dem Glauben und der Katholischen Soziallehre
8. Die Ethik des »Investierens« für Katholiken ist bereits in der Etymologie des Wortes verschlüsselt. Im Lateinischen bedeutet investire »kleiden, bekleiden« und »mit Autorität ausstatten«. In der Bibel findet sich der erste Akt des Investierens im Buch Genesis, als Gott – nachdem er Adam und Eva wegen ihres Ungehorsams aus dem Garten Eden vertrieben hatte – »dem Mann und seiner Frau Kleider aus Fellen machte und sie bekleidete« (Genesis 3,21). Adam und Eva hatten sich aus Scham über ihre Nacktheit vor Gott versteckt. Indem Gott ihnen diese Kleider anfertigte, nahm er ihnen die Angst und stellte die Fähigkeit zu einer Beziehung wieder her. Gottes barmherziges Handeln ist zukunftsweisend und generativ. Es antizipiert die Verletzlichkeit von Adam und Eva und gibt ihnen durch dieses Geschenk des Schutzes die körperliche und persönliche Sicherheit, die sie brauchen, um ihre Rolle in Gottes Schöpfung wahrzunehmen. So ist auch heute jede Kapitalanlage eine Abwägung zwischen dem Risiko (oder der Risikoanfälligkeit) und dem zukünftigen Risikoschutz sowie dem Benefit. Investieren kann zu Recht als Berufung angesehen werden, denn es ist eine von Gott ererbte Fähigkeit, die Schwachstellen der Geschöpfe kreativ vorauszusehen, zu mildern und zu lösen. Diese Berufung anzunehmen und ihre Entwicklung zu fördern, erfordert, dass Anleger ihr technisches Fachwissen durch betende Reflexion ergänzen. Für gläubige Anleger ist die Sicht auf die Welt, die sich aus Zahlen und Analysen ergibt, immer unvollständig. Selbst kurze Momente in der Gegenwart der Heiligen Schrift oder kurze Verweise auf die Lehren der Kirche können diese ethischen Lücken in der Perspektive oder im Prozess durch Gnade oder Weisheit ausfüllen. 9. Nach dem Plan Gottes sind Frauen und Männer mit intellektuellen Fähigkeiten ausgestattet, durch die sie in ihrer Weisheit wachsen können, um ihre kollektive Verantwortung füreinander und für die Schöpfung zu verstehen – alles als Teil einer integralen Ökologie. Im Vertrauen auf Glauben und Vernunft und unter der Führung des Heiligen Geistes können die Menschen gemeinsam die Grundlagen und Prinzipien erkennen, die gut funktionierenden Systemen, einschließlich Finanzen und Kapitalanlagen, zugrunde liegen. Diese Wahrheiten wiederum helfen bei der Gestaltung von Arbeitsprozessen und Praktiken, die für die Leitung von Institutionen und Einzelpersonen bei ihrer Beteiligung am Finanzwesen wesentlich sind. In MB wird der Vorschlag eines Leitfadens für glaubenskonformes Investieren in erster Linie durch die von der Katholischen Kirche übermittelte Weisheit inspiriert, die sich auf die Heilige Schrift und die lebendige Tradition in der Kirche stützt, wie sie vom Lehramt ausgelegt wird. Durch die Gabe des Glaubens erweitert die Offenbarung Gottes den Horizont der Menschheit und befriedigt unsere tiefe Sehnsucht nach Wahrheit und dem letzten Sinn des menschlichen Lebens. 10. Glaubensbasiert ist wohl die originäre Bezeichnung für diese Ausrichtung von Investments als Ausdruck der Nachfolge Jesu Christi. Andere verwenden heute eine Vielzahl von Begriffen, wie z. B. »vom Glauben geprägt«, »über den Glauben informiert«, »glaubenskonform«, »auf den Glauben ausgerichtet«, »vom Glauben inspiriert« und andere mehr. In der Praxis verwenden Anleger, die über ihren Glauben nachdenken, eine Matrix von Fragen und Aufforderungen – sie prüfen die Heilige Schrift, fragen nach der Lehre der Kirche, rufen ihre eigene ethische Weisheit auf und bemühen sich auf ihre Weise um Offenheit für die Gaben des Heiligen Geistes. 11. Die Anliegen, die MB motivieren, basieren in der Tat auf Erfahrungen vor Ort, im wirklichen Leben. Zahlreiche lokale und regionale Bischofskonferenzen haben bereits soziale Analysen im Lichte der Lehre der Kirche durchgeführt. Und aus diesen lokalen Anliegen haben die Bischöfe Grundsätze für Veränderungen abgeleitet, die für alle Gläubigen gelten, auch für Anleger. So stellte die Österreichische Bischofskonferenz fest, dass »Vermögen« die »wirtschaftliche Grundlage für Institutionen und Menschen« bildet. Es hat einen tiefgreifenden Einfluss auf die Struktur einer Gesellschaft. Daraus folgern die österreichischen Bischöfe: »Weil man mit ihm [dem Vermögen] etwas anfangen kann, besteht die Verpflichtung, mit dieser Fähigkeit verantwortungsvoll umzugehen.«1 In ähnlicher Weise und in Anlehnung an die Lehren zur ganzheitlichen menschlichen Entwicklung stellen die US-Bischöfe fest: »Das Wirtschaftsleben wirft wichtige soziale und moralische Fragen für jeden von uns und für die Gesellschaft als Ganzes auf. Wie das Familienleben ist auch das Wirtschaftsleben einer der wichtigsten Bereiche, in denen wir unseren Glauben ausleben, unseren Nächsten lieben, uns der Versuchung stellen, Gottes schöpferischen Plan erfüllen und unsere Heiligkeit verwirklichen.«2 Investieren im Glauben ist also ein Milieu der Berufung. Neben der persönlichen Bekehrung zielt die KSL darauf ab, den gemeinsamen Raum, einschließlich der Märkte und der Kultur, humaner zu gestalten. Zu diesem Zweck erinnert die italienische Bischofskonferenz die Gläubigen daran, dass »die Ethik als etwas Eigenes zum Finanzwesen gehört und aus ihm selbst entsteht. Sie wird nicht nachträglich hinzugefügt, sondern entspringt einem inneren Bedürfnis des Finanzwesens selbst, seine eigenen Ziele zu verfolgen, da dieses auch eine menschliche Tätigkeit ist.«3 Andere katholische und kirchliche Einrichtungen (wie das IOR – Istituto per le Opere di Religione) haben ebenfalls Normen für eine Finanzverwaltung entwickelt, die den Anforderungen des Glaubens gerecht wird. Es wurden erhebliche Fortschritte bei der Festlegung von Verantwortlichkeiten und der Einbeziehung von Wertpapieremittenten in die Reform erzielt. Dank der Innovationen großer Institutionen hat diese Arbeit große Früchte getragen. So ist in der Wertpapierbranche inzwischen der Begriff »Catholic Investment Screens« für die Vorbereitung und Vermarktung neuer Angebote weit verbreitet. Das Wirtschaftssekretariat des Heiligen Stuhls hat ein Verfahren zur Entwicklung solcher Richtlinien für die Anlagestrategie des Vatikans eingeführt. Dazu gehört ein vorläufiger Prozess für strukturelle Veränderungen: die Erneuerung des treuhänderischen Umfangs der Verwaltung, die Neukonzeption von Kapitalanlagestrategien, die Schaffung von Standards für Partnerschaften und Berater und die Bewertung der Ergebnisse anhand ihrer vielfältigen, integralen Dimensionen. MB baut auf dieser grundlegenden Arbeit aus vielen Quellen auf und erweitert die Leitlinien und Prinzipien der Kirche in Richtung guter Maßstäbe zum Benefit aller katholischen Kapitalanleger. 12. Für die vielen anderen Fälle, in denen es noch keine Kriterien für ethische Kapitalanlagen gibt, ruft MB zur sofortigen Entwicklung solcher Kriterien auf. Es bietet Anlegern Grundsätze und Instrumente für eine glaubensbasierte Strategie sowie einen Fahrplan für die Umsetzung.4 Tatsächlich ist angesichts der gemeinsamen Risiken, die von den Bedrohungen für unser gemeinsames Haus ausgehen, jeder Mensch, der finanzielle Verantwortung trägt, aufgerufen, ethische Leitlinien zu entwickeln, um seine Anlageentscheidungen und -strategien auf das Gemeinwohl auszurichten. So schwierig es auch sein mag, diese oft gegensätzlichen und manchmal widersprüchlichen Ziele zu erreichen, kann die Rolle der Geldanlage nicht mehr von ihrem ethischen Wirkungsgeflecht losgelöst werden. Papst Benedikt XVI. beteuert, dass »Entwicklung ohne rechtschaffene Menschen, ohne Wirtschaftsfachleute und Politiker, die in ihrem Gewissen den Aufruf zum Gemeinwohl nachdrücklich leben, nicht möglich ist«. Er erklärt, dass wir die »Verwechslung von Zielen und Mitteln überwinden müssen, die dazu führt, dass der Unternehmer als einziges Kriterium für sein Handeln den höchsten Gewinn der Produktion ansieht«.5 In der Tat muss die eigentliche Funktion des Investierens als ein Denkprozess neu konzipiert werden, der mehrere Werte, Verantwortlichkeiten und Ergebnisse widerspiegelt. Grundsätze des katholischen Glaubens
13. Der Aufruf von MB kommt zu einem günstigen Zeitpunkt. Während die Welt von zahlreichen Krisen umhüllt ist,6 »müssen diejenigen, die durch den Glauben und die Taufe Christus angehören, ihren Taufglauben vor den Menschen bekennen«,7 da »die ganze Belehrung und Unterweisung auf die Liebe ausgerichtet sein muss, die kein Ende hat.«8 Angesichts dieser sich überschneidenden Krisen – die sowohl global als auch lokal sind – erkennen viele Manager, Finanzberater und Anleger, dass die Märkte in eine neue Phase der Volatilität und Unsicherheit eingetreten sind. MB lenkt diese faktische Erkenntnis auf ihre moralischen Implikationen, nämlich dass – wie nie zuvor – die gesamte Menschheit, einschließlich künftiger Generationen, durch eine Vielzahl miteinander verflochtener Schwachstellen geeint ist. MB fragt in der Weise des Glaubens: Wie können diese Schwachstellen beachtet und gemildert werden? Was sind die ethischen Verpflichtungen, die bei Kapitalanlagen zu beachten sind, wenn es um die Wahrheit des Glaubens geht? Welche Kapazitäten müssen wir im Lichte des Glaubens gemeinsam als Kirche für ein...