Mendelssohn / Delaube | Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 1 Seiten

Mendelssohn / Delaube Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum

in behutsam modernisierter Sprache
2. Auflage 2025
ISBN: 978-3-565-02623-4
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

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'Liebt die Wahrheit, liebt den Frieden!' Mendelssohn entwickelt eine systematische Kritik religiöser und staatlicher Machtansprüche über das menschliche Gewissen. Seine Kernthese: Weder weltliche noch geistliche Autorität besitzt das Recht, in Fragen der inneren Überzeugung zwingend zu wirken. Wahre Religion entspringt der Vernunft und freien Einsicht, nicht äußerem Druck. Diese Ausgabe macht sein philosophisches Hauptwerk von 1783 für heutige Leser zugänglich, ohne den originalen Gedankengang oder die argumentative Präzision zu beeinträchtigen. Überlange Periodenstrukturen des 18. Jahrhunderts wurden in verständliche Sprache übertragen, historische Begriffe behutsam aktualisiert. Das Werk entstand als Antwort auf den Konversionsaufruf des Zürcher Theologen Lavater und entwickelt daraus eine grundsätzliche Theorie der Gewissensfreiheit. Mendelssohn argumentiert für die strikte Trennung von Handlung und Gesinnung: Während der Staat Handlungen regulieren darf, bleiben Gedanken und Überzeugungen der staatlichen wie kirchlichen Einflussnahme entzogen. Ein Schlüsseltext der deutschen Aufklärung, der sowohl für die Religionsphilosophie als auch für die politische Theorie der Toleranz von bleibender Bedeutung ist.

Moses Mendelssohn (1729-1786) war ein deutscher Philosoph der Aufklärung und gilt als zentrale Figur der jüdischen Aufklärung (Haskala). Geboren in Dessau als Sohn eines Toraschreibers, zog er 1743 nach Berlin, wo er sich autodidaktisch bildete und zu einem der bedeutendsten Denker seiner Zeit wurde. Als enger Freund Lessings und Korrespondent Kants verteidigte er sowohl die Vernunft der Aufklärung als auch das Recht der Juden auf religiöse Eigenständigkeit. Sein Hauptwerk 'Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum' (1783) argumentierte für Religionsfreiheit und die Trennung von Staat und Religion. Mendelssohn übersetzte die Tora ins Deutsche und setzte sich für eine Reform der jüdischen Erziehung ein. Er starb 1786 in Berlin.
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ERSTER ABSCHNITT


Staat und Religion – bürgerliche und geistliche Verfassung – weltliches und kirchliches Ansehen – diese Stützen des gesellschaftlichen Lebens so gegeneinander zu stellen, dass sie sich die Waage halten, dass sie nicht vielmehr Lasten des gesellschaftlichen Lebens werden und den Grund desselben stärker drücken, als was sie tragen helfen – dies ist in der Politik eine der schwersten Aufgaben. Man bemüht sich schon seit Jahrhunderten, sie zu lösen. Und hier und da hat man sie vielleicht glücklicher praktisch beigelegt, als theoretisch aufgelöst.

Man hat für gut befunden, diese verschiedenen Verhältnisse des geselligen Menschen in moralische Wesen abzusondern, und jedem derselben ein eigenes Gebiet, besondere Rechte, Pflichten, Gewalt und Eigentum zuzuschreiben. Aber der Bezirk dieser verschiedenen Gebiete und die Grenzen, die sie trennen, sind noch bis jetzt nicht genau bestimmt. Man sieht bald die Kirche das Markmal weit in das Gebiet des Staats hinübertragen. Bald erlaubt sich der Staat Eingriffe, die den angenommenen Begriffen zufolge ebenso gewaltsam scheinen. Und unermesslich sind die Übel, die aus der Uneinigkeit dieser moralischen Wesen bisher entstanden sind und noch zu entstehen drohen.

Liegen sie gegeneinander zu Felde, so ist das menschliche Geschlecht das Opfer ihrer Zwietracht. Und vertragen sie sich, so ist es getan um das edelste Kleinod der menschlichen Glückseligkeit. Denn sie vertragen sich selten anders, als um ein drittes moralisches Wesen aus ihrem Reiche zu verbannen: die Freiheit des Gewissens, die von ihrer Uneinigkeit einigen Vorteil zu ziehen weiß.

Der Despotismus hat den Vorzug, dass er bündig ist. So lästig seine Forderungen auch dem gesunden Menschenverstand sind, so sind sie doch unter sich zusammenhängend und systematisch. Er hat auf jede Frage seine bestimmte Antwort. Ihr dürft euch weiter um die Grenzen nicht bekümmern. Denn wer alles hat, fragt nicht weiter.

So verhält es sich auch nach römisch-katholischen Grundsätzen mit der kirchlichen Verfassung. Sie ist auf jeden Umstand ausführlich und gleichsam aus einem Stück. Räumt ihr alle ihre Forderungen ein, so wisst ihr wenigstens, woran ihr euch zu halten habt. Euer Gebäude ist aufgeführt. In allen Teilen desselben herrscht vollkommene Ruhe. Freilich nur jene fürchterliche Ruhe, wie Montesquieu sagt, die abends in einer Festung ist, welche des Nachts mit Sturm überzogen werden soll.

Wer Ruhe in Lehre und Leben für Glückseligkeit hält, findet sie dennoch nirgends gesicherter als unter einem römisch-katholischen Despoten. Oder, weil auch hier die Macht noch zu sehr verteilt ist: unter der despotischen Herrschaft der Kirche selbst.

Sobald aber die Freiheit an diesem systematischen Gebäude etwas zu verrücken wagt, so droht Zerrüttung von allen Seiten. Man weiß am Ende nicht mehr, was davon stehenbleiben kann. Daher die außerordentliche Verwirrung – die bürgerlichen sowohl als kirchlichen Unruhen in den ersten Zeiten der Reformation. Und die auffallende Verlegenheit der Lehrer und Verbesserer selbst, sooft sie in dem Fall waren, in Absicht auf Gerechtsame das »Wie weit?« festzusetzen.

Nicht nur praktisch war es schwer, den großen, seiner Fessel entbundenen Haufen innerhalb geziemender Schranken zu halten. Auch in der Theorie selbst findet man die Schriften jener Zeiten voller unbestimmter und schwankender Begriffe, sooft von Festsetzung der kirchlichen Gewalt die Rede ist.

Der Despotismus der römischen Kirche war aufgehoben, aber – welche andere Form soll an ihrer Stelle eingeführt werden? Noch jetzt in unseren aufgeklärteren Zeiten haben die Lehrbücher des Kirchenrechts von dieser Unbestimmtheit nicht befreit werden können.

Allen Anspruch auf Verfassung will oder kann die Geistlichkeit nicht aufgeben. Und gleichwohl weiß niemand recht, worin solche bestehe. Man will Streitigkeiten in der Lehre entscheiden, ohne einen obersten Richter zu erkennen. Man beruft sich noch immer auf eine unabhängige Kirche, ohne zu wissen, wo sie anzutreffen sei. Man macht Anspruch auf Macht und Recht und kann doch nicht angeben, wer sie handhaben soll.

Thomas Hobbes lebte zu einer Zeit, da der Fanatismus, mit einem unordentlichen Gefühl von Freiheit verbunden, keine Schranken mehr kannte. Er war im Begriff, wie ihm auch am Ende gelang, die königliche Gewalt unter den Fuß zu bringen und die ganze Landesverfassung umzustürzen. Der bürgerlichen Unruhen überdrüssig und von Natur zum stillen, spekulativen Leben geneigt, setzte er die höchste Glückseligkeit in Ruhe und Sicherheit, sie mochte kommen, woher sie wollte. Diese fand er nirgends als in der Einheit und Unzertrennlichkeit der höchsten Gewalt im Staate.

Der öffentlichen Wohlfahrt, glaubte er, sei am besten geraten, wenn alles, sogar unser Urteil über Recht und Unrecht, der höchsten Gewalt der bürgerlichen Obrigkeit unterworfen würde. Um dieses desto füglicher tun zu können, setzte er zum Voraus: Der Mensch habe von Natur die Befugnis zu allem, wozu er von ihr das Vermögen erhalten hat.

Der Stand der Natur sei Stand des allgemeinen Aufruhrs, des Krieges aller wider alle, in welchem jeder mag, was er kann. Alles Recht ist, wozu man Macht hat. Dieser allerdings unglückselige Zustand habe so lange gedauert, bis die Menschen übereingekommen sind, ihrem Elend ein Ende zu machen. Sie kamen überein, auf Recht und Macht, insoweit es die öffentliche Sicherheit betrifft, Verzicht zu tun. Sie lieferten solche einer festgesetzten Obrigkeit in die Hände. Und nunmehr sei dasjenige recht, was diese Obrigkeit befiehlt.

Für bürgerliche Freiheit hatte er entweder keinen Sinn, oder er wollte sie lieber vernichtet als missbraucht sehen. Um sich aber die Freiheit zu denken auszusparen, davon er selbst mehr als irgendjemand Gebrauch machte, nahm er seine Zuflucht zu einer feinen Wendung.

Alles Recht gründet sich, nach seinem System, auf Macht, und alle Verbindlichkeit auf Furcht. Da nun Gott der Obrigkeit an Macht unendlich überlegen ist, so sei auch das Recht Gottes unendlich über das Recht der Obrigkeit erhaben. Und die Furcht vor Gott verbinde uns zu Pflichten, die keiner Furcht vor der Obrigkeit weichen dürfen.

Jedoch sei diese nur von der inneren Religion zu verstehen, um die allein es dem Weltweisen zu tun war. Den äußeren Gottesdienst unterwarf er völlig dem Befehle der bürgerlichen Obrigkeit. Und jede Neuerung in kirchlichen Sachen, ohne derselben Autorität, sei nicht nur Hochverrat, sondern auch Lästerung.

Die Kollisionen, die zwischen dem inneren und äußeren Gottesdienste entstehen müssen, sucht er durch die feinsten Unterscheidungen zu heben. Und obgleich noch so manche Lücken zurückbleiben, die die Schwäche der Vereinigung sichtbar machen, so ist doch der Scharfsinn zu bewundern, mit welchem er sein System hat bündig zu machen versucht.

Im Grunde liegt in allen Behauptungen des Hobbes viel Wahrheit. Die ungereimten Folgen, zu welchen sie führen, kommen bloß aus der Übertreibung, mit welcher er sie vorgetragen hat – aus Liebe zur Paradoxie oder den Bedürfnissen seiner Zeiten gemäß.

Zum Teil waren auch die Begriffe des Naturrechts zu seiner Zeit noch nicht aufgeklärt genug. Und Hobbes hat das Verdienst um die Moralphilosophie, das Spinoza um die Metaphysik hat. Sein scharfsinniger Irrtum hat Untersuchung veranlasst. Man hat die Ideen von Recht und Pflicht, Macht und Verbindlichkeit besser entwickelt; man hat physisches Vermögen von sittlichem Vermögen, Gewalt von Befugnis richtiger unterscheiden gelernt, und diese Unterscheidungen so innigst mit der Sprache verbunden, dass nunmehr die Widerlegung des Hobbesschen Systems schon in dem gesunden Menschenverstande, und sozusagen in der Sprache zu liegen scheint. Dieses ist die Eigenschaft aller sittlichen Wahrheiten. Sobald sie ins Licht gesetzt sind, vereinigen sie sich so sehr mit der Sprache des Umgangs und verbinden sich mit den alltäglichen Begriffen der Menschen, dass sie dem gemeinen Menschenverstande einleuchten, und nunmehr wundern wir uns, wie man vormals auf einem so ebenen Wege habe straucheln können. Wir bedenken aber den Aufwand nicht, den es gekostet, diesen Steig durch die Wildnis so zu ebnen.

Hobbes selbst musste die unstatthaften Folgen auf mehr als eine Weise empfinden, zu welchen seine übertriebenen Sätze unmittelbar führen. Sind die Menschen von Natur an keine Pflicht gebunden, so liegt ihnen auch nicht einmal die Pflicht ob, ihre Verträge zu halten. Findet im Stande der Natur keine andere Verbindlichkeit statt, als die sich auf Furcht und Ohnmacht gründet, so dauert die Gültigkeit der Verträge auch nur so lange, als sie von Furcht und Ohnmacht unterstützt wird; so haben die Menschen durch Verträge keinen Schritt näher zu ihrer Sicherheit getan, und befinden sich noch immer in ihrem primitiven Zustand des allgemeinen Krieges. Sollten aber Verträge gültig sein, so muss der Mensch von Natur, ohne Vertrag und Verabredung, an und für sich selbst nicht befugt sein, wider ein Paktum zu handeln, das er gutwillig eingegangen; das heißt, es muss ihm nicht erlaubt sein, wenn er auch kann: er muss das sittliche Vermögen nicht haben, wenn er auch das physische dazu hätte. Macht und Recht sind also verschiedene Dinge und waren auch im Stande der Natur heterogene Begriffe. – Ferner, der höchsten Gewalt im Staate schreibt Hobbes strenge Gesetze vor, nichts zu befehlen, das der Wohlfahrt ihrer Untertanen zuwider sei. Wenn sie auch keinem Menschen Rechenschaft zu geben schuldig seien, so haben sie diese doch vor dem allerhöchsten Richter abzulegen; wenn sie auch nach seinen Grundsätzen keine Furcht vor irgendeiner menschlichen Macht binde, so binde sie doch die Furcht vor der Allmacht, die ihren Willen hierüber hinlänglich zu...



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