E-Book, Deutsch, Band 2, 446 Seiten
Meißner Der Fluch der sechs Prinzessinnen (Band 2): Blütenzauber
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-906829-66-1
Verlag: Sternensand Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 2, 446 Seiten
Reihe: Der Fluch der sechs Prinzessinnen
ISBN: 978-3-906829-66-1
Verlag: Sternensand Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kennt ihr das Schloss über den Wolken? Das Schloss, in welchem ein verwunschenes Biest wohnt? Und die Geschichte der Schönen, die sein Herz zu erweichen vermag?
Gefangen in einem Raum, der zu ebendiesem Schloss gehört, erwacht Prinzessin Tatjana. Der einzige Hinweis darauf, wie sie ihren Fluch brechen und wieder auf die Erde zurückkehren kann, ist ein Wort. Doch dieses ist eng mit dem Schicksal des Biests verwoben und lautet: Blütenzauber.
Regina Meißner wurde am 30.03.1993 in einer Kleinstadt in Hessen geboren, in der sie noch heute lebt. Als Autorin für Fantasy und Contemporary hat sie bereits viele Romane veröffentlicht. Weitere Projekte befinden sich in Arbeit.
Regina Meißner studiert Englisch und Deutsch auf Lehramt in Gießen. In ihrer Freizeit liebt sie neben dem Schreiben das Lesen, Nähen und ihren Dackel Frodo.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Kapitel 1
Alles hatte ein Ende. Blumen verwelkten, Schnee schmolz, Menschen starben. Nichts war für immer und deshalb würde auch dies irgendwann vorbei sein. Daran musste sie denken, wieder und wieder. Jeden Tag klammerte sie sich an diese Hoffnung, jede Stunde war von diesem Gedanken besetzt. Sie würde nicht auf ewig hierbleiben. Ihre Geschichte hatte einen Anfang und irgendwann würde es einen Schluss geben. Tatjana sah sich in dem kleinen Raum um, der das Einzige war, das sie seit sehr langer Zeit gesehen hatte. Dennoch weigerte sie sich, ihn Zuhause zu nennen, denn das war an einem anderen Ort. Einem Ort, den sie wahrscheinlich nie wieder betreten würde. Ihre Augen glitten über das braune Regal, welches exakt vierundsiebzig Geschichten beherbergte. Sie hatte jede einzelne davon gelesen. Damals, in Brahmenien, wäre es ihr undenkbar erschienen, die Nase in ein Buch zu stecken. Es hatte eine ganze Welt zu erkunden gegeben. Doch nun war diese auf einen einzigen Raum geschrumpft. Tatjana kannte ihn auswendig, jede Unebenheit an der Wand und jede Fluse im Teppich. Sie wusste, dass das Bett quietschte, wenn sie ihr Gewicht zu sehr auf den unteren Teil verlagerte, und kannte das Geheimfach des Schreibtisches, in dem sich nichts weiter befunden hatte als ein Tintenfässchen. Sie zupfte an den roten Brokatvorhängen, die ein Fenster verdeckten. An guten Tagen ertrug sie den Anblick der Welt, die draußen lag und doch unerreichbar war. An schlechten Tagen jedoch hatte sie die Vorhänge zugezogen und stattdessen eine Kerze angezündet. Tatjana setzte sich an den kleinen hölzernen Schreibtisch und blätterte durch den Stapel Pergamentpapier, den sie in den letzten Tagen, Wochen und Monaten beschriftet hatte. Sie wollte nichts mehr als verstehen – den Fluch und ihr Schicksal als verwunschene Prinzessin, gefangen in einem Zimmer. Hinzu kam, dass der Raum verzaubert sein musste, denn sie verspürte keinerlei körperliche Bedürfnisse. Nicht einmal hungrig oder durstig war sie. Um den Fluch zu verstehen, schrieb sie und schrieb, aber bisher war nichts geschehen, das ihr wirklich weitergeholfen hatte. Nichts, das sie befreien konnte. Seufzend vergrub sie ihren Kopf zwischen den Händen. Sie war keine ängstliche Frau – niemand, der Furcht vor der eigenen Stimme hatte oder sich um das scherte, was andere sagten. Aber hier, in ihrem persönlichen Gefängnis, half ihr das alles nicht. Sie ballte die rechte Hand zur Faust, merkte, wie Zorn Besitz von ihr ergriff. Obwohl – oder gerade weil – sie jeden Tag dasselbe sah, durchlebte sie die unterschiedlichsten Emotionen. Mal war sie wütend, so wie jetzt. So wütend, dass sie wie eine Furie schrie und mit aller Kraft gegen die Tür trat. Mal war sie tieftraurig – und diese Tage hasste sie am meisten. Denn dann lag sie auf dem Bett, vergraben unter drei schweren Decken, und weinte sich die Augen aus dem Kopf. In den traurigen Stunden dachte sie an ihre Vergangenheit, ihre Familie, an das, was sie verloren hatte. Alle Hoffnung verschwand. Manchmal ergriff die Angst von ihr Besitz und sie fürchtete sich vor dem, was hinter der Tür lauerte. Ihre innere Unruhe wuchs, während sie keinen klaren Gedanken fassen konnte. Wenn sie Angst hatte, wurde ihr bewusst, dass etwas mit diesem Raum – und mit ihr – nicht stimmte. Dass sie keinen Hunger und keinen Durst hatte und auch nichts zum Überleben brauchte. Sie gruselte sich vor den Umständen, die sie in diese Situation gebracht hatten. Diese Gefühle beherrschten die dunklen Tage: Wut, Trauer und Angst. Doch ab und zu, so selten wie Wärme im Schnee, gab es auch die anderen Tage. Die, an denen sie hoffen konnte. Die Tage, an denen sie sich sicher war, voranzukommen. Manchmal entdeckte sie ein neues Detail, einen kleinen Hinweis, den sie vorher nicht bemerkt hatte. Und dann ging es weiter. »Blütenzauber«, murmelte sie. Tatjana war sich sicher, dass noch nie ein Mensch zuvor so lange über dieses Wort nachgedacht hatte. Dieses lächerliche Wort, das sie in den Wahnsinn trieb und das doch den Schlüssel darstellte, den sie brauchte. Fakt war: In diesem Raum gab es keine Blüten. Nicht einmal die Bücher erzählten davon. Und Tatjana beherrschte nicht das kleinste bisschen Magie. »Blütenzauber«, wiederholte sie abermals. Irgendetwas musste sie übersehen haben, irgendetwas in diesem Raum war die Antwort. Sie lehnte sich im Stuhl zurück und schloss für einen Moment die Augen. Wenn sie wenigstens mit irgendjemandem sprechen könnte! Doch die Tür war verschlossen – und das schon seit Ewigkeiten. Wie oft hatte sie daran gerüttelt und auch versucht, das Schloss zu knacken, aber jedes Mal war sie gescheitert. Das Fenster stellte ebenfalls keine Möglichkeit zur Flucht dar, und das lag nicht an Gitterstäben, denn die gab es nicht. Nein, das Problem war vielmehr, dass sie sich in mehreren hundert Metern Höhe befinden musste. So zumindest sah es aus, wenn sie nach unten schaute. Da war nichts als Wolken, die je nach Wetterlage mal weiß, mal grau und mal rosa aussahen. Tatjana wusste, dass dies eigentlich unmöglich war, aber es wirkte, als würde sie sich in einem Haus über den Wolken befinden – mitten im Himmel sozusagen. Ihre Schwester Penelopé hätte vielleicht die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und sich aus dem Fenster gestürzt, hinein ins bodenlose Nichts. Es wäre ein sicherer Tod und ein schneller Ausweg aus dem Leid. Aber Tatjana dachte nicht einmal daran. Dafür war sie viel zu wütend, viel zu aufgebracht! Sie würde nicht aufgeben und ganz sicher würde sie ihrer Stiefmutter nicht kampflos das Feld überlassen. Die Prinzessin presste die Lippen aufeinander und wühlte sich durch den Pergamentstapel. In der letzten Zeit hatte sie nicht nur geschrieben, sondern auch Zeichnungen angefertigt. Dunkle Bilder, die all das zeigten, was in ihr vorging. Endlich hatte sie das Papier gefunden. Es bestand aus vielen aggressiven Linien, die zusammengenommen die Konturen eines weiblichen Gesichts ergaben. »Wenn ich je hier rauskomme«, zischte Tatjana und starrte auf das Bild, das ihre Stiefmutter zeigte, »werde ich dich töten!« Wütend fegte sie den Blätterstapel vom Tisch, bis er sich über den Boden ergoss. Dann stand sie auf, griff nach einem beliebigen Buch und legte sich auf das Bett, um es zu lesen. Früher war ihr nie langweilig gewesen. Früher hatte sie nicht genug Zeit gehabt, um all das zu tun, was ihr wichtig war. Jetzt saß sie in einem goldenen Käfig fest und es kam ihr vor, als wären alle Uhren zum Stillstand gekommen. Die Geschichte erzählte von einer Prinzessin, die in einen Schwan verwandelt worden war und auf einen Jäger traf, dem sie ihr Geheimnis anvertraute. In der Nacht war sie Frau, am Tag Federvieh. Die Prinzessin gähnte und klappte das Buch nach ein paar Kapiteln wieder zu. Schon beim ersten Mal hatte ihr diese Geschichte nicht besonders gut gefallen. Tatjana starrte an die Decke und dachte an all das, was sie verloren hatte. Sie vermisste die Hitze Brahmeniens, vermisste die Freunde ihres Vaters, vermisste sogar ihre Schwestern, auch wenn diese sie regelmäßig in den Wahnsinn getrieben hatten. Zwar war sie die Zweitälteste, aber insgeheim hatte sie sich immer wie die Erstgeborene gefühlt. Sie vermisste ihre Stute Landorsa, mit der sie alle Wälder der Umgebung erkundet hatte und mit der sie oft stundenlang unterwegs gewesen war. Überhaupt fehlte ihr nichts so sehr wie die Freiheit. Ihr jetziger Bewegungsradius beschränkte sich auf das ewig selbe Zimmer, in dem sie nichts unternehmen konnte. Früher war Tatjana nur schwer aus der Natur wegzubekommen gewesen. Sie seufzte, als sie sich an ihre geröteten Wangen und das Gefühl, lebendig zu sein, erinnerte. Sie wusste, dass sie noch lebte – oder wenigstens existierte. Sie atmete, schlief und wachte auf, aber das waren die einzigen Bedürfnisse, die ihr geblieben waren. Einmal hatte sie sich gefragt, ob das Zimmer eine Vorstufe zum Tod darstellte und sie lediglich noch nicht den Weg ins Licht gefunden hatte. Manchmal, wenn sie so allein war, dass sie an ihrer Einsamkeit beinahe erstickte, dachte sie an Fernando. Er war der Sohn eines Freundes ihres Vaters, die beiden hatten sich letztes Jahr in einer Sommernacht kennengelernt. Der junge Mann hatte südländisches Blut, war voller Temperament und Überraschungen. Tatjana liebte es, erobert zu werden, genoss das Gefühl, wenn ein Mann um sie warb. Fernando hatte ihr die Welt zu Füßen gelegt, ihr kleine und große Geschenke gemacht und sie auf eine Weise verstanden wie noch niemand zuvor. Ihre Liaison hatte nicht länger als einen Monat gehalten und doch dachte Tatjana gern an die Zeit zurück, in der sich alles ein wenig leichter angefühlt hatte. Sorgenfreier. Manchmal, wenn sie die Stille um sich herum nicht ertrug, redete sie mit ihm. Und obwohl er Welten entfernt war und sicher nicht mehr an sie dachte, halfen ihr die Gespräche. Sie vergaß, wo sie war, und träumte sich an einen Ort, der mal ihr liebster gewesen war. »Ich bin froh, dass du hier bist, Fernando«, sprach sie. Sie sah ihn vor sich, den groß gewachsenen, dunkelhaarigen Mann aus Mercur. Seine beinahe schwarzen Augen blitzten vergnügt, als er auf dem Bett Platz nahm und nach Tatjanas Hand griff. »Wie geht es dir, meine Schöne?«, fragte er und schenkte ihr ein Lächeln, das ein wohliges Gefühl in ihrem Inneren hervorrief. »Es könnte besser sein«, entgegnete sie wahrheitsgemäß, aber die Anwesenheit ihrer früheren Romanze machte es besser. »Was hast du heute erlebt?«, wollte Fernando wissen, doch Tatjana...