E-Book, Deutsch, Band 1, 354 Seiten
Meißner Der Fluch der sechs Prinzessinnen (Band 1): Schwanenfeuer
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-906829-44-9
Verlag: Sternensand Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, Band 1, 354 Seiten
Reihe: Der Fluch der sechs Prinzessinnen
ISBN: 978-3-906829-44-9
Verlag: Sternensand Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Am Tag ein Schwan, in der Nacht ein Mensch, gefangen an einem einsamen See mitten im Wald. Das ist das Schicksal der verwunschenen Prinzessin Estelle. Es erscheint ihr aussichtslos, den Fluch zu brechen. Der Sinn der rätselhaften Worte auf einem geheimnisvollen Pergament, das der einzige Schlüssel ist, bleibt ihr verborgen. Erst als der junge Jäger Ayden am Schwanensee auftaucht, erhält sie neue Hoffnung. Womöglich gelingt es mit seiner Hilfe, das Rätsel zu lösen und den Weg zu beschreiten, der Estelles Dasein als Schwanenprinzessin beenden könnte? Doch was wird dann aus ihren Schwestern, die ebenfalls von einem Fluch befallen zu sein scheinen?
Regina Meißner wurde am 30.03.1993 in einer Kleinstadt in Hessen geboren, in der sie noch heute lebt. Als Autorin für Fantasy und Contemporary hat sie bereits viele Romane veröffentlicht. Weitere Projekte befinden sich in Arbeit. Regina Meißner hat Englisch und Deutsch auf Lehramt in Gießen studiert. In ihrer Freizeit liebt sie neben dem Schreiben das Lesen und ihren Dackel Frodo.
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Kapitel 1
Ayden Der Mond warf seinen Schein auf die Lichtung, in deren Mitte der Schwanensee thronte. Leise ging der Wind durch die kahlen Äste der Bäume, spielte eine Melodie, die nur diejenigen vernehmen konnten, die genau hinhörten. Hoch oben auf den Bergen lag noch Schnee, aber im Tal hatte das Tauwetter Einzug gehalten. Vereinzelt standen Sterne am Firmament, winzige Lichtpunkte, Wegweiser im Labyrinth des Lebens. Ayden zog den Schal enger um seinen Hals. Seit vielen Stunden war er unterwegs, mittlerweile peitschte die Kälte derart auf ihn ein, dass er sich nach einem warmen Bett und trockener Kleidung sehnte. Glücklicherweise hatte der Regen aufgehört. Seufzend ging er weiter, die Armbrust geschultert. Sein Atem zeichnete sich in kleinen Dampfwolken ab. Fröstelnd schlang er die Arme um seinen Körper und schüttelte den Kopf über seine eigenen törichten Gedanken. Aufgeben durfte für ihn nicht infrage kommen. Der König von Talario zählte auf ihn, einen seiner besten Jäger. Entschlossen griff Ayden nach der Armbrust und legte einen Bolzen in das Holz. Irgendwo musste es doch etwas zu schießen geben! Doch die Vögel waren noch in den warmen Sommerlanden und würden erst in einigen Monaten wiederkommen. Der Jäger weigerte sich, daran zu denken. Der König hatte ihm aufgetragen, einen Vogel zu schießen, also würde er auch einen finden. Seine Majestät zu enttäuschen, wäre eine Schmach, der er sich niemals freiwillig ergeben würde. Tapfer lief er weiter, auch wenn seine Hände vor Kälte klamm waren und die Waffe in seinem Griff kaum Halt fand. Der Wind peitschte ihm unbarmherzig ins Gesicht. Grimmig strich Ayden sich mit der freien Hand eine Strähne seines braunen Haares hinters Ohr. In Talario gab es Vögel, die sich nur in der Nacht zeigten. Der Eiszar, dessen Fleisch zart war und äußerst delikat schmeckte, war einer von denen, auf die der Jäger hoffte. Trotz der kalten Temperaturen würde er sich noch in seiner Heimat aufhalten, da er zu den Wesen gehörte, denen Wind und Wetter nichts ausmachten. Ayden kniff die Augen zusammen, den Himmel absuchend, doch dichte Wolken hatten sich vor den Mond geschoben, die ihm die Sicht erschwerten. Einen Fluch unterdrückend, stampfte er mit seinen braunen Winterstiefeln auf dem Boden auf, als er plötzlich eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahrnahm. Blitzschnell blickte er wieder nach vorn – und tatsächlich: Ayden konnte sein Glück kaum fassen, als sich unmittelbar vor ihm ein Schwan in die Höhe wagte. Sein Gefieder war so hell, dass der Jäger es sogar im Dunkel sah. Ayden war wie gebannt von der Anmut des Tieres, besann sich aber schnell wieder seines Auftrags und machte die Armbrust bereit. Er wusste genau, was er tat – daher war es kein Wunder, dass der Bolzen kurze Zeit später zielsicher das Gefieder des Schwans durchbohrte, die Stelle, wo die Federn in das Bein übergingen. Schwer sank das Tier zu Boden und landete außerhalb von Aydens Blickfeld. Ohne Zeit zu verlieren, setzte er sich in Bewegung und rannte auf den großen Busch zu, hinter dem er seine Beute vermutete. Innerlich sah er sich bereits an der Tafel des Königs sitzen, von dem kostend, was er seiner Majestät geschossen hatte. Sein Puls ging schneller bei der Vorstellung. Er hatte den Befehl ausgeführt und konnte voller Stolz an den Hof zurückkehren. Suchend schaute der Jäger in den kahlen Busch, der nur noch wenige Blätter trug, konnte den Schwan aber nicht ausmachen. Auch in der näheren Umgebung fehlte jede Spur von ihm. Ayden runzelte die Stirn. Irgendetwas ging nicht mit rechten Dingen zu, immerhin hatte er doch gesehen, dass der Schwan zu Boden gestürzt war. Nachdenklich biss er sich auf die Lippe und ließ den Blick schweifen. Doch sosehr er sich auch anstrengte, umgab ihn nichts als Dunkelheit. Voller Zorn warf er die Armbrust zu Boden, als er auf einmal ein sonderbares Geräusch vernahm. Ayden spitzte die Ohren und war sich sicher, das Wimmern einer Frau zu hören. Noch nie hatte er an diesem gottverlassenen Ort eine Menschenseele gesehen! Die Lichtung lag so tief in den Wäldern, dass er sich immer völlig allein gefühlt hatte. Aber je angestrengter er lauschte, desto sicherer war er sich, dass er Gesellschaft bekommen hatte. Kurz entschlossen schulterte er seine Armbrust und folgte dem Geräusch. Er war erst wenige Schritte gegangen, als er über ein Hindernis stolperte. »Verdammt«, entfuhr es ihm, während er sich die Zehenspitzen rieb. Dann schaute Ayden sich seinen Fund an. Ein Mädchen, dachte er und schluckte. Eine junge Frau. Im Nu war er auf den Knien und strich über den bebenden Körper. Die Frau wimmerte leise. »Ganz ruhig«, murmelte er, nicht sicher, was zu tun war. Der Jäger wühlte sich durch seinen Rucksack und entzündete die kleine Laterne, die er für Notfälle dabeihatte. Im warmen Schein des Lichts konnte er das Gesicht der jungen Frau erkennen. Sie hatte langes hellblondes Haar, das ihr strähnig über die Schultern hing. Ihre leuchtend blauen Augen starrten ihn verwirrt an – eine Mischung aus Schmerz und Angst lag in ihnen. Beim näheren Hinsehen wurde Ayden bewusst, dass der gesamte Körper der Frau bebte, selbst ihre Unterlippe zitterte. Die Unbekannte trug ein schlichtes weißes Kleid und lag seltsam verdreht auf dem Waldboden. Ihre Beine waren angewinkelt, die Arme hingen schlaff über ihren Oberkörper. »Was ist passiert?«, fragte der Jäger tonlos. Seine Augen wurden groß, als die Frau zu weinen begann und er den Bolzen entdeckte, der in ihrem Unterschenkel steckte. Eine Lache aus Blut breitete sich darum aus. »Oh mein Gott«, stieß Ayden hervor und presste sich die Hand vor den Mund. »Wer … wer hat auf dich geschossen?« Mühsam versuchte sich die junge Frau an einer Antwort, aber der Jäger spürte nichts als den Hauch ihres Atems auf seinem Gesicht. Ayden verstaute die Laterne wieder in seinem Gepäck, bevor er sanft die Arme um den zarten Körper der Fremden schlang. Er musste ihr helfen, bevor sich ein anderer ihrer bemächtigte. Die Frau gab einen überraschten Laut von sich, protestierte aber nicht, als sie hochgehoben wurde. Ayden kam es so vor, als trüge er eine Feder in seinen Armen, so leicht war sie. Vorsichtig bewegte er sich auf den See zu, an dessen Ufer er eben entlanggegangen war. Zunächst musste er sich um den Bolzen kümmern, aber danach sollte die Wunde gereinigt werden. Der Jäger setzte die Fremde am Ufer ab. Er hatte keine Erfahrung damit, sich um Verletzte zu kümmern. Normalerweise war es der Tod, dem er ins Auge sah. Er zog das Geschoss aus der Wunde, warf es achtlos ins Gras und erkannte, dass die Unbekannte in Ohnmacht gefallen war. Stirnrunzelnd fragte er sich, wer sie so verwundet haben konnte. Welch ein Mensch schoss auf eine unschuldige Frau? Überhaupt: Woher kam der Bolzen? Ayden war sich sicher gewesen, der einzige Mensch auf der Lichtung zu sein. Ein leises Stöhnen unterbrach seine Gedanken und sein Blick fiel wieder auf die junge Frau, die selbst in ihrer Bewusstlosigkeit Schmerzen zu haben schien. Erleichtert erkannte der Jäger, dass die Wunde nicht sehr tief war. Das Holz hatte sich zwar im Fleisch verfangen, war aber nicht so weit vorgedrungen, dass die Fremde mit bleibenden Schäden würde kämpfen müssen. Weil er nichts zum Reinigen der Wunde bei sich trug, riss er ein Stück Stoff vom unteren Teil seines Hemdes und tauchte es in den See. So würde er die Verletzung zumindest auswaschen können, damit sie sich nicht entzündete. Sehnsüchtig wünschte er sich eine der Zauberquellen herbei, die vereinzelt in Talario existierten. Ihr Wasser half gegen alle möglichen Arten von Gebrechen und konnte bei korrekter Anwendung sogar hartnäckige Krankheiten heilen. Aber bisher hatte sein Weg ihn nie an ein solches Gewässer geführt. Erneut riss er ein Stück Stoff seines Hemdes ab. Beim Verbinden der Wunde fiel sein Blick auf die langen, marmorfarbenen Beine der Unbekannten. Sie sah unberührt aus, rein und unschuldig. Wer hatte sie verletzen wollen? Und wieso hatte der Angreifer sie einfach so im Gras liegen gelassen? Kopfschüttelnd schlang Ayden den Stoff um die Wunde und sicherte den Verband mit einem Knoten. Innerlich fluchte er über denjenigen, der auf eine junge Frau schoss und sie ihrem Schicksal überließ. Nun, da die Unbekannte eingeschlafen war, konnte er die Anmut ihres Gesichts erkennen. Der Schmerz und die Angst waren vollständig aus ihren Zügen gewichen. Ayden betrachtete die Fremde fasziniert, die selbst in der Bewusstlosigkeit noch rosafarbene Lippen hatte. Ihr Gesicht wurde von hohen Wangenknochen eingerahmt, die Augenbrauen waren so hell, dass man sie kaum erkennen konnte. Behutsam streichelte Ayden ihr Gesicht. Dabei verhakten sich seine Finger in ihren Haaren. »Schlaf ruhig, meine Schöne«, flüsterte er. »Ich werde bei dir bleiben, bis du wach wirst.« Der Jäger warf einen Blick zu dem hellen Mond. Die Wolken waren mittlerweile weitergezogen. Er fragte sich, wo die Fremde wohnen mochte. Was hatte sie mitten in der Nacht auf der Lichtung gesucht? War sie vom rechten Weg abgekommen? Einerseits hoffte er, dass es Menschen gab, die sich nach ihr auf die Suche machen würden, andererseits wollte er nicht, dass sie ihm gleich wieder weggenommen wurde. Obwohl er sie nicht kannte, faszinierte sie ihn. Sie strahlte etwas aus, das ihn neugierig machte. Außerdem fühlte er sich für sie verantwortlich. Er musste einfach wissen, dass es ihr gut ging....