E-Book, Deutsch, Band 04, 496 Seiten
Reihe: Dark-Swan-Reihe
ISBN: 978-3-8025-8957-7
Verlag: LYX
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Richelle Mead wurde in Michigan geboren. Sie hat Kunst, Religion und Englisch studiert. Mit der Jugendbuchserie Vampire Academy gelang ihr auf Anhieb der Sprung auf die internationalen Bestsellerlisten. Seither schreibt sie sehr erfolgreich Romantic und Urban Fantasy für jugendliche und erwachsene Leser.
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Kapitel 1 Ohio ist bestimmt eine total schöne Ecke, wenn man sich erst mal eingewöhnt hat. Für mich kam es zu Anfang aber einem der inneren Höllenkreise gleich. »Wie kann es sein«, wollte ich wissen, »dass die Luftfeuchtigkeit hier dermaßen hoch ist? Da kommt man sich ja vor wie in einem Schwimmbecken.« Meine Schwester, mit der ich gerade in der Spätnachmittagssonne zu Fuß unterwegs war, grinste. »Halte sie dir eben mit deiner Magie vom Leib.« »Zu viel Arbeit. Sie kommt ja eh gleich wieder zurück«, schimpfte ich. Jasmine war wie ich in der trockenen Hitze von Arizona aufgewachsen; darum konnte ich auch nicht verstehen, wieso sie den monsunartigen Hochsommer im Mittleren Westen so locker wegsteckte. Wir beherrschten beide die Wettermagie, nur lag bei ihr der Fokus auf Wasser, was vielleicht ihre arrogante Art erklärte. Vielleicht wurde sie auch nur dank ihrer jugendlichen Vitalität so gut damit fertig, schließlich war sie zehn Jahre jünger als ich. Oder vielleicht, ganz vielleicht, verdankte sie es auch nur der Tatsache, dass sie nicht im fünften Monat schwanger war und keine zehn oder noch mehr Pfund Nachwuchs mit sich herumschleppte, der anscheinend voll darauf abfuhr, mich in Schweiß ausbrechen zu lassen, meine Reserven aufzuzehren und mir auch die allerkleinste banale Aktivität richtig schön zu vermiesen. Außerdem machten mich möglicherweise die Hormone ein ganz klein wenig reizbar. »Wir sind fast da«, sagte eine höfliche Stimme auf meiner anderen Seite. Sie gehörte Pagiel. Er war der Sohn von Ysabel, einer der zickigsten Feinenfrauen, die ich kannte – und sie konnte sich noch nicht mal mit durchdrehenden Hormonen herausreden. Zum Glück hatte Pagiel ihr Temperament nicht geerbt; auch wechselte er mit einer Leichtigkeit zwischen der Anderswelt und der Menschenwelt, wie ich sie sonst von Jasmine und mir kannte. Er war in demselben Alter wie meine Schwester, und die Tatsache, dass ich für meine Arzttermine auf eine Teenie-Eskorte angewiesen war, machte alles, was ich in den letzten Monaten hatte aushalten müssen, nur noch schlimmer. Einen Block weiter vor uns stand die Hudson-Frauenklinik zwischen ihren sorgsam gestutzten Birnbäumen und ordentlichen Geranienbeeten. Die Klinik befand sich direkt an der Grenze zwischen den Geschäfts- und Wohnvierteln der Stadt und versuchte sich den Anstrich zu geben, dass sie zu Letzteren gehörte. Es war nicht die schöne Landschaftsgestaltung, derentwegen ich immer wieder in diese Sauna zurückkehrte und einen Spaziergang von einer halben Meile zwischen dem Tor zur Anderswelt und der Klinik zurücklegte. Es war nicht einmal die medizinische Versorgung, die, soweit ich das beurteilen konnte, sehr gut war. In Wirklichkeit besaß dieser Ort letzten Endes den Riesenvorteil, dass mich hier bisher niemand zu ermorden versucht hatte. Diese verfluchte feuchte Hitze sorgte dafür, dass ich in Schweiß gebadet war, als wir bei dem Gebäude ankamen. Ich war Schwitzen von der Wüste her gewöhnt, aber das hiesige Klima sorgte irgendwie dafür, dass ich mich ekelhaft klebrig fühlte. Zum Glück wehte uns klimatisierte Luft an, als wir durch die Tür traten. Für mich war es herrlich, aber für Pagiel das reinste Wunder. Ich sah immer wieder gern sein Gesicht, wenn ihn dieser erste Schwall traf. Er war in der Anderswelt aufgewachsen, wo die Magie der Feen – oder Feinen, wie ich sie lieber nannte – wahre Wunder schuf. Magische Glanzleistungen, die einen Menschen mit offenem Mund dastehen lassen würden, entlockten ihm nicht einmal ein Wimperzucken. Aber das hier? Kalte Luft, die von einer Maschine erzeugt wurde? Es haute ihn noch jedes Mal aus den Socken. Nicht etwa, dass er welche trug. »Eugenie«, sagte die Frau an der Anmeldung. Sie war mittleren Alters, mollig und hatte eine herzlich-nachbarschaftliche Art. »Wieder in Begleitung der Familie, wie ich sehe.« Wir hatten Pagiel, um die Sache nicht unnötig kompliziert zu machen, als unseren Bruder ausgegeben. Tatsächlich fiel es nicht weiter schwer, sich uns als verwandt vorzustellen. Jasmines Haare waren rotblond, meine leuchtend rot und Pagiels rotbraun. Wir hätten glatt Werbung für die Solidaritätsgruppe amerikanischer Rotschöpfe machen können, falls es so etwas gab. Anscheinend fand es in der ganzen Klinik niemand seltsam, dass ich meine jüngeren Geschwister mitbrachte, also war das vielleicht ganz normal. Wir setzten uns ins Wartezimmer, und Pagiel wand sich kurz unbehaglich in seiner Jeans. Ich tat so, als würde ich es nicht bemerken, und verbarg mein Schmunzeln. Er fand Menschenkleidung primitiv und unansehnlich, aber Jasmine und ich hatten darauf bestanden, dass er, wenn er zu meiner Geburtsvorbereitungs-Security gehören wollte, welche anzog. Eigentlich trugen die Feinen lieber Sachen aus Samt und Seide mit allen Schikanen wie Puffärmeln und Umhängen. Damit hätte er vielleicht an der Westküste durchkommen können, aber nicht hier mitten in Amerika. Die beiden blieben zurück, als die Schwester mich holen kam. Jasmine hatte mich anfangs immer begleitet, aber nach einem peinlichen Zwischenfall, als Pagiel sich auf jemanden mit einem Milli-Vanilli-Klingelton gestürzt hatte, wollten wir ihn besser nicht mehr allein lassen. Wobei ich zugeben muss, dass man ihm seinen Angriff kaum vorwerfen konnte. Ich ging zunächst einmal zum Ultraschall. Als werdende Mutter von Zwillingen fiel ich in eine Risikogruppe und musste mehr Ultraschall-Untersuchungen über mich ergehen lassen als jemand mit einer ›normalen‹ Schwangerschaft. Die Assistentin platzierte mich auf der Liege und klatschte mir Gel auf den Bauch, dann berührte sie ihn mit der Sonde. Und schwupp, war von meiner schlechten Laune, meinem ganzen Sarkasmus, von sämtlichen Gefühlen, mit denen ich hier so hochmütig hereinspaziert war, nichts mehr übrig. Stattdessen empfand ich nackte Angst. Da waren sie, die Viecher, für die ich mein Leben riskiert hatte – und das Schicksal der Welt. Gerechterweise muss ich hinzufügen, dass sie auf dem Bildschirm immer noch nicht nach viel aussahen. Es waren nur schemenhafte Schwarz-Weiß-Umrisse, aber mit jedem Besuch erinnerten sie mehr an Babys. Das stellte schon irgendwie eine deutliche Verbesserung dar, denn eine Zeit lang war ich überzeugt gewesen, mit irgendwelchen Aliens schwanger zu gehen und nicht mit Menschen oder Feinen. »Ah ja, da haben wir Ihren Sohn.« Die Assistentin zeigte auf die linke Bildschirmseite. »Hab ich mir doch gedacht, dass wir ihn heute erwischen.« Mir blieb die Luft weg. Mein Sohn. Als sie die Sonde bewegte, um einen besseren Winkel zu bekommen, trat plötzlich sein Profil deutlich hervor, kleine Arme und Beine und ein gerundeter Kopf, der sehr menschlich aussah. Dieses winzige Geschöpf, dessen schlagendes Herz ebenso deutlich zu sehen war, hatte überhaupt nichts von einem Eroberer der Welten an sich. Er kam mir sehr klein und verletzlich vor, und ich fragte mich nicht zum ersten Mal, ob es nicht ein Fehler gewesen war, diese Schwangerschaft fortzusetzen. Hatte ich mich austricksen lassen? Hatte ich mich von dieser unschuldigen Fassade hereinlegen lassen? Ließ ich gerade den Mann in mir heranwachsen, der versuchen würde, die Menschheit zu versklaven, wie es in dieser Prophezeiung hieß? Als hätte sie meine Gedanken gespürt, regte sich auf der anderen Bildschirmhälfte seine Schwester. Sie war der Hauptgrund für meine Entscheidung gewesen, diese Schwangerschaft nicht abzubrechen. Bei einer Abtreibung mit dem Ziel, die Welt vor meinem Sohn zu retten, hätte ich auch den Tod seiner Schwester verantworten müssen. Das konnte ich ihr nicht antun. Und ihm letzten Endes auch nicht. Es spielte keine Rolle, was die Prophezeiung sagte. Sie verdienten beide die Chance, ihr Leben frei von dem zu leben, was ihnen das Schicksal angeblich auferlegt hatte. Bloß wäre es schön gewesen, ich hätte das den ganzen Leuten begreiflich machen können, die mich deshalb umbringen wollten. »Es sieht alles ganz prima aus«, erklärte die Assistentin. Sie legte die Sonde beiseite, und der Bildschirm wurde schwarz und hüllte meine Kinder wieder in Schatten. »Völlig normal.« Normal? Wohl kaum. Doch als ich in einen Untersuchungsraum verfrachtet wurde, um dort mit der Ärztin zu sprechen, sah die das ganz genauso. Normal, normal, normal. Sicher, Zwillinge erforderten zusätzliche Aufmerksamkeit, aber ansonsten waren anscheinend alle überzeugt, dass ich geradezu eine Bilderbuchschwangerschaft hinlegte. Niemand hier hatte auch nur die geringste Ahnung, was für einen Kampf ich jeden Tag durchmachte. Niemand hier wusste, dass mich jedes Mal, wenn ich meinen Bauch anschaute, Bilder der Gewalt quälten, die meinetwegen verübt wurde, Bilder des Schicksals, das beiden Welten drohte. »Haben Sie schon Kindsbewegungen gespürt?«, fragte die Ärztin. »Es ist jetzt allmählich die Zeit dafür.« Irgendwie musste ich an Aliens denken. »Nein, glaube nicht. Wie fühlen die sich denn an?« »Na ja, mit fortschreitender Schwangerschaft werden sie immer deutlicher. In diesem frühen Stadium fangen Sie an, ein Flattern zu spüren. Manche Frauen finden, es fühlt sich an wie ein Fisch, der herumschwimmt. Sie merken es dann schon. Keine Sorge – die werden nicht versuchen, sich ihren Weg ins Freie zu treten. Jedenfalls nicht am Anfang.« Mich überlief ein Schaudern. Ich hatte keine Ahnung, wie ich das finden sollte. Trotz der körperlichen Veränderungen fiel es mir immer noch leicht, das hier einfach als medizinische Untersuchung anzusehen. Nur die...