E-Book, Deutsch, 279 Seiten
ISBN: 978-3-8463-8803-7
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dieses Buch bietet verständliche und ausführliche Information zu Früherkennung, Diagnose, Förderung und Therapie bei einer Lese-Rechtschreibstörung (LRS). Es gibt einen Überblick über Aufbau, Inhalte und Ziele gängiger Förderprogramme.
Neueste Erkenntnisse werden mit konkreten Hinweisen für die schulische und therapeutische Praxis verknüpft.
Autoren/Hrsg.
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Vorwort 11
1 Das deutsche Schriftsystem 13
1.1 Unterschiedliche Schriftsysteme 13
1.2 Die deutsche Orthographie 17
1.2.1 Das Grapheminventar des Deutschen 17
1.2.2 Prinzipien der deutschen Orthographie 19
2 Der ungestörte Schriftspracherwerb 27
2.1 Dual-Route Modelle 27
2.2 Das konnektionistische Modell der Worterkennung 32
2.3 Das Modell des Simple View of Reading 35
2.4 Entwicklungsmodelle 38
2.4.1 Präliteral-symbolische Phase 39
2.4.2 Logographemische Phase 40
2.4.3 Alphabetische Phase 41
2.4.4 Orthographische Phase 42
2.4.5 Integrativ-automatisierte Phase 43
3 Definition der Lese-Rechtschreibstörung 45
4 Ursachen der Lese-Rechtschreibstörung
Von Sven Lindberg 53
4.1 Zur Genetik der Lese-Rechtschreibstörung 53
4.2 Neurobiologische Grundlagen der Lese-Rechtschreibstörung 54
4.2.1 Theorien zur Ursache der Lese-Rechtschreibstörung 55
4.2.2 Neurokognitive Korrelate der Lese-Rechtschreibstörung 58
4.2.3 Übersicht und Ausblick. 64
5 Die phonologische Informationsverarbeitung. 67
5.1 Begriffsklärung. 67
5.2 Das Arbeitsgedächtnis 69
5.2.1 Begriffsklärung 69
5.2.2 Das Modell des Arbeitsgedächtnisses nach Baddeley 70
5.2.3 Die Komponenten des Arbeitsgedächtnisses 71
5.2.4 Zusammenhänge zwischen dem Arbeitsgedächtnis und dem Schriftspracherwerb. 74
5.2.5 Erklärung des Zusammenhangs zwischen dem Arbeitsgedächtnis und Schriftspracherwerb 75
5.2.6 Möglichkeiten der Förderung. 77
5.3 Die phonologische Bewusstheit 79
5.3.1 Begriffsklärung 79
5.3.2 Das zweidimensionale Modell der phonologischen Bewusstheit 80
5.3.3 Entwicklung der phonologischen Bewusstheit 85
5.3.4 Zusammenhänge zwischen der phonologischen Bewusstheit und dem Schriftspracherwerb. 89
5.3.5 Erklärung des Zusammenhangs zwischen der phonologischen Bewusstheit und schriftsprachlichen Kompetenzen 97
5.4 Die Benennungsgeschwindigkeit 99
5.4.1 Begriffsklärung 99
5.4.2 Überprüfung der Benennungsgeschwindigkeit. 100
5.4.3 RAN-Leistungen dyslektischer Kinder 101
5.4.4 Persistenz des Naming-Speed Deficit 103
5.4.5 Erklärungsmodelle 104
5.4.6 Training der Benennungsgeschwindigkeit? 113
5.4.7 Spezifische Einflüsse der phonologischen Bewusstheit und der Benennungsgeschwindigkeit
auf den Schriftspracherwerb 114
5.4.8 Die Double-Deficit Hypothese 116
6 Früherkennung von Schriftspracherwerbsstörungen. 122
6.1 Das Problem der Früherkennung 122
6.2 Diagnostische Verfahren zur Früherkennung von Risikokindern 127
6.2.1 Bielefelder und Münsteraner Screening (BISC und MÜSC) 127
6.2.2 Test zur Erfassung der phonologischen Bewusstheit und der Benennungsgeschwindigkeit (TEPHOBE) 132
6.2.3 Der Rundgang durch Hörhausen 135
6.2.4 Basiskompetenzen für Lese-Rechtschreibleistungen (BAKO 1–4) 139
7 Diagnostik 142
7.1 SLRT II 143
7.1.1 Überprüfungen 143
7.1.2 Auswertung 144
7.1.3 Testgütekriterien 144
7.2 Würzburger Leise Leseprobe 145
7.2.1 Überprüfung 145
7.2.2 Auswertung 146
7.2.3 Testgütekriterien 146
7.3 Lesegeschwindigkeits- und -Verständnistest für die Klassen 5–12+ 146
7.3.1 Überprüfungen 147
7.3.2 Auswertung 147
7.3.3 Testgütekriterien 147
7.4 Lesetestbatterie für die Klassenstufen 6 – 7 (Lesen 6 – 7) und die Klassenstufen 8 – 9 (Lesen 8 – 9). 148
7.4.1 Überprüfungen 148
7.4.2 Auswertung 149
7.4.3 Testgütekriterien 150
7.5 ELFE II 150
7.5.1 Überprüfungen 151
7.5.2 Auswertung . 152
7.5.3 Testgütekriterien 152
7.6 Hamburger Schreib-Probe (HSP) 153
7.6.1 Überprüfung. 153
7.6.2 Auswertung 153
7.6.3 Testgütekriterien 155
7.7 Deutscher Rechtschreibtest für das erste und zweite Schuljahr (DERET) 156
7.7.1 Überprüfung 156
7.7.2 Auswertung 156
7.7.3 Testgütekriterien 157
8 Förderung im Rahmen des Unterrichts 158
8.1 Ausgangslage 158
8.2 Kriterien für eine Förderung phonologischer Basisfähigkeiten 160
8.3 Erwerb der Graphem-Phonem-Korrespondenzen 168
8.3.1 Grundlagen. 168
8.3.2 Erwerb der GPK-R mit Hilfe von Anlauttabellen. 169
8.3.3 Systematische Buchstabenanalyse 173
8.4 Unterstützung beim Erwerb der Worterkennung 174
8.4.1 Erlernen der indirekten Lesestrategie 174
8.4.2 Automatisierung der Worterkennung 177
8.5 Förderung sinnentnehmenden Lesens 182
8.5.1 Problemstellung 182
8.5.2 Begriffsklärung und Komponenten des Leseverstehens 183
8.5.3 Vermittlung von Verstehensstrategien. 185
8.5.4 Sprachliche Optimierung von Lesetexten 191
8.6 Förderung orthographisch korrekten Schreibens 192
8.7 Nachteilsausgleich 200
9 Prävention und Intervention 207
9.1 Hören, Lauschen, Lernen 207
9.1.1 Grundlagen. 207
9.1.2 Aufbau und Inhalte 208
9.2 Leichter lesen und schreiben lernen mit der Hexe Susi 212
9.2.1 Grundlagen 212
9.2.2 Aufbau und Inhalte 212
9.2.3 Evaluation des Trainingsprogramms 216
9.3 Olli, der Ohrendetektiv. 217
9.3.1 Grundlagen. 217
9.3.2 Aufbau und Inhalte 218
9.4 Münsteraner Trainingsprogramm 221
9.4.1 Grundlagen. 221
9.4.2 Aufbau und Inhalte 222
9.5 Marburger Rechtschreibtraining 224
9.5.1 Grundlagen 224
9.5.2 Aufbau und Inhalte 224
9.5.3 Evaluation des Programms. 228
9.6 Lautgetreue Lese-Rechtschreibförderung 230
9.6.1 Grundlagen. 230
9.6.2 Aufbau und Inhalte 231
9.7 Morphembasierte Ansätze 235
9.7.1 MORPHEUS. 235
9.7.2 Die Wortbaustelle 237
9.8 IntraActPlus . 240
9.8.1 Grundlagen. 240
9.8.2 Aufbau und Inhalte 242
9.9 Blitzschnelle Worterkennung 246
9.9.1 Grundlage 246
9.9.2 Aufbau und Inhalte 247
9.10 PotsBlitz – Das Potsdamer Lesetraining 250
9.10.1 Grundlagen. 250
9.10.2 Aufbau und Inhalte 250
9.11 Lesetricks von Professor Neugier 254
9.11.1 Grundlagen 254
9.11.2 Prinzipien und Inhalte 255
Bildnachweis 258
Literatur 259
Sachwortregister 278
1Das deutsche Schriftsystem Lernziele ¦ein Bewusstsein für die Charakteristika unterschiedlicher Schriftsysteme entwickeln und die Besonderheiten alphabetischer Orthographien kennen (Kap. 1.1) ¦die unterschiedlichen Prinzipien der deutschen Orthographie kennen und die daraus resultierenden Rechtschreibbesonderheiten nachvollziehen können (Kap. 1.2) Für einen Dozenten der Didaktik und Methodik des Biologieunterrichts oder einen Physiklehrer der Sekundarstufe ist es selbstverständlich, neben didaktisch-methodischen Kompetenzen über umfassendes fachspezifisches Wissen zu verfügen. Genauso selbstverständlich sollte es für alle Berufsgruppen sein, die Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Lese-Rechtschreibstörungen fördern oder therapieren, sich umfassendes Spezialwissen zu Aufbau, Struktur und Besonderheiten des deutschen Schriftsystems, den Entwicklungsprozessen beim Lesen- und Schreibenlernen sowie den dabei ablaufenden sprachlich-kognitiven Prozessen anzueignen. Dieses Wissen zu vermitteln, ist das Ziel der Kapitel 1 und 2 des vorliegenden Lehrbuchs. Der Leser soll sich Wissen über die wesentlichen Charakteristika der deutschen Orthographie aneignen, ihm soll deutlich werden, dass es sich bei der Aneignung dieses komplexen Systems um einen (meta-)sprachlich-kognitiven Entwicklungsprozess handelt, der sich in unterschiedliche Phasen gliedern lässt, in denen sich die Kinder von unterschiedlichen Strategien leiten lassen, um sich sukzessive den Fähigkeiten kompetenter Leser und Schreiber anzunähern. 1.1Unterschiedliche Schriftsysteme Unter dem Begriff der Orthographie versteht man ein institutionalisiertes, normiertes System aus Zeichen und Regeln, das von kompetenten Benutzern gleich verwendet und verstanden werden kann (Crystal 2010). Weitgehend selbstverständlich verbinden die meisten Menschen der westlichen Welt mit dem Begriff der Orthographie eine Schriftsprache, die die phonologische Struktur der jeweiligen Lautsprache nach bestimmten Regeln symbolisiert. Dabei handelt es sich aber nur um ein mögliches System, das historisch betrachtet zudem eher am Ende der Schriftentwicklung stand. Ausgehend von den Ursprüngen der Schrift im 3. Jahrtausend v. Chr. lassen sich unterschiedliche Schriftsysteme unterscheiden. verschiedene Schriftensysteme Diese werden üblicherweise differenziert in solche, die mittels Bildern oder Symbolen Inhalte abbilden, aber in keiner Beziehung zur jeweiligen Lautsprache der Sprachgemeinschaft stehen, in der sie verwendet wird (Piktographie, Ideographie) und solche, die sich an der Struktur der Lautsprache orientieren. In der zuletzt genannten Gruppe werden Systeme, deren Einheiten die Bedeutung von Wörtern symbolisieren (Logographie) von solchen unterschieden, die den Klang der Sprache entweder auf Silben- oder auf Phonemebene abbilden (Phonographie). Entstehung Der Ursprung der Schriftkultur ist im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris zu suchen, wo sich etwa 3400 v. Chr. die sumerische Keilschrift entwickelte, ein Terminus, der sich auf die dabei verwendete Technik bezieht, mit einem Griffel Zeichen in feuchten Ton einzuritzen. Piktographie Wie bei allen bekannten Schriften aus dieser Zeit handelte es sich dabei um ein piktographisches System, mit dessen Zeichen, den Piktogrammen, die gegenständliche Welt in recht konkreten Bildern wiedergeben wird, weshalb ausschließlich visuell Wahrnehmbares (z. B. Tiere, Pflanzen, landwirtschaftliche Geräte) abgebildet werden konnte. Neben der sumerischen Keilschrift gehören die Hieroglyphen, die zwischen 3000 v. Chr. und der Zeitenwende in Ägypten, aber auch in anderen Kulturen, bspw. der Hethiter oder der Maya, verwendet wurden, zu den bekanntesten Beispielen der Piktographie. Da die Bedeutungen der Piktogramme unmittelbar aus der visuellen Darstellung abgeleitet werden können und nicht an die Kenntnis einer bestimmten Sprache gebunden sind, kommen entsprechende Systeme auch heute noch in öffentlichen Einrichtungen oder bei internationalen Veranstaltungen bzw. an Orten zum Einsatz, an denen zahlreiche Menschen unterschiedlicher Nationalität zusammentreffen (z. B. Flughäfen) (Abb. 1). Ideographie Eine Weiterentwicklung der Piktographie stellt die Ideographie dar, deren Zeichen (= Ideogramme) meist aus Piktogrammen abgeleitet wurden, aber abstrakterer, schematisierter Natur sind und keinen unmittelbaren Bezug mehr zum Bezeichneten (signifié) erkennen lassen (Abb. 1). Deshalb können die Bedeutungen der Zeichen auch nicht mehr unmittelbar verstanden werden, sondern beruhen auf einer willkürlichen Vereinbarung, die gelernt werden muss. Unter der Piktographie werden Schriftsysteme zusammengefasst, deren Zeichen (= Piktogramme) eindeutig und einfach sind, sodass der Inhalt auf Anhieb verstanden und wiedergegeben werden kann. Die Ideographie ist eine Weiterentwicklung piktographischer Systeme, deren Symbole (= Ideogramme) abstrakterer Natur sind, und keinen unmittelbaren Zusammenhang zur Realität erkennen lassen. Die Logographie referiert auf Systeme, deren Einheiten (= Logogramme) die Bedeutung von Wörtern symbolisieren (Crystal 2010). Diese Weiterentwicklung der Piktographie zur Ideographie brachte den Vorteil mit sich, dass sich die Zeichen nicht mehr nur auf materielle Gegebenheiten beziehen, sondern auch auf abstrakte Begriffe, Ideen und Gedanken ausgedehnt werden konnten. Logographie Während Piktogramme und Ideogramme Gedanken, Ideen, Ereignisse symbolisieren können, handelt es sich bei einem logographischen System und den dabei verwendeten Logogrammen um eine visuelle Repräsentation der Bedeutung einzelner Wörter oder Morpheme. Abb. 1: Historische und aktuelle Piktogramme sowie Ideogramme (Crystal 2010; Wikipedia 2015) Die bekanntesten aktuellen logographischen Systeme mit ideographischen Elementen sind das japanische Kanji und die chinesische Schrift, wobei es sich bei den Zeichen des Chinesischen genau genommen um Phonogramme handelt, da sie neben dem Hinweis auf die Bedeutung des Zeichens auch einen lautandeutenden Teil beinhalten. Für ein Land wie China ist ein logographisches System, trotz der hohen Anzahl benötigter Zeichen, durchaus von Vorteil. Aufgrund der zahlreichen Regionalsprachen, deren Sprecher sich untereinander nicht verständigen können, ermöglicht die chinesische Schrift zumindest eine schriftliche Kommunikation, weil die Zeichen in den einzelnen Dialekten gleich aussehen und dieselbe Bedeutung haben, auch wenn sie lautsprachlich unterschiedlich realisiert werden. Auch das System arabischer Zahlen und mathematischer Symbole kann als logographisches System verstanden werden, da sich die einzelnen Zeichen (1, 3, 6, +, : etc.) auf eine bestimmte sprachenunabhängige Wortbedeutung beziehen, die – die Kenntnis der Symbole vorausgesetzt – verstanden, aber lautsprachlich unterschiedlich realisiert werden (eins, one, un, uno). Gemein sind den bislang genannten Schriftsystemen, dass die verwendeten Zeichen Bedeutungen symbolisieren, aber keine Hinweise auf die Aussprache liefern. Um die Zeichen dieser Schriften verstehen zu können, sind keine Kenntnisse über die Phonologie, Semantik, Lexik und Grammatik der Sprache erforderlich, man muss „nur“ die Bedeutung der Zeichen kennen. Rebusprinzip Eine grundlegende Veränderung fand statt, als man nach und nach begann, die Zeichen piktographischer oder ideographischer Systeme als Symbole für lautsprachliche Einheiten zu verwenden. Im System der ägyptischen Hieroglyphen bspw. kamen im Laufe der Zeit neben den Zeichen, die unmittelbar die Dinge der materiellen Welt symbolisieren (Piktogramme) auch solche zum Einsatz, die jeweils den Anlaut oder die erste Silbe des abgebildeten Gegenstandes repräsentieren sollten (Rebusprinzip). phonografische Systeme Dabei handelte es sich um einen ersten Schritt hin zu phonographischen Systemen, die also keine Bedeutungen, sondern den Klang der jeweiligen Sprache abbilden. In Abhängigkeit von der Größe der sprachlichen Einheit, die durch das jeweilige Schriftzeichen symbolisiert wird, lassen sich dabei Silbenschriften und alphabetische Schriften unterscheiden. Silbenschriften Die Zeichen der Silbenschriften symbolisieren die Silben der Bezugssprache, wobei einzelne Zeichen auch für eine Kombination aus Onset und Nukleus bzw. aus Nukleus und Coda (= Rime, im Folgenden auch Silbenreim genannt) stehen können (zum Begriff Onset und Rime sowie dem Aufbau der Silbe aus Onset und Silbenreim vgl. Abb. 13). Unter dem Onset einer Silbe versteht man den bzw. die Konsonanten einer Silbe, die vor dem Vokal (= Nukleus) stehen. Die Zahl der Zeichen in unterschiedlichen Silbenschriften schwankt zwischen 50 und mehreren hundert. Hiragana, Katakana Zu den bekanntesten aktuell noch verwendeten Silbenschriften gehören das japanische Hiragana und Katakana, das 75 Zeichen umfasst, wobei drei davon gewisse Kombinationen eingehen können, sodass weitere 36 Formen entstehen (Crystal 2010; Abb. 2). Alphabetschriften Bei Alphabetschriften besteht nun ein direkter Zusammenhang zwischen Phonemen und Graphemen, wobei in den seltensten Fällen eine Eins-zu-eins-Zuordnung vorherrscht. Phoneme stellen die kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten...