Mayer | Europäische Sicherheitspolitik jenseits des Nationalstaats | Buch | 978-3-593-38890-8 | sack.de

Buch, Deutsch, Band 8, 310 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 214 mm, Gewicht: 397 g

Reihe: Staatlichkeit im Wandel

Mayer

Europäische Sicherheitspolitik jenseits des Nationalstaats

Die Internationalisierung von Präventions- und Interventionsmaßnahmen in NATO und EU
1. Auflage 2009
ISBN: 978-3-593-38890-8
Verlag: Campus

Die Internationalisierung von Präventions- und Interventionsmaßnahmen in NATO und EU

Buch, Deutsch, Band 8, 310 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 214 mm, Gewicht: 397 g

Reihe: Staatlichkeit im Wandel

ISBN: 978-3-593-38890-8
Verlag: Campus


Sebastian Mayer beleuchtet die Funktionen von NATO und EU bei der Formulierung und Durchführung äußerer Sicherheitspolitik. Ergeben sich hieraus Kompetenz- und Kontrollverluste für die Mitgliedsstaaten? Es wird deutlich, dass sich der harte militärische Kern von Sicherheitspolitik einer Internationalisierung weitgehend entzieht. Generell haben sich aber zusätzliche Strukturen herausgebildet, die staatliches Handeln zunehmend international einbinden.

Mayer Europäische Sicherheitspolitik jenseits des Nationalstaats jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Vorwort 7
Einleitung und Fragestellung 9

1 Zum Stellenwert internationaler Organisationen 27
2 Internationalisierung von Sicherheitspolitik: Konzeptualisierung und Operationalisierung 41
3 Funktionswandel und institutionelle Entwicklung von NATO und EPZ/GASP 57
4 Entscheidungsfindung in der NATO-Präventions- und Interventionspolitik 69
5 Entscheidungsfindung in der EU-Präventions- und Interventionspolitik 121
6 Interinstitutionelle Beziehungen von NATO und EU 171
7 Bündelung militärischer Fähigkeiten und Rollenspezialisierung 203

Schlussfolgerungen und Ausblick 243

Abkürzungsverzeichnis 269
Verzeichnis der Tabellen und Grafiken 273
Liste der geführten Hintergrundgespräche 277
Literatur 279
Personen- und Sachregister 305


Europäische Sicherheitspolitik nach dem Ende der Systemkonkurrenz

Seit Anfang der 1990er Jahre lassen sich in den internationalen Beziehungen Akteurs-, Struktur- und Prozessveränderungen beobachten, die für die europäische Sicherheitsarchitektur umfassende Folgen nach sich ziehen. In Europa hat sich durch die Auflösung der Sowjetunion und Jugoslawiens die Zahl staatlicher Subjekte deutlich erhöht. Andererseits traten die zuvor durch die sowjetische Hegemonie in ihrem außen- und sicherheitspolitischen Handeln beschränkten ostmitteleuropäischen Staaten als aktive Akteure in Erscheinung. Aufgrund der vielschichtigen Herausforderungen, die mit deren Transformations- und Identitätsbildungsprozessen verbunden waren und teilweise noch sind, avancierten diese Länder oft auch zu sicherheitspolitischen Problemquellen. Überdies hat eine Diffusion von Bedrohungsperzeptionen stattgefunden, während einst alles durch die Optik des Systemgegensatzes gesehen und so die auch damals bestehenden Gegensätze und Problemstellungen großteils überdeckt wurden. Viele globale Aufgaben können mithin erst jetzt in Angriff genommen werden.
Vor dem Ende der Bipolarität wurde Sicherheit überwiegend territorial definiert: als nationale Sicherheit, die es durch militärische Macht zu garantieren galt. Der Richtungspunkt politischen Handelns war folglich die Abwehr unmittelbarer Bedrohungen. Sicherheitsherausforderungen umfassen indes nicht länger ausschließlich Fragen von nationalem Überleben und territorialer Integrität. Angesichts kriegsfreier Gesellschaften in der Friedenszone der OECD-Welt rücken heute unschärfere und weiter entfernte transnationale Problemkonstellationen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Diese haben in Anbetracht einer Entterritorialisierung - eine Ausweitung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Handlungszusammenhänge über den Nationalstaat hinaus - trotz ihrer Entfernung Rückwirkungen auf den OECD-Raum. So wie Globalisierung im wirtschaftlichen Bereich große Strecken immer "kleiner" werden lässt, gilt nun auch für die Sicherheitspolitik: Geographische Distanz wird zu einem immer weniger relevanten Faktor in der Gefahrenanalyse. Angesichts dessen wurde der Begriff "globale Herausforderungen", später apostrophiert als "neue Risiken", geprägt.
Zu den aktuellen Problemlagen gehören "kleine Kriege" zwischen Staaten und nicht-staatlichen Akteuren wie etwa Guerillakämpfern (Daase 1999) beziehungsweise "neue Kriege" oder regionalisierte Gewaltökonomien, bei denen sich ethnische, religiöse, machtpolitische und wirtschaftliche Handlungsmotive überlagern (van Creveld 1998; Kaldor 2000; Münkler 2004). Schon seit dem Ende der 1970er Jahre wurde deutlich, dass gewaltträchtige Antagonismen im Süden nicht ausschließlich als Folge der Supermachtrivalität begriffen werden dürfen, sondern oft über eine erhebliche Eigendynamik mit endogenen, jeweils spezifischen Konfliktursachen verfügen (Ayoob 1986; Senghaas 1989). Neue Kriege wurden in entfernten Regionen geführt (Angola, Sierra Leone, Kam-bodscha), aber auch an der europäischen Peripherie (ehemaliges Jugoslawien, Berg-Karabach, Tschetschenien). Gewalttendenzen erwachsen zunehmend aus solchen und ähnlichen Konfliktlinien innerhalb von Staaten, während zugleich gewaltsame Auseinandersetzungen kaum mehr zwischen staatlichen Akteuren ausgetragen werden (Gantzel/Schwinghammer 1995; Wegner 2000). Dazu kommen Aktivitäten des amorphen transnationalen Terrorismus, der grenz-überschreitend Gewalt anwendet und im Gegensatz zum internationalen Ter-rorismus durch dezentrale Netzwerkstrukturen gekennzeichnet ist (Schneckener 2006). Die aus fragilen Staaten wie dem Irak, dem Libanon oder Afghanistan resultierenden Risiken für westliche Staaten stellen eine weitere, mit den zuvor genannten in einem engen Zusammenhang stehende neue Herausforderung dar (Rotberg 2004). Denn auch diese transnationalen Entwicklungen deu-ten auf eine in die innerstaatliche Domäne hineinreichende globale Interdependenz hin. Die diesen Phänomenen zugrunde liegenden Prozesse können mit den Stichworten "Gestaltwandel kriegerischer Gewalt", "Politisierung von Akteuren", "Globalisierung" oder "Fragmentierung" versehen werden.
Landesverteidigung im engeren Sinne wurde folglich immer bedeutungsloser, die Einhegung von Risiken rückte dagegen stärker in den Vordergrund. So impliziert heute "Verteidigung" kaum mehr die Abwehr potentieller Angriffe eines identifizierbaren Gegners auf das eigene Territorium, sondern "[d]ie erste Verteidigungslinie wird oftmals im Ausland liegen". Dies konnotiert eine vorausblickende "Verteidigung von Interessen" unterschiedlichster Art. Vor die-sem Hintergrund versteht die vorliegende Studie "Sicherheit" als die Abwesen-heit von Bedrohungen wie auch von Risiken: nicht intendierte Folgen geplan-ter Handlungen (Beck 1986; Giddens 1996).
Risiken sind, weit mehr als Bedrohungen, subjektiv und kulturell determiniert. Während zu Zeiten des Ost-West-Konflikts auf Bedrohungen in deutlich größerem Maße reagiert werden konnte, steht eine zielgerechte Sicherheitspoli-tik heute stärker vor der Aufgabe, pro-aktiv vorzugehen. Dies bedeutet, dass sie künftige Problemstellungen und Veränderungen mehr als zuvor antizipieren und - vorbeugend, vorsorgend oder präemptiv - adäquate Entscheidungen aus einer ungleich größeren Zahl von Optionen zu treffen hat. Denn Risiken im hier diskutierten Phänomenbereich sind dadurch gekennzeichnet, dass mindestens eine der drei Dimensionen des klassischen Bedrohungsdreiecks - Akteur, Intention, Potential - unbekannt ist. Infolgedessen ist eine Fülle von Strategien vorstellbar, um dem entsprechenden Risiko zu begegnen (Daase 2002: 15-18; vgl. auch Williams 2009: 17-21). So lässt sich heute in der Sicherheitspolitik (im Gegensatz etwa zum Bereich Wohlfahrt) eine konsistente Präferenzordnung von Zielen und Mitteln noch schwerer vornehmen als früher. Die kooperative Bewältigung von Sicherheitsproblemen ist letztlich ein politischer Prozess, in dem Wahrnehmung eine wichtige Rolle spielt: "Risk, after all, is a matter of perception, and every society has not only a different perception of risk, but also a different threshold for risk." (Williams 2009: 2)
Zur Einhegung der komplexen Gewaltkonflikte bei möglichst geringen Kosten haben westliche Staaten in den vergangenen Jahren im Rahmen der NATO und der EU Fähigkeiten zur Durchführung multilateraler militärischer und ziviler Interventionen während und nach einer Konfliktsituation entwickelt. Diese Aktivitäten lassen sich mit den Begriffen "Friedensschaffung" und "Friedenssicherung" kennzeichnen. Neben der zahlenmäßigen Ausweitung sicherheitspolitischer Eingriffe in den 1990er Jahren hat sich auch deren Gestalt und Zielrichtung verändert. Militärische Interventionen wurden zuvor überwiegend von Großmächten praktiziert, hatten oft einen unilateralen Charakter und dienten in erster Linie der Absicherung ideologischer, machtpolitischer oder ökonomischer Einflusssphären. Statt einer solchen Fokussierung auf partikularistische "Besitz-Ziele" - eine Absicherung und Erweiterung eigener ma-terieller Güter auf Kosten Anderer - kam es nunmehr zu einer stärkeren Orientierung auf kollektive "Milieu-Ziele". Diese sind breiter angelegt und bestehen in der Strukturierung der Umgebung jenseits nationaler Grenzen (Wolfers 1962: 82). Die seit 1990 stattfindenden Interventionen zielen nämlich auch, teilweise sogar ausschließlich, auf die Durchsetzung demokratischer und humanitärer Prinzipien ab.
Dies lässt sich besonders prägnant am Beispiel "humanitärer Interventionen" verdeutlichen, wie sie in Somalia, Ruanda oder im Kosovo durchgeführt wurden (Phillips/Cady 1996; Holzgrefe/Keohane 2003; Welsh 2004). Innerhalb der Charta der Vereinten Nationen (VN) besteht ein latentes Spannungsverhältnis zwischen dem Verbot der Androhung und Anwendung militärischer Gewalt und dem Schutz vor Menschenrechtsverletzungen. Nach allgemeiner Rechtsauffassung ist eine Ausnahme von dem Gewaltverbot zwar auf die unmittelbare Abwehr zwischenstaatlicher Drohungen oder Angriffshandlungen beschränkt. Es beginnt sich jedoch eine Auslegung durchzusetzen, derzufolge ein Ausnahmetatbestand auch dann vorliegt, wenn Selbstbestimmungsrechte von Minderheiten systematisch unterdrückt und dabei gravierende Menschenrechtsverletzungen begangen werden (Abiew 1999; Finnemore 2003). Insofern entwickelt sich hier möglicherweise eine neue Rechtsfigur, die sich an dem Grundsatz der Schutzverantwortung der VN (responsibility to protect) orientiert: der Verpflichtung, unter bestimmten Voraussetzungen Zwangsmaßnahmen gegen einen Staat zu verhängen, um dort gefährdete Menschen gegen schwerwiegende Übergriffe zu schützen (Thakur 2006; vgl auch Maus 1999). Die
Ethik der internationalen Beziehungen steht vor der schwierigen Aufgabe, die Legitimität von Gewaltanwendungen gegen solche groben Verstöße anhand moralischer Kriterien zu beurteilen (Moore 1998; Mayer 1999; Davis 2004).
Eine wesentliche Ursache für den beobachtbaren Wandel der Interventionsziele ist, dass außen- und sicherheitspolitische Entscheidungsträger in einer sich herausbildenden "Gesellschaftswelt" (Czempiel 1991) aufgrund von Demokratisierungsprozessen sowie angesichts der Emanzipation und gestärkten Kampagnenfähigkeit gesellschaftlicher Akteure mittlerweile einer stärkeren Begründungspflicht in Bezug auf die Durchsetzung liberaler Normen wie Friedenswahrung oder Menschenrechtsschutz ausgesetzt sind. Mehr als zuvor tragen heute gesellschaftliche Gruppen Forderungen nach angemessenem Verhalten an nationale Entscheider oder nationale Öffentlichkeiten heran. Zwischen dem aus einer rationalistischen Sichtweise erwartbaren Nutzen maximierenden Regierungshandeln und den tatsächlichen staatlichen Reaktionen bestehen mitunter beträchtliche Diskrepanzen, wie Beispiele humanitär motivierter militärischer Eingriffe deutlich machen (Hasenclever 2001; Janssen 2008). Zugleich ist eine abnehmende Verlust- und Schadenakzeptanz zu konstatieren: Sogenannte "Kollateralschäden" - Verletzungen oder Todesfälle un-beteiligter Zivilpersonen als Folge militärischer Eingriffe westlicher Staaten - werden heute von den Öffentlichkeiten in weit geringerem Maße als Neben-wirkung von Interventionen hingenommen als noch zu Zeiten des Ost-West-Konflikts. Offenbar gewinnen Verpflichtungseffekte an Wirkmacht, die auch aus internationalen Institutionen mit verankerten Erwartungshaltungen erwachsen und staatliche Akteure normativ binden: "both the weak and, more remarkably, the strong." (Franck 1990: 3)


Mayer, Sebastian
Sebastian Mayer, Dr. phil., ist wiss. Mitarbeiter am SFB 597 »Staatlichkeit im Wandel« an der Universität Bremen.

Sebastian Mayer, Dr. phil., ist wiss. Mitarbeiter am SFB 597 'Staatlichkeit im Wandel' an der Universität Bremen.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.