E-Book, Deutsch, 454 Seiten, eBook
Reihe: Wirtschaft + Gesellschaft
ISBN: 978-3-531-90905-9
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Dr. Andrea Maurer ist Professorin für Organisationssoziologie an der Universität der Bundeswehr in München.
Zielgruppe
Upper undergraduate
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1;Inhaltsverzeichnis;6
2;Vorwort;10
3;Perspektiven der Wirtschaftssoziologie.;12
3.1;Von versunkenen Schätzen, Entdeckern und neuen Kontinenten;12
4;A Klassische Grundlagen;18
4.1;Klassische Positionen der Ökonomie und Soziologie und ihre Bedeutung für die Wirtschaftssoziologie;20
4.1.1;1 Die wirtschaftlichen Grundlagen der modernen Gesellschaft in klassischen Ansätzen;20
4.1.2;2 Die neoklassische Wirtschaftstheorie und die Arbeitsteilung zwischen Ökonomie und Soziologie;24
4.1.3;3 Die individualistische Sozialtheorie von Menger bis Mises und Hayek;27
4.1.4;4 Wirtschaftssoziologie in historisch-kulturwissenschaftlicher Tradition;30
4.1.5;5 Wirtschaft als Mittel für soziale Ziele: Wirtschaftssoziologie in sozialistischen Konzepten;34
4.1.6;6 Parsons’ begriffssystematische Integration von Wirtschaft und Gesellschaft;35
4.1.7;7 Wirtschaftssoziologische Ansätze der Gegenwart zwischen Ökonomie und Soziologie;37
4.1.8;8 Resümee;40
4.1.9;Literatur;40
4.2;Die Neue Wirtschaftssoziologie und das Erbe Max Webers;46
4.2.1;1 Die Neue Wirtschaftssoziologie Mitte der 1980er Jahre;47
4.2.2;2 Neue Entwicklungen;51
4.2.3;3 Abschließende Bemerkungen;58
4.2.4;Literatur;58
4.3;Institutionalismus und Wirtschaftssoziologie;63
4.3.1;1 Alte Fragen – neue Antworten?;63
4.3.2;2 Was will und was kann die Wirtschaftssoziologie?;65
4.3.3;3 Neuer Institutionalismus: Hintergrund, Programme und Analysen;71
4.3.4;4 Wirtschaftssoziologie aus institutionentheoretischer Perspektive?;80
4.3.5;Literatur;82
5;B Theoretische Zugänge;87
5.1;Individuelle Entscheidungsrationalität und soziale Einbettung.;88
5.1.1;Zum Verhältnis von Ökonomie und Wirtschaftssoziologie;88
5.1.2;1 Problemstellung;88
5.1.3;2 Logik und Reichweite eines entscheidungstheoretisch fundierten Erklärungsprogramms;89
5.1.4;3 Das ökonomische Erklärungsprogramm;93
5.1.5;4 Das Erklärungsprogramm der Wirtschaftssoziologie;97
5.1.6;5 Fazit und Ausblick;102
5.1.7;Literatur;105
5.2;Wirtschaft als funktionales Teilsystem;110
5.2.1;1 Die Klassiker;110
5.2.2;2 Der methodologische Rahmen;113
5.2.3;3 Anwendungsfelder;115
5.2.4;4 Stärken und Schwächen;118
5.2.5;5 Perspektiven;119
5.2.6;Literatur;121
5.3;Wirtschaft und Gesellschaft: neomarxistische Theorieansätze;125
5.3.1;1 Einleitung;125
5.3.2;2 Regulationstheorie;127
5.3.3;3 Dependenztheorie und Weltsystemtheorie;132
5.3.4;4 Klassentheorien;135
5.3.5;5 Labour Process Debate;139
5.3.6;6 Resümee: Theorie der Ausdifferenzierung des Wirtschaftssystems;143
5.3.7;Literatur;146
5.4;Wirtschaft als Gemeinschaft: die kommunitaristische Wirtschaftsethik;153
5.4.1;1 Klassiker;153
5.4.2;2 Sozioökonomik als moralische Dimension der Wirtschaft;154
5.4.3;3 Anwendungsfelder und wichtige Studien;158
5.4.4;4 Entwicklungslinien und Perspektiven;160
5.4.5;Literatur;160
5.5;Wirtschaft und wirtschaftliches Handeln als Ökonomie der Praxis;162
5.5.1;1 Problemstellung;162
5.5.2;2 Bourdieus Kritik klassischer Positionen;163
5.5.3;3 Sozialtheorie als Ökonomie der Praxisformen;165
5.5.4;4 Anwendungsfelder;172
5.5.5;5 Kritische Würdigung;177
5.5.6;6 Perspektiven der Ökonomie der Praxis;179
5.5.7;Literatur;181
5.6;Netzwerkperspektiven in der Wirtschaftssoziologie;186
5.6.1;1 Einleitung;186
5.6.2;2 Netzwerkanalyse und Netzwerke als Handlungsform;187
5.6.3;3 Programm der Netzwerkperspektive in der Wirtschaftssoziologie;192
5.6.4;4 Anwendungsfelder;196
5.6.5;5 Bewertung der Netzwerkperspektive in der Wirtschaftssoziologie;198
5.6.6;6 Perspektive für die Netzwerkperspektive in der Wirtschaftssoziologie;198
5.6.7;Literatur;200
5.7;Wirtschaft und Wirtschaftstheorie de-konstruiert;208
5.7.1;1 Einleitung;208
5.7.2;2 Klassische Vorläufer einer Dekonstruktion der Ökonomie: Marcel Mauss und Georges Bataille;208
5.7.3;3 Die methodische Perspektive der Dekonstruktion der Ökonomie;211
5.7.4;4 Aktuelle Dekonstruktionen der ökonomischen Theorie: Jean Baudrillard und Jacques Derrida;214
5.7.5;5 Potentiale und Grenzen einer Dekonstruktion der Wirtschaft und der Wirtschaftstheorie;218
5.7.6;6 Perspektiven der dekonstruktivistischen Programmatik;220
5.7.7;Literatur;221
6;C Kerninstitutionen des modernen Wirtschaftssystems;224
6.1;Märkte;226
6.1.1;1 Märkte: eine soziale Struktur zum Tausch von Gütern und Leistungen;226
6.1.2;2 Die Geschichte von Märkten;228
6.1.3;3 Markttheorien;230
6.1.4;4 Märkte in der klassischen Soziologie;233
6.1.5;5 Die neue Marktsoziologie;235
6.1.6;6 Schluss;242
6.1.7;Literatur;243
6.2;Unternehmen;248
6.2.1;1 Einleitung;248
6.2.2;2 Die Formalstruktur von Unternehmen;249
6.2.3;3 Die informelle Struktur von Unternehmen;257
6.2.4;4 Fazit;264
6.2.5;Literatur;265
6.3;Lohnarbeit;269
6.3.1;1 Grundlagen;269
6.3.2;2 Theoretische Grundfragen;271
6.3.3;3 Die Regelungsebenen des Beschäftigungsverhältnisses;274
6.3.4;4 Entwicklungstendenzen und Wandel von Lohnarbeit;284
6.3.5;5 Resümee: Marktförmige Beschäftigungsverhältnisse als Perspektive?;287
6.3.6;Literatur;288
6.4;Technik und Innovation;292
6.4.1;1 Das Problem der Technik und die Paradoxie der Innovation;292
6.4.2;2 Technik und Innovation in Geschichte und Gesellschaft;297
6.4.3;3 Theoretische Zugänge zu technischem Wandel und gesellschaftlicher Innovation;300
6.4.4;4 Eine Forschungsperspektive für Prozesse gesellschaftlich- technischer Innovation;314
6.4.5;Literatur;315
6.5;Soziologie des Geldes;321
6.5.1;1 Vorbemerkung;321
6.5.2;2 Kurze Geschichte des Geldes (Gold und Geld);322
6.5.3;3 Grundfragen und theoretische Zugänge (Waren und Preise);324
6.5.4;4 Analysen und Studien (Funktionen, Wirkungen und Entwicklungen);325
6.5.5;5 Geld aus wirtschaftssoziologischer Sicht (Arbeitsorganisation, Geldkultur und wirtschaftliche Entwicklung);327
6.5.6;6 Geld im globalen Kapitalismus;337
6.5.7;Literatur;340
6.6;Finanzmärkte;342
6.6.1;1 Einleitung;342
6.6.2;2 Finanzmärkte im Dienste der Realökonomie;344
6.6.3;3 Globalisierung von Finanzmärkten;349
6.6.4;4 Auf dem Weg zum Finanzmarktkapitalismus – Positionen und Kontroversen in der sozialwissenschaftlichen Debatte;354
6.6.5;5 Fazit;357
6.6.6;Literatur;359
7;D Wirtschaft in gesellschaftstheoretischer Perspektive;363
7.1;Kapitalismusanalyse und Kapitalismuskritik;364
7.1.1;1 Die kapitalistische Ordnung der Wirtschaft;364
7.1.2;2 Struktur und Entwicklung kapitalistischer Systeme;365
7.1.3;3 Varianten der kapitalistischen Organisation der Wirtschaft;370
7.1.4;4 Kapitalismuskritik;373
7.1.5;5 Alternativen zur kapitalistischen Organisation der Wirtschaft;379
7.1.6;Literatur;380
7.2;Ökonomisierung der Gesellschaft;383
7.2.1;1 Einleitung;383
7.2.2;2 Makro-Ebene;384
7.2.3;3 Meso-Ebene;388
7.2.4;4 Mikro-Ebene;389
7.2.5;Literatur;393
7.3;Markt und Moral. Transnationale Arbeitsteilung und Netzwerksolidarität;395
7.3.1;1 Skizze des Programms;395
7.3.2;2 Verhältnis Individuum – Wirtschaft – Gesellschaft;398
7.3.3;3 Entwicklung des Verhältnisses von Individuum – Wirtschaft – Gesellschaft;404
7.3.4;4 Der ‚gesellschaftstheoretische Blick’;409
7.3.5;Literatur;409
7.4;Geschlechterverhältnisse und Wirtschaft;412
7.4.1;1 Vorbemerkung;412
7.4.2;2 Wirtschaft und Geschlecht;413
7.4.3;3 Geschlechterverhältnisse in Kerninstitutionen der Wirtschaft;421
7.4.4;4 Fazit und Ausblick: Anforderungen an eine gendersensible Wirtschaftssoziologie;426
7.4.5;Literatur;428
7.5;Solidarwirtschaft;432
7.5.1;1 Begriffsfelder und Theoriehorizonte;432
7.5.2;2 Akteursprofile: Interessen, Kompetenzen, Motive, Mandate;435
7.5.3;3 Organisationsstrukturen: Sozialunternehmen und soziales Management;437
7.5.4;4 Entwicklungsperspektiven des Wohlfahrtsstaats;443
7.5.5;5 Relationsfiguren: Lernallianzen, Kompetenz-Cluster und intermediäre Felder;445
7.5.6;6 Macht, Geld, Sinn: Hybride Kontexte und inkongruente Perspektiven;448
7.5.7;Literatur;449
8;AutorInnenverzeichnis;452
9;Sachregister;460
Perspektiven der Wirtschaftssoziologie.- Perspektiven der Wirtschaftssoziologie.- Klassische Grundlagen.- Klassische Positionen der Ökonomie und Soziologie und ihre Bedeutung für die Wirtschaftssoziologie.- Die Neue Wirtschaftssoziologie und das Erbe Max Webers.- Institutionalismus und Wirtschaftssoziologie.- Theoretische Zugänge.- Individuelle Entscheidungsrationalität und soziale Einbettung..- Wirtschaft als funktionales Teilsystem.- Wirtschaft und Gesellschaft: Neomarxistische Theorieansätze.- Wirtschaft als Gemeinschaft: die kommunitaristische Wirtschaftsethik.- Wirtschaft und wirtschaftliches Handeln als Ökonomie der Praxis.- Netzwerkperspektiven in der Wirtschaftssoziologie.- Wirtschaft und Wirtschaftstheorie de-konstruiert.- Kerninstitutionen des modernen Wirtschaftssystems.- Märkte.- Unternehmen.- Lohnarbeit.- Technik und Innovation.- Soziologie des Geldes.- Finanzmärkte.- Wirtschaft in gesellschaftstheoretischer Perspektive.- Kapitalismusanalyse und Kapitalismuskritik.- Ökonomisierung der Gesellschaft.- Markt und Moral. Transnationale Arbeitsteilung und Netzwerksolidarität.- Geschlechterverhältnisse und Wirtschaft.- Solidarwirtschaft.
Perspektiven der Wirtschaftssoziologie. (S. 11)
Von versunkenen Schätzen, Entdeckern und neuen Kontinenten
Andrea Maurer
In der Soziologie waren wirtschaftliches Handeln ebenso wie Wirtschaftsinstitutionen und -strukturen über lange Zeit kein Thema. Eine Wirtschaftssoziologie war kaum oder doch nur schemenhaft zu erkennen und führte trotz einiger wichtiger Einzelarbeiten ein Schattendasein. Und das, obwohl die Begründer der modernen Soziologie Emile Durkheim und Max Weber das Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft von Anfang an thematisiert und problematisiert haben.
Sie waren als Zeitzeugen des Siegeszugs des modernen Kapitalismus und in der Nachfolge der Gesellschaftslehren des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts, in denen noch nicht systematisch zwischen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Handlungsfeldern unterschieden worden war, offen für den Zusammenhang von Wirtschaft und Gesellschaft. Den Arbeiten von Adam Smith und Karl Marx kommt dafür eine besondere Bedeutung zu, sie dürfen nach wie vor als wichtige Grundlage einer Soziologie gelten, die sich mit Wirtschaft auseinandersetzt.
Max Weber, von vielen rezipiert als der Klassiker der Wirtschaftssoziologie, hat in kritischer Abgrenzung von Marx und der nach-klassischen Ökonomie für eine Sozial-Ökonomik plädiert, die soziale und ökonomische Faktoren zusammenführt. Dafür steht in erster Linie seine bahnbrechende Rekonstruktion der sozial-kulturellen wie sozial-strukturellen Grundlagen des modernen rationalen Unternehmens-Kapitalismus. Zusehends gerät aber auch die von ihm vertretene handlungsorientierte Erklärungsweise ins Blickfeld der Forschung. Diese Perspektive schlägt vor, auch wirtschaftliche Strukturen wie den modernen rationalen Kapitalismus, rational organisierte Unternehmen oder Massengütermärkte ausgehend vom intentionalen Handeln der Akteure zu erklären und dafür auf soziale, politische und wirtschaftliche Institutionen und Ordnungen zu rekurrieren.
Emile Durkheim indes hat die schon von Adam Smith diskutierte Arbeitsteilung in den soziologischen Blick genommen, wobei er gerade nicht deren effizienzförderliche Wirkung, sondern ihre sozial-integrativen Folgen in modernen Gesellschaften und deren soziale Basis hervorgehoben hat. Ebenso haben Georg Simmel, der in seiner Philosophie des Geldes den Konsum- und Lebensstil moderner Gesellschaften behandelt hat, Talcott Parsons, der Wirtschaft als funktionales Teilsystem der Gesellschaft definiert hat, oder Norbert Elias, der die Entwicklung der Haushaltsführung im französischen Absolutismus als Teil des Zivilisationsprozesses herausgestellt hat, wichtige Grundlagen für die Bearbeitung wirtschaftlichen Handelns und wirtschaftlicher Strukturen gelegt.
Dieser versunkene Schatz birgt ein großes Theorie- und Analysepotenzial, das sich für die neu etablierende Wirtschaftssoziologie zu heben und zu entwickeln lohnt. Die Soziologie hat sich in Deutschland Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts als eigenständige Disziplin institutionalisiert und in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (nicht zuletzt in Abgrenzung zum Verein für Socialpolitik, der wissenschaftlichen Organisation der Nationalökonomie) organisiert.
Ihre weitere Entwicklung wurde allgemein gehemmt durch die großen welthistorischen Erschütterungen des zwanzigsten Jahrhunderts, insbesondere durch den Aderlass im Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg. In der Nachkriegssoziologie dominierten normative Ordnungskonzeptionen, die empirische Sozialforschung aus den USA trat ihren Siegeszug an, und es ergab sich die nach wie vor bestehende Ausdifferenzierung in die vielen sogenannten Bindestrich-Soziologien.
In Deutschland fiel der Gegenstand ‚Wirtschaft’ vor allem in das Tätigkeitsfeld der an neo-marxistischen Ansätzen orientierten Arbeits-, Betriebs- und Industriesoziologie (die hierzulande, im Unterschied zu den USA, nach wie vor Gewicht hat) und späterhin auch in die Organisationssoziologie (die über den Umweg USA zurückkam als kritische Rezeption von Rationalitätskonzepten à la Weber).