E-Book, Deutsch, Band 5, 416 Seiten
Reihe: Ein Fall für Rei Shimura
Massey Der Brautkimono
17001. Auflage 2017
ISBN: 978-3-492-98347-1
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 5, 416 Seiten
Reihe: Ein Fall für Rei Shimura
ISBN: 978-3-492-98347-1
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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»Schätzchen, dir würd’ ich noch nicht mal meine beste Vintage-Levi’s anvertrauen, und du sollst eine Sammlung antiker Kimonos nach Amerika begleiten?« Mein bester Freund in Tokio, der fünfundzwanzigjährige Kanadier Richard Randall, rührte kopfschüttelnd Zucker in seinen Kaffee. »Gebildete Menschen wissen, daß der Plural von ›Kimono‹ kein ›s‹ hat«, sagte ich mit eisiger Stimme. Wir saßen im Appetito, meinem Lieblingssanduitto – der japanischen Form einer Sandwichbar. Die gemeinsame Mittagspause im Appetito war so etwas wie eine freitägliche Tradition für Richard und mich geworden, weil er an diesem Tag an der Sprachenschule It’s Happening weniger Stunden geben mußte als sonst. »Na schön, dann also Kimono. Jedenfalls wirst du die Dinger nirgendwohin begleiten.« »Tja, wahrscheinlich hast du recht. Na ja, war ein schöner Traum.« Wie deprimierend, daß Richard meine Befürchtungen teilte, denn in den letzten Tagen hatte ich mich in die Vorstellung, nach Washington zu fliegen, geradezu hineingesteigert. Mit einem Blick auf das merkwürdige kleine Gebäckstück auf meinem Teller, das die Inhaber des Lokals »cheezu bagel« nannten, fügte ich hinzu: »Ich hätte solche Lust auf einen amerikanischen Bagel. Ganz zu schweigen von richtigem Käse. Ich habe die Schnauze voll von Kraft-Scheibletten für Singles aus überteuerten Supermärkten für Ausländer.« »Du gehörst aber der Zielgruppe für so was an.« Richard kicherte. »Das ist das Problem. Wer würde wohl einer alleinstehenden jungen Frau, die nicht mal die japanische Staatsangehörigkeit hat, japanische Kulturgüter anvertrauen? Und warum hat das amerikanische Museum dich und nicht jemanden vom Morioka-Museum gebeten, die Sachen zu begleiten? Da ist doch was faul.« »Der Typ vom Morioka hat abgesagt, also steckten die Amerikaner in der Zwickmühle. Sie wollen bestimmte Kimono aus diesem Museum. Da wäre es doch unhöflich, den Textilkurator von einem anderen japanischen Museum zu bitten, daß er die Exponate aus dem Morioka begleitet. Glaube ich wenigstens. Na ja, vielleicht weiß ich schon bald mehr.« Eineinhalb Stunden später hatte ich einen Termin mit dem Leiter, dem Textilkurator und dem Archivar des Museums. »Du hast doch noch nie für ein Museum gearbeitet«, sagte Richard. »Allison meint, ich habe einen Ruf als Kennerin japanischer Textilien. Wenn das stimmt, haben die Leute vom Morioka eine gute Meinung von mir.« »Nun gib mal nicht so an, Schätzchen. Dein toller Ruf kommt höchstens daher, daß dein Name immer wieder in den Revolverblättern steht.« »Die Fotos haben die Reporter nur wegen Takeo gemacht«, widersprach ich. Seit etwa einem halben Jahr war ich mit einem ziemlich coolen jungen Mann meines Alters namens Takeo Kayama zusammen, der seine Tage damit verbrachte, über die Restaurierung historischer japanischer Häuser nachzugrübeln und unterschiedliche Umweltgruppen zu beraten. Weil Takeo der Sohn des Großmeisters einer berühmten Ikebana-Schule war, verfolgte die Öffentlichkeit seine Unternehmungen mit Interesse, besonders wenn er zu einer förmlichen Ikebana-Gala in Jeans und Greenpeace-T-Shirt erschien. Mir war es egal gewesen, was Takeo an jenem Abend trug, aber als unser leidenschaftlicher Abschiedskuß an einem Taxistand am nächsten Tag Millionen von Lesern in Form eines Fotos präsentiert wurde, wäre ich vor Scham fast gestorben. Seitdem hatten Takeo und ich es nicht mehr gewagt, uns zusammen in der Öffentlichkeit zu zeigen. Jetzt verbrachten wir die meiste Zeit in seinem Landhaus, wo wir so ziemlich das einzige taten, was an einem Ort ohne Fernseher möglich ist. »Ha! Vielleicht suchen sie ja im Internet Informationen über dich und finden Fotos von deinem früheren Freund.« »Bitte erinnere mich nicht daran!« Ich wollte Hugh Glendinning vergessen, den schottischen Anwalt, der mich etwas mehr als ein Jahr zuvor verlassen hatte. Als ich Takeo kennenlernte, war ich zu dem Schluß gekommen, daß es mir nur nutzen konnte, mit einem Japaner zusammenzusein. Bei wem sonst konnte ich sicher sein, daß er mit mir in meiner Lieblingsstadt leben wollte? Nun, »zusammensein« war vielleicht nicht der richtige Ausdruck, denn davon konnte bei Takeo und mir nicht die Rede sein – und auch nicht vom Heiraten. Takeo stammte aus einer berühmten Familie, und vermutlich hätte ich bei seinem Vater bessere Karten gehabt, wenn es mir gelungen wäre, mir eine solide finanzielle Basis zu schaffen. Ermutigt durch den Gedanken, wie sehr die Zusammenarbeit mit einem namhaften japanischen Museum mir beruflich nutzen würde, verabschiedete ich mich von Richard und machte mich auf den Weg zu meinem Termin. Zwanzig Minuten später hatte ich die boutiquengesäumten Straßen um die Omote-Sando hinter mir und erreichte den Eingang des Morioka-Museums, eines kleinen eleganten Stuckgebäudes, das die Bomben im Zweiten Weltkrieg überstanden hatte und seit nunmehr dreißig Jahren zahlreiche kostbare Textilien beherbergte. Ein Angestellter begleitete mich zum Vorzimmer des Direktors, das mit Plakaten vergangener Ausstellungen und modernen Rosenholzmöbeln ausgestattet war: eine Gruppe von vier Stühlen, jeder davon mit einem winzigen Tischchen. Drei der Stühle standen einem einzelnen gegenüber. Mir war sofort klar, auf welchem ich sitzen würde. Herr Shima, der Archivar des Museums, bot mir einen Platz an, doch ich wußte, daß es besser war, mich nicht zu setzen, bevor der Direktor erschienen war. Insgeheim fragte ich mich beim Anblick von Herrn Shimas fadem grauem Anzug aus einem Wollgemisch, wieviel er tatsächlich von Textilien verstand. Es war interessant, daß das Morioka sich einen Archivar leistete, dessen Funktion darin bestand, Buch über die Bestände des Museums zu führen. In den meisten amerikanischen Museen gab es eine solche Stelle, doch in Japan war dieser Job noch relativ neu – offenbar nahm das Morioka seine Sammlung ziemlich ernst. Interessant fand ich es außerdem, daß Shima nicht das klassenprimushafte Aussehen vieler anderer Museumsangestellter besaß. Er war Mitte Vierzig und wirkte körperlich gut in Form. Die Haare trug er modisch kurz. In seinem Alter war er vermutlich verheiratet. Aber bei dem Blick, mit dem er mich taxierte, hätte es mich nicht überrascht, wenn er Hostessenbars besuchte oder neben der Ehefrau noch eine Geliebte hatte. Dabei war ich recht dezent gekleidet. Um meine Leidenschaft für japanische Textilien zu demonstrieren, hatte ich mich für ein knielanges schwarzes Kleid und eine mit pink-orangefarbenen Ikat-Pfeilen gemusterten Haori – eine Art Kimonojacke – entschieden. Das war mir als bessere Lösung erschienen als ein Kostüm, denn alle meine Kostüme stammten aus den frühen neunziger Jahren und waren somit aus der Mode. Ich verbeugte mich tief, als Shima mich Herrn Ito, seinem Chef, vorstellte, der rund wie ein Buddha war, was in Verbindung mit seinem blauen Anzug, der sich über seinem dicken Bauch spannte, einen interessanten Effekt ergab. Sein Alter war schwer zu schätzen; vermutlich hatte er die Sechzig bereits überschritten. Ich wußte nicht, wie seine Einstellung mir gegenüber war, also hielt ich mich an die japanische Etikette und entschuldigte mich ausführlich dafür, ihn von der Erledigung seiner Pflichten abzuhalten. Herr Nishio, der eigentlich in die Staaten hätte fliegen sollen, kam fünf Minuten später herein. Er entschuldigte sich kurz bei Shima und Ito, bevor er sich leicht vor mir verbeugte – eine Geste, die nur wenig Achtung vor mir ausdrückte. Er musterte meine Kleidung mit ungläubigem Blick. Hätte ich mich doch konservativer gekleidet! Vielleicht dachte Nishio, eine Frau, die es wagte, einen alten Haori zu tragen, würde auch nicht davor zurückschrecken, in einen der antiken Museumskimono zu schlüpfen, wenn sie sich unbeobachtet fühlte. Ich reichte Nishio meine Visitenkarte, wie ich es zuvor schon bei den beiden anderen Männern getan hatte, doch statt sie zu lesen, steckte er sie in die Tasche wie ein Kaugummipapier, das er später wegwerfen würde. Nun, dachte ich, Nishio war ja nicht der Chef. Vielleicht wirkte er so verkrampft, weil er die Reise nach Washington nur ungern abgesagt hatte. Normalerweise freuen Japaner sich über jede Gelegenheit, im Ausland Luxusgüter, wie zum Beispiel die Hermès-Krawatte, die er um den Hals trug, zu kaufen, weil sie dort viel billiger sind als in Japan. Nach einer Weile setzten wir uns, die drei auf die Stühle nebeneinander, ich auf den einzelnen, genau, wie ich es erwartet hatte. Ich zog an meinem Haori, um das Stückchen Oberschenkel, das unter meinem Kleid hervorlugte, zu verdecken. Eine Angestellte in meinem Alter kam mit einem Tablett voll kleiner Tassen mit grünem Tee herein. Sie bediente mich zuerst, wie es sich gehörte, da ich Gast war, doch ich achtete darauf, nicht vor den Männern an meinem Tee zu nippen. »Sie möchten also an Nishio-sans Stelle nach Washington reisen«, sagte Shima, der Archivar. Sein Tonfall verriet mir, daß ihm der Gedanke, ich könnte für das Museum nach Amerika fliegen, nicht gefiel. »So würde ich das nicht ausdrücken. Man hat mir gesagt, daß er leider nicht selbst fliegen kann«, erwiderte ich. »Eigentlich hätten wir die Reise zusammen machen sollen«, sagte Shima. »Als Archivar bin ich für die Sicherheit unserer Bestände verantwortlich. Nishio-san ist unser Textilkurator und Experte für traditionelle religiöse Gewänder. Wir haben vor vier Jahren schon einmal gemeinsam einige Altargewänder zu einer Ausstellung des Museum of Asian...