Verbrechen, Mord und Totschlag. Wahre Kriminalfälle
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
ISBN: 978-3-7106-0761-5
Verlag: Brandstätter Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Killer mit dem Milchgesicht, die Leuchtgasmörderin, dramatische Verfolgungsjagden, blutrünstige Serientäter oder bis heute ungeklärte Bluttaten: Eine Fülle an schockierenden und aufsehenerregenden Kriminalfällen, Mord und Totschlag hielt Wien in den Nachkriegsjahrzehnten in Atem. Mit bislang unveröffentlichten Fotos, neuen Dokumenten und fesselnden Geschichten, die die Hintergründe der Verbrechen beleuchten, entsteht ein einmalig abgründiges Zeitpanorama.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Vorwort Adele Neuhauser
DER SCHNÖDE MAMMON
Adrienne Eckhardt: Die Fleischwolf-Mörderin
Max Gufler: Der Blaubart von St. Pölten
Harald Sassak: Wenn der Gasmann klingelt
FRAUENHASS
Alfred Engleder: Der Mörder mit dem Maurerfäustel
Josef Weinwurm: Das Phantom der Oper
MORDLUST
Werner Kniesek: Hafturlauber und Villenmörder
Günter Lorenz: Der Killer mit dem Milchgesicht
UMKEHRUNG DER GESETZE
Johann Rogatsch: Wenn Mädchenmörder beim Scharfrichter landen
Ernst Karl: Die Wiedereinführung der Todesstrafe
AUF DER FLUCHT
Ernst Dostal: Die größte Fahndung der Zweiten Republik
Ausbruch aus der Justizanstalt Stein: "I bin's, dei Präsident!"
UNGEKLÄRT
Johanna Hybal und Hildegard Fasan: Mit Leuchtgas in den Tod
Ilona Faber: Mädchenmord am Russendenkmal
UNGEWÖHNLICH GEKLÄRT
Johann Bergmann: Der Stephansturmkletterer
Kriminalfotografie zwischen Dokumentation und Lust am Schauder Gerald Piffl
Autor und Beitragende
Quellen
Der Heurige Maly, in dem Opfer und Täterin vor dem Mord noch gemütlich ihre Vierteln Wein getrunken haben. Das Nachtlokal, in dem Johann Arthold seine Mörderin traf. Eine gute Spur, aber die Polizei gab dennoch eine Zeitungsanzeige auf, um die Bevölkerung um Mithilfe zu bitten, anhand der detaillierten Aussagen der Schaffnerin Artholds Begleiterin zu identifizieren: 1,60 Meter groß, 30 bis 35 Jahre alt, schlank, mit blassem Teint, grellrot geschminkten Lippen, schönen Zähnen, glattem, blondem Haar. Eine braune Panofix-Pelzjacke hatte sie getragen, dazu Nylonstrümpfe und braune Sämischschuhe mit niedrigen Absätzen. Erhebungen in Grinzing führten zur Gewissheit, dass die beiden von 20 bis 23 Uhr beim Heurigen Maly in der Sandgasse 8 einen gemütlichen Abend mit sieben Vierteln Wein verbracht hatten. Nach der Straßenbahnfahrt besuchten sie im 9. Bezirk noch ein Café, und ein Zeuge im 8. Bezirk konnte bestätigen, dass zwei Menschen in der Nacht Artholds Geschäft gemeinsam betreten hatten. Außerdem hatte Arthold vorgehabt, am 22. November einen Schuldbetrag von 6000 Schilling abzuzahlen und am selben Tag von anderer Quelle ein Darlehen von über 10 000 Schilling aufzunehmen. Die Polizei fahndete aufgrund der Brutalität des Mordes – es handelte sich immerhin um 40 Hiebe mit einem schweren Gegenstand samt Kehlendurchschnitt – nach einem männlichen Täter, wahrscheinlich aus dem Geschäftsumfeld des Opfers. Die blonde Dame wurde zwar gesucht, aber als Zeugin oder höchstens mögliche Komplizin geführt. Am 23. November klapperten Beamte Artholds Stammlokale ab – und landeten bald im Rotlichtmilieu. Im Nachtlokal Filmhof in der Neubaugasse wurden die Ermittelnden besonders hellhörig: Zwei Bardamen konnten sich gut an Arthold erinnern – und auch daran, dass eine Kollegin namens Adrienne Eckhardt, eine 23-jährige Säuglingsschwester und Kinderpflegerin, die im Café als Animierdame arbeitete, in letzter Zeit viel mit ihm unterwegs gewesen war. Eine andere Quelle meint, dass Kommissar Zufall Regie geführt habe und zwei Prostituierte, die wegen eines Diebstahls festgenommen worden waren, die nötigen Hinweise gegeben hatten. Sinngemäß sollen diese gesagt haben: „Um jeden Dreck kümmert’s ihr Kieberer euch, aber um den Mord an Arthold nicht!“ Die Beamten fragten nach, bis die beiden Dirnen ein Mädchen erwähnten, das im Café Filmhof verkehrte und mit Arthold gut bekannt sei. Wie auch immer: Die Beamten besuchten Adrienne Eckhardt in der Neustiftgasse 54, wo sie bei einem ehemaligen Artisten auf Untermiete wohnte. Nicht nur war sie blond, schlank und im richtigen Alter, es konnten auch an ihrer Pelzjacke und an ihren Schuhen Blutflecken sichergestellt werden: Noch am selben Tag wurde sie verhaftet. Zuerst bestritt sie jeglichen Zusammenhang mit der Tat, doch mit den Blutspuren konfrontiert, brach sie in Tränen aus und erzählte, wie alles abgelaufen war – in ihrer ersten Version. Ja, sie wäre bei Arthold im Geschäft gewesen, und ja, sie hätten gemütlich gemeinsam getrunken, bis es plötzlich an der Eingangstür klopfte. Auf Geheiß Artholds habe sie aufgemacht, und ein 1,75 Meter großer, schlanker Mann in einem Dufflecoat mit Kapuze (ein damals äußerst moderner Mantel, den jeder trug, der es sich leisten konnte, und der durch Graham Greenes Filmklassiker „Der dritte Mann“ Kultstatus erlangt hatte) begrüßte den „Cadbury-König“ mit den Worten: „Servus, alter Gauner!“ DIE BLONDE DAME WURDE ZWAR GESUCHT, ABER ALS ZEUGIN ODER HÖCHSTENS MÖGLICHE KOMPLIZIN GEFÜHRT. Arthold schien den späten Besucher also zu kennen, ihr war er gänzlich unbekannt. Der Neuankömmling setzte sich dazu, sie palaverten dahin und tranken ihr Bier. Dann habe der mysteriöse Mann im Dufflecoat plötzlich eine Schuldenrückzahlung von Arthold gefordert – der habe beteuert, er wäre momentan nicht liquide, was mit den bisherigen Ermittlungsarbeiten übereinstimmte: des entthronten Königs ständiges Jonglieren mit verschiedenen Darlehen und Rückzahlungen. Im Zuge dieses Disputs soll der Schuldeneintreiber plötzlich einen Gegenstand aus seiner Tasche gezogen und Arthold damit niedergeschlagen haben. Danach habe er Eckhardt befohlen, Artholds Körper umzudrehen – daher die Blutspuren. Anschließend habe er sie gezwungen, ein Messer zu holen, mit dem er auf Arthold eingestochen habe; danach hatte sie es zu reinigen, woraufhin er sie angeschnauzt habe, zu verschwinden. Der Mörder sei allein zurückgeblieben. Warum sie nicht sofort zur Polizei gegangen sei? Weil sie bereits wegen Betrugs eine Vorstrafe ausgefasst hatte und ihr ohnehin niemand glauben würde, sagte Eckhardt schluchzend. Die Beamten blieben skeptisch, konnten aber weder ihre Aussagen widerlegen noch die Tatwaffe sicherstellen. Dafür wurde eine Fahndung nach dem ominösen Herrn im Dufflecoat eingeleitet. Dieser unbekannte „Mr. Dufflecoat“ löste in der Bevölkerung eine wahre Hysterie aus: Jeder Zweite glaubte, den Bösewicht gesehen zu haben, und alarmierte die Polizei – die aber irgendwann einsah, dass der Täter wohl nicht so unbedarft wäre, im gesuchten Outfit durch Wien zu spazieren. Meldungen kamen auch aus Haftanstalten, wo Insassen meinten, die Identität des gesuchten Herrn mit Sicherheit zu kennen: womöglich eine willkommene Abwechslung im tristen Gefängnisalltag. Bald stellte sich heraus, dass nicht nur Arthold in finanziellen Nöten war – sondern viel mehr noch Eckhardt: Sie verdiente kaum Geld im Etablissement Filmhof, weil sie nicht mit Freiern aufs Zimmer ging, sondern als reine „Animierdame“ arbeitete. So war sie schon oft im Pfandhaus gelandet, um persönliche Gegenstände zu versetzen: das letzte Mal nur wenige Stunden vor der Ermordung Artholds. Komischerweise aber konnte sie bereits am Folgetag ins „Pfandl“ gehen, um eine ihrer Uhren auszulösen, und Lebensmittel für mehrere Tage kaufen. Als die Polizei Eckhardts Wohnung durchsuchte, wurde zudem eine beträchtliche Menge Waren aus Artholds Delikatessenladen sichergestellt. Sie sah sich nun zu Teilgeständnissen gezwungen, doch zugegeben wurde nur, was keinesfalls mehr abgestritten werden konnte. Eckhardt gab an, der Mann im Dufflecoat habe sie unter Androhung ihrer Ermordung dazu gezwungen, Geld aus der Kassa und Lebensmittel mitzunehmen, um die missglückte Schuldeneintreibung wie einen Raubmord aussehen zu lassen. Gemordet hätte aber der Eindringling – nicht sie. Die Beamten kamen mit Eckhardt nicht weiter und bissen sich an ihren verschiedenen Versionen die Zähne aus. Man ließ das Verhör vorerst Verhör sein. Am 2. Dezember 1952 wurde Johann Arthold unter den Augen von tausend Schaulustigen, zahlreichen Journalisten und einigen wenigen wirklich Trauernden am Zentralfriedhof beigesetzt. Zwei Tage danach soll Hofrat Dr. Heger, ein alter Fuchs, Eckhardt in einem Verhör die scheinbar harmlose Frage gestellt haben, ob sie das Licht im Delikatessenladen abgedreht habe, bevor sie gegangen war: Sie antwortete mit einem klaren „Ja“ – und war damit in die Falle getappt: Denn wie sollte sich der zurückgelassene Mr. X im Dufflecoat allein im Dunkeln zurechtgefunden haben? Reporter beim Prozess gegen Adrienne Eckhardt im Wiener Landesgericht. Die Schlinge um Eckhardts Hals wurde enger, und am 4. Dezember 1952 – nach intensiven Verhören über fast zwei Wochen – legte sie ein Geständnis ab: Ihr Opfer hatte sie bereits als junges Mäderl kennengelernt, weil sie in der Nähe seines alten Geschäfts gewohnt hatte und mit ihrer Mutter oft bei ihm einkaufen war. „Mein Engerl“ habe er sie genannt und sie getätschelt, während er ihr eine Tafel Cadbury zusteckte. Als sie später – nunmehr ein junges Fräulein ohne mütterliche Begleitung – in den Laden ging, bekam sie keine Schokolade mehr, sondern Nylonstrümpfe und wurde zu Feiern und Pferderennen eingeladen. Sexuell lief nie etwas zwischen den beiden, beteuerte sie, eher diente die junge Begleiterin dem gesetzten Herrn zum Eindruckschinden, wenn er bei Rennbahnbesuchen dubiose Geschäfte einfädelte. Beim Prozess gegen Adrienne Eckhardt im März 1953. Auch der präparierte Schädel des Mordopfers wird präsentiert, im Hintergrund zu sehen ist die Angeklagte. Eckhardt gab zu Protokoll, Arthold hätte sie aber dann doch einmal in sein altes Geschäft eingeladen, wo er bereits mit einer Prostituierten gewartet hätte, um sie zu „widernatürlichen“ Handlungen zu zwingen. Sie habe sich gewehrt und Arthold ein paar Ohrfeigen verpasst, von der anderen Dame sei sie ausgelacht worden. In Eckhardt sollen ab diesem Moment Rachegedanken gesprossen sein. Als er sie Jahre später – im November 1952 – zum Heurigen einlud, habe sie plötzlich wieder die Abscheu...