Margwelaschwili / Sundermeier | Der Leselebenstintensee | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

Margwelaschwili / Sundermeier Der Leselebenstintensee

Roman
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-95732-508-2
Verlag: Verbrecher Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

ISBN: 978-3-95732-508-2
Verlag: Verbrecher Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Gibt es einen Leselebenstintensee? Das glaubt eine Gruppe von Buchpersonen, die in die Buchberge aufbricht, um den See zu finden. Kann man dort am Buchwelthimmel vielleicht sogar die Nasen spitze des Verfassers sehen, der vornübergebeugt am Schreibtisch sitzt und diese Geschichte gerade schreibt? Im Roman 'Der Leselebenstintensee' will die Gruppe unter Anleitung eines Lesers endlich herausfinden, wie sie alle zu ihrem buchweltlichen Leben, ihrer Bibliobiographie kommen. Dabei helfen ihnen Figuren aus dem 'Zauberberg' von Thomas Mann, die sich dank ihres speziellen Romanthemas und ihres Aufenthaltes in den Buchweltbergen bereits in buchweltlichen Seinsfragen aus kennen ... In diesem nachgelassenen Roman des im März 2020 verstorbenen großen deutsch-georgischen Autors spielt er noch einmal anhand des Lebens von Buchpersonen die großen Schicksalsfragen durch. In einem Nachwort erläutert Jörg Sundermeier die Hintergründe von Margwelaschwilis Werk.

Giwi Margwelaschwili wurde am 14.12.1927 als Sohn georgischer Emigranten in Berlin geboren. Seine Mutter starb, als er vier Jahre alt war. Sein Vater lehrte Philosophie und Orientalistik. 1946 wurde er zusammen mit seinem Sohn vom sowjetischen Geheimdienst NKWD entführt. Der Vater wurde ermordet, Giwi Margwelaschwili in Sachsenhausen interniert, anschließend nach Georgien verschleppt. Dort lehrte er Deutsch. Erst 1987 konnte er nach Deutschland ausreisen. Ihn begleitete eine Unzahl von in der Emigration auf Deutsch geschriebenen Romanen und Erzählungen. Er wohnte bis 2011 in Berlin, seitdem in wieder Tiflis. dort starb er am 13. März 2020. 1994 erhielt er die deutsche Staatsbürgerschaft und ein Ehrenstipendium des Bundespräsidenten. 1995 erhielt er den 'Brandenburgischen Literatur- Ehrenpreis' für sein Gesamtwerk, 2006 die Goethe-Medaille, 2008 das Bundesverdienstkreuz. 2013 erhielt er für sein Gesamtwerk den Italo-Svevo-Preis. Er ist Mitglied des P.E.N, Werke u.a.: 'Muzal - ein georgischer Roman', 'Das böse Kapitel', 'Kapitän Wakusch', 'Der ungeworfene Handschuh'. 2012 erschien der Roman 'Das Lese-Liebeseheglück' als Lizenzausgabe im Gollenstein Verlag, Saarbrücken, der nun im Verbrecher Verlag lieferbar ist. Seit 2007 erscheint eine Werkschau Giwi Margwelaschwilis im Verbrecher Verlag.

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Die Expedition in das buchweltliche Hochgebirge als leselebensgefährliche Unglücksidee
»Von allem, was du hier gesagt hast, ist nur eines glaubhaft und als etwas sehr wahrscheinlich Wahres anzunehmen«, bekam der Bergführer jetzt zu hören. »Der Leser, meinst du, sei auch und sogar vor allem ein Schreiber, der von seiner Expedition zusammen mit uns zu unserer Federlebensquelle erzählen will und offenbar die Absicht verfolgt, seinen Bericht drucken und von anderen Lesern in seiner realen Welt lesen und bewerten zu lassen. Das ist an sich ein durchaus gut zu nennendes, löbliches Vorhaben, und wir müssen diesem Herrn sogar dankbar dafür sein, daß er sich uns ausgedacht hat und mit uns zusammen so eine schwierige Klettertour unternehmen möchte. Ja, unseren grenzenlosen Dank verdient dieser Herr schon allein deshalb, weil er uns überhaupt in seiner Textwelt erschaffen hat. Er hätte das nicht tun müssen, dann hätten wir niemals das Licht dieser Welt erblickt, nicht wahr? Du übrigens auch nicht, lieber Karl, denn du gehörst ja zu uns und stammst als Buchperson folglich genau so von ihm ab wie wir. Diese Erkenntnis erlaubt den weiteren Schluß, daß wir und unsere Expedition zu der Federlebensquelle diesem Leser, der unser Autor ist, sehr am Herzen liegen müssen, daß er auf dieses Projekt großen Wert legt und schon sehr lange daran arbeitet. Vielleicht nicht unmittelbar-schriftlich, so hätten wir ja etwas davon merken müssen, sondern nur in Gedanken, reflexiv, was verständlich wäre: Jeder gewissenhafte Autor überlegt sich sein Schreibprojekt erst mal gründlich, bevor er es schriftlich in Angriff nimmt. Es ist also anzunehmen, daß unser verehrter Autor sich schon eine beachtlich lange Zeit mit der Idee seiner Federlebensquellenexpedition und insofern also auch mit uns beschäftigt, denn – das wirst du nicht abstreiten können, du bist ja unser Bergführer – wir leben schon seit Buchweltmenschengedenken in unserer alpinistischen Textwelt. Folglich dürfen wir uns auch sicher sein, daß unser Autor alles tun wird, was in seinen Kräften steht, um die Expedition mit ihm und uns ordentlich, also auch für andere Leser interessant genug, aufzuschreiben. Wer so lang an einer Idee festhält wie er, dem bedeutet sie etwas, der wird sich alle Mühe geben, um sie in etwas Gutes zu verwandeln. Aber weiter! Du hast die Möglichkeit, daß der Leser, den wir richtiger unseren Schreiber nennen müssen, daß also dieser Mann uns Fragen über den Weg stellen wird, den unsere Expedition zu nehmen hat, als eine schiefe Sache hingestellt, hast so davon gesprochen, als ob er diesen Weg nicht kenne und erst von uns erfahren müsse, wo und wie wir in den lesestofflichen Bergen zu klettern haben. Da auch wir die Situation dort oben gar nicht kennen können – wir waren ja niemals dort – und er das wissen muß, wäre so ein Verhalten von ihm wirklich verantwortungslos und tadelnswert. Eben: Das kann nicht wahr sein. Wer so lange über ein Projekt nachdenkt wie unser Autor, der hat schon immer die Art und Weise, wie es entwickelt und ausgeführt werden muß, im Kopf, für ihn kann es sich nur um Einzelheiten handeln, die er sich von seinen Buchpersonen sagen lassen möchte. Das ist normal, ein Autor kann nicht alles wissen. Und warum sollte das für uns so gefährlich sein? Du hast behauptet, daß er den Weg zur Quelle nicht wüßte und ihn erst, wenn wir im lesestofflichen Hochgebirge sind, von uns erfahren wollte. Wenn wir ihm dort dazu nichts Konkretes sagen könnten, würde er, behauptest du, nichts mehr mit uns zu tun haben wollen und auf der Stelle verschwinden. Das alles hört sich zwar schaurig genug an, ist aber glücklicherweise nur dein Hirngespinst. Denn wenn man darüber nachdenkt, muß man sagen, daß unser Autor – schon allein, weil er so lange mit seinem alpinistischen Projekt beschäftigt ist – das allgemein Notwendige dazu, also den Weg bis zum Gipfel des literarischen Gebirges, im Kopf haben muß. Dafür spricht, daß er selbst schon dreimal dort war. Das hat er uns so überzeugend versichert, daß es einfach unmöglich ist, anzunehmen, er flunkere uns nur etwas vor. Nein, was er von uns wissen will, ist wahrscheinlich, wie wir uns beim Klettern unter seiner Führung fühlen, was wir von der Expedition halten, wie uns das lesestofflich-literarische Hochgebirgspanorama gefällt, welche Anstrengungen uns der Aufenthalt da oben kostet und was unsere Eindrücke von unserer Federlebensquelle sind. Über diese Dinge werden wir ihm natürlich sehr gern Auskunft geben. Was willst du also noch?« Nun schwieg Karl einige Sekunden lang. Er wägte ab, inwieweit es überhaupt sinnvoll wäre weiterzureden. Waren seine Leute von dieser Unglücksidee nicht schon so sehr eingenommen, daß man schon annehmen mußte, sie seien von ihrem Autor bereits in diesem Sinne festgeschrieben? Was konnte er, wenn sich das so verhielt, noch erreichen? Die Chancen, jemanden von ihnen überzeugen zu können, waren sehr gering. Der Bergführer wollte es trotzdem versuchen. Vielleicht würde es ihm wenigstens gelingen, seine Leute mit dem, was er ihnen jetzt noch sagen könnte, stutzen zu lassen. Wenn sie dann in den Bergen wären, reichte das möglicherweise schon aus, um ihren Blick auf ihren Leser und Autor kritisch zu schärfen. »Was ich noch will?«, fragte er jetzt deshalb ruhig zurück. »Ich will immer noch, daß ihr endlich Vernunft annehmt und eure Expedition zu der Federlebensquelle als ein vollkommen unmögliches und sehr riskantes Unternehmen zu verstehen lernt. Ich will immer noch, daß ihr aufgrund eines solchen kritischen Verständnisses von diesem Projekt unserem leichtsinnigen, das Leben seiner eigenen Buchpersonen so völlig bedenkenlos aufs Spiel setzenden Leser und Autor mit aller Entschiedenheit klarmacht, daß ihr an der Expedition, so, wie er sie euch vorgeschlagen hat, nicht teilnehmen werdet, weil sie euch zu leselebensgefährlich zu sein scheint.« »Nehmen wir einmal an, es ist alles so, wie du sagst!«, wurde er gleich unterbrochen. »Die Expedition ist, weil sie von unserem Autor nicht genau genug durchdacht sein könnte, ein literarisches Risiko, auf das wir uns als Buchpersonen nicht einlassen dürfen. Wird unser Autor, wenn wir ihm zu verstehen geben, daß uns die Expedition, die er mit uns vorhat, nicht gefällt, daß wir Bedenken gegen die Bedingungen erheben, unter denen sie vonstatten gehen soll, uns aus seinem Schöpfer- und Schreiberkopf nicht gleich ärgerlich fortwischen oder – wenn er uns schon irgendwie aufgeschrieben hat – das Papier, auf dem wir bei ihm stehen, wütend zusammenknüllen und in den Papierkorb werfen? Würden wir durch solch ein ablehnendes Verhalten unseren Untergang nicht schon heraufbeschworen haben, ehe die Expedition angefangen hat und wir alle mit unserem Autor in den Bergen unterwegs wären? Widerspricht das, was du uns rätst, nicht der Logik deiner eigenen Argumentationsweise?« »Keinesfalls!«, ereiferte sich Karl. »Alles hängt nur davon ab, wie ihr mit unserem Autor sprecht, was ihr ihm sagen werdet, wenn ihr ihm euer Mißtrauen zu dem Expeditionsprojekt ausdrückt. Darum will ich euch bitten, mich euer Sprecher sein zu lassen, wenn es nötig wird, Verhandlungen mit unserem Autor zu führen. Ja, ich werde mich eurer Expedition anschließen, obwohl es kein verrückteres Unternehmen unter dem ganzen Buchwelthimmel gibt. Weil ich die buchweltlichen Berge am besten kenne und auch etwas von Bibliobiologie verstehe, darf ich nicht zurückbleiben, wenn es losgeht. Schließlich gehöre ich selbst in diesen literarisch-alpinistischen Stoff und werde ebenso betroffen sein wie ihr, wenn mit oder in ihm ein Unglück passiert. Durch unsere rechtzeitige Bekanntmachung einer Bedingung für die Expedition, also einer, die wir unserem vorwitzigen Autor mitteilen, bevor wir in das lesestoffliche Hochgebirge ausrücken, kann uns nichts Schlimmes geschehen, unser Autor wird uns nichts tun, wenn wir ihm sagen: ›Wir gehen nur mit dir mit, wenn du eine Karte hast, auf der der Weg zu unserer Federlebensquelle genau aufgezeichnet ist und mit der wir uns im Gebirge stets vergewissern können, daß wir uns auf unser Ziel zubewegen.‹ Er wird von der Bedachtsamkeit seiner Buchpersonen sehr beeindruckt sein und, anstatt Ärger zu empfinden, sicher nur mit größter Zufriedenheit feststellen, was für kluge Buchpersonen seine Alpinisten sind. Das kann ihn nur anspornen, diese Novelle, den Roman, das Gedicht über die Federlebensquelle umsichtiger, also behutsamer und für das kluge Buchpersonal, das ihm dafür zur Verfügung steht, in Angriff zu nehmen. Wenn er – was ich für sehr wahrscheinlich halte – noch keine Karte entworfen hat, die diese Quelle geographisch und mit allen Zugangswegen dorthin bestimmt –, wird er die Expedition um ein paar Tage verschieben und die Karte in dieser Zeit eiligst erstellen. Für ihn ist das eine Kleinigkeit, denn er braucht sich den Weg zur Quelle ja nur in den gröbsten Zügen auszudenken, irgendwas Beliebiges aufzuzeichnen, dem objektiv nichts entsprechen muß, da die gesamte lesestoffliche...



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