E-Book, Deutsch, 139 Seiten
Roman
E-Book, Deutsch, 139 Seiten
ISBN: 978-3-95824-703-1
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Beatrix Mannel studierte Theater- und Literaturwissenschaften in Erlangen, Perugia und München und arbeitete dann zehn Jahre als Redakteurin beim Fernsehen. Danach begann sie - auch unter ihrem Pseudonym Beatrix Gurian - Romane für Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu schreiben, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Für ihre aufwändigen Recherchen reist sie um die ganze Welt. Außerdem gründete sie gemeinsam mit einer Kollegin 2016 die Münchner Schreibakademie. Bei dotbooks erschienen bereits die Jugendromane Jule, filmreif, Jule, kussecht, die Serie S.O.S. - Schwestern für alle Fälle mit den Einzelbänden: Willkommen in der Chaos-Klinik Ein Oberarzt macht Zicken Flunkern, Flirts und Liebesfieber Rettender Engel hilflos verliebt Prinzen, Popstars, Wohnheimpartys und der historische Jugendroman Die Tochter des Henkers. Mehr Informationen auch auf der Website der Autorin: www.beatrix-mannel.de www.münchner-schreibakademie.de/
Autoren/Hrsg.
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Wer schön sein will ...
Wenn ich es nicht schaffe, diesen grauen Storch in meinem Spiegel während der nächsten Stunden in eine bezaubernde Schönheit – oder wenigstens in mich – zu verwandeln, sollte ich wohl besser nicht zu der wichtigsten Verabredung meines Lebens gehen. Nicht nur, dass ich aussehe wie ein Storch, der den Abflug nach Süden verpasst hat, nein, auch mein eigentlich ganz passables, polanges schwarzes Haar ist heute fahl und matt. Erinnert an den Regen vor meinem Fenster. Dazu schimmert mein Gesicht bleich wie das Innere einer Makrele. Nein, ich sehe wirklich nicht im Entferntesten so glamourös aus, wie man das als Eliza-Lolita sollte. Ich schaue schon eher aus wie eine Lilly – so nennen mich ja auch alle. »Lilly, das Luder aus dem Odenwald«, murmle ich, ziehe den engen beigen Strickpullover – meinen letzten Versuch, lässig und sexy zu wirken – wieder aus und feuere ihn auf den Haufen aus T-Shirts, Jeans und Miniröcken auf meinem Bett. Abwechselnd kommt es mir so vor, als würde die Zeit stillstehen oder rasen, was meinen Puls ständig unmotiviert aus der Reihe hüpfen lässt. In diesen Momenten möchte ich voller Vorfreude auf den Abend laut singen. Doch dann verschiebt sich wieder alles. Im Hals wird es eng, und ich kriege keine Luft mehr. Trotzdem bin ich kein Fall für den Arzt, so viel habe ich als Schwesternschülerin im fünften Monat der Ausbildung schon mitgekriegt. Nein, diese Krankheit kann ich ganz alleine diagnostizieren. Man nennt sie auch verliebt sein. Die schwere akute Form. Ich schiebe die Kleider zur Seite, lasse mich aufs Bett fallen und starre auf das Poster der Boygroup über mir. Das habe ich bei meinem Einzug ins Schwesternwohnheim aus Faulheit hängen lassen, und mittlerweile sind mir die Jungs darauf so vertraut wie Brüder. »Also, welches Outfit findet ihr am besten?«, frage ich sie und überlege, welche Antwort ich am liebsten hören würde: »Lilly, du bist sowieso nackt am allerschönsten ...« Oder ... Es klopft an der Tür. »Ja!«, sage ich. Vielleicht ist es doch besser, mit einem anderen Menschen zu reden als mit einem Poster. Mascha, meine Mitbewohnerin und beste Freundin, stürmt herein. »Was ist denn hier los?«, fragt sie und deutet auf die verstreuten Kleider. »Nichts! Ich überlege gerade, welches Outfit sich am besten eignet, um sich aus dem Fenster zu stürzen«, erkläre ich ihr. »Und weißt du, was? Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich in allem eine eins a Leiche abgeben würde. Allerdings sollte ich vielleicht doch ein bisschen Lipgloss auflegen, damit ich nicht sogar als Leiche zu bleich bin.« Statt zu lächeln, setzt Mascha sich neben mich aufs Bett und sortiert geschäftig T-Shirts und Röcke auf kleine getrennte Stapel. »Lilly, warum machst du eigentlich so ein großes Drama aus dieser Verabredung? Du gehst mit Rufus Pizza essen. So what?« »Es ist absolut dramatisch«, stelle ich klar. »Für mich ist das wie ein Lottogewinn!« »Das glaubst du doch selbst nicht. Rufus ist schließlich verheiratet. So jemand kann nicht der Hauptgewinn sein!« »Mascha, nett, dass du vorbeigeschaut hast, aber ich will dich nicht aufhalten.« Ich zeige zur Tür. Maschas Kommentare sind immer dann schwer zu ertragen, wenn sie Recht hat. Und das kommt leider viel zu oft vor. »Auf keinen Fall möchte ich eine Leiche zu verantworten haben, Lilly!« Jetzt lächelt sie doch. »Und so kannst du auch nicht zu deiner Verabredung gehen. Oder wolltest du bei drei Grad Celsius und Nieselregen in Nylonstrumpfhose und BH losziehen?« »Nein.« Erst durch Maschas zweideutiges Grinsen wird mir bewusst, wie leicht bekleidet ich hier herumliege. Gut, dass Mascha und nicht unsere männlichen Mitbewohner Torsten oder Jonas geklopft haben. »Okay, du brauchst Hilfe.« Sie zählt mit den Fingern mit. »Erstens ein schönes T-Shirt, zweitens ein Make-up und drittens eine Frisur. Sehe ich das richtig?« »Nein. Ja«, sage ich und stöhne dann ziemlich laut. Das wird knapp. Wie sollen wir das alles denn bis acht Uhr schaffen? Mascha hat währenddessen schon meine T-Shirts durchgesehen. Sie schüttelt den Kopf. »Das meiste finde ich ziemlich spießig«, meint sie. »Ich hätte da ein T-Shirt, das dir bestimmt gefällt.« Mit diesen Worten rauscht sie aus dem Zimmer, und bevor ich noch protestieren kann, ist sie schon wieder zurück. Atemlos hält mir Mascha ein rotes Shirt mit üppigen Rüschen vorne dran entgegen. »Ich bin doch keine Klorolle, die eine Abdeckung sucht!« Ich tippe mir an die Stirn. »Ehrlich, das ist mir ein bisschen zu viel.« So etwas Romantisches passt gut zu Maschas blondem Engelslockenkopf, aber ich würde darin aussehen wie ein Aal, der in Tomatensoße ertrinkt. Außerdem hat Mascha einen ziemlich großen Busen, da wirken so Rüschen ganz anders. »Vielleicht hast du Recht«, gibt sie ungewöhnlich friedlich zu. »Wir gehen zu mir rüber, dann können wir alles anprobieren, was infrage kommt.« Nachdem ich meine Sachen schon erfolglos durchgecheckt habe und mich für nichts entscheiden konnte, gebe ich nach. Bevor ich ihr über den Flur folge, ziehe ich vorsichtshalber noch ein riesiges altes T-Shirt an, das mir fast bis zu den Knien geht. An der Tür schaue ich kurz, ob auch keiner kommt, dann husche ich in Maschas Zimmer. Mascha hat eine doppelt so große Auswahl an Kleidern wie ich. Nicht weil sie mehr Geld hätte. Nein, als Schwesternschülerinnen sieht es bei uns beiden auf dem Konto ziemlich mau aus. Sie ist einfach genial darin, günstige Klamotten aufzutreiben. Außerdem kann sie aus zwei alten, öden T-Shirts etwas aufregend Neues basteln. Mascha hat nähen gelernt, weil es ihrer Meinung nach ab ihrer Größe nur noch langweiligen Mutti-Schick gibt. Kaum in ihrem Zimmer angekommen, wühlt Mascha in der voll gestopften Kleidertruhe. Maschas orangerotes Zimmer erinnert stark an die Hollywoodversion von einem Haremsgemach. Es gibt keine Tische, Stühle oder Schränke. Alles befindet sich am Boden, der mit dicken Teppichen und Kissen belegt ist. Ihre Kleidertruhe sieht aus wie eine Schatzkiste. Mascha zieht ein hellblaues, glänzendes T-Shirt heraus. »Du bist ein Frühlingstyp, das steht dir bestimmt!«, sagt sie und wirft es zu mir. Ich bin mit 1,79 m zwölf Zentimeter größer als Mascha und dünn wie eine Bohnenstange, weshalb ich in den meisten Sachen von Mascha wie eine Vogelscheuche aussehe. Doch dieses Mal hat Mascha Recht. Das Blau betont meine Augen. Außerdem ist das Shirt elastisch und sitzt gut. Und der Ausschnitt ist schön groß. »Du solltest noch einen Wonderbra drunterziehen, das hätte einen tollen Effekt«, sagt Mascha und deutet mit den Händen einen Riesenbusen an. »Darauf kann ich verzichten. Stell dir doch mal vor, wie blöd ich dastehen würde, wenn Rufus den BH aufhakt und dann nur noch ein mickriger Rest übrig ist. Da stehe ich lieber gleich zu dem, was ich habe.« Ich werde mitten im Satz blass. Ausziehen! Daran sollte ich nicht mal denken. Rufus würde sich bestimmt nicht mit mir verabreden, wenn er wüsste, was ich für Fantasien habe. Mascha macht tztztztz. »Ich dachte, eure Freundschaft wäre rein platonisch ...?«, sagt sie prompt. »Hast du mir nicht erzählt, dass es heute bei eurem Treffen nur darum geht, Rufus in aller Ruhe zu erzählen, wie die Orthopädieprüfung bei Dr. Wiener gelaufen ist?« »Klar!«, sage ich, »aber man wird doch noch hoffen dürfen!« »Wenn Hoffnung im Spiel ist, solltest du vielleicht doch lieber einen Wonderbra ...«, grinst Mascha und wühlt in einer großen Kleiderkiste. Ich finde das nur halb so witzig. »Hey, gib dir keine Mühe!« Mascha hört auf zu wühlen. »Na gut. Dann nehmen wir uns jetzt dein Gesicht vor.« Sie schiebt vorsichtig den schillernden Fliegenvorhang aus Perlen und Pailletten, den sie als Sichtschutz vor ihr Waschbecken gehängt hat, zur Seite und kommt mit einem großen Beutel zurück. »Ich will nicht verreisen, ich möchte nur gut aussehen!«, stelle ich mit Blick auf den Beutel klar und setze mich auf ein dickes rotes Kissen. Mascha kniet sich vor mich und starrt mich an. »Deine Nase ist nicht schlecht, ein bisschen breit, aber irgendwie auch süß. Und aus deinen dunkelblauen Augen könnten wir leuchtende Sterne machen.« Sie kramt in der Tasche herum. »Bloß diese fahle Haut ... hmm. Zieh vorsichtshalber mal das Shirt wieder aus und das alte an. Nicht, dass noch Schminke drankommt!« Je länger ich darüber nachdenke, desto blöder finde ich das alles, auch mich selbst. Rufus arbeitet schließlich wie ich in der Nordendklinik und weiß genau, wie ich aussehe, wenn ich noch müde zur Frühschicht antrete. Warum mache ich mich so verrückt? Es ist ja kein Blind Date! Ich schlüpfe wieder in das T-Shirt, in dem ich gekommen bin. Mascha feuchtet ein Schwämmchen an, tupft in eine braune Pampe und verstreicht sie dann auf meinem Gesicht. Es fühlt sich an, als ob Nacktschnecken über mein Gesicht kriechen würden. Dann betrachtet sie ihr Werk. Sie schüttelt den Kopf. »Nein, jetzt siehst du noch gelber aus!« »Was? Wieso gelb? Vorher habe ich nicht gelb ausgesehen!«, protestiere ich. »Ich meinte fahl«, erklärt Mascha und studiert mein Gesicht wie einen fremden Stadtplan. »Ich denke, alles was noch fehlt, ist ein Tupfer Rouge auf deinen Wangenknochen. Das macht frisch. Außerdem brauchst du noch etwas Kajal um die Augen und natürlich Lippenstift. Zusammen wirkt das dann ganz natürlich.« Mascha starrt mir konzentriert ins Gesicht, während sie spricht. »Kann ich mich mal anschauen?«, frage ich. Mascha schüttelt den Kopf....