Roman
E-Book, Deutsch, 147 Seiten
ISBN: 978-3-96148-162-0
Verlag: dotbooks Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Beatrix Mannel studierte Theater- und Literaturwissenschaften in Erlangen, Perugia und München und arbeitete dann zehn Jahre als Redakteurin beim Fernsehen. Danach begann sie - auch unter ihrem Pseudonym Beatrix Gurian - Romane für Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu schreiben, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Für ihre aufwändigen Recherchen reist sie um die ganze Welt. Außerdem gründete sie gemeinsam mit einer Kollegin 2016 die Münchner Schreibakademie. Bei dotbooks erschienen bereits die Jugendromane Jule, filmreif, Jule, kussecht, die Serie S.O.S. - Schwestern für alle Fälle mit den Einzelbänden: Willkommen in der Chaos-Klinik Ein Oberarzt macht Zicken Flunkern, Flirts und Liebesfieber Rettender Engel hilflos verliebt Prinzen, Popstars, Wohnheimpartys und der historische Jugendroman Die Tochter des Henkers. Mehr Informationen auch auf der Website der Autorin: www.beatrix-mannel.de www.münchner-schreibakademie.de/
Autoren/Hrsg.
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1.
Sydney, Australien
Auszug aus der Bordzeitung der Pacific Blue Princess, den Blue News
Samstag, den 2. April
Sonnenaufgang: 6:34 Sonnenuntergang: 17:28
Cocktail des Tages: Wekomefre, (Sekt,
Orangensaft, Blue Curaçao)
Bekleidungsempfehlung: leger
Spruch des Tages: »Wohin du auch gehst,
geh mit deinem Herzen.« Konfuzius Luzie klammerte sich fest an die Reling, um nicht vor lauter Glück davonzuschweben, so wie eines dieser watteweichen Wölkchen, die hinter den Hochhäusern von Sydney am Horizont verschwanden. Endlich war sie am Ziel. Hier auf diesem Schiff würden sie sich wieder treffen und nie mehr trennen. Sie konnte es gar nicht fassen, dass sie ganze 92 Tage ohne ein Lebenszeichen von ihm überlebt hatte. Der Gedanke daran, dass es jeden Augenblick so weit sein konnte, ließ ihre Füße unruhig hin- und herwippen und verwandelte ihren Herzschlag in einen nervösen Trommelwirbel, der ihr den Atem nahm. Dabei mochte sie diese Luft aus salziger Hitze, Öl und Fisch. Schließlich war es die gleiche Luft, die er auch atmete. Wer weiß, überlegte sie, vielleicht begegnet sich irgendwo dort oben am Himmel unser Atem und küsst sich schon längst, während wir uns noch suchen. Sie schloss für einen Moment ihre aufgeregt flatternden Augenlider, um sich bei ihrem Wiedersehen sein überraschtes Gesicht und den anschließenden Kuss auszumalen. Doch das Rattern und Krachen der Containerkräne wirkte mit geschlossenen Augen unromantisch laut. Es vermischte sich mit dem Kreischen der Möwen, den kurzen Kommandos der Hafenarbeiter und dem sanften Schwappen des Wassers zu einer schrillen Hintergrundmusik für ihre Vision vom ersten Kuss an Bord. Und da plötzlich hörte sie mittendrin in all dem Lärm sein schmetterndes Lachen! Oder bildete sie sich das nur ein? Sie riss ihre Augen wieder auf und suchte den Kai nach seiner großen, breiten Gestalt ab. Leider war er nicht da. Enttäuscht bemerkte sie, dass das Lachen nur von den Insassen eines gerade herangefahrenen grün schimmernden Jaguars ausgegangen war. Der Fahrer sprang heraus und half einer grauhaarigen Dame beim Aussteigen, während ein sehr viel älterer Mann im weißen Anzug einen Rollstuhl aus dem Kofferraum zerrte und sich bemühte, ihn schnell aufzuklappen. Sein Strohhut fiel dabei auf die Erde und gab den Blick auf seinen kahlen Schädel frei. Ein zweiter, jüngerer Mann hob ihn auf und gab ihn mit einer Bemerkung zurück, die den älteren Mann zum Lachen brachte. Doch dieses tiefe Ho-ho-ho hatte nichts mit dem freien und wilden Lachen von Mark zu tun, nach dem sie sich 92 Tage lang so gesehnt hatte. Wenn sie damals in Hamburg nur daran gedacht hätte, seine Stimme und sein Lachen mit ihrem Handy aufzunehmen. Dann wäre es ihr bestimmt leichter gefallen, die Zeit ohne ihn zu überstehen. Oder wenn sie ihm doch nur heimlich eine seiner schwarzen Locken abgeschnitten hätte ... Aber sie hatte nicht mal eine Socke von ihm behalten! Die drei Menschen unten am Kai wurden von einem Steward mit vielen goldenen Streifen am Ärmel begrüßt und über die Gangway aufs Schiff begleitet. Durch die Lautsprecher ertönte die Aufforderung an alle Gäste, jetzt von Bord zu gehen, da das Einchecken beendet sei und die Pacific Blue Princess in einer Viertelstunde ablegen würde. Mark musste also schon an Bord sein. Wenn sie nur wüsste, wo sich seine Kabine befand! Bei 500 Passagieren und 300 Mann Besatzung war das viel schwerer herauszufinden, als sie es sich vorgestellt hatte. Nachdem sie allein fast verzweifelt war, hatte sie sich ein Herz gefasst und den einzigen Menschen an Bord, den sie schon kannte, den Hotelmanager Robert Fenwick, nach Mark gefragt. Ob sie denn verheiratet oder verlobt seien, hatte er wissen wollen. Luzie hatte kurz überlegt, ob sie eine Lüge riskieren sollte, schließlich hatte sie ja ohnehin schon so viel aufs Spiel gesetzt, um auf die Pacific Blue Princess zu gelangen. Doch sie ahnte, dass Mark es nicht mögen würde, wenn sie so ein Gerücht in die Welt setzte. Deshalb hatte sie sich entschlossen, ehrlich mit Nein zu antworten. Daraufhin hatte Fenwick sie bedauernd angesehen und ihr dann nur verraten, dass Mark jeden Abend ab 19 Uhr in der Tahiti Bar arbeiten würde. Irgendwie unglaublich, dass es einfacher gewesen war, einen Job an Bord zu bekommen, als Mark auf dem Schiff zu finden. Na ja, ganz so leicht war das mit dem Job auch wieder nicht gewesen. Bei der Erinnerung daran verzog Luzie ihre Lippen zu einer Grimasse. Zuerst hatten ihre Eltern sie für komplett verrückt erklärt. Sie sei schließlich erst siebzehn und hätte gerade erst ihre Ausbildung zur Kinderpflegerin abgeschlossen. Da sollte sie lieber über eine Weiterbildung nachdenken, anstatt auf irgendeinem Schiff am Ende der Welt Berufserfahrungen zu sammeln. Aber Luzie hatte nicht nachgegeben und immer wieder beteuert, dieses Schiff wäre im Gegenteil ihre große Chance. Wann würde sie je wieder so in der Welt herumkommen und dabei noch dazu ihr Englisch aufpolieren? Damit hatte sie ihre Eltern natürlich dann doch eingewickelt. Denn Luzie wusste genau, dass ihr Vater schon lange von einer Weltreise träumte und ihre Mutter es bitter bereute, nie Englisch gelernt zu haben. Wenn sie ihnen die ganze Wahrheit gesagt hätte, dann würde sie natürlich immer noch brav zu Hause in Hamburg sitzen und Bewerbungen für Kindergärten schreiben. Deshalb kannte auch nur Luzies beste Freundin Katja die ganze Wahrheit. Das laute Knacken der Lautsprecher riss Luzie aus ihren Gedanken, und als dann eine Blaskapelle mit »Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus« ertönte, musste Luzie grinsen. Es kam ihr merkwürdig vor, dass am anderen Ende der Welt ein deutsches Volkslied gespielt wurde. Vielleicht lag es daran, dass das Schiff unter deutscher Crewleitung stand und deshalb hauptsächlich Passagiere aus Deutschland an Bord waren? Am Kai brach hektische Betriebsamkeit aus. Die baumdicken Taue wurden von einem ganzen Trupp Matrosen losgelöst. Viele Passagiere waren jetzt an Deck gekommen, um das Ablegen des Kreuzfahrtriesen zu beobachten. Und obwohl Luzie das Schiff am liebsten sofort nach Mark abgesucht hätte, blieb auch sie fasziniert stehen und staunte über den Anblick, der sich ihr bot. Langsam schob sich die strahlend weiße Pacific Blue Princess an der kleinen, vorgelagerten Halbinsel mit dem berühmten Opernhaus vorbei. Für Luzie sahen diese merkwürdigen Dreiecke so aus, als wären sie die Kapuzen von riesigen Wächtern, die dicht hintereinander stehend den Hafen von Sydney bewachten. Langsam, aber stetig entfernte sich das Schiff von Sydneys Hochhäusern. In den Fassaden spiegelten sich das Meer und der Himmel wider und verwandelten die Türme dadurch in gigantische, dunkelblau glänzende Edelsteinquader. Merkwürdig, dachte Luzie, wie sehr sich die Dinge verändern, wenn man nur die Perspektive wechselt. Die funkelnden Wolkenkratzer wurden ständig kleiner, und irgendwann, wenn sie das offene Meer erreicht hätten, würden sie ganz verschwunden sein. So wie ihre Vergangenheit. Jetzt zählte nur noch, dass Luzie am Ziel war. Durch die Lautsprecher schallten verschiedene Durchsagen in Deutsch, Englisch und Französisch, wann und wo welche Snacks und Drinks serviert würden. Der Gedanke an leckere Sandwiches ließ das Wasser in Luzies Mund zusammenlaufen. Sie konnte sich gar nicht erinnern, wann sie das letzte Mal etwas gegessen hatte. Doch jetzt musste sie erst mal ihre Kabine suchen und den Koffer auspacken. Dann sollte sie sich bei ihrer Chefin melden. Einer Holländerin, Rosalie van Veen. Was für ein hübscher Name. Luzie stellte sich ein feengleiches Wesen vor, das von allen Kindern vergöttert wurde. Erst nach ihrem Gespräch mit Rosalie konnte sie essen und danach Mark suchen. Mark! Luzie lächelte, wenn sie sich seine Überraschung vorstellte. Gemeinsam mit Katja hatte sie ihr erstes Zusammentreffen auf dem Schiff tausendmal in Gedanken durchgespielt. Katja hatte natürlich auch behauptet, dass es völliger Irrsinn wäre, ihm einfach hinterherzufahren, wo sie doch seit diesen unglaublichen zehn Tagen in Hamburg keinen Kontakt mehr gehabt hatten. Aber Luzie wusste es besser. Als sie Mark in der Woanders Bar kennen gelernt hatte, war der Funke zwischen ihnen sofort übergesprungen ... Luzie hatte gerade allein an der Bar gesessen, weil Katjas Lieblingslied gespielt wurde und Katja deshalb zur Tanzfläche abgedüst war. Aus dem Nichts war er aufgetaucht und stand vor ihr wie eine Fata Morgana: ein schwarzhaariger Riese mit einem breiten Lachen im Gesicht. »Hi, du hast die schönsten Haare, die ich je gesehen hab. Darf ich die mal anfassen?« Bevor Luzie überhaupt etwas antworten konnte, hatte dieser unbekannte Gigant mit der orangefarbenen Brille seine Hand in ihren blonden Korkenzieherlocken versenkt. Und Luzie waren die Knie weich geworden, weil seine Hand in ihrem Haar ein Gefühl auslöste, als ob sie sich in einen Riesenhaufen elektrisch aufgeladener Ameisen gelegt hätte. Es kribbelte überall gleichzeitig. Und als er dann die Brille mit den orangefarbenen Gläsern herunter auf seine Nasenspitze schob, sie mit seinen grauen Augen silbrig anstrahlte und mit leichtem Wiener Akzent sagte: »Sorry, Löckchen, i bin der Mark, und wer bist du?«, da hatte ihr Herz das Blut plötzlich hundertmal schneller durch ihren Körper gepumpt, ihre Lungenflügel waren wie zusammengepappt, sodass sie nach Luft schnappen musste, um zu antworten. Sekundenlang hatte sie nicht mal mehr ihren Namen gewusst. »Lu ...« war alles, was sie geschafft hatte. Aber Mark störte das nicht die Bohne. Er fragte, ob er ihr einen Drink ausgeben dürfte, und bestellte ihr, die...