Mank | Zwischen Trauma und Rechtfertigung | Buch | 978-3-593-39413-8 | sack.de

Buch, Deutsch, Band 952, 308 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 215 mm, Gewicht: 420 g

Reihe: Campus Forschung

Mank

Zwischen Trauma und Rechtfertigung

Wie sich ehemalige Wehrmachtssoldaten an den Krieg erinnern
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-593-39413-8
Verlag: Campus

Wie sich ehemalige Wehrmachtssoldaten an den Krieg erinnern

Buch, Deutsch, Band 952, 308 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 215 mm, Gewicht: 420 g

Reihe: Campus Forschung

ISBN: 978-3-593-39413-8
Verlag: Campus


Viel wurde in den letzten 20 Jahren über die Schuld der Wehrmacht und ihrer Soldaten an den NS-Kriegsverbrechen geschrieben. Ute Mank hat neun von ihnen intensiv befragt und ihnen zugehört, ohne sie zu konfrontieren oder zu belehren. Aus diesem Erinnerungsmaterial hat sie die verborgenen und verleugneten Ebenen des Themas herausgefiltert: Sie identifiziert Hingabe an Hitler, den Wunsch nach Aufwertung, anhaltenden Antisemitismus und Enttäuschung darüber, dass die grandiose Zukunft ausgefallen ist. Ihr Buch ist eine intime Auseinandersetzung mit Schuld und Verdrängung. Darüber hinaus aber sind die hier untersuchten Erinnerungen ein Vermächtnis, das uns alle angeht.

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Weitere Infos & Material


Inhalt

1.Einleitung 9
1.1 Wehrmachtsausstellung 10
1.2 Die Goldhagen-Debatte 13
1.3 Resonanzen im Untersuchungsumfeld 15
1.4 Ein schwieriges Thema - Ambivalenz einer Forscherin 18
1.5 Die Interviewpartner 20
1.6 Wehrmachtssoldaten als besondere Zeitzeugengruppe 20
1.7 Eine Typologie der inneren Haltungen 23

2. Der Linientreue 26
2.1 Der Krieg - das Chaos 27
2.2 Gefangenschaft - "die krochen auf allen Vieren" 32
2.3 Nach dem Krieg - weiter das Chaos 33
2.4 Der Vater 34
2.5 Neuanfang 39
2.6 Auf der "Schiene" geblieben 41

3. Die Erforschung des verborgenen Sinns 47
3.1 Tiefenhermeneutische Kulturanalyse - Grundlagen 48
3.2 Nationalsozialistische Weltanschauung als Vergesellschaftung eines Symptoms 51
3.3 Tiefenhermeneutische Kulturanalyse - Anwendung 53

4. Der Ohnmächtige 60
4.1 Enttäuschte Begeisterung - das Militär 61
4.2 Der Krieg - "da kriegte man die Wut" 63
4.3 Verwundung als Mittel zur Selbstverfügung 65
4.4 Gefangenschaft - "ich wusst' ja nit was die wollten" 66
4.5 Der Macht ausgeliefert 68
4.6 Die Vaterautorität 72

5. Gleichgeschaltete Jugend 74
5.1 Sozialisationsraum Hitlerjugend 75
5.2 Jugend als Entlastungsmoment - "war'n se erst 17" 78

6. Der Ehrenretter 84
6.1 Der Versuch, soziale Schranken zu überwinden 84
6.2 Krieg als Abenteuer 88
6.3 Gefangenschaft - "was ist denn Dachau" 91
6.4 Unerfüllte Heldenträume 93

7. Erinnerung und Geschichtsbewusstsein 101
7.1 Nationalsozialismus und Holocaust in der Nachkriegsöffentlichkeit 103
7.2 Die Nachkriegsgenerationen und ihre Geschichtsdeutung 111
7.3 Kollektives Gedächtnis ohne persönliche Erinnerung? 113

8. Der Schamlose 118
8.1 Kriegel als Sanitäter - "dann passiert dir nix" 119
8.2 Russland - "war mer doch eigentlich naiv" 120
8.3 Auf der Flucht - "nach 'm Polarstern" 123
8.4 Nationalität und Sprache als Identitätsmerkmale 124
8.5 Gefangenschaften - "jetz' geht's uns genauso" 127
8.6 Die Juden - "verhasst war'n se ja" 128
8.7 Abwehr durch Isolierung der Ereignisse 131

9. Der Zeuge 138
9.1 Die Wehrmacht - "eine hochdisziplinierte Armee" 138
9.2 Kriegstrauma - "uns hat keiner eine Therapie angeboten" 140
9.3 "Hab' derartige Dinge nie erlebt" - eine Gegendarstellung 141
9.4 Waffen - "wirklich vernichtend" 143
9.5 Russland - "da ging's um Leben und Tod" 145
9.6 Einseitige Parteinahme 147

10. "In keiner Weise so" - Antisemitismus 151

11. Der Bekenner 155
11.1 Der Weg durch die Institutionen der NS-Sozialisation 156
11.2 Das Militär - "restlos angetan davon" 162
11.3 Der Krieg - "hineingeschlittert" 163
11.4 Die Kapitulation - ein "Erdrutsch" 170
11.5 Nach dem Krieg - "vor dem Nichts" 172
11.6 Der Wunsch nach einem moralischen Selbstbild 174
11.7 Schuld und Vergebung 182

12. Bilderbuchkrieg - gnadenloser Krieg 184
12.1 Eroberungskrieg - "ham wie Gott in Frankreich gelebt" 184
12.2 Polen - "dann hatte der Krieg begonnen" 186
12.3 Russland - "Aber was ich da erlebt habe, war recht hart" 187
12.4 Die russischen Soldaten - "die taugen ja nichts" 194
12.5 Narrative vom Krieg 195
12.6 Der Krieg wird nicht in Frage gestellt 201

13. Der Betrogene 202
13.1 Kindheit und Jugend - "aufgeregte Zeit" 202
13.2 Lehrzeit - "hab' das letztendlich auch geschafft" 204
13.3 Schäfer als Soldat - "ich hab' Glück gehabt" 206
13.4 Kriegsfolgen als Gewinn- und Verlustrechnung 210
13.5 Vom "Verführten" zum "Betrogenen" 214

14. Das Tonband oder die Grenzen des Erzählbaren 221

15. Der Einzelgänger 226
15.1 Im "Knast" beginnt die "Laufbahn" 226
15.2 Der Krieg - "in den tiefen Winter noch mal hinein" 227
15.3 Das Soldatenleben gehandhabt 230
15.4 Die Amerikaner überlistet - "wie's die Füchse machen" 233
15.5 Bewahrt geblieben 235

16. Trauma - "man fühlt sich zurückversetzt" 244
16.1 Sterben, Tod und mangelnde Selbstwirksamkeit 246
16.2 Kollektives Erinnern - kollektives Trauma 249
16.3 Kollektive Verbrechen in der Öffentlichkeit 253
16.4 Transgenerationelle Weitergabe des Traumas 254

17. Der Friedliebende 259
17.1 Der Krieg - "Wir ham das von beiden Seiten gesehn" 259
17.2 Gefangenschaft - "Wassersuppe" und "Schweinefutter" 268
17.3 Krieg - "'n friedlicher Zustand" 270

18. Ringen um Wahrheit - "was objektiv is'" 277
18.1 Die Interviewsituation als Erinnerungsgemeinschaft 277
18.2 "Nichts damit zu tun gehabt" - trügerische Erinnerung 280
18.3 Gebrochene Biographien 282
18.4 Erinnerungsgemeinschaften als Abwehrbündnisse 288
18.5 Opfer-Täter-Aufspaltung als Abwehrkonstellation 290
18.6 Paradoxes Aufarbeitungsbedürfnis 293

19. Resümee 295

Literatur 302
Dank 307


2. Der Linientreue

"Ja, also so ganz abschütteln konnte man die Erziehung und die Schiene,
auf die man in jungen Jahren gesetzt worden ist, nich'."

Joachim Weber ist mein erster Interviewpartner. Er meldet sich auf die erste der beiden Anzeigen in der Lokalzeitung. Für mich war es selbstverständlich, dass ich zu ihm nach Hause komme, doch Weber war offenbar davon ausgegangen, dass wir uns am Institut treffen. Auf meine Bemerkung, dass es dort keine schönen Räume gebe, antwortet er, darauf käme es doch nicht an. Seine Antwort gibt mir das Gefühl, albern zu sein, dass ich auf so etwas Wert lege. Das beschäftigt mich den ganzen Tag. Wir vereinbaren dennoch ein Treffen bei ihm zu Hause.
Weber ist Jahrgang 1928 und damit der jüngste meiner Interviewpartner. Er ist eine jugendliche Erscheinung, gekleidet in Jeans mit breitem Ledergürtel und einem Polohemd. Das Haus ist auf eine Art ordentlich und sauber, die es leblos erscheinen lässt. Er geleitet mich in ein Zimmer unter dem Dach, dort hätten wir die nötige Ruhe. Er wirkt sehr geschäftig, hat ein Schreibbrett mit Stift und einige Papiere zurechtgelegt. Damit raschelt er die ganze Zeit und klopft mit dem Stift. Das Interview selbst gestaltet sich sehr zäh, und ich empfinde einen unglaublichen inneren Druck und befürchte, dass wir beide dasitzen und nicht weiter wissen werden.

"Ja, äh, vielleicht fangen Sie doch an mit ein paar Fragen. Aus diesen Fragen heraus komme ich dann vielleicht besser ins Erzählen (hmhm), weil ich nicht genau den Umfang und die Grenzen dessen (hmhm), was sie vorhaben, kenne, äh nicht, dass ich an Ihrem Thema vorbeikomme (hmhm). Äh, deshalb wär' mir's vielleicht ganz lieb, wenn Sie 'n bisschen anfangen würden zu fragen."

So fängt das Interview an, und so wird es auch bleiben. In Webers Eröffnung zeigt sich bereits das ganze Dilemma. Er will gefragt werden, aber die Fragen, die ihn zum Erzählen bringen würden, habe ich nicht. Was ich auch frage, er kommt nicht "besser ins Erzählen".
Als ich - um Fragen gebeten - wissen möchte, an welcher Front er war, ist damit schon die erste falsche Frage gestellt. Weber war an keiner Front mehr, weil es keine mehr gab. Weber war im so genannten Volkssturm. Doch statt das zu sagen, holt er für mein Empfinden weit aus und "kommt an meinem Thema vorbei".

2.1 Der Krieg - das Chaos

Im Juli 1944 wird Weber kriegsdienstverpflichtet. Die Aufgabe der Jungen, die aus Jungvolk und Hitlerjugend rekrutiert werden, ist es, Panzergräben auszuheben. Das erwähnt Weber nur und erzählt weiter nichts dazu. Von dort geht es für ihn direkt zum Arbeitsdienst. Doch die Jugendlichen arbeiten nicht mehr, wie es der eigentliche Sinn dieses Dienstes ursprünglich war. Die Arbeit als "Ehrendienst am Volke" hat einer rein "vormilitärische[n] Ausbildung" Platz gemacht, wie Weber betont: "Geländedienst, äh, ähm, also tarnen und sich eingraben, und Schießübungen und all diese Dinge wurden gemacht, Kartenlesen, äh, also, fing diese vormilitärische Ausbildung eigentlich sehr früh schon an beim Arbeitsdienst."
"Vormilitärisch" ging es für seine Altersgruppe sogar schon bei der Hitlerjugend zu, "wo man Soldat spielen konnte, ich möchte das mal so (hmhm) sagen (hmhm), aber mit einem sehr ernsten Hintergrund". Unteroffiziere und Feldwebel, nicht mehr "kriegsverwendungsfähig", aber mit "Kriegserfahrung", bringen den Jugendlichen bei "wie man sich im Gelände verhält, wie man Karten liest, und äh wie man sich eingräbt äh, wie man sich vor Fliegerangriffen schützt (hmhm), wie man sich vor Panzerangriffen schützt".
Das alles erzählt Weber, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Ja, spätestens in der Rückschau wird der militärische Drill von Jugendlichen zur notwendigen Vorkehrung für eine Zeit voller Gefahren. Weber fühlt sich gut vorbereitet auf das, was er noch erleben soll:

"[…] und ich muss sagen, später habe ich auch sehr viel davon profitiert, von dem, was die uns beigebracht haben. Man ist so in manche äh Sache nicht hineingetappt aus Dummheit oder Unvorsichtigkeit, weil man auf Gefahren und Verhaltensweisen sehr recht- sehr zeitig hingewiesen worden ist (hmhm). Und je jünger man ist, um so aufnahmefähiger ist man ja (hmhm) für solche Sachen."

Der Wehrdienst beginnt für ihn am 20. Januar 1945 in der Nähe von Breslau. Zum "Beweis" legt er mir seine Papiere vor, die seine Angaben belegen. Doch seine erste Begegnung mit dem Krieg hat er schon vorher:

"[…] bin ich dann eigentlich das erste Mal richtig mit 'm Krieg in Berührung gekommen, weil derzeit schon die ganzen Flüchtlingsströme aus Posen und äh, ja, äh zum Teil aus Oberschlesien schon kamen, die ganzen Bahnverbindungen war'n schon gestört, die Bahnhöfe, die war'n also, quollen über mit Menschen, die da mit Sack und Pack äh vor den Russen flüchteten."

Dass der Krieg, den er erlebt hat, Chaos und Auflösung war, ist mit dieser Szene schon benannt. Doch Weber erzählt das alles ganz ungerührt. Eingekleidet und ausgerüstet mit einem Beutegewehr und 19 Schuss Munition, werden sie nach Breslau zur Verteidigung der Stadt geschickt. "Und, äh eine andere Munition als die spezielle Munition passte dazu nicht, also konnte man sich ja ausrechnen wie primitiv die Bewaffnung schon war."
Mehr erzählt Weber nicht über diese Stadt, die - bis dahin völlig unzerstört - zur "Festung" erklärt und in erbarmungslosen Straßenkämpfen und der wegen des abgelehnten Kapitulationsangebots ausgelösten Luftangriffe in Schutt und Asche gelegt wurde. Lediglich eine Andeutung von eigener Gefährdung liegt in dem Satz "sind wir also gerade noch im letzten Augenblick, so am 24. Januar, 25. Januar muss das gewesen sein, aus Breslau rausgekommen".
Betrachtet man die erste Szene, die er mit Krieg verbindet, und das, was sich hinter der Chiffre "Breslau" verbirgt, dann ist Krieg in seinem Sinne der Versuch, die Rote Armee aufzuhalten. Kriegseinsätze erlebt Weber offenbar nicht mehr. Seine weitere Erinnerung erzählt vom Chaos, vom Herumgeschicktwerden, vom Herumirren, von schlechter Versorgung und vor allem von Hunger. Seine Einheit wird in eine Kaserne verlegt, wo sie unter übelsten Bedingungen untergebracht werden:

"[…] und wir kamen dann in so eine, ja wie soll ich sagen, Sommerbaracke, da waren die Bretter noch nich' mal aus Nut und Feder (lacht), und das war im Januar, da pfiff dann der Wind durch, äh wir hatten da so Doppelstockbetten mit Strohsäcken, und unter den Strohsäcken war'n Bretter, die haben wir dann nach und nach verheizt. Wir hatten dann nachher in den Betten nur noch drei Bretter: eins unterm Kopf, eins unterm Hintern - Entschuldigung wenn ich das mal so sage (hmhm) - und eines nachher unter den Füßen."


Mank, Ute
Ute Mank, Dr. phil., Diplom-Pädagogin, ist freiberuflich in den Bereichen Erwachsenenbildung und Journalismus tätig.

Ute Mank, Dr. phil., Diplom-Pädagogin, ist freiberuflich in den Bereichen Erwachsenenbildung und Journalismus tätig.



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