Mak Die Brücke von Istanbul
1. Auflage 2009
ISBN: 978-3-641-01951-8
Verlag: Pantheon
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine Reise zwischen Orient und Okzident
E-Book, Deutsch, 128 Seiten
ISBN: 978-3-641-01951-8
Verlag: Pantheon
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das neue Buch von Geert Mak: die Brücke zwischen Abendland und Morgenland
Nach seinem Bestseller 'In Europa' widmet sich Geert Mak in seinem neuen Buch Geschichte und Gegenwart der Stadt Istanbul. Hier verläuft die Grenze zwischen Europa und Asien, hier berühren sich Orient und Okzident. Indem Mak die berühmte Galatabrücke überquert, macht er sich auf die Suche nach dem Innersten der türkischen Metropole. Eine glänzende Schilderung von Vergangenheit und Gegenwart Istanbuls, der faszinierenden Stadt am Bosporus.Wollte man ein Bauwerk auswählen, um die Geschichte Istanbuls, der einzigen Metropole, die auf zwei Kontinenten liegt, zu erzählen, dann müsste es die Galatabrücke sein. Seit eineinhalb Jahrhunderten ist sie der eigentliche Lebensnerv der Stadt, mit ihr verbindet sich das alte und das neue Istanbul, hier berühren sich Abend- und Morgenland. Sie ist ein Bauwerk, an dem sich Gegensätze verbinden und historische Ereignisse verdichten. So werden die Anlegestellen der Fähren zur Inspirationsquelle der Dichter, die Bars im Untergeschoss der Brücke zum Treffpunkt der besten Taschendiebe Europas.
In seinem Buch kommt Geert Mak, der große europäische Geschichtsschreiber und Reiseschriftsteller, mit den Straßenhändlern und Zigarettenjungen, den Teehändlern und flanierenden Touristen ins Gespräch. Er beschreitet die 484 Meter dieser Brücke und erzählt dabei auf seine unnachahmliche Art von kleinen Geschichten und großer Geschichte im wechselvollen Leben einer großartigen Stadt.
Geert Mak, geboren 1946, ist einer der bekanntesten Publizisten der Niederlande und gehört nach drei großen Bestsellern zu den wichtigsten Sachbuchautoren des Landes. Zu seinen bekanntesten Veröffentlichungen zählen »Amsterdam« (1997), »Das Jahrhundert meines Vaters« (2003) und »In Europa« (2005). Zuletzt erschienen »Amerika! Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten« (2013) sowie »Die vielen Leben des Jan Six« (2016). Für sein Werk erhielt Geert Mak 2008 den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung. Seine Bücher sind internationale Bestseller und wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.
Weitere Infos & Material
1;I SCHWARZER WIND;8
2;II STURM DER GERÖSTETEN WALNÜSSE;22
3;III STURM DER SCHWÄNE;42
4;IV STURM DER AMSELN;70
5;V STURM DER WINDMÜHLEN;94
6;VI FISCHSTURM;114
7;DANK;124
8;LITERATUR;126
V STURM DER WINDMÜHLEN (S. 93-94)
Istanbul gehört zu einem klassischen Stadttypus, wie ihn Amsterdam um die Mitte des 19. Jahrhunderts repräsentierte: Die Armen hausen im alten Kern, die Mittelklasse wohnt um dieses Zentrum herum, wobei der Wohlstand mit der Entfernung zunimmt, und der Reichtum – davon gibt es nämlich auch hier jede Menge – residiert im Grünen, auf den Inseln oder in den Luxusvierteln am anderen Ufer des Bosporus. Damit entspricht die Stadt einem alten Muster. Schon seit der Frühzeit Konstantinopels waren die Höhenlagen für die Reichen reserviert. Von deren Häusern und Palästen flossen ständig Urin und Kot hangabwärts – die Stadt besaß keine Kanalisation –, bis sie im Meer verschwanden. Dem topographischen entsprach das soziale Gefälle: Je tiefer am Hang ein Haus stand, desto mehr Unrat sammelte sich dort an, und desto bescheidener war der Status seiner Bewohner. Wer am Fuß der Hügel wohnte, lebte also immer im Dreck der Reichen, damit musste er sich abfinden.
In solchen Vierteln sind die Unterkünfte des Sohlenmanns, des alten Lastträgers und des blinden Flötenspielers, auch die meisten Zigarettenjungen leben dort. An einem dieser alten Unratbäche, hinter den Straßen der Klempner, Pumpenmacher und Elektriker, wohnt der Buchhändler. Drei Betontreppen hoch, eine abgeschabte Tür, dahinter ein Arbeitszimmer, das mit Ware und kostbaren Erinnerungsstücken vollgestopft ist. Da sieht man alte Spielzeugautos, Kugelschreibersets, Fläschchen, Modelleisenbahnwagen, eine Handvoll CDs, einen hellblauen Plastikwohnwagen, einen Ka lender von 1994, eine Gedichtsammlung von Nâzým Hikmet, ein rotes Schutzblech von einem Kinderrad. Er lebt allein.
Vor zehn Jahren sind seine Frau und sein zehnjähriger Sohn bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Er hat noch eine Tochter, aber die studiert in einer anderen Stadt. Am meisten verdient er an Restposten, beschlagnahmter Ware, die er dem Staat abkauft. Zwölftausend von diesen Schutzblechen hat er in einem Lagerhaus deponiert. Er zeigt mir einen Gürtel aus durchsichtigem Plastik mit einem winzigen Bärchen daran: Davon hat er zwanzigtausend auf Lager. Alte Fotos laufen auch hervorragend. Ein Liebhaber sammelt jede Art von Fotos, auf denen ein Kind mit irgendeinem Spielzeug zu sehen ist. Sehr guter Kunde.
Der Buchhändler hat ein schmales Gesicht, einen kleinen Schnurrbart, lebendige Augen. »Ich rede nicht viel«, sagt er. »Ich konkurriere nicht mit den anderen. Wenn sie schließen, mache ich auf, immer von halb sechs bis neun. Ich führe keine gewöhnlichen Bücher, am liebsten verkaufe ich Fotobände und Lyrik. Ich habe meine Spezialkunden, die mich immer finden. Studenten, sogar ein Professor. Hier, dieses Buch über Holland zum Beispiel.« Er reicht mir ein fleckiges Reisebuch aus den achtziger Jahren. Ein Schränkchen mit drei Brettern enthält seine Bibliothek. Türkische Titel, aber auch Pablo Neruda, Alexander Puschkin, Majakowski, Knut Hamsun, er lässt die Namen genüsslich auf der Zunge zergehen. »Ich habe alles von ihnen gelernt – wie die Menschen sind, wie man sie zu nehmen hat.«