E-Book, Deutsch, 208 Seiten
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
ISBN: 978-3-7562-8141-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Einleitung.
NIEMALS hat eine politische Schrift so gewaltiges Aufsehen erregt, und so viel gewirkt, als Machiavellis hochberühmtes Buch vom Fürsten. Der Name des Verfassers ist durch die sogar in Staatsschriften als Kunstausdruck übliche Benennung des Machiavellismus auch der großen Menge bekannt geworden, die das Buch selbst nicht gelesen hat. Aber unter den Großen und ihren Ministern haben sich viele danach gebildet. Hier glaubten sie das, was sie in einzelnen schlimmen Augenblicken getan, oder noch zu tun Lust hatten, durch zusammenhängende Grundsätze gerechtfertigt zu finden. Die es so benutzten, mögen oft ungehalten darüber geworden sein, daß alles, was sie sich, aber auch nur sich selbst, und als Ausnahme von der Regel erlauben wollten, in allgemeinen Maximen öffentlich aufgestellt, und dadurch Verdacht gegen ihre Absichten erregt ward. Daher ist es am lautesten von denen angeklagt, die am meisten daraus gelernt hatten. Andere Leser sind durch den Widerspruch, in welchem dieser Inbegriff fürstlicher Weisheit mit der gewöhnlichen Moral steht, zu dem Zweifel veranlaßt worden, ob das Buch wohl im Ernst geschrieben sei? Da sie die Bewunderung, welche der durchdringende Beobachtungsgeist und das treffende Urteil des Verfassers jedem abnötigt, der politische Verhältnisse zu beurteilen vermag, mit ihrem Widerwillen gegen die freche Immoralität, zu welcher seine Grundsätze führen, nicht zu vereinigen wußten, so haben sie geglaubt, Machiavelli möge wohl das vollständige Gemälde der Tyrannei und der Mittel zu ihr zu gelangen, in der Absicht entworfen haben, um den Tyrannen in der verabscheuungswürdigsten Gestalt darzustellen. Mehrere italienische Schriftsteller haben diese Auslegung sehr früh gemacht, um dem Geschrei zu begegnen, das sich bald nach der öffentlichen Bekanntmachung des Werkes erhob. Die Vermutung erhält einigen Anschein durch den Widerspruch, in welchem die Gesinnungen, welche in diesem Buch herrschen, mit anderen Schriften des Verfassers zu stehen scheinen, und der um so auffallender ist, da das Buch vom Fürsten und die Betrachtungen über den Livius offenbar nicht in ganz verschiedenen Perioden seines Lebens geschrieben sind. Er bezieht sich in jeder derselben auf die andere, und hat sie also, wenigstens späterhin, zugleich wieder überarbeitet. Aber man kann dieser Erklärung durchaus keinen Beifall geben, sobald man das Buch selbst unbefangen liest. Es ist mit solchem Ernst geschrieben, mit solchem Nachdruck, und was noch mehr ist, es enthält auf jeder Seite so viel Wahrheit, daß man das Ganze unmöglich für Ironie halten kann. So treffende Lehren können nicht aus republikanischem Haß gegen die Tyrannei gegeben sein, damit der Tyrann ins Verderben renne: diesen Zweck hätten sie sicherlich verfehlt! Wer den Verfasser aus der Geschichte kennengelernt hat, wird auch nicht durch die Erklärung befriedigt, daß er hier die Naturgeschichte der Tyrannei gezeichnet habe, so wie er die Theorie der Republik in den Diskursen über den Livius abhandelt. Machiavelli war kein gleichgültiger Zuschauer und bloßer Beobachter der politischen Welt. In allen seinen Schriften herrscht ein praktischer Geist. Seine Diskurse beweisen das lebhafteste Interesse an der Erhaltung und der Größe einer Republik. Sie sind ganz im Ton eines Mannes geschrieben, der selbst dazu mitwirken möchte, sie zu errichten oder zu befestigen. Ebenso kräftige Ratschläge für den, der sich auf der errungenen Stelle eines Regenten erhalten will, ebenso nachdrückliche Empfehlungen der wirksamsten Mittel, ebenso lebhafte Verachtung des Zweckwidrigen, findet man in dem Buch vom Fürsten. Die Auflösung dieses rätselhaften Widerspruchs ist in dem Zustand Italiens und in der Lebensgeschichte des Verfassers zu suchen.1 Man versteht ja überhaupt keinen ausgezeichneten Schriftsteller vollkommen, wenn man nicht eine lebendige Kenntnis von seiner Nation und seinem Zeitalter, und ein feineres Gefühl für ihre Art zu empfinden, aus den einheimischen Geschichtsschreibern erlangt hat, welche selbst die Gesinnungen ihrer Nation teilen, und nicht bloß die Handlungen der Menschen, sondern ihre Quelle, die eigentümliche Gemütsart, darstellen. Aus solchen erhält man eine ganz andere Einsicht in den Zusammenhang der Begebenheiten, als aus der genauesten und sorgfältigsten Erzählung eines Fremden. Die italienische Nation zeichnet sich durch eine ungemeine Lebhaftigkeit aller Empfindungen und Leidenschaften aus, die ihren Gegenstand mit dem Feuer unauslöschlicher Begierde ergreift, und nie abläßt. So wie man von den Franzosen nicht ohne Grund sagt, daß sie aus allem Ernst Scherz machen, und dadurch so oft selbst ein Spiel ihrer eigenen witzigen Laune werden, so machen die Italiener aus allem Scherz Ernst. In allen Handlungen der Franzosen erscheint ein feines und unaufhörlich reges Ehrgefühl als die herrschende Triebfeder. Dieses zeigt sich in den schlechtesten, wie in den vorzüglichsten Individuen der Nation, auf verschiedene Art, aber immer gleich stark. Alle französischen Raisonnements über sittliche Gegenstände erhalten dadurch eine ganz eigene Farbe, und in der Geschichte des Volks spielt es die Hauptrolle. Aus der Verbindung dieses äußerst reizbaren Ehrgefühls, und der feinen Beobachtung aller Konvenienzen des Augenblicks, worin die Franzosen allen anderen so sehr überlegen sind, mit ihrer launigen Gemütsstimmung, entspringt eine Versatilität, von der man in der Geschichte der Italiener keine Spur findet. Diesen kommt es immer auf die Sache an, die sie wollen. Die bürgerlichen Unruhen, die ganz Italien so viele Jahrhunderte lang zerrissen haben, wären durch bloße Begebenheiten und Zufälle nicht so lange unterhalten. Ihr Charakter ist wesentlich verschieden von dem Fraktionsgeist in der französischen Geschichte. Mit der Tenazität der Italiener ist eine tiefe Verschmitztheit nahe verwandt, die mit der Falschheit eines versatilen Menschen, der sein Vergnügen daran findet, mit anderen zu spielen, und schon dadurch befriedigt wird, wenn er sie äfft, durchaus keine Ähnlichkeit hat. Es ist bekannt, daß nichts in der Welt mit der Politik des römischen Hofes verglichen werden kann, und daß die geistliche Intrige, als ein zusammenhängendes System die Zwecke der Herrschsucht zu erreichen, für das vollkommenste Erzeugnis des menschlichen Geistes in seiner Art angesehen werden muß. Dies Meisterstück eines feinen und dauerhaften Gewebes konnte nur in Italien zustande gebracht werden, und hat wieder einen großen Einfluß auf die Denkungsart der italienischen Staatsmänner gehabt, die ihre Aufmerksamkeit unaufhörlich auf den päpstlichen Stuhl richten mußten, welcher durch seine Bemühungen, die christliche Kirche zu beherrschen, zugleich mit in alle weltlichen Händel von Italien verwickelt ward. In diesem ganzen Lande ist von alters her ein republikanischer Geist verbreitet gewesen, und hat viele Jahrhunderte lang einen unaufhörlichen Kampf mit der Herrschsucht einzelner Häupter geführt, die in den inneren Bewegungen übel geordneter Gemeinden die Mittel fanden, sich zu erheben. Unter der großen Zahl italienischer Republiken war allein Venedig schon früh zu einer festen Verfassung und inneren Ruhe gelangt. In allen übrigen verfolgten und vertrieben einander Parteien: ebenso wie vormals in den griechischen Freistaaten einzelne Geschlechter mit ihrem Anhang, und Fraktionen, von Optimaten, von Bürgern, und von kleinem Volk, alles untereinander kämpfte, und sich wechselweise austrieb. Solchem inneren Zwist war ganz vorzüglich das Vaterland des Machiavelli unterworfen; eine der stürmischsten Republiken, die jemals existiert haben. Die Geschichte der letzten hundert Jahre, wo Florenz als Freistaat bestand, von 1432 an, da Cosmus der Große von Medici zurückberufen ward und die Leitung aller öffentlichen Angelegenheiten ergriff, bis zu der endlichen Ernennung eines seiner Seitenverwandten, Cosmus I., zum Herzog, im Jahre 1536, gehört zu den interessantesten Partien der ganzen Weltgeschichte. Vorzüglich ist die letzte Hälfte dieses Zeitraums äußerst lehrreich, wegen der mannigfaltigen Abwechslungen der Verfassung, die beinahe zu allen Lehrsätzen der Politik Beispiele wirklicher Erfahrung bieten.2 Florenz war während des 15. Jahrhunderts durch das überwiegende Ansehen zweier Männer aus dem Hause Medici beruhigt, und in die Zeiten des letzteren von ihnen fiel Machiavellis Jugend. Cosmus der Große und Lorenzo, sein Großsohn, hatten als einfache Bürger die Angelegenheiten ihres Vaterlandes geleitet, und großen Einfluß auf das Schicksal von ganz Italien gehabt. Machiavelli kannte den ganzen Umfang ihrer Talente und Verdienste: er redet von ihnen mit Wärme und mit dem Wohlgefallen, welches niemand, ungeachtet aller Verschiedenheit der Grundsätze und Gesinnungen, demjenigen versagen kann, durch welchen das Vaterland zu Ehre, Macht und Reichtum gelangt ist. Die Größe des letzten von jenen beiden ausgezeichneten Männern hatte Machiavelli selbst noch gesehen. Er war etwas über...