E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Maas Die Happiness-Lüge
1. Auflage, Ungekürzte Ausgabe 2021
ISBN: 978-3-95910-323-7
Verlag: Eden Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Wenn positives Denken toxisch wird
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-95910-323-7
Verlag: Eden Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Anna Maas wurde 1988 in Remscheid geboren und wuchs in Oldenburg auf. Nach dem Abitur zog es sie nach Hamburg und München, wo sie Medien- und Kommunikationswissenschaften sowie TV-Journalismus studierte. Mittlerweile ist sie als Journalistin und Content-Allrounderin auf freiberuflicher Basis für verschiedene Medien und Unternehmen tätig. 2018 startete sie ihren Blog »THINK FEM«, auf dem sie über Gleichberechtigung, Mutterschaft und beeindruckende Frauen schreibt. Gemeinsam mit ihrer Familie lebt sie in der Nähe von Hamburg.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
DIE WERBUNG SAGT: ALLES IST GUT! ICH SAGE: ECHT JETZT?
Seit einigen Jahren arbeite ich als Texterin für werbliche Formate. Ich schreibe Advertorials (das sind kurz gesagt redaktionell anmutende Werbeanzeigen), Artikel für Unternehmensblogs oder auch klassische Slogans. Egal aus welchem Themenbereich die Kund*innen kommen, Beauty, Food, Auto, Technik, Finanzen oder Familie, sie alle haben eines gemeinsam: Sie möchten positiv präsentiert werden. Die häufigste Kritik, die ich in meinen Jahren als Texterin geerntet habe, war: »Dieser Satz ist uns noch etwas zu negativ. Bitte positiver formulieren!«
Meinen Auftraggeber*innen geht es darum, dass jedes Wort, jeder Satz und jede Anekdote in meinen Texten bei den Endkund*innen für ein gutes Gefühl sorgen soll. Marken wollen, dass die Verbraucher*innen sich mit ihren Produkten oder Dienstleistungen wohlfühlen und dieses wohlige Gefühl mit der Marke assoziieren. Und selbst wenn das beworbene Produkt ein Problem löst, soll dieses Problem bestenfalls nicht klar benannt werden. Probleme sind böse. Marken stehen nicht für Probleme, sondern für Lösungen.
Ein Beispiel: Einmal habe ich einen Text für eine Antifaltencreme geschrieben. Die Zielgruppe: weiblich. Die Realität ist eigentlich jeder und jedem bekannt: Frauen werden älter, bekommen Falten, ärgern sich und kaufen deshalb ein Produkt, das ihnen bestenfalls dabei hilft, sich beim Blick in den Spiegel wieder jünger und wohler in ihrer Haut zu fühlen. Ob das funktioniert, ist ein anderes Thema. Die Frage, wieso das Altern so negativ konnotiert ist, ebenfalls. Doch die rein faktische Aussage, dass Frauen älter werden und Falten bekommen, sich womöglich auch noch darüber ärgern, ist in den Augen des Kunden … na ja, sagen wir’s mal so: unschön. Älter werden, Falten, sich ärgern? Das alles klingt nach einem unguten Gefühl. Keiner mag ungute Gefühle.
Bereits der (komplett faltenfreie!) Satz »Das mit dem Altern ist so eine Sache« wurde mir gestrichen. Das klinge so leidend. Und dieses Wort, »Altern«, das könne man doch bestimmt umgehen? Ähm, okay. Meine Herausforderung lautete also: Wie schaffe ich es, die Lösung für das Problem zu präsentieren, ohne dabei das Problem klar zu benennen? Letztendlich wand ich mich um die »schwierigen« Aussagen herum, indem ich davon erzählte, wie großartig es doch sei, mit den Jahren immer gelassener zu werden. Ich beschrieb das Gefühl, mit beiden Beinen fest auf dem Boden zu stehen und zu wissen, wer man ist. Man werde klüger, entspannter, wisse die Dinge besser einzuschätzen. Und die Antifaltencreme der Marke XY helfe dabei, genau dieses Selbstbewusstsein auch auszustrahlen. Zack, der Kunde war glücklich! Und ich fühlte mich zwar ein kleines bisschen schuldig, mal wieder daran mitgearbeitet zu haben, die Heile-Welt-Fassade in der Werbung aufrechtzuerhalten, doch gleichzeitig – das gebe ich zu – tanzte mein Texterherz. Ich hatte den Eisberg mit meinem sprachlichen Geschick gut umschifft.
Etwas Ähnliches ist mir kürzlich bei einem Werbespot im Fernsehen aufgefallen. Es geht in diesem Werbespot um Tiefkühlpizza. Ja, zugegeben, ich zähle mich zur Zielgruppe. Wir haben immer Tiefkühlpizza zu Hause. Wenn der Tag hektisch war, ich beim Blick ins Schlafzimmer vor lauter Wäschebergen das Bett nicht sehe, auf dem Laptop noch fünf Mails darauf warten, beantwortet zu werden, und der Kühlschrank sowieso fast leer ist, habe ich einfach keine Lust mehr auf Einkaufen, Kochen und das anschließende Aufräumen der Küche. An solchen Tagen rettet Tiefkühlpizza mir den Abend. Ich weiß, ernährungstechnisch gibt es bessere Fast-Food-Alternativen. Aber Vernunft und Hunger passen eben nicht immer zusammen …
Ich sitze also auf unserer Couch, die Pizza, die ich gerade aus dem Ofen geholt habe, vor mir, und im Fernsehen läuft diese Werbung. Der Spot setzt sich aus verschiedenen Szenen zusammen: Drei Männer, alle tiefenentspannt und gut aussehend, bereiten mit ganz viel Gefühl eine Tiefkühlpizza als kulinarischen Hochgenuss für ihre Liebste zu. Weiches Licht und italienische Musik vermitteln, dass die Pizza keine Notlösung, sondern eine Offenbarung ist. Beim romantischen Candle-Light-Dinner schneidet dann eine der Frauen – ein absolutes Topmodel natürlich! – winzige Stückchen der Pizza ab, während sie und ihr Liebster sich feurige Blicke zuwerfen. Selbstverständlich schmeckt das Ding wie beim Lieblingsitaliener, nur dass das private Umfeld für noch mehr Intimität sorgt und so Platz für die ganz großen Gefühle ermöglicht.
Uff. Mal abgesehen von dem abgedroschenen Klischee, dass Männer selbst für ein romantisches Date offenbar nicht mehr als eine Tiefkühlpizza zustande bringen, ist das gesamte Bild einfach völlig realitätsfern. Allein schon wie diese Frau die Pizza schneidet: diese winzige Ecke! Hallo, wer macht denn so was? Ich schüttle den Kopf, nehme mir ein großes Pizzastück und beiße genüsslich hinein. Dabei tropft etwas Soße auf meinen Kapuzenpullover. Was soll’s. Hallo, Realität!
Analysiert man einzelne Werbeanzeigen und Spots mit solch einem realistischen Blick, kann man darüber gelassen schmunzeln. Doch oft nehmen wir Werbung nur nebenbei wahr. Wir denken nicht allzu viel darüber nach, wie dieses Medium aufgebaut ist und ob die gezeigten Szenen so wirklich stattfinden würden. Auf diese Weise wird uns Tag für Tag ein Bild des »guten Lebens« eingetrichtert. Dieses Leben beinhaltet keine Emotionen, die sich schlecht anfühlen. Es zeigt, dass man aus jeder Situation das Beste machen kann, dass es allen immer gut geht, dass wir mit einem positiven Blick durchs Leben gehen und dabei, na klar, jede Menge konsumieren sollten. Ich möchte das Thema Konsumkritik hier gar nicht aufmachen, es geht mir an dieser Stelle allein um die Botschaft, die sich bei uns verfestigt, nämlich: Das optimale Leben, also das Leben, das gesellschaftlich anerkannt ist, besteht aus guten, positiven Gefühlen. Uns wird nicht nur die oft diskutierte und vielfach kritisierte Idealfigur, sondern ein ganzes Idealleben präsentiert. Und in diesem gilt vor allem: Sei glücklich!
Kein Wunder, dass wir uns »falsch« fühlen, wenn unser Leben anders als in der Werbung aussieht. Es könnte sein, dass das Date ziemlich mies läuft, wenn man Tiefkühlpizza auf den Tisch bringt. Es könnte sein, dass sich Altern manchmal gar nicht nach Gelassenheit und »voll im Leben stehen« anfühlt, sondern dass man einfach nur frustriert ist, dass der Körper nicht mehr so aussieht wie früher – und dass diese beknackte Creme daran einfach mal gar nichts ändert! Frust, Ärger und Wut kommen in diesem medialen Idealleben nicht vor. Genauso kritisch, wie wir die Speckröllchen im Spiegel betrachten, die nicht der Idealfigur entsprechen, schauen wir auch auf unsere unangenehmen Gefühle. Sie sind ein Makel, den wir beheben sollten, um auch ja das ideale Leben zu führen. Ja, das ist Toxic Positivity. Und ja, dieser Message begegnen wir tagtäglich.
Glamour, Glitzer, großes Glück? Die Welt der Influencer*innen
Die Medienwelt besteht seit Jahren nicht mehr nur aus Printmagazinen und TV-Spots. Heutzutage begleitet uns das Internet, vor allem die Social-Media-Welt, durch unseren Alltag. Laut des »Digital Report 2019« von We Are Social in Zusammenarbeit mit Hootsuite verbringen Menschen weltweit täglich etwa zwei Stunden und 16 Minuten mit Social Media, in Deutschland ist es täglich knapp über eine Stunde.8 So konnte sich in den letzten Jahren ein völlig neues Berufsbild etablieren: der*die Influencer*in. Laut einer Bitkom-Studie von 2018 haben 56 Prozent aller Social-Media-Nutzer*innen bereits von diesem Begriff gehört, inzwischen dürften es noch mehr sein. In der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen folgte schon 2018 fast die Hälfte (44 Prozent) bestimmten Social-Media-Stars.9
Der Großteil dieser Influencer*innen verkörpert ein strahlend schönes Idealbild. Sie zeigen sich fröhlich, gut gelaunt, reisen an die schönsten Orte der Erde, treffen die angesagtesten Persönlichkeiten, feiern viel, genießen gutes Essen und bekommen dabei auch noch eine Menge geschenkt. Die Social-Media-Kanäle der Influencer*innen vermitteln das Gefühl, dass sie ihren Follower*innen jeden Tag Einblicke in ihr echtes Leben gewähren, man kann ihren (oft glamourösen) Alltag verfolgen und vermeintlich authentische Augenblicke miterleben. Dabei sind sie immer gut drauf und betonen stets, wie unendlich dankbar sie für jede Minute ihres Lebens sind.
Natürlich gibt es auch einen passenden Hashtag dazu, #blessed, der unter so ziemlich jedes Bild gepostet wird, das man sich nur vorstellen kann. Die Suche nach dem Hashtag auf Instagram ergibt aktuell über 129 Millionen Ergebnisse. »Blessed« heißt übersetzt so viel wie »gesegnet« oder »selig«. Bei einem Post, bei dem es um eine kirchliche Hochzeit oder eine Taufe geht, mag das stimmen. Aber unter einem Bild von einem Pumpkin Spice Latte von Starbucks? #blessed und #thankful sind sie eigentlich immer, die Influencer*innen, wenn sie ihr #goodlife mit all den #goodvibes leben. Beim Frühstück, beim Sport, beim Presseevent, beim Besuch bei ihren Eltern. Denn Dankbarkeit und gute Gefühle, das ist etwas Gutes, das haben wir so gelernt. Das kommt gut an, das bringt Likes. Likes bringen Glücksgefühle und, wenn es um die »Profis« bei Instagram geht, Geld. Zumindest ein Teil des medialen Happiness- und Dankbarkeits-Hypes entpuppt sich somit als kapitalistisches Konstrukt – am Ende geht es vor allem darum, gut anzukommen und damit Geld zu verdienen. Dankbarkeit wird zur Form der...