E-Book, Deutsch, Band 3, 160 Seiten
Reihe: Das Sams
E-Book, Deutsch, Band 3, 160 Seiten
Reihe: Das Sams
ISBN: 978-3-86274-576-0
Verlag: Verlag Friedrich Oetinger GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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1. Kapitel Ein Kartenspiel mit Fehlern Es war Mitternacht und Herr Taschenbier saß auf dem Dach von Frau Rotkohls Haus. Er klammerte sich mit beiden Händen am Kamin fest, zitterte vor Aufregung und Furcht, hielt den Kopf starr geradeaus gerichtet und bemühte sich, nicht nach unten zu gucken, in die Tiefe. Neben ihm auf dem Dachfirst saß das Sams und ließ die Beine baumeln. Wie die beiden da hinaufgekommen waren? Ganz freiwillig. Vor zehn Minuten hatten sie sich durch die enge Dachluke gezwängt und waren über die glatten, rutschigen Ziegel vorsichtig nach oben zum Dachfirst geklettert. Was Herr Taschenbier da oben wollte? Neue Punkte für das Sams! Weshalb er dazu um Mitternacht aufs Hausdach stieg? Auch das lässt sich erklären. Allerdings fängt man da besser mit dem Samstag an. Oder noch besser mit dem Freitag, als alles begann. Am Freitag hatte Herr Taschenbier den allerletzten blauen Punkt weggewünscht, den ihm das Sams aufgehoben hatte, gut versteckt hinter dem linken Ohr. Er hatte gar nicht lange nachgedacht, was er wünschen solle, hatte nur tief Luft geholt und langsam und feierlich gesagt: »Ich wünsche, dass das Sams immer bei mir bleibt.« Damit war der letzte blaue Punkt verschwunden und Herrn Taschenbiers sehnlichster Wunsch war in Erfüllung gegangen. Am Tag danach, am Samstag also, kamen Herrn Taschenbier schon die ersten Zweifel, ob er wirklich den besten aller Wünsche ausgesprochen hatte. Das war, als er mit dem Sams Karten spielen wollte. Herr Taschenbier saß am Tisch und mischte die Spielkarten. Das Sams hopste unterdessen im Bett auf und nieder und sang dazu im Takt: »Ich freue mich, drum hüpf ich so, als wäre ich ein Affenfloh. Ich freue mich, jetzt bleib ich hier bei meinem Papa Taschenbier.« Herr Taschenbier sagte: »Ich freue mich ja auch. Trotzdem wäre es schöner, wenn du dich ein wenig leiser freuen könntest.« »Noch leiser? Das kann ich leider nicht, Papa. Samsregel Nummer dreiundzwanzig: Wer sich freut, soll ganz laut singen und dabei vor allen Dingen singend in die Höhe springen.« Herr Taschenbier lachte. Er sagte: »Taschenbierregel vierundzwanzig: Wenn du Karten spielen willst, sollst du am Tisch sitzen und nicht auf meinem Bett herumhopsen!« »Du hast aber merkwürdige Regeln«, sagte das Sams. »Die reimen sich ja nicht mal!« Es hörte auf zu hüpfen und rief: »Zum Sitzen flitzen! Die Karten warten! Ich zisch zum Tisch! Absprung mit Schwung!« Es nahm zwei Schritt Anlauf, sprang mit einem großen Satz vom Bett in den Sessel und hüpfte von da auf den Stuhl. Der Stuhl kippte, das Sams stürzte. Es versuchte sich an der Tischdecke festzuhalten, riss sie vom Tisch und mit ihr alle Karten, einen Bleistift, einen Schreibblock, Herrn Taschenbiers Lesebrille und eine Vase voller Tulpen. Im Fallen griff das Sams nach der Blumenvase, bekam sie zu fassen und kugelte mit ihr unter den Tisch. Als sich Herr Taschenbier von seinem Schreck erholt hatte und unter den Tisch guckte, saß das Sams da mit der unversehrten Vase und allen Blumen in der einen Hand, Herrn Taschenbiers Brille in der anderen, grinste und sagte: »Sturz kurz! Fall mit Knall! Papa entsetzt, Sams unverletzt!« »Hast du dir wirklich nicht wehgetan?«, fragte Herr Taschenbier. »Nein, hab ich nicht«, sagte das Sams und sammelte die Spielkarten vom Boden auf. »Die Karten sind jetzt bestens gemischt, wir können sofort anfangen.« Herr Taschenbier legte die Decke wieder auf den Tisch, mischte die Karten noch einmal und sagte: »Nun setzt du dich aber bitte schön ganz normal auf deinen Stuhl, ohne Hüpfen und Stürzen!« »Mach ich, Papa«, sagte das Sams und setzte sich. »Ich sitz wie der Blitz!« Herr Taschenbier begann die Karten auszuteilen. »Bei ›Sechsundsechzig‹ bekommt jeder sechs Karten«, erklärte er dabei dem Sams. »Jeder?«, fragte das Sams. »Also du und ich und Herr Mon und Frau Rotkohl und Herr Oberstein und Herr Lürcher und …« »Ich meine, jeder von uns beiden bekommt sechs Karten«, stellte Herr Taschenbier richtig. »Das hier sind deine.« »Meine? Alle sechs? Danke, Papa, danke!« Das Sams freute sich. Herr Taschenbier deckte die dreizehnte Karte auf und legte sie auf den Tisch: die Herz-Neun. »Herz ist also Trumpf«, sagte er. »Du fängst an!« Das Sams nahm seine Karten vom Tisch auf, steckte sie nebeneinander in die linke Hand, betrachtete sie eingehend von vorne und von der Rückseite, beschnupperte jedes Kartenblatt einzeln, überlegte, kratzte sich am Bauch und wackelte unschlüssig mit der Rüsselnase hin und her. »Nun mach schon!«, drängte Herr Taschenbier. »Spiel endlich aus. Was gibt’s da so lange zu überlegen?« »Ich weiß nicht, womit ich anfangen soll«, sagte das Sams. »Sind die roten Karten besser oder die schwarzen?« »Die roten natürlich. Die mit einem Herz drauf«, sagte Herr Taschenbier. »Ich hab dir die Spielregeln doch vorher erklärt. Hast du sie schon wieder vergessen?« »Nein, hab ich nicht.« »Dann fang endlich an zu karten!« »Das tu ich, Papa. Gleich sofort«, versprach das Sams, fing aber erst mal an zu singen: »Regeln regeln jedes Spiel; das darf ich nicht vergessen. Flegel flegeln furchtbar viel, besonders, wenn sie essen.« Damit steckte es eine seiner Karten in den Mund, die Herz-Sieben, kaute genüsslich darauf herum und schluckte sie hinunter. »Was … was machst du da?!«, rief Herr Taschenbier. »Ich habe angefangen. Mit einer roten Karte, wie du’s vorgeschlagen hast, Papa«, erklärte ihm das Sams, schob sich die Pik-Zehn in den Mund, kaute und verzog angewidert das Gesicht. »Bäh!«, sagte es und schüttelte sich. »Du hast wirklich recht, Papa. Die Schwarzen schmecken viel, viel schlechter als die Roten. Rote Karten schmecken fein. Aber – bäh – die schwarzen! Die schmecken wie ein Krötenbein mit vierundfünfzig Warzen!« »Was … was machst du da!«, schimpfte Herr Taschenbier. »Das hast du jetzt schon zweimal gefragt. Ist das nicht langweilig, Papa? Willst du nicht lieber mal was anderes fragen?«, sagte das Sams. »Frag doch mal zum Beispiel, ob Herr Mon mit dem Saxofon auf dem Balkon einen dumpfen Ton …« »Ich will weder nach Herrn Mon noch nach einem Saxofon fragen!«, rief Herr Taschenbier. »Schade, das hätte sich so schön gereimt«, sagte das Sams. »Dann frag doch mal, ob Herr Oberstein bei Sonnenschein ein Stachelschwein …« »Ich will auch nicht nach Herrn Oberstein fragen«, sagte Herr Taschenbier. »Und nach seinem Stachelschwein schon gar nicht!« »Nach seinem? Hat er denn eines?« »Nein, natürlich nicht!« »Was willst du denn dann fragen, Papa?« »Ich will überhaupt nichts fragen. Ich … ich will, dass du nicht die ganzen Karten auffrisst«, sagte Herr Taschenbier. »Das sind Spielkarten und keine … keine Speisekarten!« »Willst du das oder wünschst du das?«, fragte das Sams. »Ich will … nein, halt: Ich wünsche es!«, befahl Herr Taschenbier mit erhobener Stimme. Ihm war gerade noch eingefallen, dass man bei Samsen besser »ich wünsche« sagt. »Ach, du wünschst es, Papa«, wiederholte das Sams und griff nach dem Karo-König. »Das habe ich mir fast gedacht. Aber das Wünschen nützt jetzt leider nichts mehr. Weil du ja gestern den letzten blauen Wunschpunkt weggewünscht hast. Ich glaube, jetzt werde ich diese rote Karte mal probieren. Probieren, schnabulieren! Essen, fressen! Wenn du magst, kannst du ein kleines Stückchen abhaben, ja?« Es biss herzhaft zu. »Mmm, höchst lecker, absolut gut, ungemein fein«, sagte es und kaute dabei. Nun hatte der Kartenkönig keine Krone, keinen Kragen und kein Zepter mehr, und von seinem roten Samtmantel fehlte ein Stück. Herr Taschenbier warf seine Karten auf den Tisch und stand auf. »So, jetzt reicht’s mir!«, rief er. »Nun ist Schluss!« »Wieso Schluss?«, fragte das Sams. »Haben wir denn schon angefangen?« »Ich hab keine Lust mehr«, sagte Herr Taschenbier. »Ich gehe.« »Du gehst, Papa? Aber warum denn? Wohin denn? Willst du denn nicht mehr mit den Karten spielen?«, fragte das Sams. Herr Taschenbier gab keine Antwort und ging zur Tür. Das Sams warf seine Karten hin, nahm die Füße vom Tisch und sprang vom Stuhl. »Nimmst du mich denn nicht mit?«, fragte es. Herr Taschenbier schüttelte den Kopf. »Nein. Ich gehe spazieren. Und zwar alleine. Ohne Sams«, sagte er. »Friss meinetwegen alle roten Karten auf, mir soll’s egal sein. Ohne Karo-König und Herz-Zehn können wir sowieso nicht mehr ›Sechsundsechzig‹ spielen. Guten Appetit und auf Wiedersehen!« Damit verließ er das Zimmer. Das Sams rannte hinter ihm her, holte ihn im Flur ein, fasste ihn bei der Hand und versuchte ihn zurückzuhalten. »Papa, nimm mich doch mit«, bat es. »Ich denke nicht daran«, sagte Herr Taschenbier und zog seine Hand weg. »Bitte, Papa, bitte!«, bettelte das Sams. Es sah so aus, als ob es gleich weinen würde. Herr Taschenbier bekam langsam Mitleid mit ihm. Er blieb stehen und ließ es zu, dass das Sams wieder seine Hand ergriff. »Du glaubst wohl, ich will mich den ganzen Nachmittag von dir ärgern lassen?«, fragte er. »Warum denn? Was hab ich getan? Ich weiß gar...