Lutz / Schiller / Burchartz | Göttinnen, Götter, Mythen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 170 Seiten

Lutz / Schiller / Burchartz Göttinnen, Götter, Mythen

Archetypische Träume von Kindern und Jugendlichen

E-Book, Deutsch, 170 Seiten

ISBN: 978-3-17-037936-7
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Archetypische Träume stammen aus dem kollektiven Unbewussten und spiegeln Grunderfahrungen des Menschseins. Göttinnen, Götter und Mythen sind jedoch nicht allein Projektionen menschlicher Eigenschaften. Sie repräsentieren vielmehr Inhalte, die auch heute noch unverändert gültig sind. Ihre Aktualität wird in den nicht selten drastischen archetypischen Träumen von Kindern und Jugendlichen sichtbar, was anhand vieler Traumbeispiele nachvollziehbar gemacht werden soll. Die therapeutische Funktion liegt in den heilenden Kräften dieser archaischen Bilder und Geschichten, die, in ihrer Symbolik verstanden, einen progressiven Lebensbezug unterstützen können.
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3          Der Wunsch nach Gottgleichheit und die Hybris
      Gott gleich zu sein, scheint nicht nur Anmaßung, sondern urmenschliches Bedürfnis zu sein, das sich in griechischen Mythen widerspiegelt. Der Sohn des Helios wünschte einmal mit den Gespannen des göttlichen Vaters über den Himmel zu jagen. Dabei verlor er das Maß, beschleunigte zu sehr, verlor den Halt und stürzte ab. Das entspricht der jugendlichen Perspektive, die im Rausch des philobatischen Lebensgefühls, Grenzen überschreiten und in der unendlichen Weite der Möglichkeiten, sich selbst überschätzend den Boden unter den Füßen verliert. Der Philobat möchte unbeschränkt sein, für ihn verspricht die Weite Geborgenheit, möglicherweise die Chance, den Sprung aus der engen menschlichen Begrenztheit zu verwirklichen (Hopf 2019, S. 183). Diesem Bedürfnis entspricht Ikarus, der Sohn des kunstreichen Dädalus, der das Labyrinth für den Minotauros baute. Ikarus setzte sich über das Gebot des Vaters, der Sonne nicht zu nahezukommen, hinweg und stürzte ab. Sollte damit ausgedrückt sein, dass die Sehnsucht, Gott zu werden, ohne die eigene Menschlichkeit zu berücksichtigen, zum Untergang führt? Heißt Gott werden wollen, die Sehnsucht, die Enge menschlicher Grenzen zu überwinden? Sehnsucht drückt jedoch nicht Vermögen und Können aus, sondern bedeutet, weiter auf der Suche zu sein. Am ehesten vielleicht mit dem Paulus Wort zu vergleichen »nicht dass ich es schon ergriffen habe, oder schon vollendet sei…« (Phillipper 3, Vers 12). Gottähnlich zu sein, das Göttliche in sich zu verwirklichen, auf den göttlichen Funken im Menschen zu vertrauen – es stellen sich viele Fragen, die sich um dieses Geheimnis ranken, es aber nicht entschlüsseln. 3.1       Archetypische Träume von grenzüberschreitender Hybris, kritikloser Selbstgefälligkeit und Todesbedrohung
3.1.1     Prometheus und das Aufbegehren in Selbstüberschätzung
Der beeindruckende Mythos von Prometheus weist erneut auf diese Problematik hin: Angeblich dauerte es ihn als machtvoller Titan, dass die Menschen unter der Kälte, dem fehlenden Feuer litten. Das Feuer war jedoch Vorrecht der Götter. Symbolisch gesprochen offenbarte sich im Feuer, diesem vielschichtigen Symbol, ihre Göttlichkeit. Indem Prometheus scheinbar aus Mitleid den Göttern das Feuer raubte und es den Menschen schenkte, machte er sie den Göttern gleich und missachtete die Grenze zwischen Gott und Mensch. Zur Strafe wurde er an den Kaukasus geschmiedet. Ein Adler fraß täglich seine Leber, die jedoch immer wieder nachwuchs. Wie dürfen wir diese Geschichte verstehen? Wollte Prometheus mit seiner Tat einen eigenen Anspruch befriedigen, nämlich Göttlichkeit einerseits zu relativieren, Menschlichkeit andererseits aufzuwerten? War er selbst der, der nach den Sternen der Göttlichkeit griff und die Grenzen, die ihm als entmachteter Titan auferlegt waren, missachtete? Der Adler als Symboltier des Zeus raubte ihm sein lebenswichtiges Entgiftungsorgan, das jedoch täglich wieder nachwuchs. Wie lässt sich das interpretieren? Die Leber ist zentrales, lebenswichtiges Entgiftungsorgan. Sie zu verlieren, bedeutet den Tod, sie immer neu zu gewinnen, das Leben. So hing Prometheus, an den Kaukasus geschmiedet, zwischen Tod und Leben, in Gott-Nähe und Gott-Ferne. Nicht von ungefähr scheint hier auch im christlichen Mythos dieses Thema in Gestalt des Gottessohns transparent zu werden. Sind wir nicht gleichermaßen in der Gefahr, als die armen Menschen zu leben, denen das Göttliche fern zu sein scheint? Prometheus ist ein Bild für Menschsein in aller Ambivalenz. Ist die trotzige Gottferne, wie Goethe sie in seinem gleichnamigen Gedicht (Goethe 1992, S. 161) thematisiert, eine Lösung? Ist sogar gerade in der trotzigen Auflehnung ein Funken der eigenen göttlichen Kraft zu entdecken? 3.1.2     Ikarus und der grenzüberschreitende Höhenflug als Protesthaltung
Ikarus fliegt entgegen dem Rat des Vaters im jugendlichen Leichtsinn zu hoch. Die Sonne lässt das Wachs seiner Flügel schmelzen, sodass er seine Hybris mit dem tödlichen Absturz ins Meer bezahlen muss. Die Sonne galt im Altertum als Repräsentant des Göttlichen schlechthin. Die gefährliche Nähe zeigte auf der Symbolebene die Gefahr, Mensch und Gott synonym zu denken. Ikarus zeigt sich als typischer Vertreter eines aufbegehrenden Jugendlichen, der sich die eigenen Grenzen nicht eingesteht und, vergleichbar der Zeit des »Sturm und Drangs«, sich als »Original- und Kraftgenie« gebärdet. Das charakteristische Empfinden ist, alles besser zu wissen und die Erfahrungen der älteren Generation in den Wind zu schlagen. Die eigenen Grenzen auszuloten ist auf dem Weg zur Eigenständigkeit ein unverzichtbares Anliegen. Dass damit jedoch immer auch Todesgefahr verbunden ist, erfüllt alle Eltern dieser Jugendlichen mit Sorge. Ermahnungen allein, wie sie Dädalos ausspricht, genügen jedoch nicht, im Gegenteil, sie fordern die Grenzüberschreitung geradezu heraus. Dädalos warnte vor der Maßlosigkeit, nämlich der Sonne und dem Meer nicht zu nahezukommen. Hilfreicher als dieser gut gemeinte Hinweis wäre eine vorsichtige Begleitung des Jugendlichen gewesen, die mit Nähe und Distanz, mit Anerkennung der Autonomie und dem Schutz vor Selbstüberschätzung angemessen umgeht. Der Hinweis, alles mit Maß zu tun, den erstmals Thales von Milet 500 vor Christus aussprach (Capelle 1993, S. 66 ff.), wäre weniger als rettender Ermahnung für den Sohn wirksam, sondern als eigene Haltung zu beherzigen gewesen. Der Mythos könnte damit auch als wichtiger Hinweis für die erziehende Generation Geltung haben. 3.1.3     Sisyphos, listenreicher Trickster in der Auseinandersetzung mit dem Göttlichen, mit Leben und Tod
Sisyphos, König von Korinth, Sohn des thessalischen Königs Aiolos, lebte im 14.Jh. v. Chr. Der Name seines Vaters – und dessen Namensgleichheit mit dem Gott der Winde – könnte schon ein Hinweis auf geistige Beweglichkeit, Schnelligkeit und Energie sein. Sisyphos besaß eine rasche Auffassungsgabe und gute Intuition, sodass er geschickt, einfallsreich und immer zu seinem Vorteil handeln konnte. Der Name der Mutter wird nicht erwähnt. Lässt sich daran schon die fehlende Erdhaftigkeit, der mangelnde Bezug zu den Gesetzmäßigkeiten der Natur herauslesen? Sein ganzes Leben agierte Sisyphos wie ein gerissener Kaufmann, der rücksichtslos andere manipulierte, der auch nicht vor mörderischen Intrigen zurückschreckte, um eine Macht zu erhalten, die nur dem eigenen Vorteil verpflichtet war. »Seine Zeitgenossen nannten ihn den größten lebenden Schurken, gaben allerdings zu, dass er Handel und Seefahrt förderte« (Ranke-Graves 2011, S. 194). Eine seiner Taten, als er den Meisterdieb Autolykos geschickt überführte und Rache nahm, erinnert an Taten von Hermes, der schon als Säugling seinen Bruder Apoll listig hereinlegte und seine Tat so beharrlich abstritt, dass selbst Zeus von dieser Dreistigkeit und Intelligenz beeindruckt war. Hybris zeigt einen Realitätsverlust von Gesetzmäßigkeiten, Grenzen und Ordnungen, denen wir als Menschen unterworfen sind. Hat sich Sisyphos mit den tricksterhaften Eigenschaften eines Gottes derart identifiziert, dass von einer geistigen Inflation zu sprechen ist? Sisyphos verrät den Göttervater Zeus in einer Liebesangelegenheit an den Flußgott Asopos, der auf der Suche nach seiner Tochter ist. Als Strafe für den Verrat göttlicher Geheimnisse befahl Zeus seinem Bruder Hades ihn in den Tartaros zu holen. Sisyphos überlistete Hades und fesselte ihn in seinen eigenen Fesseln. Hades war gefangen und keiner konnte auf der Erde nun sterben, die natürliche Ordnung von Leben und Sterben war außer Kraft gesetzt. Der Kriegsgott Ares befreite Hades und lieferte Sisyphos aus. Es gelang ihm jedoch ein zweites Mal mit einer List dem Tod zu entkommen. Diesmal legte er Persephone, die Gemahlin des Hades herein und es gelang ihm erneut die Unterwelt zu verlassen. Als er schließlich starb, wurde er als Strafe für seine Taten in den Tartaros verbannt und musste immer wieder einen Felsbrocken den Berg hinaufrollen, um dann die Vergeblichkeit seines Tuns wahrzunehmen, wenn der Stein wieder hinab rollte und er erneut, in qualvoller Wiederholung mit seinem Werk beginnen musste. Warum verhängten die Götter eine derart schwere körperliche Strafe, die letztlich so ziel- und sinnlos scheint? Sisyphos hatte die Götter versucht, in dem er den Tod...


Christiane Lutz ist als Kinder- und Jugendpsychotherapeutin sowie als Paar- und Familientherapeutin in eigener Praxis in Stuttgart tätig. Sie ist Dozentin am C. G. Jung-Institut in Stuttgart und an der Akademie für Tiefenpsychologie in Stuttgart.
Pia Schiller, M.A. (phil.), ist als Heilpraktikerin in eigener Praxis tätig.


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