E-Book, Deutsch, 486 Seiten
E-Book, Deutsch, 486 Seiten
ISBN: 978-3-17-034921-6
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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I. Grundlagen und Aufbau des Vergaberechts
1 Einführung
Aufträge über die Beschaffungen von Feuerwehren und Rettungsdiensten sind, wenn diese in öffentlicher Trägerschaft stehen, nach besonderen Vorschriften zu vergeben. Diese Vorschriften sind erforderlich, weil öffentliche Aufträge einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor darstellen, um eine effiziente und wirtschaftliche Auftragsvergabe sicherzustellen. Die Vorschriften werden unter dem Begriff »Vergaberecht« zusammengefasst. Als Vergaberecht wird die Gesamtheit der Normen bezeichnet, die ein Träger öffentlicher Verwaltung bei der Beschaffung von sachlichen Mitteln und Leistungen, die er zur Erfüllung von Verwaltungsaufgaben benötigt, zu beachten hat (BVerfG 1 BvR 1160/03). Dabei ist das Vergaberecht in Deutschland nicht einheitlich, sondern in verschiedenen Gesetzen, Vergabeverordnungen und Verfahrensordnungen geregelt. Es wird daher in der Praxis zu Recht als unübersichtlich und komplex bewertet. 1.1 Der Ursprung des Vergaberechts: Das Haushaltsrecht
Ursprünglich war das Vergaberecht ausschließlich im Haushaltsrecht beheimatet; die Vergabevorschriften waren Verwaltungsvorschriften, die sich an die Vergabestellen der öffentlichen Auftraggeber wandten, um die sparsame und wirtschaftliche Verwendung öffentlicher Mittel zu sichern. Das Vergaberecht diente damit allein dem wirtschaftlichen Einkauf der öffentlichen Hand und der sparsamen Verwendung von Steuergeldern. Unter dem Einfluss des europäischen Gemeinschaftsrechts musste dieser haushaltsrechtliche Ansatz des Vergaberechtes teilweise aufgegeben werden: Die europäischen Vergaberichtlinien verfolgten das Ziel, das öffentliche Auftragswesen für einen gemeinschaftsweiten Wettbewerb zu öffnen. Die Interessen der Bieter sollten durch eine schnelle und wirksame Nachprüfung vor Verletzungen der Vergabevorschriften geschützt werden (Bundestag Drucksache 13/9340). Zur Umsetzung dieser europäischen Vergaberichtlinien hatte der deutsche Gesetzgeber in den Jahren 1993 und 1994 zunächst eine »haushaltsrechtliche Lösung« gewählt und für Vergabeverfahren, deren Beschaffungsgegenstände einen bestimmten Auftragswert überschritten, im Haushaltsrecht (§ § 57 b und 57 c HGrG in der damaligen Fassung für die Jahre 1993 und 1994) ein zweistufiges Nachprüfungsverfahren vorgesehen, das aber keine einklagbaren subjektiven Rechte potentieller Auftragnehmer vorsah. 1.2 Die Zweiteilung des Vergaberechts
Die haushaltsrechtliche Umsetzung der europäischen Vergaberichtlinien wurde von der damaligen EG-Kommission beanstandet und führte schließlich im Jahr 1999 dazu, dass der Bundesgesetzgeber die haushaltsrechtliche Lösung aufgab und das Vergaberecht für Verfahren, deren Beschaffungsgegenstände einen bestimmten Auftragswert erreichten oder überschritten, im sogenannten Kartellvergaberecht umsetzte. Diese »kartellrechtliche Lösung«, die im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) umgesetzt wurde, führte zu einer Zweiteilung des Vergaberechts in Deutschland: Das Haushaltsvergaberecht (Unterschwellenrecht) und das Kartell- oder GWB-Vergaberecht (Oberschwellenrecht) (zu den Begrifflichkeiten vgl. Burgi, 2016). Merke:
Das Vergaberecht in Deutschland ist zweigeteilt. Eine letzte große Änderung des Vergaberechts fand 2016 durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz statt. Begründet war die Änderung durch neue EU-Vergaberichtlinien: Richtlinie für die klassische Auftragsvergabe (Richtlinie 2014/24/EU) Richtlinie für die Auftragsvergabe in den Bereichen der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (Richtlinie 2014/25/EU) Richtlinie über die Konzessionsvergabe (Richtlinie 2014/23/EU) Richtlinie zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit (Richtlinie 2009/81/EG) Im Zuge der Umsetzung der neuen EU-Vergaberichtlinien wurde die Struktur des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen überarbeitet und eine grundlegend geänderte Vergabeverordnung erlassen. Die Änderungen betrafen damit nur den Oberschwellenbereich. Einen unmittelbaren Einfluss auf die Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich hatte die Vergabemodernisierung nicht. Sie wurde aber zum Anlass genommen, auch die Vergabe öffentlicher Aufträge auf nationaler Ebene unterhalb der EU-Schwellenwerte zu reformieren. Dies erfolgte durch die neue Unterschwellenvergabeordnung, die im Februar 2017 im Bundesanzeiger bekannt gemacht wurde. Das neue Regelwerk ersetzt die bisher geltende Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL/A Abschnitt 1).1 1.3 Trennlinie zwischen Oberschwellen- und Unterschwellenrecht: Der EU-Schwellenwert
Die Trennlinie zwischen dem Haushaltsvergaberecht und dem GWB-Vergaberecht ist der EU-Schwellenwert. Wird er unterschritten, ist das Haushaltsvergaberecht anwendbar, wird er erreicht oder überschritten, gilt das GWB-Vergaberecht. Bild 1: Zweiteilung des Vergaberechts Der Ursprung des EU-Schwellenwertes liegt in einer internationalen Vereinbarung, dem Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (»Government Procurement Agreement«, kurz GPA). Ziel des GPA ist es, einen multilateralen Rahmen ausgewogener Rechte und Pflichten in Bezug auf öffentliche Aufträge zu schaffen, um den Welthandel zu liberalisieren und auszuweiten. Das GPA findet Anwendung auf Aufträge oberhalb bestimmter Schwellenwerte, die im GPA festgelegt sind (EU Richtlinie 2014/24/EU, Erwägungsgrund 18). Entsprechend gilt auch das GWB-Vergaberecht erst, wenn der geschätzte Auftragswert der zu beschaffenden Lieferung oder Leistung den aus dem GPA resultierenden und in Euro umgerechneten EU-Schwellenwert erreicht oder übersteigt. 1.4 Unterschiede zwischen dem Haushaltsvergaberecht und dem GWB-Vergaberecht
Aus der Zweiteilung des Vergaberechts ergeben sich einige Unterschiede zwischen dem Haushaltsrecht als Unterschwellenvergabe- und dem GWB-Vergaberecht als Oberschwellenvergaberecht. Der bedeutendste Unterschied liegt in den Rechtsschutzmöglichkeiten der an Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen: Das GWB-Vergaberecht ist als Eintrag im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Wettbewerbsrecht. Aus dem Schutz des Wettbewerbs folgt ein Rechtsschutz der auf dem Wettbewerbsmarkt tätigen Unternehmen: »Unternehmen haben Anspruch darauf, dass die Bestimmungen über das Vergabeverfahren eingehalten werden.«, § 97 Abs. 4 GWB. Werden vergaberechtliche Vorschriften verletzt, haben die beteiligten Unternehmen einen umfassenden Primärrechtsschutz, der in den § § 155 ff. GWB geregelt ist. Nachprüfende Instanz sind die Vergabekammern und als Zweitinstanz die Oberlandesgerichte. Im Gegensatz dazu bietet das Unterschwellenvergaberecht, das im Haushaltsrecht beheimatet ist, nur eingeschränkte Rechtsschutzmöglichkeiten. Die Unternehmen haben lediglich die Möglichkeit, Zivilgerichte anzurufen, um im Eilverfahren Zuschlagserteilungen zu verhindern oder Schadensersatzansprüche geltend zu machen. 1.5 Das EU-Primärrecht
Auch das EU-Primärrecht, das keine spezifischen vergaberechtlichen Vorschriften enthält, hat Einfluss auf das Vergaberecht. Das Primärrecht ist das ranghöchste Recht der Europäischen Union (EU). Es stammt im Wesentlichen aus den Gründungsverträgen, insbesondere dem Vertrag von Rom und dem Vertrag über die Europäische Union. Aus dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), vor allem aus seinen Artikeln 49 und 56 folgen die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz. Diese Grundsätze gelten nicht nur für Vergaben oberhalb des EU-Schwellenwertes, sondern auch für Vergaben, deren Auftragswerte die EU-Schwellenwerte nicht erreichen, sofern an diesen ein grenzüberschreitendes Interesse besteht. Ein grenzüberschreitendes Interesse kann angesichts eines gewissen Volumens des Auftrags in Verbindung mit dessen technischen Merkmalen oder dem Leistungsort vorliegen. Es kann auch das Interesse von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Wirtschaftsteilnehmern an der Teilnahme am Verfahren zur Vergabe dieses Auftrags berücksichtigt werden, sofern sich erweist, dass dieses Interesse real...