Thriller
E-Book, Deutsch, 345 Seiten
ISBN: 978-3-406-81386-3
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Am 21. Januar 1968 stürzt ein amerikanischer B-52-Bomber an der Nordwestküste Grönlands ab. An Bord vier Wasserstoffbomben, deren Verbleib nie restlos geklärt wurde. Diese wahre historische Begebenheit bildet den Ausgangspunkt für Michael Lüders' neuen Thriller. Jahrzehnte später wollen dänische Arbeiter, die bei den Aufräumarbeiten verstrahlt wurden, reinen Tisch machen – bevor der Krebs sie dahinrafft. Ihr Plan: am Rande einer Arktis-Konferenz in Reykjavik vorzutragen, was damals wirklich geschah. Einflussreiche Kreise aber wissen zu verhindern, dass sich die Blicke der Öffentlichkeit ausgerechnet jetzt auf das noch immer strahlende Eis richten. In einem Gebiet, wo eine dubiose Firma gerade einen hochgeheimen Auftrag erfüllt. Als Sophie Schelling und ihr Team merken, was unter dem ewigen Eis lauert, geraten sie ins Fadenkreuz eines skrupellosen Gegners. Der zieht im Verborgenen die Fäden – eine rasante Jagd in der faszinierenden Welt der Arktis.
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Du weißt nicht, wer dein Freund oder dein Feind ist – bis das Eis bricht. Sprichwort der Inuit II.
Der Hubschrauber flog vorschriftsgemäß in einem großen Bogen an Thule vorbei, hielt Kurs Richtung Norden und zog erst weit hinter der Luftwaffenbasis eine Schleife, zum weiter südlich gelegenen Landeplatz. Da der Boden schneebedeckt war, landete der Pilot vorsichtig auf einem gerade noch zu erkennenden Strandabschnitt. Den Rotor stellte er nicht ab, während Sophie ihr weniges Gepäck, eine kleinere Kiste mit technischem Gerät sowie einige Säcke mit Lebensmitteln, aus geringer Höhe auf den Sand warf und schließlich selbst hinaussprang. Sofort hob der Helikopter wieder ab, inmitten heftiger Windböen. So stand sie da, inmitten eisiger, unerbittlicher Natur. Mit gemischten Gefühlen hatte Sophie dem kleiner werdenden Schatten des Helikopters nachgesehen – was, wenn niemand kam und sie hier abholte? Minus 20 Grad ist keine Wohlfühltemperatur, und sie spürte die Kälte, die von ihr Besitz ergriff. Schlug sich mit den Armen auf die Brust, sprang von Fuß zu Fuß. Doch bevor sie Anlass zu ernstlicher Sorge hatte, glitt unter Gebell ein Hundeschlitten die Anhöhe hinab. Mit einer eleganten Bewegung brachte der Schlittenführer das Gefährt vor ihr zum Stehen, indem er den Bremsbügel nach unten drückte – es sah aus, als verneige er sich. Die Hunde kläfften ohne Unterlass. Sophie versuchte die beiden Leittiere des Achtergespanns zu streicheln, schon ertönte der scharfe Ruf: «Nicht anfassen!» Gleich darauf trat der Mann an sie heran. «Hallo, ich bin …», sagte sie. «Ich weiß, wer du bist.» Er warf die Plane des Schlittens zur Seite und schien etwas zu suchen. «Zieh deinen Mantel aus», befahl er. «Nein! Das ist mir zu kalt.» «Zieh ihn aus!» Sein Tonfall war hart, entschlossen, aber nicht herrisch. Offenbar hatte er keine Lust, sich mit einem Greenhorn auseinanderzusetzen. Kaum hatte sie getan, was er verlangte, warf er ihr einen Fellmantel zu. Sie zog ihn an und spürte sofort die wohlige Wärme, die von ihm ausging. «Das ist Rentier. Besser als Outdoor-Kleidung.» Der Mann selbst war ganz in Fellkleidung gehüllt, auch an den Füßen. «Deine Schuhe!», sagte er und warf ihr Stiefel aus Pelz zu. «Ist Robbe. Wärmt immer.» Er verstaute die am Strand liegenden Gegenstände im Schlitten, dessen Länge inklusive Gespann Sophie auf gut fünf Meter schätzte. Die Hunde bellten noch immer aufgeregt. Erneut wollte sie einen der Hunde tätscheln, wieder erteilte er Order, das nicht zu tun. «Diese Hunde brauchen Autorität», erklärte der Mann. «Sie müssen dich als ihren Herrn anerkennen. Ansonsten fallen sie über dich her und können dich töten. Wenn du sie streichelst, halten sie dich für schwach. Dann sehen sie dich als Beute und du riskierst, dass sie dir an die Kehle springen. Das hier ist die Wildnis.» Sein Gesicht war eingehüllt von einer dicken Kapuze. Es kam ihr bekannt vor, aber woher? Nachdem der Mann alles verstaut hatte, forderte er sie auf, sich in den Schlitten zu setzen. Anschließend legte er eine Decke über sie und reichte ihr zwei Fäustlinge. In ihrem Kopf hämmerte es regelrecht: Woher kannte sie dieses Gesicht? «Könnte es sein, dass wir uns schon mal begegnet sind?», fragte sie. «Ich dir ja. Einen Augenblick waren wir im selben Qideq. Du hast es allerdings nicht bemerkt. Du bist auf dem rechten Weg, aber noch lange nicht angekommen.» Er ließ eine Reihe von scharfen, kehligen Tönen erklingen, nicht unähnlich jenen, die Mikiseq und Harald erprobt hatten. Die Häufung von Q-Lauten fiel ihr auf. Offenbar verfehlten sie ihre Wirkung nicht, wurden die Hunde doch schneller und schneller, fielen in eine Art Galopp, ihr Kläffen wurde zu einem Keuchen. Da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Hallgrimskirche. 75 Grad Nord. Die Wetter- und Forschungsstation des «Greenland Institute of Natural Ressources» lag idyllisch an einem Fjord. Alles war weiß, die gebirgige Landschaft eingeschneit, nur auf dem Wasser hielten sich Spuren von Blau inmitten driftender Eisschollen und Eisberge. Auf der anderen Seite des Meeresarms, lediglich zu erahnen inmitten des Nebels, lag die Air Base Thule. Der Schlittenführer löste die Hunde aus ihrem Geschirr, einen nach dem anderen, wobei er sie am Halsband packte und die übrigen Hunde im Blick behielt. Anschließend pflockte er sie an, vor ihren kleinen Hütten oder Lagerplätzen. Etwa 20 unaufhörlich lärmende Hunde befanden sich auf dem Gelände, schätzte Sophie. Einen weiteren, ausgeschirrten Hundeschlitten entdeckte sie links von der Wetterstation. Das quaderförmige Gebäude mit Flachdach stand unmittelbar vor einer Felswand, die als Windschutz diente. Im Haus begrüßte sie ein älterer Herr, Ole Jensen aus Dänemark. Er half ihr, den Proviant zu verstauen, die Abhöranlage richtig zu platzieren, schließlich führte er sie auf ihr Zimmer. Das Ambiente ähnelte dem einer Jugendherberge. Vom Empfangs- und Aufenthaltsraum gingen zwei Gänge mit mehreren Räumen ab, in denen geforscht und genächtigt wurde. Darüber hinaus gab es eine Küche und einen Waschraum mit Toiletten. Wenig später saßen sie zu dritt am Küchentisch und tranken Tee. Der Mann, der sie abgeholt hatte, stellte sich vor als Aqqaluk. Ansonsten redete er wenig. Der Däne war gesprächiger und erklärte, was ihn in diese Eiswüste geführt hatte. Einiges wusste Sophie bereits, das meiste jedoch nicht. «Dennoch stellt sich mir die Frage, Frau Schelling, warum Sie diesen Weg gehen. Was bewegt Sie, sich auf ein solches Abenteuer mit ungewissem Ausgang einzulassen?», fragte Ole Jensen. «Mein Kollege Harald Nansen und ich», entgegnete Sophie, «wollen die Arktis nicht den falschen Leuten überlassen.» «Ein ehrenwerter Ansatz. Teilen den auch Ihre Vorgesetzten?» «Solange wir Augenmaß halten und keine unnötigen Risiken eingehen.» «Na, das sollten wir hinbekommen, Frau Schelling», betonte Jensen. «Wir ziehen ja am selben Strang. Gegen Naturzerstörung und Geldgier. Gegen das Vergessen.» Sophie musste sich ein Lächeln verkneifen. Mit Blick auf sein Lebensalter und die bescheidenen Möglichkeiten, die diese Örtlichkeit bereithielt, kam ihr sein Credo durchaus ehrgeizig vor. Sie schlug vor, dass sie einander duzten, und der Senior willigte freudig ein. «Du hast mich nicht gefragt, was Qideq bedeutet», meldete sich Aqqaluk zu Wort. «Dabei ist es bereits ein Teil von dir, auch wenn du noch weit entfernt bist von der höchsten Stufe.» Er saß da mit verschränkten Armen und erfüllte den Raum mit seiner Aura. «Qideq», fuhr er fort, «bezeichnet die Einheit von Körper, Seele und Bewusstsein. Für die Inuit bezeichnet diese Einheit die höchste Stufe menschlicher Erkenntnis. Qideq bedeutet, im Hier und Jetzt das Richtige zu tun. In dem Wissen, dass die meisten Menschen nichts aus ihren Fehlern lernen. Am Ende richten sie damit sich selbst und andere zugrunde, einschließlich ihrer Umwelt.» Sophie stimmte ihm zu. «Die größte Herausforderung ist der Klimawandel. Höchste Zeit zu handeln. Ein Zeichen zu setzen. Deswegen bin ich hier.» «Willkommen unter Freunden, in dieser bescheidenen Hütte: 75 Grad Nord!», rief Ole Jensen euphorisch. «Heißt sie so?», fragte Sophie. «Der Name bietet sich an. Er entspricht dem Breitengrad, auf dem sie liegt», erklärte Aqqaluk. Gedanken schossen ihr wild durch den Kopf. Wie hatte er wissen können, in der Hallgrimskirche, dass sie … an diesen Ort …? Aqqaluk lächelte, und als könne er Gedanken lesen, sagte er: «Keine Sorge, Nutarguk. So werde ich dich nennen: Neuschnee. Du wärest nicht hier, dein Kollege nicht da unten auf dem Schiff, wüssten wir nicht die Gunst der Sterne auf unserer Seite.» *** Vier Schiffe lagen auf Reede vor Thule. Ein orangefarbener Aufklärer der US-Navy, der die Gewässer rund um die Liegeplätze überwachte und weiter entfernt ankerte. Ferner ein schwarzer Frachter, beladen mit Kies und Zement, von dem mannsdicke Rohre auf das signalrote Plattform-Versorgungsschiff «Gloria» führten. Dort wurde die Ladung auf der ebenen Deckfläche gelöscht und zu einer tiefseetauglichen Mischung verarbeitet, in vollautomatisierten Behältern, die aussahen wie überdimensionale Betonmischer. Mit Hilfe einer ausgeklügelten Verklappungstechnik, unter Einsatz weiterer Rohre und eines regelrechten Gestrüpps aus Stahlseilen, versiegelte dieser Beton schließlich den Meeresboden. Des Weiteren lag hier...