E-Book, Deutsch, 200 Seiten
ISBN: 978-3-7494-7879-8
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Zoe M. Lucille war mit 11 Jahren so kreativ ein ganzes Kinderbuch zu schreiben und zu malen. "Das Leben der Oryxantilope Jonny" wurde 2018 unverändert und mit eben dieser kindlichen Sicht veröffentlicht. Zusammen mit Larissa Baiter veröffentlichte sie ein Jahr später "Seelenwandel - Geschichten über das Schicksal" und machte einen Sprung in die Erwachsenenwelt. Für diese Anthologie jetzt besann sie sich auf ihre Anfänge und steuerte eine liebevolle Geschichte rund um eine brummelige Hummel bei.
Autoren/Hrsg.
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Fabienne Caldana * Nachtwind und das Einhorn Illustration von Fabienne Caldana
Es war die erste milde Frühlingsnacht des Jahres und ein sanfter Wind strich durch die Täler und um die Berggipfel. Eine Herde Wildpferde ruhte in einem versteckten Wäldchen hoch in den Bergen. Die Fohlen lagen in Knäueln im Gras, während ihre Eltern über ihnen standen und über sie wachten. Nichts war zu hören außer dem Flüstern des Windes, der durch den Wald zog, als sich langsam eine der Stuten von der Herde entfernte. Der Leithengst hob den Knopf und schnaubte leise, doch er stoppte sie nicht. Es war nicht ihr erstes Fohlen, das sie erwartete, und er wusste, dass sie in den ersten Tagen lieber allein sein würde mit ihrem Fohlen. Die dunkelbraune Stute mit dem Namen Diana suchte sich vorsichtig den Weg über Steine und heruntergefallene Äste. Sie wusste von einer kleinen Lichtung unterhalb einer Klippe, wo sie geschützt wäre und ihre Ruhe haben würde. Immer mal wieder blieb sie stehen und schnupperte in den Wind. Aber alles blieb ruhig und auch das Wetter hielt. Kaum eine Wolke trübte den klaren Sternenhimmel. So zog sie sich zurück und machte sich bereit für die Geburt ihres Fohlens. Der nächste Tag begann mit Vogelgezwitscher und einem hohen, freudigen Wiehern. Ein kleiner, schwarzer Kopf mit einem Abzeichen in Form des Sichelmondes auf der Stirn ragte aus dem Gebüsch. Mit großen Augen sah sich das Fohlen um, bevor es zaghaft aus der Lichtung heraus stakste und seine ersten Schritte in die Welt hinausmachte. Es dauerte nicht lange und das Fohlen rannte übermütig zwischen den Bäumen durch. »Pass auf, wo du hinläufst, Nachtwind!«, rief Diana ihrer Tochter gutmütig hinterher. »Keine Sorge, Mama, ich bin schon vorsichtig! Ups«, antwortete Nachtwind und stolperte prompt über eine Wurzel. »Hat gar nicht wehgetan«, meinte sie über ihre Schulter hinweg und sprang sogleich wieder auf. »Oh! Mama, Mama, was ist das?«, rief sie kurz darauf, als sie ein fliegendes Insekt mit großen, farbigen Flügeln entdeckte. Ihre Mutter hob den Kopf aus dem Gras und schaute herüber. »Das ist ein Schmetterling, Nachtwind. Wunderschön anzuschauen, aber halte lieber ein bisschen Abstand, du kannst sie leicht verletzen.« »Mach ich, Mama«, kam die Antwort und Nachtwind folgte dem Schmetterling von Blume zu Blume, bis das Insekt schließlich höher und höher in den Himmel flog und aus ihren Augen verschwand. An diesem Abend zogen sich Mutter und Tochter wieder auf die Lichtung unter der Klippe zurück. Müde vom Herumtoben legte sich Nachtwind hin. Schlafen wollte sie aber doch noch nicht und so hob sie ihren Kopf und schaute nach oben. Im Westen färbten die letzten Sonnenstrahlen den Himmel in ein feuriges Rot, bevor schließlich das dunkle Blau des Nachthimmels überhandnahm und mehr und mehr Sterne am Firmament zu leuchten begannen. »Mama?« »Ja, Kleine?« »Was sind all die hellen Punkte am Himmel?« »Das sind Sterne, Nachtwind.« »Aber am Tag waren die noch nicht da, warum jetzt?« »Die Sterne sind immer da, aber am Tag zieht die Sonne über den Himmel und ihr helles Licht überstrahlt alles andere. In der Nacht hingegen ruht sie und stattdessen erhellt der Mond die Welt. Sein Licht ist sanfter, und so kannst du die Sterne sehen.« Gebannt schaute Nachtwind in den funkelnden Himmel hoch und flüsterte: »Sie sind wunderschön.« Einige Tage später führte Diana ihre Tochter von der Lichtung weg und zurück zur Herde. Es war Zeit, dass Nachtwind ihre Familie kennenlernte, insbesondere die anderen Fohlen. Sie war erst spät im Frühling auf die Welt gekommen und würde sich in die bestehende Gruppe Fohlen einfügen müssen. Diana machte sich Sorgen, denn die älteren Fohlen waren oft rau, wenn jemand Neues dazukam. Nachtwind folgte ihrer Mutter zuerst noch voller Übermut und Selbstbewusstsein, aber je näher sie kamen, desto unsicherer wurde sie. Als sie schließlich die Herde erreichten, klebte Nachtwind regelrecht an der Seite ihrer Mutter. Während Diana die anderen Stuten begrüßte, sah ihre Tochter sich schüchtern um. Wo wohl die anderen Fohlen waren? Sie hörte ausgelassenes Wiehern und entdeckte schließlich die Fohlenschar, wie sie in der Ferne über die Bergwiese tobten. Ob sie sich dazugesellen sollte? Konnte sie da einfach so hingehen? Vielleicht doch lieber erst morgen, dachte sie sich. Heute würde sie das Geschehen lieber noch aus sicherer Entfernung beobachten. Die restlichen Fohlen hatten aber eine andere Meinung. Kaum hatten sie die Neuankömmlinge bemerkt, kamen sie auch schon herangestoben. Sie drängelten sich neugierig um Nachtwind und plapperten alle durcheinander. »Hey, du bist neu hier, oder?« »Seid ihr gerade erst angekommen?« »Wie heißt du?« »Magst du spielen?« Eingeschüchtert drückte sich Nachtwind an ihre Mutter. Schließlich wurden die Fohlen von einer ungeduldigen Stimme unterbrochen: »Jetzt bedrängt sie doch nicht so! Wie soll sie denn antworten können, wenn ihr alle gleichzeitig was fragt? Platz da!« Ein zierliches, braunes Stütchen boxte sich einen Weg durch das Fohlenknäuel. »So, besser«, meinte sie, als sie letztendlich vor Nachtwind stand und die anderen ein wenig zurückgerückt waren. »Du musst uns entschuldigen, aber es ist jedes Mal so aufregend, wenn jemand Neues kommt. Ich heiße übrigens Enzian, und du?« »Äh, Nachtwind. Ich heiße Nachtwind.« »Schön, dich kennenzulernen, Nachtwind. Willst du mit uns spielen? Wir wollten eben um die Wette laufen.« »Ja, sicher, gerne!«, antwortete Nachtwind freudig und löste sich von ihrer Mutter. »Super! Wir haben eine bestimmte Strecke dazu, galoppier mir einfach hinterher«, meinte Enzian und dann sprang sie auch schon los. Hastig folgte ihr Nachtwind. Die restlichen Fohlen gaben der Neuen einen kurzen Vorsprung, bevor sie ebenfalls losstürmten. Sie galoppierten erst quer über die Wiese, bis sie den Wald erreichten. Dort drehten sie ab und folgte dem Rand der Wiese den Hang hinunter. Über Stock und Stein sprangen die Fohlen und Nachtwind bekam richtig Spaß an dem Wettlauf. Das war ja gar nicht so schlimm, wie sie gedacht hatte, und viel lustiger, als nur allein zu spielen! An der Spitze der kleinen Horde war noch immer Enzian. Sie warf einen Blick zurück und – als sie sah, dass Nachtwind nah an ihr dran war – legte einen Zahn zu. Nachtwind wieherte ausgelassen und beschleunigte ebenfalls. Das war an dem Abhang aber gar nicht mal so einfach und Enzian schaffte es, den Abstand zu vergrößern. Das Stutfohlen machte eine scharfe Rechtskurve und verschwand hinter ein paar großen Felsen. Nachtwind strengte sich noch einmal an, um nicht abgehängt zu werden. Sie galoppierte um die Felsen herum und erschrak fürchterlich, als direkt vor ihr ein umgestürzter Baumstamm auftauchte. Verzweifelt versuchte sie noch darüber zu springen, aber es war hoffnungslos. Sie stieß mit ihren Vorderbeinen am Baumstamm an und fiel zu Boden. Voller Schmerzen blieb sie liegen. Die anderen Fohlen bemerkten das gestürzte Fohlen nicht und sprangen alle an ihr vorbei. Nachtwind schüttelte ihren Kopf und blinzelte in die Sonne, als ein helles Wiehern zu ihr drang. Es klang fast wie Gelächter. Einige der Fohlen stoppten und schauten zurück, als Enzian auf sie zu trabte. »Oh, das tut mir aber leid«, sagte sie scheinheilig. »Ich habe ganz vergessen, dir zu sagen, dass es ein paar Hindernisse auf der Strecke gibt. Wir sind es so gewohnt, über alles Mögliche zu springen, da habe ich an dieses kleine Bäumchen gar nicht gedacht! Wie ungeschickt von mir. Du hast dir doch hoffentlich nicht wehgetan?« Einige der Fohlen schnaubten belustigt und sahen zu Nachtwind. »Nein, ist alles in Ordnung«, log diese, während sie sich zögerlich aufraffte. »Wunderbar, dann können wir ja weiter!«, rief Enzian, drehte sich um und galoppierte davon, die anderen Fohlen hinterher. Mit schmerzenden Beinen setzte sich Nachtwind ebenfalls in Bewegung und folgte den anderen, aber langsamer. Schließlich erreichte sie das Ende der Rennstrecke, doch die anderen Fohlen hatten nicht auf sie gewartet. Unschlüssig sah sich Nachtwind um, bevor sie hängenden Kopfes zurück zu ihrer Mutter ging. So hatte sie sich ihren ersten Tag bei der Herde nicht vorgestellt. Früh am nächsten Morgen stand Nachtwind am Rand der Herde, Kopf im Nacken, und sah in den Himmel. Der letzte Stern der Nacht trotzte noch den ersten Strahlen der Sonne und hielt Nachtwind in seinem Bann. Das Fohlen genoss die frühen Morgenstunden, in denen die Berge noch schliefen. Die ersten Vögel sangen ihr Lied, Tau bedeckte die Wiesen und der Sternenhimmel verblasste langsam. Plötzlich wurde Nachtwind angerempelt. »Was machst du?«, fragte Enzian. Unschlüssig sah Nachtwind zu ihr herüber. Sie wusste nicht, was sie von dem anderen Fohlen halten sollte nach dem Sturz gestern. »Ich beobachte die Sterne«, antwortete sie nach einer Weile zögerlich. »Langweilig. Hey, lass uns kämpfen!«, sagte Enzian und stieg. »Was?«, erwiderte Nachtwind erschrocken und wich zurück. »Was ‚was’?«, meinte Enzian zurück. »Wir kämpfen. Spielerisch natürlich, nur ein bisschen raufen. Komm schon!« Sie stieg wieder und rempelte Nachtwind heftig an. Als diese zurückstolperte, folgte ihr Enzian und stieß ihr in die Seite. Nachtwind verlor ihr Gleichgewicht und fiel auf den Boden. »Au! Was soll das denn? Hör auf!«, rief sie entrüstet. Unbeeindruckt sah Enzian auf sie herunter und schnaubte: »Na, du sollst ja...