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E-Book

E-Book, Deutsch, 132 Seiten

Reihe: Picus Lesereisen

Lorenz Lesereise England

Von Küste zu Küste

E-Book, Deutsch, 132 Seiten

Reihe: Picus Lesereisen

ISBN: 978-3-7117-5446-2
Verlag: Picus Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Sturmumtoste Gipfel, ausgedehnte Hügellandschaften und eine reiche Geschichte, die gleichermaßen von Dichtern der Romantik wie dem industriellen Bergbau geprägt ist. Erik Lorenz erkundet die Faszination Nordenglands in luftigen Höhen und unter Tage, von der Westküste zur Ostküste Englands. Er erklimmt die Gipfel des Lake District, klettert über die jahrhundertealten Steinmauern der Yorkshire Dales, durchstreift die Weiten der North York Moors - und taucht unterwegs in die englische Seele ein.

Erik Lorenz, 1988 in Berlin geboren, studierte International Marketing und Business & M­a­nagement in den Niederlanden, Hongkong und Großbritannien. Er ist Autor von Büchern über Laos, England und die Schriftstellerin Liselotte Welskopf-Henrich und Herausgeber der Länderreihe 'Wie wir es sehen'. Im Picus Verlag erschienen seine Lesereisen Laos und Kambodscha sowie die gemeinsam mit Rasso Knoller verfasste Lesereise Hongkong. 2021 erschien seine Lesereise England 'Von Küste zu Küste'.
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An romantischen Wassern
Ennerdale
Für einige Stunden führte der Weg an der Küste entlang. Dann bog er rechts ab: landeinwärts, über Wiesen und Hügel, durch Dörfer und Farmen, die ich dank des öffentlichen Wegerechts durchschreiten durfte, das in Großbritannien herrscht. Während es beispielsweise in Deutschland ein allgemeines Betretungsrecht gibt, das den Gemeingebrauch an Wäldern, Fluren und anderen Flächen zu Erholungszwecken regelt und zum Wohle der Allgemeinheit das Eigentumsrecht einschränkt, durchzieht Großbritannien ein weitverzweigtes Netzwerk frei zugänglicher Pfade. Deren Geschichte reicht zum Teil bis ins Mittelalter zurück. So wird erlaubt, dass Wanderer wie ich sich nicht nur durch Wildnis und auf öffentlichen Straßen, sondern auch über Privatgrundstücke bewegen dürfen. Die Eigentümer dieser Grundstücke müssen sicherstellen, dass die Wege weder versperrt noch umgeleitet werden und dass die Nutzer nicht etwa von einem wilden Stier angegriffen werden. Sie dürfen auch keine Gebühr verlangen. Seit 1949 bemühen sich die Behörden, alle bestehenden Wegerechte in der sogenannten »Definitive Map« einzuzeichnen. Doch noch im Jahr 2000 fehlten Schätzungen zufolge über zehn Prozent der Wegerechte. Eine Frist bis zum ersten Januar 2026 wurde ausgesprochen, bis zu der noch nicht erfasste Wegerechte in einer digitalen Karte nachgetragen werden können. Alle, die nach Ablauf der Frist nicht in der Karte erfasst sind, verfallen. Dementsprechend bemühen sich Organisationen wie der mit hundertdreiundzwanzigtausend Mitgliedern größte britische Wanderverein The Ramblers, insbesondere in landschaftlich attraktiven Gebieten rechtzeitig Nachweise für möglichst viele Wegerechte zu erbringen. Auch dank ihres Engagements war es mir also vergönnt, heute und auf der restlichen Wanderung immer wieder über hübsche Wiesen und Weiden zu stapfen, statt nur den Straßen von einer Ortschaft zur nächsten zu folgen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, in diesem Teil Englands von Küste zu Küste zu laufen. Neben der Richtung (von Westen nach Osten, wie die meisten Wanderer, oder andersherum) betrifft eine grundsätzliche Frage die Art der Unterbringung: Die meisten Wanderer steigen jede Nacht in Bed and Breakfasts, Jugendherbergen, Hostels und Hotels ab, die oftmals ganz wundervoll, in der Sommerzeit zumeist aber auf Monate hin ausgebucht und der Nachfrage entsprechend hochpreisig sind. Zweifelsfrei gibt es kaum etwas Erbaulicheres, als nach einem endlosen Tag des Laufens die geschwollenen Füße aus den Schuhen zu schälen und sich erst in eine mit warmem Wasser gefüllte Badewanne und dann in ein weiches Bett zu legen. Weil die Zimmer aber so frühzeitig gebucht werden müssen, schließt diese Option jegliche Flexibilität aus: Bereits Monate bevor der erste Schritt getan wird, muss festgelegt werden, in welchem Ort welche Nacht verbracht werden soll. Reiseführer raten aufgrund der raren Unterkünfte bei einer Wanderung in den Sommermonaten, die Übernachtungen bis zu einem halben Jahr im Voraus zu buchen. Ein halbes Jahr? Ich wusste nicht einmal, wo ich in einer halben Woche sein würde! Ich wollte es auch nicht wissen. Ich wollte mich treiben lassen. Meine Füße sollten entscheiden dürfen, wie langsam oder schnell sie gingen, und die Landschaft sollte mich hierhin oder dorthin locken können, zu diesem Umweg oder jenen Berg hinauf. Die offensichtliche Alternative zum Buchen einer Unterkunft ist: Man schleppt die Unterkunft selbst mit. Was ist befriedigender als das Wissen, ein ganzes Land zu durchqueren und dabei alles, was man braucht, von einer Seite zur anderen zu tragen? Das hieß für mich also: zelten. Ohnehin ist das der Wanderstil, der mir am besten gefällt. Ja, es ist wundervoll, abends in ein nettes Bed and Breakfast zu kommen, sich zu duschen, runter ins Restaurant zu gehen, zu essen und bei gedimmtem Licht die Füße zu massieren – keine Frage. Aber was kann schon das Gefühl übertreffen, nach einem langen Wandertag nicht einzukehren und die Mühsal hinter sich zu lassen, sondern draußen das Zelt aufzubauen und fortwährend in dem Umfeld zu verbleiben, in dem zu bestehen man sich entschieden hat? Am späten Nachmittag spähte ich über dichtes Buschwerk zu meiner Rechten – und erblickte die allerersten Ausläufer des prächtigen Lake District National Park. Der See Ennerdale Water schmiegt sich an die Füße unzähliger Hügel und Berge, die sich hinter ihm erheben: Blake Fell, Great Gable, Kelton Fell, Crag Fell, Red Pike, High Stile, Bowness Knott, High Pen, Low Pen und viele mehr. Lauter wohlklingende Namen, in denen das Raue im Schönen mitschwingt und die Lust machen, ihre Namensträger zu erforschen. Überhaupt sind viele Namen im Lake District – wie in Teilen des restlichen Englands – wunderbar klangvoll. Der Name des Gipfels Old Man of Coniston könnte der Nachname eines strengen Lehrers mit großen, tropfenförmigen Brillengläsern sein und der des Great Lingy Hill mit etwas Fantasie der seines langwüchsigen, faulen Schülers. Welche Schweinerei der Rabauke am Great Cockup fabriziert hat, will man lieber nicht so genau wissen, wie sich angesichts der Namen auch das Verlangen in Grenzen hält, die Hänge des Great Hell Gate, Little Hell Gate oder Great End zu besteigen. Dann schon lieber sich an Bezeichnungen für Siedlungen und Hügel erfreuen, die wie Kinderbonbons klingen – Howtown, Ill Bell, Mickleden, Glaramara, Tirril, Pike o’Stickle, Crinkle Crags – oder durch Täler stromern, deren Namen pure Gemütlichkeit verheißen: Easedale, Riggindale, Mosedale oder Longsleddale. Letzteres liest sich zunächst, als hätte jemand zu tief ins Glas geschaut und zu lallen begonnen, heißt aber schlichtweg Langschlittental. Stammt die Bezeichnung aus der Zeit, als Eselszüge Waren durch dieses Tal nach Schottland und aus dem hohen Norden gen Süden brachten, oder ist sie gar noch älter? Die Namen vieler Ortschaften künden von der Ära, da etliche umliegende Hänge noch von Wäldern bewachsen waren, durchsetzt von vereinzelten Lichtungen. Das altnordische Wort für Lichtung ist »waite«, und so ahnt, wer durch Applethwaite schreitet, dass in grauer Vorzeit unter den Hölzern, die die damalige Lichtung begrenzten, zumindest der eine oder andere Apfelbaum war. So weiß, wer Rosthwaite besucht, dass hier einst Rosendornen wucherten. Ambleside klingt nicht nur in der heutigen Form einladend, sondern auch, wenn man den altnordischen Ursprungsnamen »á melr sætr« übersetzt: Weide bei der Sandbank. In der Bedeutung weniger poesievoll, sondern bodenständig und im Klang etwas gestelzter, ist der Flussname Glenderamackin, der auf das walisische »glyndwfr mochyn« zurückgeht und das Tal kennzeichnet, in dem die Schweine leben. Noch bodenständiger, hart an der Grenze zur Einfallslosigkeit, sind vereinzelte Orte, denen das Glück verwehrt blieb, von einem originellen Geist mit einem ausdrucksstarken Namen geschmückt zu werden. Die Gipfel Pillar und Knott – Pfeiler und (aus dem Kumbrischen übersetzt) Hügel – haben jedenfalls einigen Grund zur Klage. Das ist wie ein Baum ohne Blätter, wie ein Raum ohne Einrichtung: Da bleibt kein Platz für irgendwelchen Zauber. Am nächsten Morgen den Uferpfad des Ennerdale Waters zu betreten, war aus mehreren Gründen ein besonderer Augenblick. Eine weniger große Bedeutung hatte für mich, dass Bill Clinton an diesen Ufern 1973 seiner späteren Frau Hillary einen Heiratsantrag machte. Wichtiger war mir, dass Ennerdale Water der westlichste und damit erste von zahllosen Seen des Lake District National Park ist. Dieser Nationalpark in Cumbria, vollgestopft mit Seen und Bergen, ist zweifellos eine der schönsten Gegenden Englands und würde ein echtes Highlight der Wanderung sein. Seine raue Landschaft lässt das Herz jedes Naturfreunds unweigerlich höherschlagen und inspirierte Anfang des 19. Jahrhunderts eine Gruppe englischer Lyriker, die Lake Poets, zu hingebungsvollen Passagen über seine Schönheit, allen voran ein Dichter, bei dem schon der Name wie Poesie klingt: William Wordsworth. Er wurde 1770 in Cumbria geboren und verbrachte einen großen Teil seines Lebens hier. Er schrieb viele Gedichte, in denen er sich an der romantischen Anmut der hiesigen Natur ergötzte, und veröffentlichte 1820 einen frühen, mit prosaischen Gedichten angereicherten Reiseführer zum Lake District. Dieser verkaufte sich damals besser als seine Lyrik, so erfolgreich gar, dass ein Geistlicher Wordsworth fragte, ob er denn auch irgendetwas außer jenem Führer geschrieben habe. Selbst für das wechselhafte, oft von Wolken, Regen und Sturmwinden geprägte Wetter fand Wordsworth nur gute Worte: Die rasch schwebenden Wolken veranlassten viele Einwohner, so Wordsworth, sich selbst dazu zu beglückwünschen, in einem Land des Nebels, der Wolken und des Sturmes zu wohnen. Die Leere des tiefblauen italienischen Himmels sei im Vergleich ein lebloses und trauriges Schauspiel. Wahrheit oder Schönfärberei? Begriffe...


Erik Lorenz, 1988 in Berlin geboren, studierte International Marketing und Business & Management in den Niederlanden, Hongkong und Großbritannien. Er ist Autor von Büchern über Laos, England und die Schriftstellerin Liselotte Welskopf-Henrich und Herausgeber der Länderreihe "Wie wir es sehen". Im Picus Verlag erschienen seine Lesereisen Laos und Kambodscha sowie die gemeinsam mit Rasso Knoller verfasste Lesereise Hongkong. 2021 erschien seine Lesereise England "Von Küste zu Küste".


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