E-Book, Deutsch, 256 Seiten
London White Fang
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-347-92760-5
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wolfsblut
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
ISBN: 978-3-347-92760-5
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein breit angelegter Erlebnisroman, in dem ein Wolfsjunges durch 'Zufälle' an Menschen gerät und dort durch eine harte Schule geht. Gepaart mit stark gezeichneten Charakteren wird durch die in den Text integrierten Illustrationen eine vollendete Romanwelt gezeigt.
Der Übersetzer Dieter Kurz ist ein Kind der fünfziger Jahre. In der Aufbruchstimmung nach dem Zweiten Weltkrieg betätigte er sich als Maurer, Werkstoffprüfer und REFA-Techniker, bis er als Technischer Redakteur seine bereits seit früher Kindheit bestehende Liebe zur englischen Sprache intensiv ausbaute. Nach Erreichen der Altersgrenze widmet er sich seither intensiv der Übersetzung amerikanischer Romantiker.
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White Fang TEIL 1: DIE WILDNIS KAPITEL I: DER WEG DES FLEISCHES DUNKLE Fichtenwälder blickten finster auf beide Seiten der zugefrorenen Wasserstraße hinab. Vor Kurzem hatte der Wind den Bäumen ihre weiße Frostschicht genommen, und im schwindenden Licht schienen sie sich schwarz und bedrohlich aneinander zu lehnen. Eine große Stille herrschte über dem Land. Das Land selbst war eine leblose Öde, ohne Bewegung, so einsam und kalt, dass es nicht einmal von Wehmut erfüllt war. Es gab zwar einen Hauch von Daseinsfreude, aber diese war von einem Frohsinn erfüllt, der schrecklicher war als jede Traurigkeit, ein Frohsinn, der so freudlos war wie das Lächeln der Sphinx, eine Freude, die eisig wie der Frost war und welche die Grimmigkeit der Unfehlbarkeit hatte. Es war die meisterliche und unbeschreibbare Weisheit der Ewigkeit, die über die Sinnlosigkeit und Anstrengung des Lebens lachte. Es war die Wildnis, die grausame, eisige Wildnis des Nordlands. Doch da draußen im Land gab es Leben, und es war trotzig. Auf der gefrorenen Wasserstraße schuftete eine Reihe von wolfsähnlichen Hunden. Ihr borstiges Fell war mit Frost überzogen. Wenn ihr Atem das Maul verließ, gefror er in der Luft und strömte in Dunstschwaden aus, welche sich auf ihren Körperhaaren niederließen und zu Frostkristallen formten. Die Hunde waren mit einem Ledergeschirr ausgestattet und mit Ledergurten an einem Schlitten befestigt, welchen sie hinter sich herzogen. Der Schlitten war ohne Kufen. Er war aus dicker Birkenrinde gefertigt und lag mit seiner gesamten Oberfläche auf dem Schnee. Sein vorderes Ende war wie eine Schnecke nach oben gebogen, um den weichen Schnee, der sich wie eine Welle vor ihm auftürmte, nach unten und so unter das Fahrzeug zu drücken. Auf dem Schlitten befand sich, fest verzurrt, eine längliche, schmale, Kiste. Auf dem Schlitten befanden sich noch andere Dinge wie Decken, eine Axt, eine Kaffeekanne und eine Bratpfanne, aber die lange, schmale Kiste stand im Vordergrund und nahm den größten Teil des Platzes ein. Auf breiten Schneeschuhen mühte sich vor den Hunden ein Mann ab. Am hinteren Ende des Schlittens schuftete ein zweiter Mann. Auf dem Schlitten, in der Kiste aber lag ein dritter Mann, dessen Mühen nun für immer beendet war, ein Mann, den die Wildnis besiegt und niedergeschlagen hatte, bis er sich nicht mehr bewegen und nicht mehr kämpfen konnte. Es ist nämlich nicht die Art der Wildnis, Bewegung zu mögen. Das Leben ist ihr ein Ärgernis, denn Leben ist Bewegung, und die Wildnis ist immer bestrebt, Bewegung zu unterbinden. Sie lässt das Wasser gefrieren, um zu verhindern, dass es ins Meer fließt; sie treibt den Saft aus den Bäumen, bis sie in ihren mächtigen Herzen gefroren sind; jedoch am grausamsten und schrecklichsten bedrängt und zermalmt die Wildnis den Menschen, der das ruheloseste Leben darstellt, immer in Aufruhr gegen das Gesetz, dass alle Entwicklung am Ende doch zum Stillstand der Bewegung führen muss. Aber unbeirrt und unbezwingbar schufteten vor und hinter dem Schlitten die beiden Männer, welche noch nicht tot waren. Ihre Körper waren mit Pelz und weich gegerbtem Leder verhüllt. Wimpern, Wangen und Lippen waren jedoch so mit den Kristallen ihres gefrorenen Atems überzogen, dass ihre Gesichter nicht mehr zu erkennen waren. Dadurch wirkten sie wie Gespenstermasken, wie Bestatter in einer Geisterwelt bei der Beerdigung eines Geistes. Aber unter all dem waren sie Männer, die in das Land der Trostlosigkeit, des Hohnes und der Stille eindrangen, mitleiderregende Abenteurer, die auf ein kolossales Wagnis aus waren und sich der Macht einer Welt entgegenstellten, die so fern, fremd und pulslos war wie die Abgründe des Weltraums. Wortlos zogen sie weiter und sparten ihren Atem für ihre körperliche Arbeit. Ihre Umgebung war von einem Schweigen bestimmt, das sie mit spürbarer Präsenz bedrängte. Diese wirkte auf ihren Geist wie die vielen Atmosphären Druckes in tiefem Wasser auf den Körper des Tauchers. Sie erdrückte die beiden mit dem Gewicht der unendlichen Weite und des unabänderlichen Schicksals. Es drückte sie in die entlegensten Winkel ihres eigenen Verstandes und presste ihnen, wie den Saft aus den Trauben, all den falschen Eifer, die Überheblichkeit und die unangemessene Arroganz der menschlichen Seele heraus, bis sie sich selbst als endlich und klein empfanden, als Punkte und Staubkörnchen, die sich mit geringer List und wenig Weisheit inmitten des Spiels und der Wechselwirkung der großen blinden Elemente und Kräfte bewegen. Eine Stunde verging, und eine zweite Stunde. Das fahle Licht des kurzen, sonnenlosen Tages begann zu verblassen, als sich ein schwaches, fernes Heulen in der stillen Luft erhob. Der Ruf stieg schnell empor, bis er seinen höchsten Ton erreicht hatte, wo er mit zitternder Spannung verharrte, um dann langsam zu verklingen. Es hätte das Wehklagen einer verlorenen Seele sein können, wäre es nicht mit einer gewissen traurigen Heftigkeit und hungrigen Begierde verbunden gewesen. Der vordere Mann drehte den Kopf, bis seine Augen die des hinteren Mannes trafen. Und dann nickten sich beide über die schmale, lange Kiste hinweg zu. Ein zweites Heulen ertönte, das die Stille mit nadelartiger Schrillheit durchbrach. Beide Männer lokalisierten das Geräusch. Es kam von hinten, irgendwo aus der Schneefläche, welche sie gerade durchquert hatten. Ein dritter und antwortender Ruf ertönte, ebenfalls von hinten und links vom zweiten Geheul. "Sie sind hinter uns her, Bill", sagte der vorn arbeitende Mann. Seine Stimme klang heiser und unwirklich, und er hatte mit offensichtlicher Anstrengung gesprochen. "Fleisch ist knapp", antwortete sein Kamerad. "Ich habe seit Tagen keine Kaninchenspuren mehr gesehen." Daraufhin redeten sie nicht mehr, obwohl sie aufmerksam auf die Jagdrufe achteten, die immer wieder hinter ihnen erklangen. Bei Einbruch der Dunkelheit trieben sie die Hunde zu einer am Rande der Wasserstraße befindlichen Fichtengruppe und schlugen ein Lager auf. Der Sarg an einer Seite des Feuers diente als Sitz und Tisch. Die Schlittenhunde, die sich auf der anderen Seite des Feuers versammelt hatten, knurrten und zankten miteinander, zeigten aber keine Neigung, sich in die Dunkelheit zu entfernen. "Will mir scheinen, Henry, dass sie auffallend nahe am Lager bleiben", kommentierte Bill. Henry, der am Feuer hockte und die Kaffeekanne mit einem Stück Eis füllte, nickte. Er sprach erst wieder, als er auf dem Sarg Platz genommen und zu essen begonnen hatte. "Sie wissen, wo sie sicher sind", sagte er. "Lieber fressen sie, als dass sie selber gefressen werden. Sie sind ziemlich klug, diese Hunde." Bill schüttelte den Kopf. "Ach, ich weiß ja nicht." Sein Kamerad sah ihn neugierig an. "Das ist ja jetzt das erste Mal, dass ich von dir höre, dass sie nicht schlau sind." "Henry", sagte der andere und mampfte bedächtig die Bohnen, welche er gerade zu sich nahm, "hast du zufällig bemerkt, wie die Hunde hochgeschossen sind, als ich sie gefüttert habe?" "Sie haben mehr als üblich gerauft", räumte Henry ein. "Wie viele Hunde haben wir denn, Henry?" "Sechs." "Nun, Henry …" Bill hielt einen Moment inne, um seinen Worten mehr Bedeutung zu verleihen. "Wie ich schon sagte, Henry, wir haben sechs Hunde. Ich hab' sechs Fische aus dem Sack genommen. Ich hab' jedem Hund 'nen Fisch gegeben, und, Henry, ich hatte 'nen Fisch zu wenig." "Du hast falsch gezählt!" "Wir haben sechs Hunde", wiederholte der andere leidenschaftslos. "Ich habe sechs Fische herausgenommen. One Ear1 hat keinen Fisch bekommen. Ich bin dann zum Beutel zurück und hab' ihm seinen Fisch geholt." "Wir haben nur sechs Hunde", sagte Henry. "Henry", fuhr Bill fort, "ich will damit nicht sagen, dass es alles Hunde waren, aber sieben Tiere hatten Fisch." Henry hörte auf zu essen, schaute über das Feuer und zählte die Hunde. "Es sind nur noch sechs", sagte er. "Ich hab' den siebten übern Schnee weglaufen sehen", verkündete Bill mit gelassenem Optimismus. "Ich hab' sieben gesehen." Sein Kamerad sah ihn mitfühlend an und sagte: "Ich werd heilfroh sein, wenn diese Reise vorbei ist." "Was meinst du damit", wollte Bill wissen. "Ich meine, dass dir diese Belastung auf die Nerven geht und dass du anfängst, Dinge zu sehen." "So hab' ich auch erst gedacht", antwortete Bill düster. "Und als ich ihn dann durch den Schnee weglaufen sah, schaute ich nach und sah seine Spuren. Dann habe ich die Hunde gezählt, und 's waren noch sechs da. Die Spuren sind im Schnee. Magst sie ansehen? Ich zeig' sie dir." Henry antwortete nicht, sondern kaute schweigend weiter, bis er die Mahlzeit beendete und mit einer letzten Tasse Kaffee abschloss. Er wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab und sagte: "Dann denkst du also, es war …" Ein langer, tief trauriger Ruf, der von irgendwoher aus der Dunkelheit kam, unterbrach ihn. Er hielt inne, um zuzuhören, dann beendete er seinen Satz mit einer Handbewegung in Richtung des Heulens: "- einer von ihnen?" Bill nickte. "Das würd' ich eher glauben als alles andere. Du hast doch...