Löffler | Feministische Staatstheorien | Buch | 978-3-593-39530-2 | sack.de

Buch, Deutsch, Band 49, 264 Seiten, Format (B × H): 141 mm x 215 mm, Gewicht: 340 g

Reihe: Politik der Geschlechterverhältnisse

Löffler

Feministische Staatstheorien

Eine Einführung

Buch, Deutsch, Band 49, 264 Seiten, Format (B × H): 141 mm x 215 mm, Gewicht: 340 g

Reihe: Politik der Geschlechterverhältnisse

ISBN: 978-3-593-39530-2
Verlag: Campus Verlag GmbH


Der Staat ist das größte politische Phänomen der europäischen Neuzeit und daher auch Gegenstand unterschiedlicher Disziplinen. Im Zentrum des Bandes stehen sozialwissenschaftliche Staatstheorien und dabei insbesondere feministische Ansätze. Indem diese nach dem Zusammenhang von Staat und Geschlecht fragen, dem blinden Fleck in den allermeisten Theorien vom Staat, sind sie Kritiken im doppelten Sinn: Zum einen wurden und werden viele staatstheoretische Ansätze aus einer geschlechtertheoretischen Perspektive
kritisiert, zum anderen stehen feministische Staatstheorien in einer Tradition von Herrschaftskritik. Marion Löffler bietet einen Überblick über die neuere staatstheoretische Diskussion und zeigt das Potenzial feministischer Beiträge auf.
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Inhalt

Vorwort 7

1. Einleitung 11

2. Staatstheorie und Staatskritik 37
Merkmale von Staatstheorien 37
›Krisen‹ und Problemwahrnehmungen 40
Staatstheorien als Herrschaftskritik 47

3. Staatstheoretische Ansätze: Feministische Kritik und Rezeption 51
Anmerkungen zur Systematisierung 52
Pluralismus 60
Neopluralismus 64
Institutionalismus 78
Neuer Institutionalismus 83
Marxismus 93
Neomarxismus 102
Poststrukturalismus 111
Staat, Politik und Demokratie 118

4. Ansätze feministischer Herrschaftskritik 127
Der Theoriediskurs des Feminismus 128
Männer- und Männlichkeitsforschung 134
Patriarchat 142
Geschlechterverhältnisse 148
Symbolische Herrschaft 153
Intersektionalität 166
Hegemoniale Männlichkeit 173
Maskulinismus 181
Heteronormativität 183

5.Ansätze feministischer Staatstheorie 189
Trennungsparadigmen im Staatsdiskurs 193
Patriarchaler Staat 197
Patriarchale Einschreibungen 203
Institutionalisierte Männlichkeiten 209
Staatliche Vergeschlechtlichungen 221
Staat und emanzipatorische Geschlechterpolitik 235

Literatur 243


1. Einleitung

Der Staat ist das größte politische Phänomen der europäischen Neuzeit. Er wurde erschrieben und erdacht, gebaut und umgebaut. Er ist Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen, wie er auch Gegenstand alltäglicher Erfahrungen und Auseinandersetzungen ist. Er ist dämonisiert und verharmlost worden. Er wurde als ›Rechtssubjekt‹ konstruiert, wie als ›ideeller Gesamtkapitalist‹, als ›administratives System‹ oder als ›Gehäuse der Hörigkeit‹. Er wurde ebenso als ›Patriarch‹ kritisiert, wie als ›frauenfreundlicher Wohlfahrtsstaat‹ entworfen. Im Zentrum des vorliegenden Buches stehen theoretische Auseinandersetzungen mit dem Staat, die von einem ›feministischen Erkenntnisinteresse‹ motiviert sind. Sie fragen nach seiner Rolle und Funktion in der Herstellung und Aufrechterhaltung ungleicher Geschlechterverhältnisse, aber auch nach seinem Potenzial zu deren Veränderung.
Feministische Staatstheorien stehen und entstehen in wissenschaftlichen Diskussionszusammenhängen mit unterschiedlichen staatstheoretischen Ansätzen. Der feministisch-staatstheoretische Diskurs entwickelte sich im Rahmen ›feministischer Wissenschaft‹ und speist sich aus drei Quellen: Zunächst konnte an Kritiken am Staat und Auseinandersetzungen mit staatstheoretischen Konzepten aus frauenpolitischen Bewegungsmilieus angeschlossen werden. Sodann wurden systematische Kritiken an Staatstheorien und schließlich feministische Theoretisierungen des Staates vorgelegt. Absicht dieses Buches ist es nicht, die Genealogie feministischer Staatsbetrachtungen nachzuzeichnen. Vielmehr sollen unterschiedliche feministische Zugänge zum Staat in ihrer staatstheoretischen Relevanz nachvollziehbar gemacht werden.
Im Rahmen dieser Einleitung soll zunächst darauf eingegangen werden, was unter feministischer Wissenschaft verstanden werden kann. Nur vor diesem Hintergrund ergibt die Bezeichnung ›feministisch‹ für Staatstheorien Sinn. Im Weiteren wird ein Grundverständnis von ›Staatstheorie‹ erarbeitet. Ausgehend von der Tatsache, dass Staatstheorien weder einer bestimmten Disziplin zuzuordnen sind, noch Einigkeit über den Begriff des Staates herrscht, werden sozial- und politikwissenschaftlich relevante Dimensionen staatstheoretischen Arbeitens herausgestellt. Staatstheorien bilden einen Spezialfall politischer Theorie. Sie ermöglichen (kritische) Reflexion politischer Prozesse und stellen selbst Orientierungswissen für politische Praxis bereit. Staatstheorien entwickeln sich daher in Auseinandersetzung mit politischen Veränderungen und sind problemorientiert. Wahrnehmungen politischen und gesellschaftlichen Wandels werden in Staatstheorien bearbeitet, was zu Veränderungen relevanter Problemwahrnehmungen in staatstheoretischen Diskussionen führt. In der Mehrzahl der Ansätze wird Geschlecht nicht als relevante Dimension integriert und ungleiche Geschlechterverhältnisse werden nicht als wichtiges politisches Problem wahrgenommen. Diese Geschlechtsblindheit führt aber zu einer androzentrischen Perspektivierung, sodass selbst herrschaftskritisch motivierte Staatstheorien dazu beitragen können, Geschlechterherrschaft zu legitimieren. Androzentrische Einschreibungen haben sich in den zentralen Begriffen von Staatstheorien festgesetzt, die auch die Auswahlmodi für relevante Problemwahrnehmungen steuern.
Der Begriffshaushalt ›klassischer‹ Staatstheorien schließt daher keine feministische Perspektive ein und lässt eine solche auch nicht zu. Aufgabe feministischer Staatsbetrachtung ist es somit, sowohl diese Lücke aufzuzeigen als auch Ansätze zu entwickeln, um sie zu schließen. Staatstheorien sind Einsätze in politischen Kämpfen und Deutungen. Dabei wird auf den Fundus staatstheoretischer Ansätze zurückgegriffen, der jedoch androzentrisch verfärbt ist und somit strategische Möglichkeiten feministischer Politik beschränkt. Daher erachte ich eine explizit feministische Staatssicht als notwendig. Diese stellt zum einen feministische Kritik am zum Einsatz kommenden Fundus bereit, zum anderen sind feministische staatstheoretische Konzeptionen erforderlich, die das alte Repertoire auch ersetzen und damit aktuelle Debatten in geschlechter-emanzipatorischem Sinne mitgestalten können.

Feministische Wissenschaft

Die Anfänge feministischer Wissenschaft datieren in die Mitte der 1970er Jahre (Harding 1999, 7) und schon bald wurden wissenschafts- und erkenntnistheoretische Arbeiten vorgelegt, in denen Ergebnisse, Methoden und Begrifflichkeiten der Frauen- und Geschlechterforschung sowie der feministischen Wissenschaftskritik aus unterschiedlichsten Disziplinen diskutiert wurden. Diese frühen Diskussionen zeugen von den Schwierigkeiten, auf die feministische Wissenschafterinnen an Universitäten stießen. Sowohl die soziale Organisation des Wissenschaftsbetriebs als auch das vorgefundene Wissen war problematisch. Frauen waren an Universitäten unterrepräsentiert und hatten geringere Karrierechancen als ihre männlichen Kollegen (Felt/Nowotny/Taschwer 1995, 95). Feministische WissenschafterInnen zweifelten jedoch daran, dass sich "die zunehmende Präsenz von Frauen in der Wissenschaft überhaupt in irgendeiner Weise auf wissenschaftliche Fragestellungen und Forschungsresultate" auswirkt (Harding 1999, 18). Schwerwiegender als die Unterrepräsentation von Frauen waren Form und Inhalt wissenschaftlichen Wissens, das sich als keineswegs neutral, sondern als von gesellschaftlichen - in eine wissenschaftliche Sprache transformierten - geschlechtsspezifischen Vorurteilen und Mythen durchzogen herausstellte. "Eine grundlegende wissenschaftskritische Perspektive ist also für die Frauenforschung von Anbeginn konstitutiv und macht eines ihrer zentralen innovativen Momente aus" (Maihofer 2006, 65). Die behauptete wissenschaftliche Objektivität wurde als geschlechtlich parteiisch entlarvt. Im Rahmen der daran anschließenden Debatte um Objektivität forderte Sandra Harding letztlich, das Versprechen wissenschaftlicher Objektivität erst umfassend einzulösen. Das brachte sie in ihrem Konzept der strong objectivity zum Ausdruck (vgl. Harding 1996, 244).
Frauen in der Wissenschaft konnten sich somit nicht auf die ›objektive Wahrheit‹ und Neutralität wissenschaftlichen Wissens verlassen. Denn Wissenschaft wurde (und wird) mitunter "in den Dienst rassistischer, sexistischer, klassenhierarchischer und antihomosexueller Projekte gestellt" (Harding 1999, 18). Die Vermutung, dass die etablierte Wissenschaft Bestandteil eines patriarchalen Herrschaftszusammenhangs ist, führte zur ›radikalen feministischen Kritik‹, die davon ausgeht, "dass der Androzentrismus in der Wissenschaft so tief verwurzelt ist, dass man Wissenschaft entweder insgesamt ablehnen oder aber die Forderung stellen muss, dass sie - als Ganzes - durch eine radikal andere Wissenschaft ersetzt werde" (Keller 1998, 202). Beide Ideen gelten als durchaus problematisch. Wissenschafts- (in einigen Versionen lediglich Theorie ) Verzicht ließe den Wissenschaftsbetrieb unangetastet. Der Idee eines völligen Neubeginns - einer feministischen Wissenschaft als originäre Schöpfung - hielt Evelyn Fox Keller entgegen, dass damit jede emanzipatorische Funktion der modernen Wissenschaft negiert würde und zudem Wissenschaft als rein soziales Produkt gesehen werde - als bloße Ideologie (ebd.). Problematischer als der Ideologieverdacht ist die implizite Annahme, dass es eine wertfreie, rein wissenschaftliche Forschung geben (Harding 1999, 19) und feministische Wissenschaft diesen Anspruch auch einlösen könne. Tatsächlich wurde schon Mitte der 1980er Jahre der Versuch aufgegeben, "genuin eigene Methoden zu entwickeln" (Hark 2001, 10).
Wenn feministische Wissenschaft folglich weder alle nicht-feministische Wissenschaft pauschal verwerfen noch einen umfassenden Gegenentwurf liefern will, stellt sich die Frage nach feministischer Wissenschaft als Frage nach einer spezifisch feministischen Perspektive: "[M]it einer feministischen Perspektive haben wir es dann zu tun, wenn die Interessen und Belange von Frauen, bzw. deren Unterdrückung und Benachteiligung in den Mittelpunkt gerückt werden, und zwar (dies muss hinzukommen) mit der Absicht ihrer Veränderung" (Klinger 1993, 9). In Cornelia Klingers Einschätzung ist Feminismus folglich Gesellschaftskritik - genauer Herrschaftskritik - nämlich Kritik an einer patriarchalen Geschlechterordnung, die auf sexueller Diskriminierung basiert, und ein emanzipatorisches Projekt, das auf die Transformation dieser kritisierten Gesellschaftsordnung zielt. Dies korrespondiert mit der üblichen Einschätzung von feministischer Theorie: Sie "fokussiert in herrschaftskritischer Absicht auf die Verfasstheit von Geschlechterverhältnissen" (Hark 2001, 10). So wurde - quasi als Radikalisierung der Mannheim'schen These - die Reflexion des Standpunkts zum Programm, was letztlich nicht gleichbedeutend ist mit einem einzigen und in diesem Sinne richtigen ›Frauenstandpunkt‹, sondern in die Erkenntnis einer Vielfalt von Standpunkten (situated knowledges) münden sollte (vgl. Haug 1995, 221).
So formuliert erweist sich eine feministische Perspektive in der Wissenschaft eher als ›politisch‹ denn als ›wissenschaftlich‹. Doch dieser scheinbare Widerspruch entsteht nur auf Basis eines Wissenschaftsverständnisses, das eine Trennung der Sphären von Wissenschaft (Denken, Theorie) und Politik (Handeln, Praxis) als gegeben voraussetzt. Demgegenüber steht die Vorstellung von Wissenschaft als sozialem Prozess. "Dieses Verständnis ist sowohl politisch wie intellektuell eine notwendige Voraussetzung für eine feministische Wissenschaftstheorie" (Keller 1989, 286). Insbesondere die Politikwissenschaft gilt als soziale Praxis, und dies nicht nur in feministischer Absicht. So definieren beispielsweise Hubertus Buchstein und Dirk Jörke Politikwissenschaft wie folgt:

"Politikwissenschaft ist eine soziale Praxis, die eingebettet ist in ein Universum von Bedeutungen, Praktiken und unhinterfragten lebensweltlichen Selbstverständlichkeiten. Zugleich wirkt sie auf die Lebenswelt mit ihren Bedeutungen und Praktiken ein und trägt (mehr oder minder nachhaltig) zu deren Veränderung bei" (Buchstein/Jörke 2007, 30).

Damit bleiben auch die beiden Sphären (Wissenschaft und Politik) aufeinander bezogen. Unter der Prämisse, dass Denken und Handeln nicht losgelöst voneinander existieren, kann die Kritik an bestimmten Denkstilen (Ideologiekritik) einen Beitrag zur Herrschaftskritik leisten. Politische Theorien stellen Deutungsangebote bereit, die somit in politische Prozesse intervenieren (Schaal/Heidenreich 2006, 19). Obwohl also die Entscheidung, die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern zu wollen, im Grunde politisch ist, ist sie auch die Offenlegung eines wissenschaftlichen Motivs - eines emanzipatorischen Erkenntnisinteresses -, dessen Verschleierung ideologisch wäre. Diese "Spannung zwischen wissenschaftlichem Erkenntnisinteresse und dem politischen Anspruch der Transformation herrschaftsförmiger Verhältnisse zwischen den Geschlechtern" (Hark 2001a, 230) bildet nach wie vor ein konstitutives Element feministischer Theoriebildung.


Marion Löffler, Dr. phil., war Mitarbeiterin am Gender Kolleg Wien und bis 2010 Assistentin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Derzeit ist sie dort Lehrbeauftragte im Bereich politische Theorie und Ideengeschichte.


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