Lins | Einführung in die systemische Sexualtherapie | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 121 Seiten

Reihe: Carl-Auer Compact

Lins Einführung in die systemische Sexualtherapie


1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-8497-8239-9
Verlag: Carl Auer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 121 Seiten

Reihe: Carl-Auer Compact

ISBN: 978-3-8497-8239-9
Verlag: Carl Auer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Um mit den veränderten Beziehungs- und Familienmodellen der Menschen Schritt halten zu können, braucht auch die Sexualtherapie zeitgemäße Konzepte. So legt z. B. die Dynamik, mit der das LGBTQ-Spektrum vom Rand in die Mitte der Gesellschaft rückt, einen Perspektivenwechsel nah. Wo nicht mehr ausschließlich in männliche und weibliche Sexualität getrennt wird, wo Vielfalt als Bereicherung erlebt wird, profitieren auch heterosexuelle Paare von einer Beratung.

Der defizitären Sicht, was in der Sexualität nicht gut "funktioniert", stellt Karina Kehlet Lins ein ressourcenorientiertes und selbstbestimmtes Narrativ gegenüber, das die Partner jeder für sich bzw. gemeinsam entwickeln.

Die Einführung gibt eine Übersicht über den therapeutischen Umgang mit den häufigsten sexuellen Problemen. Zugleich vermittelt sie, welches Denken hinter einer systemischen Intervention in der Sexualtherapie steht. Beispielinterventionen, etwa zu sexueller Lustlosigkeit, illustrieren den Transfer in die eigene Praxis.

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2Besonderheiten der systemischen Sexualtherapie
2.1Vom Können zum Wollen
Es gibt verschiedene theoretische Modelle des menschlichen sexuellen Reaktionszyklus, am bekanntesten ist das von Masters und Johnson (1966)2. Die klassische Sexualtherapie, die auf diesem Modell basiert, hat sich auf die Behandlung von Symptomen sexueller Dysfunktionen konzentriert und orientiert sich an verhaltenstherapeutischen Methoden. Obwohl die meisten Klienten ein erfüllteres Sexualleben anstreben, wird weitestgehend die körperliche Behandlung dieser Dysfunktion angestrebt mit dem Fokus auf Entspannungsübungen wie der Sensate-Focus-Intervention, einer bestimmten Vorgehensweise mit Streichelübungen. Dieser Ansatz kann bei manchen Problemen hilfreich sein. Paare, deren Sexualität durch massive Ängste gestört ist, können von dieser klassischen Sexualtherapie profitieren, auch wenn es dabei nicht um mehr als eine Angstreduktion geht (Maß u. Bauer 2016). Dieser Ansatz ist aber bei fehlender oder unterschiedlicher Lust der beiden Partner – heutzutage die häufigsten Probleme innerhalb der Paar- und Sexualtherapie – nur begrenzt hilfreich. Das Funktionsparadigma ist dem Modell von Masters und Johnson inhärent. Und obwohl die individuelle Psychodynamik wie auch die Paardynamik der sexuellen Symptomatik mit einbezogen werden können, geht es grundsätzlich um einen Zusammenhang zwischen Angst und Erregung bei Interventionen, die typischerweise auf Entspannung zielen (Clement 2001). Interessanterweise kann man auch beobachten, dass, wenn beispielsweise ein Vaginismus mithilfe einer Therapie behoben wird, sich stattdessen eine Luststörung entwickelt. Es kann sogar passieren, dass der andere Partner, der vorher noch keine Symptome hatte, eine Erektionsstörung entwickelt (Sanders 2003). Ein Symptom kann also eine große Aussagekraft haben und darum ist es wichtig, seine Bedeutung besser zu verstehen, beispielsweise indem man es im Rahmen des Beziehungskontextes untersucht. Wenn man den Blick auf die Funktion reduziert, geht die weitergehende Bedeutung des Symptoms verloren. Die klassische Sexualtherapie ist oft mit Sex umgegangen, als ob er vom Rest des Lebens getrennt werden könnte (Hall 2004). Und die Ziele der klassischen Sexualtherapie enden auf der Ebene der normativen, standardisierten Funktionsweise der Geschlechtsorgane. Die klassische Sexualtherapie zielt lediglich darauf ab, die Klienten in einen vorbestimmten, funktionsfähigen Zustand zu versetzen. Auch wenn diese das Potenzial hätten, mehr zu werden als bloß symptomfrei. Die Alternative zu A-priori-Lösungen besteht darin, zu entdecken, was jeder Einzelne werden kann, und es respektvoll zu ermöglichen, dass der Klient in diese Richtung wächst, seine Grenzen so dehnt und erweitert, wie er bereit ist zu gehen. Hier liegt das Potenzial für sexuelle Veränderungen und Wachstum – und es wäre schön, wenn sich mehr Therapeuten trauen würden, diesen Prozess zu begleiten. Die transformative Kraft der Erotik fehlt jedoch weitgehend im Diskurs der klassischen Sexualtherapie (Kleinplatz 2012b). Statt zur Steigerung der allgemeinen sexuellen Befriedigung beizutragen, geben sich viele mit der bloßen Verbesserung der sexuellen Symptome zufrieden. Wir haben uns damit abgefunden und daran gewöhnt, Leistungsprobleme zu lösen, anstatt das sexuelle Potenzial zu steigern (Kleinplatz 2012a). Solange man sexuelle Probleme anhand eines Defizitmodells erklärt, werden Therapien danach konzipiert, was fehlt und mangelhaft ist auszugleichen. Interessanterweise kann man bei den häufigsten sexuellen Problemen, nämlich sexueller Langeweile und Lustlosigkeit sowie der Diskrepanz des Lustniveaus, keine eigentliche Pathologie diagnostizieren (Kleinplatz et al. 2009). Ein geringes sexuelles Verlangen ist nicht einmal eine richtige sexuelle Dysfunktion, weil, im Gegensatz zu anderen sexuellen Problemen, die sexuellen Reaktionen tatsächlich funktionieren (Hall 2004). Also lohnt es sich, eine neue Sichtweise zu entwickeln und einen anderen therapeutischen Weg einzuschlagen. 2.2Besonderheiten der systemischen Sexualtherapie
Sexuelle Probleme sind genauso unterschiedlich wie die Menschen, die sie haben. Darum gibt es keine einzelne Therapie, die für alle funktioniert (Leiblum 2010). Worüber aber mehr und mehr Forscher sich einig sind, ist, dass der ganze Kontext, in dem sexuelle Probleme auftreten, einen sehr wichtigen Anhaltspunkt ausmacht. So kann sexuelles Desinteresse eine gesunde Reaktion auf eine schwierige Situation sein. Wenn jemand zum Beispiel viele Überstunden macht, Stress auf der Arbeit hat, sich sexuell langweilt oder sich um ein krankes Familienmitglied kümmern muss, ist das Symptom sexueller Lustlosigkeit angemessen, wenn man das Umfeld genauer betrachtet. Eine systemische Sichtweise in der Sexualtherapie kann sehr wertvoll sein, um das Blickfeld um diese kontextuellen Faktoren zu erweitern, die einen großen Einfluss auf unseren mentalen Zustand ausüben können. Die Erotik ist schließlich höchst persönlich und wird individuell definiert. Der Punkt ist, dass die sexuelle Funktion nur ein Teil der Lustgeschichte ist. Ein Sexualtherapeut wird im Idealfall individuelle, relationale, familiäre und umgebungsbedingte Faktoren berücksichtigen, die zu einem sexuellen Problem beitragen. So bietet die systemische Sichtweise einen guten Einstieg, indem man schaut, was zur Stabilisierung angesichts einer Problemschilderung hilfreich sein könnte. Wenn sich ein Klient sehr auf Erektionen oder Orgasmen konzentriert, wissen wir, dass er sich am Leistungsniveau orientiert. Und wenn unsere Lösungen nur auf Symptome abzielen, ermutigen wir unsere Klienten, auf dieser Ebene zu bleiben und nicht in die erotische Dimension zu gehen. Vielleicht können wir die Entwicklung zukünftiger Probleme verhindern, indem wir über Performance-Belange hinausgehen – auch wenn das die Beschwerden sind, deretwegen die Klienten sich anfangs bei uns melden, – und uns stattdessen auf die innere und zwischenmenschliche Erfahrung der Klienten konzentrieren (Kleinplatz 2012b). Eine mögliche Vorgehensweise dazu wäre, die Klienten aufzufordern, ihre Fantasien zu untersuchen. Diese können nämlich das Problem und gleichzeitig einen Hinweis auf eine Lösung beinhalten (Morin 1995). Aber so lange Klienten und Therapeuten sich einig sind, dass die Therapie ein Procedere ist, das einen Mangel beheben soll, erzeugen sie ein gemeinsames Problem, nämlich die Fokussierung darauf, was fehlt. Und zwar bei einem Partner, dem »Problemträger«, der mit seinen Defiziten (keine Lust, keine Erektion, kein Orgasmus o. Ä.) für das Leiden des anderen Partners sorgt. So wird die Chance verpasst, ein Problem im ganzen Beziehungskontext zu sehen, was zu zähen und mühsamen Therapieprozessen führt (Clement 2004). Die systemische Sexualtherapie verzichtet deshalb auf diesen Blick auf das Defizit, weil er zu sehr einengt. Eine auf Entwicklung angelegte Therapie füllt nicht eine Lücke, sondern bringt etwas hervor. Die Therapie bringt mit anderen Worten nichts Neues in die Menschen hinein, sondern holt etwas aus den Menschen heraus (Clement 2004), das als Samen bereits in ihnen angelegt ist. Und gerade bei sexuellen Herausforderungen ist es wichtig, dass Menschen über sich selbst sprechen können, also »Ich-Botschaften« senden. Es ist besser, persönlich Stellung zu beziehen, als eine Frage ohne Selbstaussage zu äußern. Wie zum Beispiel »Ich bin in Stimmung. Machst du mit?« statt »Hast du Lust?«. Es ist notwendig, dass jede Person über sich selbst spricht, weil die systemische Sexualtherapie unter anderem darauf abzielt, die Differenzierung zwischen den Partnern zu verfeinern (Vansteenwegen 2003). Es geht nicht darum, die Paarsexualität auf etwas Gemeinsames zu reduzieren, sondern – im Gegensatz zu andere Paartherapien – zwischen individueller und partnerschaftlicher Sexualität zu unterscheiden und die Konflikte zu thematisieren, die aus der Differenz des Begehrens entstehen (Clement 2001). In der systemischen Sexualtherapie werden die sexuelle Identität von Menschen und die erotische Dimension ins Zentrum gestellt und Funktion und Technik erst an zweiter Stelle behandelt. Die klassische Sexualtherapie misst der Erotik und dem sexuellen Begehren einen weitaus geringeren Stellenwert bei. Beide, sexuelle Identität und Erotik, sind flüchtiger und weniger normativ fassbar als die sexuelle Funktion. Aber wenn man Sexualtherapie als Therapie des Begehrens konzipiert, tritt die Orientierung auf Entspannung als Hauptpromoter sexuellen Wohlbefindens zurück und es werden Fantasien und die Ausgestaltung sexueller Inszenierungen auf die Bühne geholt, die nicht unbedingt als entspannend erlebt werden (Clement 2001). Im Gegenteil, wie u. a. Perel (2007) schildert: im Begehren steckt auch eine kleine Portion Angst. Also bewegt sich das therapeutische Ziel in der systemischen Sexualtherapie vom gemeinsamen »Können« weg zur Differenz im »Wollen« und untersucht gleichzeitig die Bereitschaft beim Klienten, neue Wege zu beschreiten, die nicht unbedingt risikofrei sind. Dieses Risiko ist nicht unwesentlich, denn Ehrlichkeit bewirkt...


Karina Kehlet Lins hat 2001 ihr Diplom der klinischen Psychologie an der Freien Universität Brüssel gemacht, ihre Ausbildung und Zertifizierung in systemischer- und Familientherapie 2005 an der Universitätsklinik Löwen. 2019 absolvierte sie die Ausbildung "Sexuelle Störungen und ihre Behandlung" bei isi - Institut für Systemische Impulse, Berlin. Ihre Arbeitsgebiete und Schwerpunkte sind die Paartherapie, Sexualtherapie und LGBTQ+



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