E-Book, Deutsch, 129 Seiten
Reihe: espresso
Kurzlehrbuch mit eLearning-Kurs
E-Book, Deutsch, 129 Seiten
Reihe: espresso
ISBN: 978-3-381-12203-5
Verlag: UVK Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dr. Martin Linne war viele Jahre Dozent und ist in der Tourismusberatung und -forschung tätig.
Autoren/Hrsg.
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1.5 Bezugsrahmen
Aus der Vielschichtigkeit der Tourismuswissenschaft leitet sich auch in der Praxis ein breit gefächerter Kanon an Bezugspunkten ab. Für viele macht gerade das den Reiz aus, eine berufliche Orientierung im Bereich des Tourismus zu finden. Bezugsrahmen des Tourismus | [2] Wir werden von der Gesellschaft beeinflusst und umgekehrt. Das gilt auch auf Reisen. Das Reisen an sich ist schon ein Wert in der Gesellschaft. In unserer westlichen, industriell geprägten Kultur wird das Reisen teilweise als gesellschaftliche Notwendigkeit angesehen. Und wir Deutschen sind – und bleiben das auch nach Covid19 – Reiseweltmeister. Eine Haupturlaubsreise und viele kleinere Wochenendreisen gehören für viele Menschen zum Lebensgefühl dazu. Schon Aristoteles definierte den Menschen als „zoon politicon“, als ein Wesen, das nicht ohne Gesellschaftsbezug existieren kann. Das sehen wir in verschiedenen Formen auch im Tourismus. Gruppenreisen, Reisebekanntschaften und der Austausch über das Reisen sind für uns elementar. Schließlich reden Reisende sehr gern über ihre Erfahrungen. Dabei unterscheiden sich das Treffen im Kegelclub, die Dia-?Shows der 1970er-?Jahre oder die Autoaufkleber nur technisch von den Posts auf Facebook, Instagram & Co: Schaut her, wo ich gewesen bin! Wir versuchen es, uns mit unseren Reiseerlebnissen gesellschaftlich zu inszenieren. Reisethemen sind in den Sozialen Medien beliebt; Reiseblogs werden intensiv gelesen. Gesellschaft verändert sich stetig. Damit sind nicht nur Moden und Trends gemeint. Der demografische Wandel (mehr ältere Menschen, älter werden ältere Menschen) kann für die Tourismuswirtschaft positiv gewertet werden. Gerade jetzt, in Zeiten, in denen die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, steht sehr viel Kaufkraft für das Reisen bereit. In Bezug zum weiten Themenkomplex der Kultur, werden Reisen als kulturelles und soziales Lernerlebnis verstanden. Aus Sicht der Kulturwissenschaftler ist Reisen kulturgeprägter Genuss, demonstrativer Konsum (Bezug zur Gesellschaft) und die Aneignung der Welt. Reisen bildet. Reisen fördert auch den kulturellen Austausch. Das kann jedoch auch zu kultureller Verfremdung und Veränderung führen. espresso-Wissen | Akkulturation Treffen Menschen unterschiedlicher Kulturkreise aufeinander, führt das zu gegenseitiger Beeinflussung der bisherigen Verhaltensweisen. Reisen führt zum Kontakt der Kulturen – insbesondere auf Auslandsreisen, aber nicht nur dort. Der Reisende erlebt die Kultur der Zielregion. Doch ist die immer noch authentisch oder wird uns im Zuge der Vermassung des Reisens nicht auch eine Scheinkultur vorgespielt? – Dafür müssen wir gar nicht ins Ausland reisen. In nahezu jedem Urlaubsort werden Heimatabende dargeboten und die Traditionen, Gebräuche oder Trachten der Orte präsentiert. Doch das ist in der Regel nicht mehr die gelebte, allenfalls die erinnerte Kultur. Schattenseiten des Reisens zeigen sich besonders im Bezugspunkt Natur. Es ist nicht nur der Schadstoffausstoß, der durch Reisen verursacht wird, auch die Naturräume selbst leiden unter zu viel Tourismus (Skigebiete, Tauchriffe etc.). Fehlentwicklungen des Massentourismus sind nicht zu übersehen. Die Verantwortung der Menschen im Tourismus zeigt sich in Überlegungen zur Nachhaltigkeit von Reisen und in Formen des sanften Tourismus. Natur im weiten Sinn ist als Standortfaktor Auslöser für Reisen: das Meer mit den Stränden, Berge, Seen, Flüsse. Für den Tourismus wird fast zwangsläufig in die Natur eingegriffen. Es werden Wege gebaut, Schilder aufgestellt oder Aussichtsplattformen errichtet, um die Natur zu erleben oder genauer: um Naturerlebnisse zu inszenieren. Für die touristische Infrastruktur werden viele Flächen verbraucht: Verkehr, Unterkunft, Gastronomie, Unterhaltung. Im Tourismus wird mittlerweile immer häufiger Natur nachgebaut um sie als künstliche Erlebniswelt besser konsumierbar zu machen. Natur und Tourismus – das muss kein Konfliktthema sein. Ein verantwortungsbewusster Umgang ermöglicht z. B. auch in Schutzgebieten gezielten Tourismus. Schutzgebiete steigern die Wertigkeit der Natur aus touristischer Sicht. espresso-Wissen | Nationalparktourismus Gerade in ausgewiesenen Nationalparks kann ein besonders anspruchsvolles Naturerlebnis generiert werden. Auf ausgewiesenen Wegen können Highlights besonders gut gesehen werden. Aussichtpunkte und Fotostopps unterstreichen das und lenken so die Besucher gezielt durch die Nationalparks. Mit Ausstellungsräumen und interaktiven Medien lassen sich die Besonderheiten des Gebiets darstellen. So kann es gelingen, Verständnis zu schaffen und zur Umweltbildung beizutragen. Technologien begeistern die Menschen. Wer kennt nicht die faszinierenden die Romane von Jules Vernes, Frank Schätzing oder Marc Elsberg. Technikglaube ist eng mit Fortschrittsdenken verbunden und mit der Hoffnung auf eine bessere Welt verknüpft. Technologische Entwicklungen begleiten den Tourismus seit Anbeginn. Deutlich wird das an der Entwicklung der Verkehrsmittel. Die Dampflok brachte für die Tourismusbranche einen riesigen Schub. Wo Bahnhöfe entstanden, entwickelte sich auch der Tourismus. Heute ist es die Fliegerei, die den Tourismus entstehen lässt. Werden ferne Reiseziele von Fluggesellschaften als lohnendes Ziel erkannt, dann kann sich heute wie von 150 Jahren der Tourismus um die Verkehrsinfrastruktur herum entwickeln. Der Schiffsbau faszinierte die Reisenden bis hin zu dem Irrglauben, es sei möglich, Schiffe zu konstruieren, die nicht untergehen können. Heute konstruieren wir immer größere Kreuzfahrtschiffe, erschaffen künstliche Inseln und bieten sogar touristische Weltraumflüge an. Die technologische Entwicklung scheint unaufhaltsam zu sein. Das Telefon, die Postkarte oder das Smartphone – immer sind Reisende bestrebt, modernste Technologien der Kommunikation zu nutzen. Viele Prozesse werden im Tourismus zunehmend digitalisiert: Hotelbuchungen, Check-?in und Check-?out mittels Smartphone, Chatbots für Kundenanfragen, Beacons um digitale Stimulierungen auf das Smartphone einzuspielen, virtuelle Rundgänge oder 3D-?Animationen sind heute fast ebenso normal wie Serviceroboter im Restaurant oder an der Bar. So können touristische Betriebe effizienter wirtschaften, Personal kundenorientierter einsetzen und den Energieverbrauch sukzessive reduzieren. Technik kann selbst zum Erlebnis, zum touristischen Produkt werden. Technikmuseen, Erlebniswelten der Automobilhersteller, UNESCO-?Welterbestätten, historische technische Errungenschaften, Technik Messen u. v. m. können auch als Reiseanlass dienen. espresso-Wissen | Technikgläubigkeit Wie fatal der Glaube an Technik wirkt, können wir am Untergang der Titanic nachvollziehen, einem Schiff, das für unsinkbar gehalten wurde. Wie wirkt es auf den Gast, wenn Menschen zunehmend durch Roboter ersetzt werden? Die japanische Hotelkette Henn na Hotels setzt an den Rezeptionen nur Roboter ein, die entweder in menschlicher Gestalt oder als Dinosaurier daherkommen und den Check-?in- und Check-?out-Prozess autonom durchführen können. Wie Künstliche Intelligenz im Tourismus eingesetzt wird – diese spannende Entwicklung beginnt gerade erst richtig. Das Rechtssystem stellt den Rahmen unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft dar. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) ist neben dem Grundgesetz eine wesentliche Säule unseres Rechtssystems. Im BGB werden im 3. Kapitel Verbraucherverträge näher geregelt. Einen besonderen Regelungsbedarf sieht das BGB für den Pauschalreisevertrag: § 651 a bis y. Dem Gesetzgeber ist es wichtig, den Verbraucher besonders zu schützen; denn Reiseverträge sind äußerst komplexe Rechtsgebilde. espresso-Wissen |...