E-Book, Deutsch, Band 6066, 246 Seiten
Reihe: Beck Paperback
Eine etwas andere Einführung in das Recht
E-Book, Deutsch, Band 6066, 246 Seiten
Reihe: Beck Paperback
ISBN: 978-3-406-79482-7
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Warum darf man nicht bei Rot über die Straße? Kommt doch eh kein Auto.
Bei solchen Fragen lautet die Antwort oft: Weil es im Gesetz steht. Aber wieso kriegt ein Mörder einen Rechtsanwalt, der ihm hilft, eine möglichst geringe Strafe zu bekommen? Ist das gerecht?
Nicola Lindner hat einen anschaulichen Leitfaden durch unser Recht geschrieben, der die Welt der Paragraphen Kindern, Jugendlichen - und auch Erwachsenen - verständlich macht. Juristisches Wissen wird hier geschickt mit vielen Beispielen verknüpft. Denn Recht ist überall: Es begegnet uns vom Aufstehen bis zum Schlafengehen. Und es ist viel spannender, als man oft denkt!
Autoren/Hrsg.
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1. Kapitel Recht – Was ist das?
Möglicherweise hast du schon einmal eine Straftat begangen. Vielleicht bist du in einen Bus oder eine Straßenbahn eingestiegen ohne eine Fahrkarte zu kaufen. Dann wärst du ein Schwarzfahrer gewesen und hättest dir «Leistungen erschlichen». Oder du hast eine gute CD mehrmals kopiert und sie an Mitschüler verkauft. Dann hättest du gegen das Urheberrechtsgesetz verstoßen, du hättest nämlich «Raubkopien» verkauft. Oder du hast dir schon einmal selbst eine Entschuldigung für die Schule geschrieben und sie mit dem Namen deiner Eltern unterschrieben. Dann hättest du eine Urkundenfälschung begangen. Oder du warst schon einmal als Graffiti-Sprayer unterwegs. Dies wäre eine Sachbeschädigung gewesen. In allen Fällen hättest du gegen das Recht verstoßen. Ein Recht, das du konkret gar nicht kennst. Und trotzdem weißt du, dass man nicht «schwarzfährt», keine Raubkopien verkauft, keine Unterschriften fälscht oder keine Sachbeschädigung begeht. Aber was ist das genau, dieses Recht, an das wir uns alle halten müssen, von dem wir aber keine Ahnung haben, wo es steht und was es genau bedeutet? I. Von Regeln und Gesetzen
Jeder Mensch kommt jeden Tag mit dem Recht in Berührung. Auch du. Als Fahrradfahrer musst du vor der roten Ampel anhalten. Das sagt dir eine Rechtsvorschrift, nämlich die Straßenverkehrsordnung. Wenn du ein Computerspiel haben willst, dann musst du es bezahlen, sonst begehst du einen Diebstahl. Du musst zur Schule gehen, das schreibt dir das Schulgesetz vor. Und du darfst kein Taschenmesser haben, das du nur mit einer Hand öffnen kannst oder das über eine feststehende Klinge verfügt. So steht es im Waffengesetz. Es gibt also eine Vielzahl an Rechtsvorschriften, die für dich gelten, ohne dass du sie überhaupt kennst. Es gibt auch viele Berufe, die sich mit dem Recht beschäftigen. Vielleicht kennst du einen Rechtsanwalt, eine Staatsanwältin oder einen Richter. Jedenfalls hast du schon einmal von diesen Berufen gehört. Und dass diese Berufe mit dem Recht zu tun haben und dass das Recht irgendwo in Gesetzen steht, das hast du schon mitbekommen. Wenn nicht, dann wirst du es in diesem Buch noch erfahren. Vielleicht haben dir deine Eltern auch schon einmal erklärt, dass ein Rechtsanwalt anderen Menschen hilft, damit sie zu ihrem Recht kommen. Oder, dass ein Staatsanwalt die Aufgabe hat, Straftaten zu ermitteln und anzuklagen. Und dass dann ein Richter oder eine Richterin entscheidet, ob der Angeklagte tatsächlich ins Gefängnis muss und wenn ja, für wie lange. Das ist alles richtig. Wenn du aber wirklich verstehen willst, was eine Rechtsanwältin, ein Staatsanwalt oder ein Richter genau machen, welche Funktion sie in unserem Land haben und warum auch ein Mörder einen Rechtsanwalt hat, der für seine Rechte kämpft, dann musst du dir etwas mehr Zeit nehmen. 1. Ohne Regeln herrscht Chaos
Zum Glück bist du nicht allein auf der Welt. Du bist Sohn oder Tochter deiner Eltern, Bruder oder Schwester deiner Geschwister, Enkelkind deiner Großeltern, Schüler deiner Schule, Patient deines Zahnarztes, Torwart deiner Fußballmannschaft, Fahrradfahrerin im Straßenverkehr und so weiter. Mit all diesen Menschen zusammen bildest du eine Gemeinschaft. In Deutschland leben etwa 83 Millionen Menschen. Bei so vielen Menschen ist es klar, dass nicht jeder das machen kann, was er will. Sonst ginge es drunter und drüber. Also muss es Regeln geben. Vorschriften, an die sich jeder halten muss. Das klingt einleuchtend. Richtig klar wird es aber erst, wenn man begreift, wie eine Gemeinschaft überhaupt funktioniert. Dazu verkleinern wir unsere große Gemeinschaft auf eine «Mini-Gemeinschaft». Stell dir vor, du lebst auf einer einsamen Insel mit dem Namen Urangatonga. Auf der Insel steht eine Palme, am Ufer liegt ein kleines Boot, und dann denken wir uns noch eine Bananenstaude hinzu, damit du nicht verhungerst. Deine Eltern musst du dir wegdenken, du lebst nämlich allein auf dieser Insel. Und das hat durchaus Vorteile. Du stehst morgens auf, wann du willst, du gehst in keine Schule und schreibst keine Diktate. Wenn du eine Banane gegessen hast, wirfst du die Schale hinter dich in den Sand. Und abends gehst du schlafen, wann du es für richtig hältst. Kurz: Du tust und lässt, was du willst. Auf deiner Insel gibt es keine Regeln. Du brauchst auch keine Regeln. Denn egal, was du tust, du störst niemanden. Zwar könntest du Regeln aufstellen, etwa die, auf der Insel keinen Lärm zu machen. Gegen diese Regel könntest du aber jederzeit verstoßen. Auf deiner Insel gibt es niemanden, den es stört, wenn du trotzdem Lärm machst. Daher spricht man bei so einer «Regel» nicht von einer wirklichen Regel- unter Regeln versteht man Vorschriften, die für mehrere Menschen gelten. Deine «Regeln» gelten aber nur für dichdu kannst dich an sie halten oder auch nicht. Die Situation ändert sich, als deine Eltern und dein kleiner Bruder zu dir auf die Insel ziehen. Das erste, was deine Mutter sagt, ist: «Wie sieht es denn hier aus? Überall liegen Bananenschalen rum!» Und du sagst: «Wieso, das stört mich nicht.» Und deine Mutter sagt: «Aber mich stört das, so geht das nicht weiter! Stell’ dir vor, jeder von uns würde seine Bananenschalen in den Sand werfen. Vor lauter Schalen könnten wir uns am Strand nicht mehr richtig sonnen.» Kurzerhand baut deine Mutter aus Blättern einen Korb und stellt die Regel auf, dass alle Inselbewohner ihre Schalen in diesen Korb werfen müssen. Damit bist du nicht einverstanden: «Ich habe keine Lust, jedes Mal, wenn ich gemütlich in der Sonne sitze, aufzustehen, zum Korb zu rennen und die Schale reinzuwerfen. Wie umständlich. Mach ich nicht.» Bevor es zu einem großen Streit kommt, schlägt deine Mutter vor, über diese Frage abzustimmen – Korb ja oder nein? «Ganz klar: Nein», brummst du. «Ganz klar: Ja», brummen dein Vater und deine Mutter, und dein Bruder sagt nach kurzem Zögern: «Ok, dann machen wir das halt so.» Du wirfst deinem Bruder einen bösen Blick zu und murmelst was von Verräter, aber das Ergebnis ist klar: 3 zu 1 für die Korbregel. Du konntest dich leider nicht durchsetzen, und so bleibt es dabei, Bananenschalen müssen in den Korb geworfen werden. Sobald zwei und mehr Menschen zusammenleben, brauchen sie Regeln. Was auf der Insel die Korbregel ist, sind bei euch zu Hause die Regeln, schmutzige Wäsche in den Wäschekorb zu werfen und die Schuhe an der Haustür auszuziehen. Das sind aber nur Regeln, die innerhalb einer bestimmten Familie gelten. In der nächsten Familie gelten wieder ganz andere Regeln – aus deiner Sicht weniger strenge. Da räumt die Mutter die Wäsche hinter einem her, und man kann mit Straßenschuhen durchs Haus laufen. Und es gibt mehr Taschengeld, und man darf abends länger aufbleiben. Zu ärgerlich, dass man ausgerechnet in der Familie wohnt, in der nichts, aber auch gar nichts erlaubt ist. 2. Je mehr Menschen, desto mehr Regeln
Wenige Menschen können sich schnell auf einige Regeln einigen. Je mehr Menschen es gibt, desto schwieriger wird eine solche Einigung. Auf Urangatonga ist es wunderschön. So wunderschön, dass auch andere Menschen kommen, um hier zu wohnen. Jeden Tag landen mehrere Boote am Strand. Nach kurzer Zeit sind es Hunderte von Menschen. Sie bringen Surfbretter, Radios, Grills und Limokisten mit. Einer hat sogar ein aufblasbares Partyzelt dabei. Ihr seid entsetzt. Mit der Ruhe und Ordnung ist es vorbei. Limoflaschen liegen herum, Musik schallt über die halbe Insel, man stolpert über herumliegende Surfbretter, und Bananenschalen liegen im Sand. Deine Familie und du, ihr wisst nicht, was ihr tun sollt, ihr wisst noch nicht einmal, wie diese Menschen heißen. Und wenn ihr sie bittet, die Limoflaschen wieder zurück in die Kisten zu tun, bekommt ihr als Antwort: «Keine Lust.» Aber nicht nur ihr, sondern auch einige andere neue Inselbewohner finden die Situation auf der Insel chaotisch. Einer ist sogar in eine Scherbe getreten und hat sich schwer am Fuß verletzt. Er schimpft: «Ist denn hier alles erlaubt? Muss ich mir das gefallen lassen?» Ihr habt alle den gleichen Gedanken – es müssen Regeln her. Mehr Regeln als früher. Aber wie macht man Regeln für viele Menschen? Und was passiert, wenn sich nicht alle daran halten? Einer der ersten Menschen, die erkannt haben, dass man Regeln braucht, war der babylonische König Hammurapi. Und das schon vor 3800 Jahren. Er ließ seine Gesetze in Steinstelen einmeißeln und stellte sie an mehreren Orten im babylonischen Reich auf. Der sogenannte Codex Hammurapi bestand aus nur 8000 Wörtern. Geregelt wurde das, was die Menschen – damals wie heute – beschäftigte. Geregelt wurde das Ehe- und Erbrecht, das Miet- und Sachenrecht, das Kaufvertragsrecht oder das Strafrecht. Das Gesetz enthielt auch Regeln zum Sklavenrecht, schließlich war der Sklavenhandel damals gang und gäbe. Damit sich jeder an das Gesetz hielt, sagte König Hammurapi, er sei von Gott dazu beauftragt worden. Außerdem behielt das Gesetz so auch nach seinem Tod seine Wirkung. Historiker sind sich einig, dass der Codex Hammurapi 1500 Jahre lang für die Rechtsprechung eine Rolle spielte. Einer dieser Gesetzessteine ist bis heute gut erhalten. Er ist etwa 2,2 Meter hoch und befindet sich im Louvre in Paris. Du kannst ihn dir also ansehen. Wann werden Regeln zum Gesetz? Wenn überwacht wird, dass die Regeln eingehalten werden, und sie zwangsweise durchgesetzt werden, wenn sich jemand nicht daran hält. 3. Aus einer Regel wird ein Gesetz
In Deutschland herrscht kein König, der bestimmt, was Recht und Gesetz ist. Deutschland ist ein demokratisches Land. Der Begriff Demokratie kommt vom griechischen Wort «demos», und das...