Libera | 400 Jahre russisch-chinesische Beziehungen. Der Weg zueinander | Buch | 978-3-95935-620-6 | sack.de

Buch, Deutsch, 672 Seiten, Paperback, Format (B × H): 155 mm x 220 mm, Gewicht: 1052 g

Libera

400 Jahre russisch-chinesische Beziehungen. Der Weg zueinander

Buch, Deutsch, 672 Seiten, Paperback, Format (B × H): 155 mm x 220 mm, Gewicht: 1052 g

ISBN: 978-3-95935-620-6
Verlag: disserta verlag


Die Geschichte der russisch-chinesischen Beziehungen erstreckt sich über vier Jahrhunderte. Auf diesem Weg rückten die Staaten mal näher und mal weiter auseinander, erlebten Phasen sowohl der Freundschaft als auch der Abkühlung, aber das Beziehungsgefüge wurden nie zerrissen. Der Grundstein der russisch-chinesischen Beziehungen wurde dank gegenseitiger Handelsinteressen gelegt. Urkunden zufolge gehen die ersten Versuche der Russen, Kontakte mit Chinesen aufzunehmen, auf das Jahr 1608 zurück. Mitte des 17. Jhd. schuf die Konvergenz der territorialen Besitzungen Russlands und Chinas die Voraussetzungen für die Aufnahme dauerhafter Diplomatischer – und Handelsbeziehungen. In der Folge fanden in August 1689 in Nertschinsk Verhandlungen, die in der Unterzeichnung des allersten Friedens- und Gutnachbarschaftsvertrags zwischen einem europäischen Staat und dem größten Staat Ostasiens gipfelte. Im 19. Jhd. wurden als Ergebnis einer Reihe von Verhandlungen mehrere bedeutende diplomatische Dokumente unterzeichnet. Auch die Rolle der russischen Reisenden und Wissenschaftler, chinesischer und russischer Diplomaten wird nicht unerwähnt bleiben, die einen großen Beitrag zur Entwicklung der Beziehungen zwischen China und Russland geleistet haben. Ihre Eindrücke und Erinnerungen sind fester Bestandteil dieses Buches.
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Textprobe:

Vorwort
Die Geschichte der russisch-chinesischen Beziehungen erstreckt sich über vier Jahrhunderte, was China sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne zum „ältesten Nachbarn“ Russlands macht. Auf diesem Weg rückten die Staaten mal näher und mal weiter auseinander, erlebten Phasen sowohl der Freundschaft als auch der Abkühlung, aber das Beziehungsgefüge wurden nie zerrissen.
Heute haben Russland und China das Niveau einer umfassenden Partnerschaft und strategischen Zusammenarbeit erreicht. Deshalb ist der Weg, auf dem diese Staaten zu diesem Gipfel aufgestiegen sind, so interessant. Seine Hauptwendungen, Abfahrten und Anstiege werden in diesem Buch beschrieben.
Der Grundstein der russisch-chinesischen Beziehungen wurde dank gegenseitiger Handelsinteressen gelegt. Urkunden zufolge gehen die ersten Versuche der Russen, Kontakte mit China aufzunehmen, auf das Jahr 1608 zurück. Die Mission der Kasaken unter der Leitung von Iwan Petlin im Jahre 1618 wurde der erfolgreichste Versuch.
Eine Vorstellung von den ersten russischen Botschaften gibt ein Eintrag im Buch des Diplomatischen Prikaz (Ministerium) über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen und den Briefwechsel (1-4. September 1618), ein Brief von Zar Aleksej Michajlowitsch an den chinesische Kaiser Shùnzhì über die Entsendung des Sohnes des Bojaren Iwan Perfiljew und des bucharischen Kaufmanns Sekul Ablin (10. März 1658) nach China.
Mitte des 17. Jahrhunderts schuf die Konvergenz der territorialen Besitzungen Russlands und Chinas die Voraussetzungen für die Aufnahme dauerhafter Diplomatischer- und Handelsbeziehungen. In der Folge fanden im August 1689 in Nertschinsk Verhandlungen zwischen den diplomatischen Vertretern des russischen Staates und der Qing-Regierung statt, die in der Unterzeichnung des allerersten Friedens-und Gutnachbarschaftsvertrages zwischen einem europäischen Staat und dem größten Staat Ostasiens gipfelte. Im Jahre 1688 folgte der Abschluss eines Abkommens mit China. Die Verhandlungen wurden von F. A. Golowin geführt (13. August 1688). Ein weiteres wegweisendes Dokument, das die bilateralen Beziehungen zwischen Russland und China stärkte, war der Vertrag von Kjachta von 1727, der den russisch-chinesischen Grenzhandel legalisierte und die Zukunftsaussichten für zwischenstaatliche, kulturelle und Handelsbeziehungen festlegte, die sich in der zweiten Hälfte des 18. und 19. Jahrhunderts entwickelten.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden als Ergebnis einer Reihe von Verhandlungen, die von Russland initiiert wurden, mehrere bedeutende diplomatische Dokumente unterzeichnet (darunter Vertrag von Aigun, Vertrag von Tianjin, Vertrag von Peking (zusätzlicher), Vertrag von St. Petersburg), die das Interesse beider Parteien an der Gewährleistung der Sicherheit, sowie an der Regelung von Handelsfragen und territorialen Abgrenzungen in Zentralasien widerspiegeln.
Im Zusammenhang mit der wachsenden Expansion westlicher Länder in den Fernen Osten wurden sie zur Grundlage für die Bildung der verbündeter Beziehungen und kultureller Interaktionen zwischen Russland und China.
Und natürlich darf die Rolle der russischen Reisenden, Wissenschaftler und Teilnehmer der Russischen Geistlichen Mission in Peking, chinesischer Diplomaten, adligen und gewöhnlicher Chinesen nicht unerwähnt bleiben, die einen großen Beitrag zur Entwicklung der Beziehungen zwischen China und Russland geleistet haben. Auch davon wird in diesem Buch gesprochen. Ihre Eindrücke und Erinnerungen sind fester Bestandteil dieses Buches.
Die Revolution von 1917 in Russland und der darauf folgende Bürgerkrieg veränderten den ideologischen Rahmen der Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Aber diese Ära der Beziehungen zwischen China und Russland wird im zweiten Teil dieses Buches beschrieben.
Erste Chinesen im russischen Staat (Mitte des 17. Jahrhunderts)
Auf Grund der veröffentlichten und archivierenden Dokumente, werden in diesem Kapitel die Informationen über das Erscheinen der ersten ethnischen Chinesen in den 1650-er Jahren (als Kriegsgefangene, Überläufer, Dolmetscher) in Russland dargestellt.
Als die russischen Entdeckungsreisenden Mitte des 17. Jahrhunderts die Macht des russischen Zaren über das Gebiet Priamurije zu befestigen versuchten, stießen sie auf den Widerstand der Mandschu, die dieses Territorium als ein Teil ihres Staates betrachteten. Eine Reihe von militärischen Auseinandersetzungen führte zum Aufkommen von Kriegsgefangenen und Überläufern von beiden Seiten. Es gibt dokumentierte Fälle, wie die Chinesen in russischer Kriegsgefangenschaft gerieten.
Der erste Chinese der bei der Schlacht am 24. März 1652 zwischen den Kasaken und den Mandschus in Gefangenschaft geriet war Kabyschejka. Während des Verhörs nannte er sich „kaiserlicher Soldat aus der Stadt Nülguzkij“. Die Stadt Nülguzkij oder Ninguta (heute Ning´an), in der Mandschurei neben dem Fluss Amur war in den 1650-er Jahren als Hauptstützpunkt der Mandschus in ihren Kämpfen gegen die Russen. Aus dieser Stadt schickten die Mandschu rekrutierten Chinesen aus den von ihnen eroberten Provinzen in China zum Militärdienst. Während Kabyschejka über die Situation in China berichtete, erzählte er, dass er gebürtig „ aus Nikanland sei“, dass „der Kaiser Schamschakan in seinem Land [Nikan] Krieg führt“ und, dass „der Kaiser von Nikan niemandem ein Jasak zahlte“ [das bedeutet, dass dieser Herrscher unabhängig war].
In der russischen Historiographie existieren drei Versionen der politischen und ethnischen Identifikation den Nikanen und Nikanschen Kaiserreich. Die wahrscheinlichste davon erscheint diese Version, dass unter „Nikanen“ verstand man Chinesen. In seinem Bericht bezeichnete Kabyschejka als „Nikanen“, die Bewohner Chinas, die nach dem Sturz der Ming-Dynastie und nach dem Einfall der Mandschus (1644) weiter Widerstand leisteten und die Treue zur Ming-Dynastie bewahrten. Mitte des 17. Jahrhunderts befanden sich bedeutende Städte im Widerstand sowohl im Süden als auch im Südosten Chinas. Unter dem „Nikanschen Kaiser“ meinte Kabyschejka vermutlich einen Nachfolger des letzten Ming-Kaisers. Man kann auch auf die Etymologie des Begriffs „Nikansches Kaiserreich“ hinweisen, die in „Die Beschreibung ersten Teils des Universums, genannt Asien“ (1677) gegeben war. In diesem Werk, das häufig H. Spafarij-Milesku zugeschrieben wird, wird hingewiesen, dass während der Mandschus Herrschaft bezeichnete man China –“Altes China“ während der Regierungszeit der Ming-Dynastie als „Nikansches Kaiserreich“. Früher verwendete man den Begriff „Altes China“ in Bezug auf das nicht zu unterwerfende Territorium Chinas in seinem „Statejnij Spisok“ Födor Bajkov, der China im Jahre 1656 besuchte. Das Ethnopolitonium „Nikanen“, das die russischen Kasaken während des Verhörs von Kabyschejka hörten (möglicherweise während der Übersetzung aus mandschurischer in russischer Sprache) war wahrscheinlich die Verzerrung des Hauptselbstbezeichnung Chinesen-Han. Kabyschejka war der Erste von wem die Russen im Jahre 1652 über die Existenz der Nikanen und dem Nikanschen Staat erfuhren. Über das Schicksal von Kabyschejka selbst nach seiner Gefangenschaft gibt es keine weiteren Informationen.
Am 4. Juli 1654 wurde von der Kasaken Truppe unter der Leitung von Onufrij Stepanov ein Nikaner gefangengenommen. In seinem Bericht aus dem August 1654 darüber nannte Stepanov den Name des Gefangenen nicht, gab aber die Erzählung vom diesen Mensch wieder. Der Nikaner sagte, dass „er von Bogdykhan gefangen genommen wurde und als Sklave verkauft.“In seinem anderen Bericht von dem 4. April 1655 informierte Stepanov den Wojewoda von Jakutsk M. S. Lodyschenskij darüber, dass er „zwei Ausländer aus dem Nikanschen Kaiserreich gefangengenommen hat, sie wurden getauft und jetzt schickte er sie weiter nach Moskau.“ Und erneut nannte Stepanov die Namen den Gefangenen nicht. In Bezug auf sie berichtete Stepanov folgendes: „[Ursprünglich] wurden sie [die Gefangene] vom Bogdykhan gefangengenommen. Aus dem Bogdykhan Land [China] wurden sie als Sklaven nach Daurien [Gegend am Fluss Amur] verkauft… Und diese Nikanen baten untertänigst… und übergaben ihm [Stepanov] ein Schrift mit der Bitte. sie schnellstens zu taufen… Diese Menschen wurden diesjährig (1654/55) entsprechend ihrer Bitte zur orthodoxen Religion getauft.“
Diesen Berichten nach, befanden sich in der Kasaken Truppe von Onofrij Stepanov drei Nikanen. Sie gerieten in der Amur-Region in Kriegsgefangenschaft, die von Mandschus in diese Region als Sklaven verkauft wurden. Diese Tatsache bezeugt sowohl die Bestrafungsmethoden gegenüber den Kriegern der südlichen Ming-Dynastie als auch der Sklavenhandel, der in den Beziehungen zwischen Mandschus und Bewohnern der Amur-Region stattfand.
In seinem Bericht teilte Stepanov nicht mit, wann genau und unter welchen Umständen, die zwei erwähnten Nikanen in russische Gefangenschaft gerieten. Man kann jedoch ziemlich sicher annehmen, dass dies sich nach der Belagerung des Kumarskij-Ostrog durch die Armee der Mandschus (darin befanden sich auch Nikanen), ereignete. Diese Belagerung dauerte von 13. März bis 4. April 1655. Außerdem befanden sich die Gefangene während einer langen Zeit im russischen Lager, dass bezeugt die Taufzeremonie. Um solche Entscheidung zu treffen braucht man Zeit. Und es ist nicht auszuschließen, dass die Taufe nach der Niederlage von den Mandschus bei der Belagerung von Komarskij-Ostrog stattfand. Dank dieses Ereignisses ist es den Kasaken gelungen, die Chinesen in der Macht und Gerechtigkeit ihres Gottes zu überzeugen. Aus einigen Quellen ist es nicht bekannt, ob in der Kasaken Truppe ein Priester dabei hatte. Mit der Durchführung der Taufzeremonie waren einige Kasaken vertraut, somit könnte es sein, dass sie diese Zeremonie selbst ausgeübt haben.
Nach dem Abzug der Mandschus von Kumarskij-Ostrog im Jahre 1655 schickte Stepanov zwei Nikaner in Begleitung von zwei Kasaken in die Stadt Jakutsk. Eine kurze Information über das weitere Schicksal der Gefangenen findet man in den Dokumenten, die in Russischen Staatsarchiv in der „Abteilung für uralte Akten“ aufbewahrt sind. Diesen Dokumenten nach, trafen die Nikaner in Jakutsk im Juni 1655 ein. Dabei waren es nicht zwei sondern drei Menschen, dabei war auch der erste Nikaner, der am 4. Juli 1654 von Stepanov gefangengenommen wurde. Da dieser Mensch in dem begleitenden Brief von Stepanov nicht erwähnt war, befragte der Wojewoda Lodyschenskij diesbezüglich den begleitenden Kasaken. Diese berichteten ihn, dass „der dritte Gefangene… wurde aus Daurien nach Jakutsk [deswegen] geschickt, weil die anderen zwei Nikaner über ihn gesagt haben, dass sein Verstand schwach sei, und, dass er zu entfliehen versuchte. Warum Onofrij [Stepanov] diesen Mann nach Jakutsk schickte, wussten sie nicht.“ Auf Grund dieser Information, kann man vermuten, dass Stepanov diesen Nikaner bei sich lassen wolle, (vielleicht als Dolmetscher), der jedoch, entschied sich zu fliehen. Und wahrscheinlich geschah es nachdem Stepanov mit der Verfassung des Begleitschreibens fertig war. Wahrscheinlich wollte Stepanov sich nicht erneut mit der Verfassung eines anderen Bericht bemühen (entweder wegen der Eile oder auf Grund des Papiermangels, worüber er selbst schrieb: „in der Gegend des Flusses Amur… [Papier] gibt es nicht und [man kann] es nirgendwo kaufen.“). Möglicherweise deswegen schickte er diesen unzuverlässigen Nikaner mit anderen Gefangenen nach Jakutsk, ohne ihn in der Begleitschrift zu erwähnen.
In Jakutsk hatten die „aus dem Nikansches Kaiserreich angekommene Menschen“ eine Bittschrift sie „in den Dienst beim Zaren aufzunehmen“ dem Wojewoda von Jakutsk übergeben. Wer der Initiator dieser Bittschrift war, konnte nur vermutete werden. Aber aus dieser Bittschrift erfährt man die Namen der Nikanen: „in ihrer Sprache [hießen sie] Tenur und Tschagu und Hischto… nach der Taufe [bekamen sie die Namen] Timoschka [Timophej], Mit`ka [Dimitrij] Iwanov, Was`ka [Wassili] Markov“. Die ersten zwei Männer nach ihren Namen zu urteilen, waren mit einander verwandt oder sie hatten dieselben Taufpaten. Dritter Nikaner-Wassili Markov-war der Mann, der einen Fliehversuch unternahm. Da einige Seiten dieses Archivdokumentes stark beschädigt sind, ist es unmöglich über die vollständige Resolution des Wojewoda’s von Jakutsk zu erfahren. Dasselbe betrifft auch die Kenntnisse über den weiteren Lebensweg von Dmitrij Iwanov [Tschagu] und Wassili Markov [Hischto].
Über Timophej Iwanov jedoch, weißt man, dass er im Jahre 1655 von Jakutsk nach Moskau geschickt wurde. Als er nach Jenissejskij-Ostrog ankam, wurde er von Afanasij Paschkov angehalten. Paschkov beabsichtigte diesen Menschen in Feldzug nach Daurien als Dolmetscher für „tungusischen, daurischen und chinesischen Sprachen“ mitzunehmen. Am 18. Juli 1656 jedoch, wurde Timophej Iwanov von dem Wojewoda des Jenissejsk-Ostrog- Iwan Akinfov überredet, zu ihm überzulaufen. Danach nahm Akinfov ihm mit nach Moskau. Als Paschkov an dem Sibirischen Prikaz über diese Tat berichtete, bezeichnete er Timophej Iwanov als Dolmetscher und Neugetauften, besonders vermerkte er, dass er [Timophej Iwanov] „ausgezeichnet die chinesische Sprache beherrscht“. Weiter berichtete Paschkov, dass er „Timoschka in den Militärdienst in Jenissejsk-Ostrog aufgenommen hat.“ Außerdem bekam Iwanov im Voraus für ein Jahr Gehalt und 20 Rubel für die Kleidung.
Den oben erwähnten Informationen nach, lässt sich festzustellen, dass Timophej Iwanov ein Chinese namens Tenur war, der im Zeitraum von 1654 bis 1655 sich in der Kasaken Truppe unter der Leitung von Stepanov aufhielt. In einigen Quellen wurde ebenfalls erwähnt, dass während der Aufenthalt des russischen Gesandten Spafarij in der Stadt Tobolsk im April 1675, wurden für ihn einige chinesische Schreiben „wahrscheinlich… von demselben Timophej Iwanov“, der damals in Tobolsk wohnte, angefertigt. Diese Behauptung könnte sowohl richtig als auch falsch sein. Dabei jede Version, die von Quellen nicht bestätigt ist, bleibt als ein Resultat den logischen Schlussfolgerungen.
In dem Archiv des Sibirischen Prikaz befindet sich die Bittschrift von Timophej Iwanov, die mit Sicherheit zu denken lässt, dass er in Moskau eingetroffen sein sollte. Diese Bittschrift ist sehr kurz, daher wird sie hier vollständig aufgeführt (verkürzt sind nur die Titulierungen des Zaren): „Den Zaren und Großfürsten Aleksej Michailowitsch…, das Waisenkind, in Daurien geborener Timoschka Iwanov, ein Sohn von Nika, bittet Dich untertänigst [um Gnade]. Ich wende mich an Dich [mit der Bitte], jetzt befinde ich mich in Moskau, ich irre mich durch die Stadt umher. Barmherziger Herr… hab Mitleid mit einem Waisenkind, befiehl, mein Herr, lass mich nach Sibirien zurück gehen lassen, und dort in der Stadt Tomsk in den Dienst in kasakischen Kavallerie einzutreten. Und [als Bestätigung] dazu, befiehl Dein Schrift zum Wojewoda [von Tomsk] zu schicken, damit ich, ein Waisenkind, nicht durch die Stadt weiter herumirre und letztlich von Hunger sterbe, ohne die Möglichkeit, ein Dienst für Dich zu verrichten. Mein Herr, sei gnädig zu mir.“ Auf dieser Bittschrift steht Vermerk: „17. Mai 1657, auf Befehl von Bojaren Fürst Aleksej Nikititsch Trubezkoj [Richter den Sibirischen und Kasanschen Prikasen] soll er [T. Iwanov] nach Tomsk geschickt, wo er in der Kavallerie dienen könne.“ Mit dem Datum 3. Juni 1657 ist ein entsprechendes Schreiben versehen, in dem es bestätigt wurde, dass „der aus Daurien stammende Timoschka Iwanov, Sohn von Nika, nach Tomsk entsendet werden sollte, um dort in der kasakischen Kavallerie zu dienen.“
Somit gibt es kein Zweifel, dass Autor dieser Bittschrift Tenur-Timophej war. Erstens, sein Familienname, genau gesagt Spitzname-“Nika“, der eine verkürzte Form des Worts „Nikaner“ ist. Zweitens, bezeichnete sich der Bittschreiber als „ ein, aus Daurien stammender Mensch“. Drittens, die Zeit der Abgabe der Bittschrift entspricht dem Zeitraum, während T. Iwanov die Stadt Jenissejsk verließ (zweite Hälfte 1656 oder zu Beginn 1657) und in Moskau eintraf.
Diese Bittschrift jedoch, zwingt eine Reihe von Fragen zu stellen. Warum T. Iwanov in Moskau in solch eine Situation geraten- „ich irre mich durch die Stadt herum“? Warum er als Chinese-Nikaner keine Beachtung seitens Moskauer Regierung fand? Dabei suchte Posolskij Prikaz händeringend, auf Grund der intensiven Kontakte mit China, nach Menschen, die die chinesische Sprache beherrschen. Unter Übersetzern und Dolmetschern dieses Ministeriums gab es im zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts Keinen, der aus der chinesischen Sprache [in russische Sprache] übersetzten konnte. Diese Tatsache wird ebenfalls durch den Umstand bestätigt, dass die Übersetzung des chinesischen Schreibens, das dem Gesandten N. Spafarij übergeben wurde, nicht in Moskau sondern in Tobolsk angefertigt wurde. Warum bezeichnete sich T. Iwanov als „Waisenkind“? Solche Selbstidentifikation benutzten in Bittschriften an den Zar die Tjaglie Lüdi, Sluzchilie Lüdi dagegen bezeichneten sich in solchen Schreiben als „Cholopen“. Schließlich, warum äußerte der Bittschreiber den Wunsch ausgerechnet in der Stadt Tomsk zu dienen?
Über weiteren Werdegang Tenur-Timophej Iwanov nach 1657 ist nichts bekannt. Und ob er die chinesischen Urkunden in Tobolsk für N. Spafarij übersetzte, kann man nicht mit Sicherheit beantworten, da Spafarij sowohl der Name als auch Familienname des Übersetzers nicht angegeben. Auch in der Liste von „Sluzschilije Lüdi, Ausländer, Tataren und Händler aus Buchara“ (die auch schon in China waren), die im Jahre 1675 über den besten Weg nach China für die Gesandtschaft unter der Leitung von Spafarij befragt wurden, ist der Name Iwanov nicht erwähnt. Und falls Iwanov zurzeit sich in Tomsk befand, dann ist es seltsam, dass er nicht diesbezüglich befragt wurde, er war nämlich ein Chinese, und dazu auch „ausgezeichnet die chinesische Sprache beherrschte“! Außerdem, sind im „Verzeichnis“ von Sluzschilije Lüdi aus den Jahren 1677-1678 die „tatarischen“, „kalmykischen“ Dolmetschern erwähnt, ein „chinesischer“ Dolmetscher jedoch, ist nicht verzeichnet. Das bedeutet, dass der Mensch, der im Jahr 1675 die chinesische Urkunden übersetzte, befand sich im Jahre 1678 nicht mehr in Tobolsk, oder war in der Liste der offiziellen Übersetzer nicht verzeichnet.
Zum Abschluss wird hingewiesen, dass in dem „Namenregister“ zum ersten Band des Buches „Russisch-chinesische Beziehungen in 17. Jahrhundert: 1608-1683“ wird T. Iwanov gleichzeitig als Dolmetscher und als Kasak in dem Regiment des Albasin-Ostrogs aufgezeichnet


Svetlana Libera, Jahrgang 1963. Ihr Studium der Sinologie an der Bonner Universität schloss die Autorin im Jahre 2015 mit dem akademischen Grad Dr. Phil. erfolgreich ab. Bereits während Studium entwickelte die Autorin ein besonderes Interesse am Thema „Der russisch-chinesischen Beziehungen“. Ihre Recherchen bei verschiedenen historischen Quellen motivierte sie, sich der Thematik des vorliegenden Buches zu widmen. Bei der Arbeit an dem Buch wurden von der Autorin zahlreiche Dokumente in verschiedenen Sprachen (Altrussisch, Englisch, Chinesisch, usw.) übersetzt und analysiert.


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