E-Book, Deutsch, 224 Seiten
ISBN: 978-3-406-81360-3
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Buch der Psalmen ist für Juden und Christen das Gebetbuch schlechthin. In ihrer heutigen Form sind diese Gebete Zeugnisse des Judentums der hellenistischen Epoche. Traditionell aber sah man König David als ihren Verfasser. Christoph Levin und Reinhard Müller zeigen auf der Grundlage jahrelanger Forschung, dass sich in den überlieferten Psalmen Urfassungen verbergen, die aus der Zeit der Könige Israels und Judas stammen. Sie erklären deren ursprüngliche Funktion in Königspalast und Tempel, präsentieren erstaunlich ähnliche Lieder aus Ugarit, Babylon oder Ägypten und zeigen, wie nach dem Untergang der Königreiche das entstehende Judentum die alten Gebete ergänzt hat. Ihr Buch ist eine Einladung, die Psalmen ganz neu zu entdecken: als Boten einer längst versunkenen Kultur, die in neuem Gewand die Zeiten überdauert haben und unmittelbar zu uns sprechen.
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DANKGEBET NACH DEM SIEG
Psalm 18,30–43 Mit dir renne ich gegen Kriegsvolk an, und mit meinem Gott springe ich über die Mauer. Der Gott, der mich mit Kraft umgürtet hat, ließ meinen Weg eben sein. Er machte meine Füße den Hirschkühen gleich und stellte mich auf meine Höhen. Er lehrte meine Hände für die Schlacht, dass meine Arme den Bogen spannten. Und du gabst mir den Schild deiner Rettung, und dein Zuspruch machte mich groß. Du gabst meinem Schritt weiten Raum, und meine Fesseln wankten nicht. Ich jagte meinen Feinden nach und holte sie ein und kehrte nicht zurück, bis ich sie aufgerieben hatte. Ich zerschmetterte sie, dass sie nicht aufstehen konnten, sie fielen unter meine Füße. Und du umgürtetest mich mit Kraft für die Schlacht, ließest unter mich sinken, die sich gegen mich erhoben. Und meine Feinde ließest du mir den Nacken zukehren, und meine Hasser vernichtete ich. Und ich zermalmte sie wie Erdenstaub, wie Gassenkot zerstampfte ich sie. Der Kern dieses Gebets liest sich wie eine Siegesstele. Der König berichtet, wie er in die Schlacht zog und das feindliche Kriegsvolk überwältigen konnte. Er hatte sein Gewand mit dem Gürtel gerafft und für den Kampf eine Waffe umgeschnallt. Das verstand er so, dass sein Gott ihn mit Kraft umgürtet hat. Der Gott kämpfte an seiner Seite, auch er mit Stärke gegürtet (Psalm 93,1). So wie Hirschkühe trittsicher durch das felsige Gebirge steigen, hat ihn sein Gott auf seine Höhen gestellt. Ganz ähnlich beschreibt der assyrische König Sanherib (705–681 v. Chr.) in einer Inschrift, wie er auf einem Feldzug das höchste Gebirge überwand: «Wo es für meinen Thron zu schwierig war, sprang ich auf meine beiden Füße wie eine Bergziege. Auf die höchsten Berggipfel stieg ich gegen sie hinauf.» Ebenso schreitet auch der Gott Jahwe über die Höhen der Erde und des Meeres (Amos 4,13; Micha 1,3; Hiob 9,8) und lässt seinen König über die Höhen schreiten. Er bahnt ihm den Weg und lässt ihn den Sieg erringen. Es ist der Gott selbst, der den König im Gebrauch des Bogens unterwiesen hat. Der assyrische Großkönig Assurbanipal (668–627 v. Chr.) sagt in einer Inschrift: «Sie (die großen Götter) lehrten mich die Ausübung von Kampf und Schlacht.» Viele Reliefs stellen den König als Bogenschützen dar. In einer ägyptischen Darstellung führt der Kriegsgott Month dem Pharao die Arme, als dieser den Bogen auf seine Feinde richtet. Der Kriegsgott Month führt dem Pharao die Arme. Darstellung im Grab Thutmosis’ IV., ca. 1397–1388 v. Chr. In einem Ritual, das für das neuassyrische Reich dokumentiert ist, wurde in Gegenwart des Königs ein Pfeil des Reichsgottes Aššur von mehreren Ritualexperten verschossen: «Der ‹Feldpriester des Nergal› befiehlt: ‹Pfeil des Aššur: Geh hinfort!› Sie schießen den Pfeil in das Herz des Feindes.» Auch in Israel wurde mit dem Bogen des Königs ein Ritual praktiziert. Der König zielte in die Richtung, in der sich das feindliche Heer befand. Ein Prophet legte seine Hände auf die Hände des Königs und befahl ihm zu schießen. Die Flugbahn des Pfeils zeigte, ob die Gottheit den Feldzug zum Sieg führen würde. Der Prophet ruft dem König zu: «Ein Rettungspfeil Jahwes! Ein Rettungspfeil gegen Aram! Du wirst Aram bei Afek schlagen, bis du es aufgerieben hast» (2. Könige 13,17). Ungezählte Abbildungen aus Ägypten, die von der Gründungszeit des Königtums bis in das erste Jahrtausend v. Chr. reichen, stellen den König dar, wie er mit erhobener Keule einen Feind niederschlägt, den er mit der Linken am Haarschopf gepackt hat. Unterhalb des Königs liegen die toten Feinde, die er bereits niedergeschlagen hat. Genauso drastisch wird am Ende des Psalms der Sieg des Königs ausgemalt. Der Pharao erschlägt seine Feinde. Darstellung auf der Prunkpalette des Königs Narmer, ca. 2850 v. Chr. In einem zweiten Schritt wurde dieser inschriftartige Bericht zu einem Gebet ausgestaltet, das am Tempel seinen Ort gehabt haben kann. Zu Beginn bekennt der König, dass er den Sieg seinem Gott verdankt, und spricht ihn direkt an. Aus der Feststellung, dass der Gott ihn mit Kraft umgürtet hat, wird das Lob: «Du umgürtetest mich mit Kraft für die Schlacht.» Nun dankt der König, dass die Feinde unter seine Füße gefallen sind: «Du ließest unter mich sinken, die sich gegen mich erhoben.» Das Pfeilorakel hatte dem König den Sieg versprochen. Nun weiß er: «Dein Zuspruch machte mich groß.» Während der König auf die Feinde schoss, deckte ihn der Gott mit dem Schild und hielt ihm den Rücken frei. Mit festen Schritten konnte er gegen das feindliche Kriegsvolk anrennen und die Mauern der gegnerischen Stadt überwinden. Der spätere Psalm 18
1 Für den Chorleiter. Von dem Knecht Jahwes,
von David. Er sprach zu Jahwe die Worte dieses Liedes am Tag,
als ihn Jahwe aus der Hand all seiner Feinde
und aus der Hand Sauls gerettet hat. 2 Er sprach: ‹ › 3 Jahwe, mein Fels und meine Burg und mein Befreier, mein Gott, mein Fels, bei dem ich mich berge, mein Schild und Horn meiner Rettung, mein Schutz! 4 Gepriesen, rief ich, sei Jahwe, so wurde ich vor meinen Feinden errettet. 5 Umschlungen hatten mich des Todes Stricke und des Verderbens Bäche überfielen mich. 6 Der Unterwelt Stricke hatten mich umfangen, begegnet waren mir des Todes Fallen. 7 In meiner Not rief ich Jahwe, und zu meinem Gott schrie ich. Er hörte aus seinem Tempel meine Stimme, und mein Schreien kam ‹vor ihn› in seine Ohren. 8 Die Erde schwankte und bebte, und die Grundfesten der Berge zitterten, und sie schwankten, denn es war ihm entbrannt. 9 Rauch stieg auf in seiner Nase, und Feuer fraß aus seinem Mund, glühende Kohlen brannten von ihm her. 10 Er spannte den Himmel aus und fuhr herab, Wolkendunkel unter seinen Füßen, 11 und ritt auf dem Kerub und flog und schoss einher auf den Flügeln des Sturms, 12 machte Finsternis zu seinem Versteck, rings um ihn war ‹seine Hütte,
Wasserfinsternis›, Wolkendickicht. 13 ‹Aus dem Glanz› vor ihm zogen seine Wolken vorüber, Hagel und feurige Kohlen. 14 Und Jahwe ließ im Himmel donnern, der Höchste ließ seine Stimme erschallen, Hagel und feurige Kohlen. 15 Er sandte seine Pfeile und zersprengte sie, Blitze in Menge, und verwirrte sie. 16 Da wurde der Meeresgrund sichtbar, die Grundfesten des Erdkreises wurden entblößt vor deinem Schelten, Jahwe, vor dem Schnauben deines zornigen Atems. 17 Er langte aus der Höhe, er fasste mich, er zog mich...