E-Book, Deutsch, 520 Seiten
Lesch / Kamphausen Die Menschheit schafft sich ab
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-8312-5760-7
Verlag: Komplett-Media
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Die Erde im Griff des Anthropozän
E-Book, Deutsch, 520 Seiten
ISBN: 978-3-8312-5760-7
Verlag: Komplett-Media
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Treffen sich zwei Planeten.
Der Eine: „Oh, du siehst aber schlecht aus.“
Der Andere: „Ich habe Menschen!“
Der Eine: „Das geht vorbei.“
Seit 4,5 Milliarden Jahren zieht die Erde ihre Bahn um die Sonne. Das Leben gesellte sich später dazu und seit rund 160.000 Jahren der aufrecht gehende Homo sapiens. Mit Ackerbau und Viehzucht, Rodungen und Bewässerung griff er rund um den Globus in die Natur ein - vermehrte sich und besiedelte selbst entlegenste Gegenden.
Immer tiefere Spuren hinterließ das "Anthropozän", das Menschenzeitalter, in den letzten 2.000 Jahren.
Wissenschaft und Technik nahmen seit der Industrialisierung die Erde in den Griff. Sei es die Ausbeutung der Bodenschätze, die Verpestung der Lufthülle, die Veränderung des Klimas, Wasserverschmutzung bis zur Kernspaltung und einer Wohlstands-Verschwendungssucht.
Energiehunger und virtuelles Kapital treiben einen zerstörerischen Kreislauf an. Außerdem werden wir immer mehr.
Wie kommen wir aus diesem Teufelskreis raus?
Harald Lesch, Astrophysiker und Philosoph, ist aus den Weiten des Weltalls zurück. Es geht ihm jetzt um die Heimat des Menschen, der in einer bisher nie gekannten Hybris den Ast, auf dem er sitzt, absägt.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 2 DER BEGINN ALLEN SEINS Ich komme nicht drum herum. Damit wir verstehen, wie alles gekommen ist, muss ich tatsächlich vorn beginnen, also ganz am Anfang. Sie haben damit hoffentlich kein Problem. Manch einer neigt jetzt zu fragen: Und was war davor? Da muss ich passen, denn darauf gibt es keine Antwort. Ich rede jetzt, um es einmal metaphysisch auszudrücken, über den Beginn allen Seins, präziser: den Beginn allen physikalischen Seins. Es kann Seins-Zustände geben, die physikalisch nicht zugänglich sind – das kann und will ich nicht ausschließen. Aber hier rede ich über das, was physikalisch zugänglich ist, sowohl theoretisch als auch experimentell. Ich rede also über die Ordnung der Natur, über den Kosmos. Die Verwendung des Wortes Kosmos im Sinne von Universum hat sich ja in unsere Alltagssprache eingeschlichen. Die Ordnung im Universum ist die Grundlage für das Handeln des Menschen und seine Auswirkungen auf die Natur seines Planeten. Das geordnete Universum, wie hat das angefangen? Dass es einen Anfang hat, ist ja noch gar nicht so lange bekannt. Früher glaubte man, der Kosmos sei schon immer da gewesen, ein ewiger Kosmos. Keiner hat gefragt, was davor war. Ein historisches Bewusstsein, ein Bewusstsein für Vergangenes, besaß man früher nicht. Tradition und Rituale bestanden aus schlichter Wiederholung. Hier und da hinterfragte mal jemand das eine oder andere, aber über ein Interesse dafür, warum alles so und nicht anders gekommen ist, über diese Eigenschaft verfügen wir Menschen erst seit rund 200 Jahren. Der moderne Mensch ist der erste, der nach dem Davor fragt. Das ist noch keine sechs oder sieben Generationen her. Erstaunlich ist, dass einige heutige Wissenschaftler das Anthropozän zeitgleich mit dem Beginn des Triumphzuges von Technik und Naturwissenschaft einläuten. Damals entstand aber auch die Geschichtswissenschaft. Aus Geschichte und Naturwissenschaften erwuchsen die Geowissenschaften, die Wissenschaften von der Erde und ihren Untersystemen, der Atmosphäre, den Kontinenten, Meeren und Eiswüsten, ihrer Lebewesen und der Geschichte all dieser Beteiligten. Und sie versuchen bis heute, Licht in all das Dunkel der Zeiten zu bringen. Zurück auf Anfang, zum Beginn allen Seins. Vor 13,82 Milliarden Jahren – das sind die neuesten Zahlen – muss sich etwas ereignet haben. Denn wenn man tief ins Universum schaut, dann hat man den Eindruck, dass sich alles von uns wegbewegt. Alles! Nach allen Richtungen! Es erscheint so, als ob sich das Universum ausdehnen würde – und das mit rasanter Geschwindigkeit. Das war jedenfalls der Eindruck, den Ende der Zwanziger-, Anfang der Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts, ein Mann namens Georges Lemaître gewann. Als belgischer Priester und Astrophysiker beschäftigte er sich damit, die Beobachtungsdaten des amerikanischen Astronomen Edwin Hubble zu interpretieren. Hubble hatte damals herausgefunden, dass ganz offensichtlich die Rotverschiebung von Spektrallinien in sehr weit entfernten Galaxien immer größer wurde, je weiter die Galaxien entfernt waren. Er nahm an, dass die elektromagnetische Strahlung, die er von anderen Galaxien empfing, genauso funktionierte, wie die, die man auf der Erde in zahllosen Experimenten in den Laboratorien untersuchen konnte. Schon seit Langem arbeitete man in der Astrophysik mit dieser Hypothese. Hubbles Beobachtungen bestätigten wieder einmal die allgemeingültige Erkenntnis, dass der Übergang von Elektronen innerhalb eines Atoms von einem Energiezustand zu einem anderen immer mit einer klar abgegrenzten Menge an Energie zusammenhängt, egal ob es sich um ein Sauerstoffatom hier auf der Erde handelt oder eines in irgendeiner Galaxie, die ein paar hundert Millionen Lichtjahre von uns entfernt ist. Und auch die Lichtgeschwindigkeit ist überall konstant, eben eine Naturkonstante. Hubble machte prinzipiell das, was alle empirischen Forscher tun: Aus bestimmten Voraussetzungen Schlussfolgerungen ziehen, die anschließend experimentell überprüft werden. Er wollte herausfinden, wieso die Spektrallinien rotverschoben waren. Lassen Sie uns gemeinsam versuchen, Hubbles Gedankengänge nachzuvollziehen. Wie könnte sich denn so eine Spektrallinie verschieben? Die einfachste Erklärung wäre, dass sich Atome, die strahlen, also Energie abgeben, von uns wegbewegen, und zwar alle. Wenn alle Atome sich von uns wegbewegen, dann wird die Strahlung durch einen Effekt beeinflusst, den man unter dem Namen Dopplereffekt bei Schallwellen kennt. Kommt die Schallquelle auf uns zu, wird der Ton höher, seine Frequenz hat sich erhöht. Wenn sie an uns vorbeigesaust ist und sich entfernt, werden der Ton und damit die Frequenz tiefer. Klassischer Fall: Sirene eines Streifenwagens im Einsatz. So verhält es sich auch mit der elektromagnetischen Strahlung. Kommt eine Strahlungsquelle auf uns zu, wird das Licht hochfrequenter, die Wellenlänge wird kleiner, das Licht verschiebt sich in den blaueren Bereich des sichtbaren Spektrums. Entfernt sich die Quelle von uns, so wird das Licht niederfrequenter, die Wellenlänge größer, also erscheint es im roten Abschnitt des sichtbaren Spektrums. Soweit die Erklärung. Aber Vorsicht! In einem expandierenden Universum gibt es kein festes Bezugssystem. Im eben beschriebenen Beispiel für den Dopplereffekt steht jemand an der Straße und an ihm saust eine Strahlungs- beziehungsweise Schallquelle vorbei. Aber wie ist das in einem sich ausdehnenden Universum? Da kann der Dopplereffekt natürlich nicht wirken. Wenn sich alles in alle Richtungen von uns entfernt, dann, so stellte Lemaître fest, muss es eine andere Erklärung für die Rotverschiebung geben: Es ist der Raum, der sich bewegt, indem er sich ausdehnt. Die Galaxien schwimmen praktisch mit diesem Raum davon. Stellen Sie sich Rosinen in einem aufquellenden Hefeteig vor: Es scheint so, als bewegten sie sich selbst, tatsächlich aber werden sie mitgetragen. Damit Sie den Unterschied zwischen bewegen und bewegt werden auch wirklich verstehen – er ist im wahrsten Sinne des Wortes weltbewegend –, gebe ich Ihnen noch ein weiteres Beispiel: Nehmen Sie einen Luftballon und kleben Sie mehrere Wattebäuschchen drauf. Das sind Ihre Galaxien. Jetzt blasen Sie den Ballon auf. Was sehen Sie? Die Wattebäuschchen behalten ihre Form und bleiben dank Klebstoff auf der Stelle, aber sie entfernen sich trotzdem voneinander. Der Abstand zwischen den Wattebäuschchen wird immer größer, und zwar umso schneller, je weiter sie am Anfang voneinander entfernt waren. Genau das war Lemaîtres Gedanke: Das Universum expandiert – und zwar als Ganzes. Unglaublich! Da musste erst mal einer draufkommen. Mal ehrlich, das klingt doch völlig irrsinnig. Wir reden über das Ganze, über alles, was physikalisch überhaupt da sein kann. Und da macht jemand eine Aussage über alles. Einfach so. Wenn ein Wissenschaftler sagt, wir haben hier einen Teil des Universums, und dieser Teil funktioniert so ähnlich wie das, was wir von der Erde kennen, dann ist das auch schon sehr bedeutend. Aber zu behaupten, dass das, was wir von der Erde kennen, die physikalischen Gesetze, die Strahlung, der Aufbau der Materie, die Lichtgeschwindigkeit, die Ladungen und vieles mehr, dass das alles überall im Universum genauso funktioniert – so etwas kann doch keiner wissen, niemand kann es überprüfen. Doch gibt es Lebewesen in diesem Universum, die über einen 1,5 Kilogramm schweren Erkenntnisapparat verfügen, etwa zwei Meter groß sind und im besten Fall 100 Jahre alt werden. Und die trauen sich, Aussagen über alles zu machen. Mit diesem Selbstbewusstsein sind wir weit gekommen. Wir wissen, wie es geht, wir wissen, wie es ist. Wir wissen sogar, wie es dazu kommen konnte. Aber das ist nicht weiter verwunderlich, schließlich sind wir Physiker. Nein, nein! So geht das nicht. Mit dieser Überheblichkeit, basierend auf chronischer Einbildung, kann ich Ihnen sicher keine für Sie verständlichen Erklärungen liefern. In Wirklichkeit, ich muss es zugeben, staune selbst ich immer noch, kann mich noch nach Jahren immer wieder daran begeistern, dass wir mit unserem Gehirn tatsächlich solche Dinge denken und erkennen können. Man muss eben auch die Physik des ganzen Universums so behandeln wie in einem Experiment auf der Erde. Womit wir wieder bei Lemaître wären. Er kam, nachdem er das Universum hat expandieren lassen, naheliegenderweise auf einen Gedanken, auf den Sie jetzt auch kommen können. Sie müssen sich einfach nur fragen: Wenn das Universum expandiert, wie groß war es dann gestern? Genau! Es war natürlich kleiner, ist ja logisch. Wenn es expandiert, wenn es die ganze Zeit auseinanderfliegt, war es gestern kleiner. Und vorgestern? Da war es noch kleiner. Und so weiter und so weiter … Aber irgendwann wird es ernst. Wie klein kann das Universum gewesen sein – am Anfang? Als Lemaître zum ersten Mal mit seiner Idee an die wissenschaftliche Öffentlichkeit ging, hatte die Physik gerade begonnen, sich mit der Quantenmechanik zu beschäftigen. Das war in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts. Da wurden die ersten Teilchen entdeckt. Die Elektronen waren schon Ende des 19. Jahrhunderts bekannt. Aber jetzt hatte man erst die Protonen, die positiv geladenen Teilchen gefunden. 1932 kamen die Neutronen dazu. Den Physikern war in den Zwanziger- und Dreißigerjahren schon klar, dass Atome sehr klein sein mussten. Man konnte sich, praktisch im Gedankenexperiment, das Universum so klein vorstellen wie ein Atom. Und Lemaître tat das auch. Er nannte es das Ur-Atom. 1948 erschien eine Arbeit von drei Kernphysikern, Ralph Alpher, George Gamow und Hans Bethes. Die hatten...