Lepson | Totenfänger | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

Lepson Totenfänger

Thriller

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

ISBN: 978-3-492-99495-8
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein Groupie wurde während eines Rockkonzerts ermordet – und Jack Temple wird das Gefühl nicht los, dass der Fall mit dem Verschwinden seiner Tochter in Verbindung stehen könnte. Der psychisch labile Kriminalreporter der Seattle Sun verbeißt sich krampfhaft in die Vorstellung, sein Kind eines Tages wiederzusehen, und beginnt allen polizeilichen Untersuchungen zum Trotz, selbst zu ermitteln. Doch je näher er der Lösung des Verbrechens kommt, desto mehr Menschen um ihn herum werden getötet. Die Taten tragen eine ungewöhnliche Handschrift – und das wichtigste Puzzlestück hat Temple bisher übersehen ...Marc Lespsons Debütroman steht für perfekte Cliffhanger, temporeiche Schnitte und unablässig zunehmenden Thrill. »Totenfänger« ist so nervenzerreißend spannend wie David Finchers Blockbuster »Sieben«.
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9
Nervös tippte Jack etwas ein und ging noch einmal die Notizen durch, die er sich während der Interviews mit Valerie Crawford gemacht hatte. Er hatte sich nach dem Abendessen von Dean verabschiedet und ihm eine gute Nacht gewünscht, war dann zur Sun zurückgekehrt und schnurstracks an seinen Schreibtisch geeilt. Die meisten Kollegen hatten bereits vor Stunden das Büro verlassen, nur Catherine beugte sich noch über eine Reihe von Aktenschränken und hielt einen gelben Marker in der Hand. Neben ihr auf dem Boden lag ein dicker Ordner, dessen Seiten lose heraushingen und mit Anmerkungen übersät waren. Sie sah nur kurz auf. »Temple, was zum Teufel machst du hier?«, fragte sie. »Du bist besessen.« Er hatte noch immer nichts von Lupe gehört, der Freundin des Mädchens. Dafür ließ ihn Valerie Crawfords Aussage nicht mehr los, ihre Tochter sei facebooksüchtig gewesen. Er hatte nach Micaelas Facebook-Account gesucht, bisher aber nichts entdeckt, vermutlich weil sie ein Privatkonto hatte. Daraufhin hatte er ihre Mutter angerufen und um mehr Hinweise gebeten, doch auch das hatte nichts ergeben. Er loggte sich erneut bei Facebook ein und durchsuchte eine lange Liste von Crawfords. Nichts. Vielleicht hatte sie tatsächlich ein privates Konto, auch wenn Jack das für unwahrscheinlich hielt. Er tippte den Namen Mercer ein und fand eine noch viel längere Liste von Fanseiten. Er klickte ein paar davon an, entdeckte aber nicht viel. Nur Links auf weitere Profile und Instagramkonten. Enthusiastische Beschreibungen von Fans, die ihn gesichtet hatten. Sogar Bilder des Konzerts in Fremont Abbey waren darunter, aber auf keinem war Micaela zu sehen. Jack spürte die Last des vergangenen Tages auf seinen Schultern. Eine wohlige Müdigkeit kroch ihm in die Knochen, als er auf einen Account mit dem Namen MC Mercer klickte. Und da war er. Micaelas Account. Er fand Fotos von ihr mit Geige sowie Konzertdaten für das Jr. Philharmonic. Es gab Fotos von ihr mit einem Mädchen, vermutlich Lupe, auf denen sie Mercer-T-Shirts trugen und vor der Kamera posierten. Ihre Timeline füllte sich bereits mit Kondolenz- und Liebesbekundungen von Freunden. Oder eher gesagt von Fremden, dachte er zynisch. Das Publikum gierte nach guten Tragödien, damit es sich in gottesfürchtiger Trauer üben konnte. Er scrollte alles durch und kontrollierte, ob es vor dem Tod vielleicht irgendwelche Nachrichten von Lupe gab, fand aber nichts. Lupe war auf ein paar Fotos getagt, aber die Links dazu funktionierten nicht. Er scrollte noch weiter und entdeckte schließlich unter einer Flut von Bildern ein Konzertvideo aus Fremont Abbey. Bingo! Nach der Uhrzeit des Posts und dem Bericht der Notaufnahme zu urteilen, wurde das Video direkt von ihrem Handy und eine Viertelstunde vor ihrem Tod hochgeladen. Jack klickte es an, Gekreische und verzerrte Musik erfüllten den Nachrichtenraum. Die Bilder waren dunkel, es war kaum etwas zu erkennen. Auf dem Video waren Blitze der Discokugel sowie die Beine der Band zu sehen, dann ein Mädchen, das nach Mercers Ärmel griff. Micaela schien eine ruhige Hand zu haben und sich der Bühne zu nähern. Nun sah man auch deutlich die Bilder der Musiker unter dem grellen Scheinwerferlicht. Plötzlich wirbelte das Video herum, Micaelas Gesicht war zu sehen, sie tanzte zur Musik und nahm sich dabei selbst auf. Hinter ihr tanzten andere, sie waren aber nur schlecht zu erkennen. Micaela wirkte erstaunlich nüchtern. Wenn überhaupt, hatte sie Speed eingeworfen. Sie lachte. Hielt das Handy hoch und schaute direkt hinein. Die Auflösung war schlecht. Dann sah Jack den Hals und die Schultern einer Person, die in ihrer Nähe stand. Plötzlich blickte Micaela zu Boden, der Winkel der Kamera änderte sich, es machte bumm. Trotz der Schreie und der lauten Musik hörte Jack, wie ihr Körper auf dem Boden aufschlug. Danach waren nur noch Beine und Füße zu sehen, Schleifgeräusche und Gezerre zu hören. Etwas Helles, Verschwommenes kam ins Bild, vermutlich ihr Arm, ihr Haar. Unscharfe Aufnahmen ihrer Finger, die plötzlich in den Fokus rückten und am Handy herumfummelten, danach nichts mehr. Der Zeitstempel war wohl kurz ausgeschaltet worden. Jack stellte fest, dass es keinerlei Hinweise auf Drogenmissbrauch gab. Vielleicht war es nicht unmöglich, in der Menge zu konsumieren, dachte Jack. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich einen Schuss setzte, während sie ein Handy hielt und dazu tanzte, schien äußerst gering zu sein. Etwas stimmte nicht, entweder der Todeszeitpunkt, die Dosis oder … Schnell zog er eine Kopie des Videos und sicherte sie auf seinem Desktop. Das änderte alles. Valerie Crawford hatte recht. Hinter dieser Geschichte steckte mehr. Falls Lieutenant Chen das gesehen hatte, dann hatte sie es erst einmal für sich behalten. Er rief sie auf dem Handy an. Es war 22:48 Uhr, und wenn ihr Tag so wie seiner gewesen war, dann war sie noch wach. »Temple, ist das dein Ernst?« »Arbeitest du?« Sie zögerte. »Ja«, gab sie zu. »Na gut. Auf welcher Seite ist die Einstichstelle bei Micaela Crawford?« »Jack, wir können bisher noch nichts zuordnen.« »Inoffiziell.« »Hinten an einem Bein gibt es einen Fleck, aber bisher steht nicht fest, ob es das ist. Sie hat auch noch andere Prellungen, das musst du aber mit Sharon abklären.« »Nicht gerade der ideale Ort, um sich einen Schuss zu setzen. Hat sie vielleicht geschnupft?« »Auf keinen Fall, aber auch das ist inoffiziell. Im Ernst, Temple, kann das nicht bis morgen warten? Wir sehen uns doch sowieso in … sieben Stunden.« »Micaelas Facebook-Account«, sagte er. »Hast du mal einen Blick darauf geworfen?« »MC Mercer? Na klar.« »Meinst du, die Aufnahmezeiten sind korrekt? Jetzt mal offiziell, Amy, ja oder nein?« »Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln.« »Ändert das deinen Ansatz, was den Tod betrifft?« »Nein, tut es nicht.« »Großartig«, sagte Jack. »Danke!« Das reichte ihm, zusammen mit dem Video war es genug für einen Scoop. Und was für einen. »Temple«, sagte Chen, »hau dich endlich aufs Ohr!« Jack tippte den Rest seines Artikels herunter und merkte, dass Catherine ihm über die Schulter lugte. »He, Killer«, fragte sie, »Lust, zum Dockside zu gehen?« Er zögerte und überlegte, sie beobachtete ihn. »Und mich dann zurückzubringen?«, fragte sie. »Ich habe noch ein paar Problemchen zu lösen und noch nichts gegessen.« »Klar«, stimmte er zu. Catherine Liberatore hatte die direkte, freche und glückliche Verhaltensweise einer Person, die immer bekam, was sie wollte. Als sie bei der Zeitung anfing, ging sie ganz offen mit Jack in Konkurrenz. Sie behielt bei allem den Überblick, nicht nur bei ihren eigenen Geschichten, und war im Verfassen von Folgeartikeln unschlagbar. Sie hatte keine Kinder und mehr Liebhaber als die meisten Menschen warme Mahlzeiten. Männer, die begeistert von einer Frau waren, die keine Verpflichtungen wollte, bis sie begriffen, wie ernst es ihr damit war. An Weihnachten, wenn die meisten in der Nachrichtenzentrale Schokolade und Geschenkgutscheine bekamen, hinterließ ihr der heimliche Nikolaus Kondome. Sie brüllte gerade vor Lachen darüber im Dockside und erzählte ihm, wie gelegen sie ihr bei der Weihnachtsfeier kamen. »War diese Feier vor oder nach dem großen Besäufnis?«, fragte Jack. »Davor«, erklärte sie. »Weißt du noch, als ich am Neujahrstag zur Arbeit musste, um den Artikel über die Gala im Space Needle zu schreiben?«, fragte Catherine. »Du musstest?« »Du weißt schon, was ich meine«, sagte sie, senkte belustigt den Blick und nippte an ihrem Selters. Das Licht spiegelte sich im Ring ihrer rechten Hand. Jack lachte. »Wir bekommen nur an Thanksgiving, Weihnachten und Neujahr frei. Und das ist ein Feiertag zu viel für dich.« »Das sagt genau der Richtige. Wie dem auch sei, das war, als ich noch trank … ich meine, ich war total fertig. Eine Kombination aus Kater und immer noch betrunken. Nichts gegessen. Dehydriert. Ich allein im ganzen Gebäude. Und aus irgendeinem verdammten Grund hatte jemand das Wasser abgedreht, der Wasserspender funktionierte nicht, die Wasserhähne im Klo auch nicht … es gab also nirgends Wasser. Alles war abgeriegelt, es gab nur den Automaten unten. Ich habe also alle Schreibtischschubladen nach Kleingeld durchsucht, um mir eine Flasche Wasser zu kaufen. Bin runtergegangen, habe einen Dollar fünfzig in Vierteldollars und Fünf-Cent-Münzen eingeworfen und zugesehen, wie die kleine Spirale sich drehte, die Flasche herausschob und dann hängen blieb. Ich wäre fast gestorben. Weißt du, ich konnte es kaum erwarten, das Wasser war alles, was ich brauchte, um den Tag zu überleben. Und die beschissene Spirale blieb auf halbem Weg stecken. Die Flasche kippte und verklemmte sich mit der Öffnung an der Scheibe des Automaten. Nichts. Der Automat war kaputt. Ich hatte meine letzten Münzen eingeworfen. Das Herz rutschte mir in die Hose.« Sie und Jack mussten so lachen, dass er Magenschmerzen bekam. Catherines Lachen war laut und aufdringlich, jeder kannte es im Dockside. »Ich hämmerte an die Glasscheibe, wollte die Flasche losrütteln. Mir kamen die Tränen, kann ich dir sagen. Dann musste ich meine Bemühungen, das tausend Pfund schwere Monstrum umzukippen, kurz unterbrechen. Nur für einen Moment, weißt du? Ich widme mich einer Sache nur einen Moment lang … und dann übergab ich mich. Aber ich war tapfer, sehr tapfer, sprang auf, versuchte den Automaten oben zu packen und nach vorn zu kippen. Und das alles, nachdem ich einen Artikel...


Lepson, Marc
Marc Lepson, Jahrgang 1970, hat Kunst, Literaturwissenschaft und Theologie in Florenz studiert. Heute lebt er als Künstler, Taxifahrer und Dozent in Chinatown und unterrichtet an der New School in New York. Totenfänger ist sein Romandebüt.


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