Leidinger / Rapp | Hitler - prägende Jahre | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Leidinger / Rapp Hitler - prägende Jahre

Kindheit und Jugend 1889-1914

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-7017-4634-7
Verlag: Residenz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Hitlers Kindheit und Jugend in neuem Licht.

Die Autoren schließen eine Lücke der Geschichtsforschung: Jenseits psychologischer Spekulationen stellen sie Hitlers Familie, Kindheit und Jugend im sozialen und kulturellen Kontext dar. Sie konzentrieren sich auf Hitlers Zeit in Braunau bis zu den Erfahrungen in Wien und lassen dabei charakterliche und weltanschauliche Prägungen erkennbar werden. Sie untersuchen Hitlers Werdegang sowie sein gesellschaftliches Umfeld. Nationaler Fanatismus, Rassenhass und Antisemitismus sind in der Gesellschaft längst verankert, ehe Hitler und die Nationalsozialisten ihren Aufstieg beginnen. Hitlers radikalisierte Rhetorik konnte erst dann wirksam werden, als sein Publikum bereits wusste, wovon er sprach. Leidinger und Rapp zeigen Hitlers Kindheit und Jugend in neuem Licht.
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Keine heile Welt
»Trauungen: Am 7. Jänner« 1885 »Alois Hitler, k. k. Zollamts-Offizial, und Klara, geb. Pölzl«. »Familien-Nachrichten vom 23. bis 30. September« 1886. »Geburten: Am 23. September Ida Hitler, k. k. Zollbeamtenskind«. »Sterbefälle: Am 9.« Dezember 1887 »Gustav Hitler, Zollamtskind, 2 ½ Jahre alt, an Diphtheritis«. »Familien-Nachrichten vom 17. bis 25. Juni« 1892. »Geburten: […] am 17.: Otto Hitler, Zollbeamtenskind«. »Familien-Nachrichten vom 23. bis 30. Juni« 1892. »Sterbefälle: Am 23.: Otto Hitler, Beamtenskind, 7 Tage alt, an Wasserkopf«.3 Die dürren Einträge der »Neuen Warte am Inn«, des »Braunauer Wochenblattes« beziehungsweise des lokalen Organs für die »Interessenvertretung des Bauern- und Gewerbestandes« vermitteln nur lückenhaft das private Leid. Die unvollständigen Meldungen registrieren nicht, dass Gustavs »Rachenbräune«, wie der Volksmund die Diphterie nennt, die jüngere Ida mit in den Tod reißt. Am 2. Jänner 1888 stirbt auch sie. Außer dem am 20. April, dem Karsamstag des Jahres 1889, geborenen Adolf wird nur Paula ein höheres Alter erreichen. Sie kommt 1896 zur Welt, zwei Jahre nach dem Bruder Edmund, der 1900 an Masern stirbt.4 Von den sechs Kindern überleben nur zwei, ein selbst angesichts der damaligen höheren Kindersterblichkeit außerordentlich hartes Schicksal für die Eltern. Die Mortalitätsrate bei Säuglingen und Kindern bis zum Volksschulalter ist damals im Sinken begriffen.5 Vor allem für die Mutter Klara sind die Erfahrungen jener Jahre prägend. Einem Vertrauten gesteht sie später, dass sie stets in Sorge war, den schwächlichen Sohn Adolf ebenfalls zu verlieren.6 Zunächst aber ist die Erleichterung groß, ihn mithilfe der Hebamme Franziska Pointecker gesund zur Welt gebracht zu haben. Eine Zeugin, die auch bei der Entbindung dabei gewesen sein will, weiß zu erzählen, dass Klara sich in besonderer Weise um den Nachwuchs kümmert.7 Jene, die zumindest behaupten, Klara näher gekannt zu haben, erinnern sich an ein zurückgezogenes Wesen, an eine freundliche, aber nicht eben lebensfrohe Erscheinung, die sich kaum für ein längeres Gespräch Zeit nimmt, speziell von sich selbst wenig spricht und deren Gemüt sich mit der Zeit eher noch verdüstert.8 Mit traurigem Unterton beschreibt sie selbst ihren Hochzeitstag. Der kurze Eintrag in der »Neuen Warte am Inn« passt zu ihrer Schilderung: »Um 6 Uhr früh haben wir in der Stadtpfarrkirche von Braunau geheiratet, und um 7 Uhr ging mein Mann wieder in den Dienst.«9 Üblich oder unüblich: Der Bräutigam hält es für unangebracht, auch nur einen Tag Urlaub zu nehmen. Keine Feier, kein »Umtrunk mit Freunden – nichts«.10 (Abb. 1) Auf Emanuel Lugert, einen Arbeitskollegen von Alois, macht sie den Eindruck einer »enttäuschten Frau«. Still und »sehr bescheiden«, so bleibt sie ihm im Gedächtnis haften.11 Eine ganz auf die häuslichen Pflichten konzentrierte »Gefährtin« eines Patriarchen, für den seine Bekannten wenig wohlwollende Worte finden. Lugert dazu: Schon »als junger Mensch« hab »ich mir gedacht: dieser Mann hat doch rein gar kein Familienleben; wenn ich einmal heirate, möchte ich es nicht so haben«. Alois Hitler ist »kein vorbildlicher Familienvater«. Die Hauptlast hat Klara zu tragen. »Daheim«, ergänzt ein anderer Intimus der Familie, »war er streng, kein Feiner, seine Frau hat bei ihm nichts zu lachen«.12 Er verlangt unbedingte Gefolgschaft und kann sich in dieser Hinsicht ganz auf eine unterwürfige, letztlich aber anscheinend seelisch verkümmernde Gemahlin verlassen. Zur alles andere als untypischen Rollenverteilung kommen keineswegs nur schmeichelhafte Charakterisierungen seines »öffentlichen Wirkens« hinzu. Lugert will ihn zwar als »guten Gesellschafter« mit »stets guter Laune« gekannt haben, versteht aber jene, die ihn an seiner Arbeitsstelle als groben oder verdrießlichen Menschen kennenlernen und eher meiden.13 »Alois Hitler war uns allen unsympathisch. Er war streng, genau, ja sogar ein Pedant im Dienst und ein sehr unzugänglicher Mensch«, erklärt ein Arbeitskollege unverblümt.14 Als »sehr rechthaberisch« und »leicht aufbrausend« empfinden ihn außerdem Zeugen, die den regelmäßigen Wirtshausbesucher bei Diskussionen erleben.15 Selbst der Verfasser seines Nachrufes in der Linzer »Tages-Post« kann es sich nicht verkneifen, auf seine »rauhe Hülle« und das gelegentliche »schroffe Wort aus seinem Munde« aufmerksam zu machen.16 Der Jähzornige, der in Bekannten- und Freundeskreisen schimpfend und polternd schon einmal kundtut, speziell seine unfolgsamen Sprösslinge am liebsten »derschlagen« zu wollen, belässt es wohl nicht nur bei Worten. Das belegt wenigstens Schwester Paula. Die Mutter, so Paulas Darstellung, habe mit »Liebenswürdigkeit« das zu erreichen versucht, was der Vater mit einer »richtigen Tracht Prügel« erzwingen wollte.17 Dass die vielerorts angewendete häusliche Gewalt als zu jener Zeit weithin akzeptierte »Erziehungsmethode« im konkreten Fall eine besonders radikale Form annimmt, bezweifeln hingegen mehrere Kommentatoren. Immerhin verbringt der Vater verhältnismäßig wenig Zeit mit seinen Angehörigen, ein beträchtliches Maß an Unkenntnis über die Geschehnisse zu Hause und die Entwicklung der Kinder darf angenommen werden. Aggression und Schläge könnten die oft anzutreffende Konsequenz einer Mischung aus Autoritätsdenken, Unkenntnis und Unverständnis gewesen sein.18 Hauptsächlich bewegt sich Alois Hitler in einer »(halb-)öffentlichen Sphäre« zwischen Dienstort und Gaststätte. Dazwischen liegt noch das fast obsessiv betriebene Hobby: Angeblich zieht er sogar für mehrere Monate in eine Braunauer Altstadtwohnung, von der aus er schneller zu seinen geliebten Bienenstöcken gelangen kann.19 Sohn Adolf dazu 1942: »Bienenstich war bei uns so selbstverständlich wie nur etwas. Die Mutter hat meinem alten Herrn oft 45, 50 Stacheln herausgezogen, wenn er vom Waben-Ausnehmen kam.«20 In der »Neuen Warte am Inn« ist die Leidenschaft Alois Hitlers für die Imkerei und seine Akribie, die seiner Dienstauffassung entspricht, dokumentiert: »Waben« und »Stöcke« beschreibt er detailliert, als er Anfang 1890 folgende Anzeige aufgibt: »Verkauf von Bienenstöcken. Bestbewährte, wenig stechlustige und sehr fruchtbare Krainer Mischlinge und Edelvölker mit vierjährigen Königinnen.«21 Später, andernorts, will er Verkauftes wiedererlangen. Das Freizeitvergnügen bleibt zentral. Der Eigentümerin einer seiner vormaligen Liegenschaften bietet er über Vermittlung eines Nachbarn an: »Sollte die Dame, wie ich vermute, keine Bienen mehr besitzen, wohl aber die leeren Kästen und davon zwei Dreietagenständer« verkaufen »wollen, könnten Sie mir dieselben« zurückkaufen.22 Jenseits persönlicher Interessen oder sogar Marotten geht seine private Tätigkeit aber auch mit gesellschaftlicher Integration einher. Die Imkerei erlebt gerade Ende des 19. Jahrhunderts eine Blütezeit und begeistert weite Teile der Bevölkerung. In der Donaumonarchie etwa entstehen Vereine mit zahlreichen Zweigstellen. Allein die »Tages-Post« und das »Linzer Volksblatt« bringen zwischen 1890 und 1905 mehr als 700 Beiträge über die regen Aktivitäten der Bienenzüchter.23 Echte Freunde gibt es hingegen im Leben des Vaters eigentlich nicht. Im Wesentlichen bleibt es bei Bekanntschaften und Berufskontakten.24 Bewusst distanziert verhält er sich überdies zur Kirche und zu dem speziell am Land wichtigen religiösen Leben. Die von ihm ansonsten kaum geachteten Gotteshäuser, die er nachgerade als weibliche Sphäre erachtet und deren Besuch er von seiner Frau sogar erwartet, sucht er laut Bekannten bestenfalls an besonderen Festtagen auf. Am Geburtstag von Kaiser Franz Joseph am 18. August zum Beispiel. Und auch da nur, wie bemerkt wird, um »seine Uniform in die Kirche spazieren zu führen«, um zu zeigen, »dass er wer ist«.25 Alois ist stolz auf seine Karriere. Nach einer Schuhmacherlehre in Wien schafft er den Sprung zur Finanzwache. Mit Absolvierung entsprechender Ausbildungswege und Examina übernimmt er leitende Positionen auf unterer Ebene und wird schließlich provisorischer Amtsassistent in der Zollwache. 1870 ist er Nebenzolleinnehmer, in Braunau ein Jahr später Kontrollassistent...


Christian Rapp, geboren 1964, Kulturwissenschaftler und Ausstellungskurator. Lehrbeauftragter an der Universität Wien, an der Universität für angewandte Kunst und an der New Design University St. Pölten. Zahlreiche Ausstellungen und Publikationen zur Kultur- und Gesellschaftsgeschichte, Ausstellungen und Museumsprojekte im In- und Ausland. Seit Jänner 2018 wissenschaftlicher Leiter des Hauses der Geschichte im Museum Niederösterreich. Zusammen mit Hannes Leidinger hat er das Buch "Hitler - prägende Jahre" geschrieben.

Hannes Leidinger, geboren 1969, studierte Geschichte, Klassische Archäologie und Ur- und Frühgeschichte in Wien. Kurator von Ausstellungen, Berater von Radiosendungen und TV-Dokumentationen, Leiter von wissenschaftlichen Forschungsprojekten. Lehrtätigkeit am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. Leiter der Außenstelle Wien des Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgenforschung. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt bei Residenz erschienen: "Habsburgs schmutziger Krieg" (2014). Zusammen mit Christian Rapp hat er das Buch "Hitler - prägende Jahre" geschrieben.


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