Der wissenschaftliche Beweis, dass Meditieren die mentale und körperliche Gesundheit verbessert – mit Anleitungen und Praxistipps
E-Book, Deutsch, 288 Seiten
ISBN: 978-3-7453-1520-2
Verlag: riva
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Steven Laureys ist ein international anerkannter belgischer Neurologe. Er leitet die Coma Science Group an der Universität Lüttich und ist spezialisiert auf die Funktion des Gehirns bei Patienten mit schweren Bewusstseinsstörungen. Seine Forschung wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet.
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Einleitung
»Man muss die eigenen Gedanken nicht kontrollieren. Man muss lediglich aufhören, sich von ihnen kontrollieren zu lassen.« Dan Millman (Trampolin-Weltmeister und Autor) Vor ungefähr einem Jahrhundert bekam ein alter japanischer Zen-Meister eines Tages Besuch von einem Universitätsprofessor, der Zen-Meditation praktizieren wollte. Der weise Mann bot seinem Gast zunächst eine Tasse Tee an. Er schenkte die Tasse seines Besuchers randvoll ein und hörte gegen alle Erwartung nicht auf, zu gießen. Der Professor schaute überrascht zu, wie die Tasse überlief, bis er sich nicht mehr zurückhalten konnte: »Die Tasse läuft über, mein Herr. Es passt wirklich nichts mehr hinein.« Der alte Mann schaute den Professor an und sprach mit sanfter Stimme: »Sehen Sie, Ihr Kopf ist ein wenig wie diese Tasse. Er läuft über vor Gedanken, Sorgen und Meinungen. Ich kann Ihnen nichts über Zen-Meditation beibringen, bevor Sie ihn nicht geleert haben.« Ich bin Arzt und Wissenschaftler. Als solcher möchte ich zunächst gern erläutern, warum ich dieses Buch schreibe und warum es mir so viel bedeutet, diese Geschichten zu erzählen, warum ich darlegen möchte, wie ich Meditation in meiner Klinik für Neurologie im Krankenhaus nutze, und warum es mir so wichtig ist, die wissenschaftlichen Erkenntnisse meines Labors und anderer Forschungszentren auf der ganzen Welt zu präsentieren. Mein beruflicher Werdegang ist recht klassisch. Während des Medizinstudiums lernte ich viel über den menschlichen Körper und das Gehirn, über Krankheiten und die Behandlungen, mit denen man sie heilt oder sich ihnen stellt. Später konzentrierte ich mich mit meinem Forschungsteam auf die Zustände des menschlichen Bewusstseins und mittlerweile sind Hirnverletzungen und die Bewusstlosigkeit mein Spezialgebiet. Dank der Arbeit und der Forschungen, die ich in unserem Labor und dem klinischen Forschungszentrum in Lüttich (Belgien) durchführe, kam ich den Antworten auf Fragen Schritt für Schritt näher, die ich mir schon als Jugendlicher zu stellen begann. Was ist der Zweck unseres Lebens auf der Erde? Warum denken wir? Wie können wir bessere Menschen werden? Welchen Sinn hat das Leben? Ich bekam die Möglichkeit, mein Wissen über die Bewusstseinszustände des Menschen noch mehr zu vertiefen, über Anästhesie und Hypnose, eine Technik, die wir im Universitätskrankenhaus Lüttich gründlich untersucht hatten. Immer wieder lernte ich mehr über das menschliche Gehirn, über unsere Geisteszustände und unsere Denkprozesse und darüber, warum unser Gehirn kontinuierlich in Aufruhr und in Veränderung ist und was passiert, wenn es angeregt wird. Ich möchte mich keinesfalls mit meinem Wissen und meinen Taten großtun. Genau wie du kann ich Egozentrik und Personenkult oder Verehrung einer einzelnen Person nicht ausstehen. Mit dieser kurzen Zusammenfassung meines Lebenslaufs möchte ich auf Folgendes hinaus: Alles Wissen, das ich als Arzt und Wissenschaftler erworben hatte, konnte mir nicht helfen, als am 17. August 2012 plötzlich meine Welt zusammenbrach. Es war ein Schock. Ich war plötzlich allein mit drei Kindern im Alter von sieben, elf und dreizehn Jahren. Bis zu jenem Moment hatte ich immer viel gearbeitet, unregelmäßige Arbeitszeiten gehabt und danach meine Freizeit mit meiner Familie verbracht. Plötzlich war ich emotional völlig verloren. Ich war nicht nur Vater, sondern auch Ehemann gewesen. Meine unerwartete Scheidung erschütterte mich auch als Mann. Trotz all meiner Studien und all der Bücher, die ich gelesen hatte, schien keine Therapie mein Leiden lindern zu können. Keine Tablette, Salbe oder Operation konnte dieses Problem lösen. Ich habe nichts zu verbergen und deswegen kann ich durchaus zugeben, dass das erste Jahr nach diesem Bruch besonders schwierig war. Ich war unfähig, gesund zu leben. Gegen den Stress griff ich zu Zigaretten und Alkohol. Ich nahm mir keine Zeit mehr für mich, weder für meinen Körper noch für meinen Geist. Ich hetzte mir selbst hinterher, um meine Karriere und meine Familie unter einen Hut zu bringen. Ich nahm Antidepressiva und Schlaftabletten. Nach mehreren harten Monaten erreichte ich den Tiefpunkt und ich verstand, dass ich so nicht weitermachen konnte. Ich wollte mein Leben wieder in den Griff bekommen und ein Vorbild für meine Kinder sein. Wenn einem so etwas passiert, kommt unweigerlich der Moment, in dem man über sich selbst nachdenken muss. Um wieder in Kontakt mit mir selbst zu kommen, ging ich zu mehreren Therapeuten und Psychiatern. Ich vertiefte mich in Bücher, die eventuell helfen konnten, mit Problemen dieser Art umzugehen. Ich begann, für einen Marathon zu trainieren, und fand durch Gespräche mit klugen Freunden im Yoga ein Ventil. Über die Bücher, die ich las, und die Yogastunden, an denen ich wöchentlich teilnahm, entwickelte ich echtes Interesse an Meditation. Ich hatte zuvor zwar natürlich schon davon gehört und gelesen, war aber – wie viele Kollegen in der Wissenschaft – skeptisch eingestellt. Ein Journalist hatte mich Jahre zuvor beispielsweise nach meiner Meinung zu Achtsamkeit gefragt, die eine Säule der Meditation ist, und ich hatte abgewunken. Das war bloß ein Hype, eine Modeerscheinung aus den Zeitschriften und dem Internet. Doch je mehr ich darüber las, desto mehr begann ich an meiner vorher eindeutigen Einstellung zu zweifeln. Auch die Yogameditationsstunden und die Einstellung der Yogalehrerin machten mich neugierig. Ich hatte schon viele Sportarten ausprobiert, aber wegen meines unangepassten Geistes nie Wettbewerbsniveau erreicht. Wenn zum Beispiel mein Tennislehrer meine Technik kritisierte, hielt ich meinen Schläger absichtlich etwas höher oder zu weit nach rechts oder links. Das Disziplinierte an diesen Trainings passte weder zu meinem rebellischen Wesen noch zu meinem etwas dickköpfigen Charakter. Yoga hingegen hatte es mir angetan. Die Lehrerin achtete nicht darauf, ob mein linker Fuß exakt positioniert war oder ob ich mit meiner Nase die Knie berühren konnte. Wichtig war bei diesem Yoga- und Atemunterricht, wie es mir ging und welchen Fortschritt ich persönlich machte, was ich über mich lernte, über meinen Körper und meine geistige Verfassung in jenem Moment. Dies weckte mein Interesse als Neurologe. In der wenigen freien Zeit, die ich hatte oder, besser gesagt, mir nahm, las ich immer mehr Bücher über Philosophie, Meditation, christliche kontemplative Praktiken und die buddhistische Sicht auf das Leben. Ich beschäftigte mich immer stärker mit dem Thema und fing automatisch an, bewusster zu leben. Ich mochte mich nicht länger über die Vergangenheit beklagen oder mir unnütze Sorgen über die Zukunft machen. Ich wollte nur noch den Moment genießen und erleben, zusammen mit meinen fantastischen Kindern. Ich entdeckte, dass Achtsamkeit nicht einfach nur ein Modewort ist, so wie ich den Journalisten Jahre zuvor belehrt hatte, sondern dass es wirklich ein besonderer Mehrwert in allen Aspekten des täglichen Lebens sein kann: eine Mahlzeit wirklich zu genießen zum Beispiel, darüber nachzudenken, wie man die Zeit plant, oder im Urlaub nicht nur von einer herrlichen Sehenswürdigkeit zur nächsten zu eilen, sondern auch wirklich innezuhalten und diese ganze Pracht und Herrlichkeit in der Welt zu bestaunen. Von dem Moment an spielte Meditation nicht nur eine große Rolle in meinem täglichen Dasein, sondern sie bekam auch einen Platz in meinem Berufsleben. In unserem Labor in Lüttich war es nur ein kleiner Schritt von unseren Forschungen über Bewusstseinszustände unter Hypnose zur Erforschung der Geisteszustände während der Meditation. Mein wissenschaftliches Interesse an Meditation wurde erst recht angeregt, als ich Matthieu Ricard zum ersten Mal traf: Doktor der Molekularbiologie, buddhistischer Mönch und Französischübersetzer des 14. Dalai-Lama. Die zufällige Begegnung ermöglichte es mir, Gedanken mit einem besonderen Menschen auszutauschen, dessen Bücher über östliche Philosophie, Meditation und Buddhismus ich gelesen hatte. Wir lernten uns am 28. November 2013 bei einem TED Talk in Paris kennen. Bei diesen Konferenzen kommen Experten zusammen und diskutieren Themen und Ideen aus Wissenschaft, Technik, Wirtschaft, Soziologie und dem Kreativsektor. Zu dieser bestimmten Veranstaltung in Paris waren sowohl Matthieu Ricard als auch ich eingeladen. Obwohl ich an diesem Tag nicht alles anhören konnte, was Matthieu über die Bedeutung von Altruismus im 21. Jahrhundert zu sagen hatte, zog seine Anwesenheit sofort meine Aufmerksamkeit auf sich. Zu meinem großen Vergnügen fanden wir nach der Konferenz Zeit, uns zu unterhalten. Aus Gründen, die ich noch immer nicht richtig benennen kann, verstanden wir uns auf Anhieb. Worüber wir genau sprachen, ist eine vage Erinnerung geworden. Was ich aber noch ganz klar weiß, ist, dass er »Ja, lass uns das machen« antwortete, als ich ihn einlud, in mein Labor nach Lüttich zu kommen, damit mein Forschungsteam sein Gehirn und die Wirkung der jahrelangen...