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E-Book

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Lanthaler Azzurro

Ein Tschonnie-Tschenett-Krimi

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-7099-7681-4
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



"Übrigens, Kollege: Die Wetten stehen 6:2 für Krieg. Und für die Nacht erwartet man noch Großes von Albanien. Auch wenn die Welt nichts davon hat, weil keines der Handys nach draußen durchkommt."
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2
Die Brasse in Salz,
kalt bis ins Zahnfleisch hinein,
im Fischladen dort.
(Matsuo Bashô) Schütteln. Jeder Zentimeter, jeder Muskel, jeder Knochen bewegt sich, zerrt, reißt, rüttelt am Körper, jeder in eine andere Richtung. Und stößt an eine Grenze, ist wie festgehalten. Schüttelt sich wieder. Ein schwarzes, kaltes Loch. Frieren. Und heiß. Wasser. Ich ertrinke an heißem Wasser. »Los, nimm schon.« Schmerzen. »Komm, mach hinne.« Wieder Schmerzen. Kalt. Schütteln. Licht. Rechts oben, Licht. Und dann sah ich in dem Licht einen grauen Umriß. Etwas, das sich bewegte. Und mir eine Ohrfeige gab. Wieder. Licht jetzt auch links oben. Ich hatte meine Augen geöffnet. Sehr viel mehr als verschwommene Flecken konnte ich aber nicht sehen. »Wird auch langsam Zeit.« Mir lief wieder heißes Wasser übers Gesicht. Ich schnappte nach Luft. »Los, trink den Scheißtee, ich muß auf Wache.« Die Stimme war mir fremd. Als ich das nächste Mal zu mir kam, war es stockfinster um mich herum. Ich versuchte, mich zu orientieren, zu verstehen, wo ich war. Es gelang mir nicht. Außerdem hatte ich einen verzweifelten Durst, der Hals schmerzte, die Zunge klebte vertrocknet im Mund, und bei jedem Atemzug zog mir ein Stich durch die Brust. Ich zitterte am ganzen Körper vor Kälte, Schweiß rann mir in die Augen. Ich konnte meine Arme nicht bewegen, mich nicht aufrichten. Es war, als ob mich irgendwer zurückhielt. Ich versuchte es noch einmal, schaffte ein paar Zentimeter, hörte meinen rasselnden Atem, spürte das Pochen in meinem Kopf und ein Gewicht, das mir auf die Brust drückte. Mit letzter Kraft stemmte ich mich dagegen, aber mehr als ein paar Zentimeter Spielraum waren da nicht. Ich gab es auf und ließ mich, vor Schmerz stöhnend und völlig entkräftet, zurückfallen. Und fiel in nassen Gestank, ohne mich daraus befreien zu können. Ich versuchte zu begreifen, woher ich den Geruch kannte, konnte mich aber zuerst nicht erinnern. Dann, als mir ein Würgen hochkam, verstand ich. Ich lag in Erbrochenem. Noch etwas fiel mir auf. Ich bewegte mich, auch wenn ich mich nicht rührte. Und ich hörte ein Hämmern, das nicht das Hämmern in meinem Kopf war. Ein Pfeifen, das nicht aus meinen Ohren kam. Ein Surren, dessen Ton plötzlich anstieg, höher und lauter wurde, um dann schlagartig wieder in seinen monotonen Ausgang zurückzufallen. Und dann war mir, als ob ich zwei Worte gehört hätte. Zwei Worte, die mir nichts sagten. Aber bekannt vorkamen. »Hiev up.« Ich konnte mir auf das alles, so sehr ich mich auch anstrengte und darüber nachdachte, keinen Reim machen. Vielleicht muß es so sein, dachte ich und blieb still liegen. Vielleicht ist das immer so. Ich wurde von einem Geräusch wach. Es war immer noch völlig dunkel, nur kurz war etwas graues Licht in einem Spalt sichtbar geworden. Durch das Hämmern und Surren und Pfeifen hörte ich rechts von mir etwas, ohne zu wissen, was es war. Dann ein Quietschen über mir. »Ha…« Das mußte meine Stimme gewesen sein. Ich wußte zwar nicht, wie sie sich anhörte, aber ich hatte sie gespürt. »Hall…« Dann kam mir ein Husten hoch, die Schmerzen in meiner Brust wurden unerträglich, ich wollte mit den Händen danach greifen, aber sie lagen wie festgebunden links und rechts an meinem Körper, der sich schüttelte. Als ich endlich wieder bei Atem war, flach schnaufend, um den Schmerzen zu entgehen, versuchte ich es noch einmal. »Hallo …« So also hörte ich mich an. Ich erkannte mich nicht wieder. »He.« Ich hatte, über mir, wieder etwas gehört, ein Geräusch, das ich nicht identifizieren konnte. Ich wollte endlich wissen, was los war. »Ist da jemand?« sagte ich, und für das letzte Wort hatte ich den Rest meiner Atemluft hergeben müssen, was zur Folge hatte, daß mich wieder ein Husten anfiel. Ich würde mir also in Zukunft jedes Wort genau überlegen müssen. Es tat zu weh. Ich erhielt keine Antwort. Hörte auch nichts mehr, weder rechts von mir noch über mir. Nur das Hämmern und Surren und Pfeifen. Müde legte ich meinen Kopf zur Seite. Und fuhr sofort wieder hoch. Das Erbrochene. Später dann, wieviel später wußte ich nicht zu sagen, entdeckte ich ein neues Geräusch. Anders als alle anderen. Gleichmäßig erst, lauter werdend, dann wieder leise, setzte es manchmal für Augenblicke aus, begann von neuem, fehlte dann so lange, daß ich die Hoffnung, ich würde irgendwann verstehen, um was es sich dabei handelte, schon aufgegeben hatte, als es urplötzlich und laut von neuem einsetzte, um langsam wieder leiser zu werden. Schließlich begriff ich. Irgendwo in meinem Kopf hatte sich ein Gedanke geformt, vorsichtig, und war langsam nach vorne gewandert, mit zaghaften Schritten, zaudernd war er nach vorne gekommen und hatte da gesagt: »Schnarchen.« Es stimmte. Über mir mußte etwas liegen, das schnarchte. Gut, Gedanke, dachte ich, denk weiter: Was kann das sein? Der Gedanke machte sich wieder auf den Weg, ich spürte, wie er auf und ab schritt, hin und her, ich fühlte, wie er meinen Kopf weh tat, aber ich erlaubte es ihm. »Mach weiter«, sagte ich zu ihm, zu tun gab es sonst nichts, also konnte mein Gedanke ja erst einmal das Rätsel lösen. »Also«, sagte der Gedanke, und ich war überrascht, daß er sprach, ohne nach vorne gekommen zu sein, eigentlich war das unhöflich, man schaut ihm doch ins Gesicht, wenn man mit einem Menschen … »Richtig«, sagte der Gedanke, »ein Mensch schnarcht. Meistens Männer. Es wird ein Mann sein.« »Gut, Gedanke«, sagte ich, »und jetzt setz dich bitte wieder hin, es tut doch ziemlich weh.« Ich schloß die Augen. »Auf, Mann, gleich drei Glasen.« Die Stimme kannte ich. Ich öffnete die Augen. Und schloß sie sofort wieder. Viel zu hell. »Stell dich nicht tot, Jung, es wird nicht besser.« Wieso mußte er so schreien? Langsam, Millimeter um Millimeter, öffnete ich die Augen. Rechts neben und über mir stand ein großer, breiter Kerl und hielt eine Flasche in der Hand. »Hier«, sagte er, »such es dir aus, wie du wieder auf die Beine kommen willst. Schnaps aus der Bordapotheke, oder Penicillin.« Ich versuchte mich aufzurichten. Ging nicht. Etwas hielt mich fest. Immer noch. »Ich schick dir gleich den anderen Itaker«, sagte der Mann, »der soll dich losmachen. Bist uns in deinem Delirium dreimal aus der Koje gefallen, haben wir dich festgezurrt. War bei der hochgehenden See sowieso das beste. Also, der Itaker macht die Kotze weg. Und du kommst am besten heute noch auf die Füße. An Deck gibt’s jede Menge zu tun, wir stehen mitten im Kabeljau, der Alte ist ganz scharf darauf, die Brecher kommen über, als ob sie sich den Fisch wieder holen möchten. Und hör zu, meen Jung: Kotz nicht wieder alles voll wie auf Landgang, ja? Verstanden, alte Leiche? Ich muß mich hier nämlich irgendwann noch für’n halbes Stündchen aufs Ohr hauen.« Er legte die Flasche und das Penicillin neben mich. Dann ging er. Am offenen Schott drehte er sich noch einmal um. »Weißt du, wie du heißt?« Darüber hatte ich auch schon nachgedacht. »Nein«, sagte ich. »Johann? Hans? Jonny?« sagte er und grinste. Was gibt es da zu grinsen, dachte ich und schüttelte verneinend den Kopf. »Wie wär’s mit Tschonnie Tschenett?« »Sagt mir nichts.« Sagte mir wirklich nichts. Obwohl … »Willst du wissen, wo du bist?« Ich versuchte zu nicken. Es fiel mir schwer, weil mein ganzer Körper wieder einmal in Bewegung war. »Die Uranus«, sagte er. »Was ist das?« Er sah mich einen Augenblick lang erstaunt an. »Was das ist?« Dann schüttelte er lachend den Kopf. Blinzelte mich kurz an, als ob er mir nicht traute. Schaute sich um. »Das«, sagte er und hieb mit seiner großen Pranke auf das Schott ein, »das ist unser Fischdampfer. Liegt zur Zeit auf der Dohrn-Bank, hundert Seemeilen östlich Grönland. Und ziemlich gut im Fisch.« »Aha«, sagte ich, aber da war der große, breite Mann schon verschwunden. Unmöglich. Unmöglich, daß ich so einen komischen Namen hatte. Ich lag ungeduldig da und wartete. Mein Bett bewegte sich, ich konnte es immer noch nicht. Hoffentlich kommt der Itaker bald, dachte ich, was auch immer das ist. Ich wachte auf, als jemand an meiner Schulter rüttelte. Vor mir stand ein Mann, deutlich kleiner als der Große. Schmal, dünn, einen wilden schwarzen Schnauzbart im Gesicht. Er sagte nichts und sah mich nicht an, als er die Gurte löste, die über meiner Decke festgezurrt waren. »Danke«, sagte ich. Als ich mich aufrichten wollte, wurde mir schwarz vor den Augen. »Trinka!« Der kleine Mann hatte meinen...


Kurt Lanthaler, geboren 1960 in Bozen, lebt als freier Schriftsteller in Berlin. Schreibt Erzählungen, Romane, Drehbücher, Hörspiele und Theaterstücke. Installationen. Libretto und Video zu der Oper "Rasura" von M. Kerer. Diverse Preise und Stipendien. Übersetzer aus dem Italienischen, darunter Romane von Peppe Lanzetta und Roberto Alajmo. Bei Haymon: Fünf Romane um Tschonnie Tschenett: Der Tote im Fels, Grobes Foul (beide 1993), Herzsprung (1995), Azzurro (1998) und Napule (2002); Heiße Hunde. Hirnrissige Geschichten und ein Stück Karibik (1997), Offene Rechnungen. Anoichtoi Logariasmoi. Zwölf Gedichte und vier Geschichten (deutsch/italienisch/neugriechisch, 2000), Südtiroler Wein Lesen. Beschreibungen, Fotografien, Literatur (gem. mit Wolfgang Maier und Jochen Wermann, 2003), himmel & hoell (fuer fuszleser & daumenschauer) 84 strofen & 84 bilder fuer 84 stufen (gem. mit Peter Kaser, 2003), Das Delta. Roman (2007) und Goldfishs reisen um die halbe welt. Gedichte (2011). Bei HAYMONtb: Grobes Foul. Ein Tschonnie-Tschenett-Roman (2010) und Der Tote im Fels. Ein Tschonnie-Tschenett-Roman (2011).


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