E-Book, Deutsch, 529 Seiten
ISBN: 978-87-26-48771-8
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die deutsche Schriftstellerin Elisabeth Langgässer (1899-1950) wurde hauptsächlich für ihre Lyrik, aber auch für ihre Kurzprosa bekannt. Aufgewachsen in Hessen, arbeitete sie ab 1931 als Schriftstellerin in Berlin und wählte 1933 die NSDAP. Langgässer war Katholikin, aber als Tochter eines jüdischen Vaters erhielt sie 1936 Publikationsverbot, das sie allerdings missachtete. Sie starb im Alter von 51 Jahren an Multipler Sklerose.
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ERSTES BUCH
I
Das Wasser aus der großen, stehenden Gartenspritze ging wie ein mächtiger Schleier über den jungen Rasen und glänzte, von den Strahlen der Morgensonne durchfunkelt, in den sieben Farben des Regenbogens. Wo es hintraf, leuchteten Gras und Erde in übersinnlichen Farben und waren wie neugeboren; jeder Tropfen traf einen jungen Halm, den er beugte, wenn er den Stengel hinablief, und wiederum aufhob, erquickte und stärkte, indem er das Würzelchen speiste, mit welchem die Pflanze dem Boden und ihrem eigenen Dasein in dem Garten verhaftet war. Schon hatte der Rasen genug und ermüdete unter der Fülle. Er legte sich um; in den kleinen Pfützen, die sich, wo zwischen Gräschen und Gräschen nur die geringste Gelegenheit blieb, eilig gebildet hatten, schwamm winziges Getier: Ameisen, welche noch ruderten oder bereits ertrunken waren; ein Käfer, den die Nähe des Regens in eine Art Wirbel gezogen hatte, aus dem er nicht mehr herauskam, so sehr er sich auch von dem Mittelpunkt jener Kraft zu entfernen suchte; eine Mücke, die schon vergangen war, und ihre ätherischen Flügel, dem Stoff zurückgegeben, in Gallerte verwandelt sah. Nur in dem Schatten, wo der Jasmin, von spitzen, grünlichen Knospen durchsetzt, sich über die Erde beugte, schien der Rasen noch fähig zu sein, das Wasser aufzunehmen; er trank und verdunstete große Mengen, während die Sonne mit glühenden Speeren durch das verwucherte Blattwerk drängte und runde, zitternde Flecke auf das weiche Frühlingsgras warf; ein feiner Dunst schien den Büschen von unten entgegenzuwölken, sich zu verdichten und ganz allmählich zu jener schweren, schrecklichen Süße der Mittagsstunde zu sammeln, die aus Langerweile und Sättigung, aus fleischlicher Neugier und geistiger Trauer zu gleichen Teilen gemischt ist . . . . Mit einem kurzen, zischenden Seufzer zog sich das ausgebreitete Wasser wieder zurück in den einfachen Strahl, erlosch und war so plötzlich verschwunden, als wäre es nie gewesen. Eine Weile lag noch die nasse Schlange des Gartenschlauchs zwischen den Gräsern und wurde dann von dem Gehilfen des Herrn Belfontaine eingezogen und für heute zusammengerollt. Seine Schritte entfernten sich langsam hinter dem Rücken des Mannes, dem dieser Garten und das Haus, an welches er anstieß, gehörte und das Ladengeschäft, das sich mit Gläsern voll gelber Erbsen, weißer und bunter Bohnen, mit schmalen Messingbehältern, die brasilianischen Kaffee, und aufgestapelten silbernen Päckchen, die indischen Tee enthielten, mit beschrifteten weißen Porzellandosen voll Weizenmehl, Salz und geschältem Reis, Orangeade, Zimt, Zitronade und mit blauen, ehrbaren Zuckerhüten nach jener Seite des Kreisstädtchens auftat, deren Verlängerung anstieg und in die Wingerte führte; in bescheidene, nicht sehr berühmte Lagen, die das Eigentum eingesessener Bürger und weniger Bauern waren. In den Rebensorten nicht unterschieden, trugen die der Bürgerschaft Weinberghäuschen, welche der eine und andere Besitzer wie rohe Liebestempelchen ringsum mit Amoretten hatte bemalen und mit Bänken, einfachen Eisenstühlen und in die Erde gestampften Tischen für gesellige Zwecke hatte versehen lassen. Sitzt man dort oben, so ist es ein leichtes, das Städtchen und seine Umgebung mit einem Blick zu umfassen. Auf den lang hingleitenden Bodenwellen des rheinischen Hügellandes liegt es an diesem Spätfrühlingstage wie erschöpft in den stumpfen, rostigen Farben der Ackererde da, von vielen Apfelbäumen umbuscht, die durch den reichlichen Ansatz der Früchte fast olivengrün schimmerten; trocken und staubig bei aller Fülle, als sei die Natur ihres Auftrags, immer das gleiche zu bilden, überdrüssig geworden. Man sieht auch die breite Straße Napoleons, welche schnurgerade und unbekümmert von Mainz bis Paris hinläuft; sie kam von dem Horizont wie ein Delphin, der hinter dem Wogenbug aufblitzt, herübergleitet, verschwindet und wieder sichtbar wird, bis sie endlich die letzte Erhöhung geschmeidig hinunterstürzte und wie ein scharfes, glänzendes Messer den südwestlichen Zipfel des Städtchens abschnitt,welcher inzwischen man schrieb einen Maitag des Jahres 1914 - weitergewachsen ist; dann eilte sie auf den nächsten Hügel, das nächste Tal und den übernächsten der niedrigen Hügel zu und hatte die Stadt bereits völlig vergessen, welche gekränkt und beleidigt in ihrer Ordnung zurückblieb und das Schloß, in dem sich die Steuerbehörde, das Amtsgericht und das Museum befanden, wie eine Schulter emporzog. Hier war das Viertel der kleinen Beamten und grenzte sich selbstbewußt und bescheiden durch ein Stück der alten Stadtmauer ab; der Marktplatz, früher nur Pferdemarkt, weswegen dort vor allem die Schmiede, Kürschner und Seiler wohnten, lag schon bedeutend tiefer, von seiner blanken, gepflasterten Mitte strahlten nach allen Seiten die neuen Geschäftsstraßen aus. Am Ende der größten erblickte man damals das Haus der Familie Belfontaine als eines der stattlichsten; aber gleichzeitig wurde auch deutlich, in welcher Art es sich von den andern um ein weniges abzusondern und zu behaupten wußte: es stand schräg, weil die Straße hier umbog und sich aufzulösen begann; als Gegenüber hatte es nichts als eine Doppelreihe beschnittener Akazien und das Tor der staatlichen Obstbaumschule, durch deren Gitter man weiter hinten das rote Dach des Verwaltungsgebäudes wie Gartenmohn schimmern sah. Auf der Straßenseite folgte ihm selbst eine große Wagenremise, wo ein Kutschergeschäft betrieben wurde; hierauf eine Eisenhandlung, die außer Scheren, Rebmessern, Pflügen und was sonst noch zu ihrem Bereich gehörte, auch Düngemittel und Kohlen verkaufte; danach kam gar nichts und auf das Garnichts ein Pumpwerk, welches schon höher lag; es begannen die Weinbergsmauern gemächlich anzusteigen und wieder an jene Stelle zu führen, wo der Blick das Städtchen umfangen hatte, als habe er es soeben aus dem Nichtsein herausgehoben und einem Schicksal Bedeutung gegeben, welches im Augenblick damit begann, daß Herr Belfontaine noch eine ganze Weile in die silberne Kugel starrte, die da auf dünnem, glänzendem Bein fast unwirklich vor ihm schwebte, den Garten spiegelte, einfing und ihn auf zaubrische Weise nach hinten verlängerte: endlos, in deutlichen Linien, die nichts an Umriß verloren, so weit sie sich auch entfernten; ja, noch die Art und Farbe des Kieses, mit welchem der Hauptweg bestreut war, wurde treulich wiedergegeben. Nur dieser Hauptweg selbst war verändert und schien sich in seinem Spiegelbild so unermeßlich zu dehnen, daß man denken konnte, wer ihn beschritte, gelangte an die Enden der Erde oder, was ein und dasselbe ist, an den Beginn aller Wege; obwohl ihn Rabatten und Stauden an beiden Seiten freundlich umschlossen, schnitt er gleichwohl so unbarmherzig und überhell durch den Garten, als käme er nur von draußen herein, um ihn vollkommen zu entzweien, ihn zurückzulassen und weiterzulaufen, mitten durch Haus und Laden - nicht unähnlich der Pariser Straße, die das Gleiche im Ganzen des Städtchens tat. Die Kugel flimmerte in der Sonne, wurde dunkler, aber fast schärfer im Spiegel, weil eine Wolke über ihn hinzog, und blitzte, als diese vorbei war, mit einer Schnelligkeit wieder auf, als wäre hur eine Echse über ihr Bild gehuscht . . . Geblendet schloß Belfontaine beide Augen und holte sich unter zuckenden Lidern aus der Gartenkugel zurück; dann trat er, von leichtem Schwindel erfaßt, einige Schritte seitwärts und schaute nun wirklich nach vorn; er erblickte das Haus und die Treppe, die in den Garten führte, und sah seine kleine Tochter Elfriede auf der obersten Stufe sitzen - aber weniger saß das Kind auf der Stufe, als zwischen den dürren Waden des ältlichen Dienstmädchens Berta, dessen Oberkörper sich über Elfriede und das Strickzeug in deren Händen beugte, sichtlich bemüht, dieser armen Kleinen die Anfangsgründe der Handarbeit, wie eine Zange der Walnuß das Knacken, gewaltsam beizubringen. »Richtig«, dachte Herr Belfontaine träge und noch immer ein wenig gelähmt, »sie ist jetzt fünf Jahre geworden. Zeit also, ihre Finger zu üben, bevor das Auf-Ab-Auf-Pünktchen-drauf anfängt.« Er betrachtete, was sich ihm darbot, und ging vorsichtig auf Elfriede zu, als ob sie eine Schwarzdrossel wäre, die unversehens fortfliegen könnte; doch merkte er bald, daß keine Gefahr war, so lange die festen Finger der Magd ihre Handgelenke umklammerten. Einige Meter von beiden entfernt, spreizte sich, schräg überm Weg, ein Photographierapparat auf lächerlich hohem Gestell; er war über Nacht dort stehengeblieben, weil Belfontaine gestern vergeblich den Vollmond zu überlisten versucht hatte und außer sich vor Ärger, daß gerade zur Stunde des Aufgangs der Osten sich eingewölkt hatte, zu Bett gegangen war, ohne das Unglücksding mitzunehmen – nicht anders, als wolle er seinen Kasten in kindischer Weise dafür bestrafen, daß der Himmel nicht mithelfen mochte. Nun bot sich der Apparat seinem Herrn wieder aufs neue an; mit der schweren, dunklen Decke behangen, machte er einen beschämten und zugleich traurigen Eindruck und schien nur darauf zu warten, das Vertrauen zurückzuerwerben, das er sich gestern verscherzte. »Man könnte es ja versuchen« - sagte Herr Belfontaine gnädig, rückte den Apparat in die Richtung des Genrebildchens auf der Treppe und bückte sich unter das Tuch. Er schob daran, drehte und schraubte, holte das Auge des Apparates aus der Entfernung Unendlich und hatte schließlich im Blickfeld, was er wiederzugeben wünschte. Indem er noch einmal drehte, trat das Bild auf der Mattscheibe deutlich hervor und stand, als hätte soeben ein zugespitzter Griffel seine Linien verbessert und...