E-Book, Deutsch, 302 Seiten
Langer Das Buch, das dich findet
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7521-2076-9
Verlag: tolino media
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
E-Book, Deutsch, 302 Seiten
ISBN: 978-3-7521-2076-9
Verlag: tolino media
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Gewinnertitel des SERAPH 2021, des Buchpreises der Phantastischen Akademie und der Leipziger Buchmesse!
'Hallo Merelie, danke, dass du mir gestern zugehört hast. Das hat mir einen richtigen Powerschub gegeben. Nun bin ich gerade auf einen seltsamen Roman gestoßen: 'Das Buch, das dich findet'. Der Anfang verwirrt mich sehr und macht mir Angst. Ich muss unbedingt mit dir darüber reden. Wir treffen uns dann morgen wie verabredet, ja?' Alinas seltsame WhatsApp-Nachricht ist ihr letztes Lebenszeichen - jetzt ist sie spurlos verschwunden.
Ist Alina ihrem Bruder David in den Tod gefolgt, so wie es die Polizei vermutet?
Merelie, die ihrer Freundin Alina seit Davids Unfalltod tröstend und kraftgebend zur Seite stand, glaubt nicht daran und begibt sich auf die Suche. Ihr einziger Anhaltspunkt ist dieses mysteriöse 'Buch, das dich findet', das Alina so sehr beeindruckt hat. Als Merelie danach recherchiert, stellt sich heraus, dass ein Buch mit diesem Titel überhaupt nicht existiert: in keiner Bibliothek, in keinem Buchladen, in keinem Online-Shop.
Doch eines Tages liegt plötzlich eine Ausgabe davon auf ihrem Bett - und bereits die Widmung auf der ersten Seite stellt ihr bisheriges Leben völlig auf den Kopf.
Siegfried Langer wurde 1966 in Memmingen geboren und ist 2014 - nach 18 Jahren in Berlin - wieder in seine Heimatstadt zurückgekehrt.
Romane:
Mein Mörder und ich
Everlife - Wenn dein Leben neu beginnt
Die Geschichte, die dich einholt
Das Buch, das dich findet
Aus dem Koma
Zwanzig Sekunden Ewigkeit
Berlin Ripper
Vergelte!
Leide!
Tödliche Tabus
Sterbenswort
Seelenscherben (Vater, Mutter, Tod)
Alles bleibt anders
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
I. Teil
Alinas Ausgabe von ‚Das Buch, das dich findet‘ 1. Kapitel
Merelies Geschichte „Hallo Merelie, danke, dass du mir gestern zugehört hast. Das hat mir einen richtigen Powerschub gegeben. Nun bin ich gerade auf einen seltsamen Roman gestoßen: ‚Das Buch, das dich findet‘. Der Anfang verwirrt mich sehr und macht mir Angst. Ich muss unbedingt mit dir darüber reden. Wir treffen uns dann morgen wie verabredet, ja?“ (Letzte WhatsApp-Nachricht, die Merelie von ihrer Freundin Alina erhalten hat.) Merelie erschrak: Am Gartenzaun vor dem Haus ihrer Freundin Alina parkte ein Streifenwagen. Sie stieg von ihrem Fahrrad ab und schob es die letzten Meter. Trotz der Hitze dieses sonnigen Augusttages spürte sie eine plötzliche Kälte. Ihre Gedanken überschlugen sich. War etwas passiert? Mit Alina? Sie hatte sich doch nicht etwa …? Oder mit Alinas Mutter? War sie schon wieder betrunken mit dem Auto unterwegs gewesen? Vor Kurzem hätte sie beinahe einen Unfall verursacht. Nachdem Merelie das Rad abgestellt hatte, legte sie den kurzen Weg durch den Vorgarten der Rieders mit einer unguten Vorahnung zurück. Ihre Hand zitterte, als sie den Klingelknopf drückte. Es erschien ihr ungewöhnlich lange zu dauern, bis sie endlich Schritte hörte, die sich der Haustür näherten. Ihr Erstaunen wuchs, als ein Mann öffnete, den sie noch nie zuvor gesehen hatte. Er runzelte die Stirn und sah sie fragend an. „Ja, bitte?“, wollte er schließlich wissen. „Ähm, ich bin Merelie, ich wollte zu Alina. Wir sind verabredet.“ Der Mann wirkte unschlüssig und machte keine Anstalten, sie hinein zu lassen. Jetzt wurde Merelie neugierig: „Wer sind Sie?“ „Ich bin Alinas Vater.“ Ohne weiteren Kommentar trat er nun zur Seite und Merelie schlüpfte an ihm vorbei in die Diele. Alinas Vater? Sie verstand überhaupt nichts mehr. Alina hatte ihr erzählt, er habe sich nie um seine Kinder gekümmert. Seine Karriere sei ihm immer wichtiger gewesen und deswegen wäre er ununterbrochen in der ganzen Welt herumgejettet. Sie hätte ihn auf der Beerdigung ihres Bruders David das erste Mal seit Jahren gesehen. Was machte er so unerwartet hier? An der Treppe, die nach oben zu Alinas Zimmer führte, hielt Merelie an. Sie drehte sich zu Alinas Vater um, doch der schüttelte den Kopf. Sein Blick wies in Richtung des Wohnzimmers, das gegenüber der Haustür lag. Merelie verstand und ging hinein. Obwohl das Fenster offenstand, roch es nach Alkohol. Im Fernsehsessel saß Alinas Mutter; nein, sie lag mehr darin, als dass sie saß. Sie sah Merelie mit verweinten, glasigen Augen an. Auf dem Sofa daneben hatten eine Polizistin und ein Polizist Platz genommen. Der Polizist hatte einen Schreibblock in der einen Hand, einen Kugelschreiber in der anderen. Auch die Blicke der Beamten richteten sich nun auf Merelie. „Das ist Merelie“, stellte Alinas Vater sie vor, als würde er sie bereits seit langem kennen. „Weißt du, wo Alina ist?“ Die Worte, die die Mutter sprach, klangen undeutlich. Doch Merelie hatte inzwischen Übung darin, Frau Rieder zu verstehen. Wenn sie Alina besuchte, traf sie die Mutter selten nüchtern an. „Nein, ich war mit ihr verabredet. Jetzt. Siebzehn Uhr.“ „Sie ist nicht mehr da.“ Merelie versuchte zu begreifen: Was sollte das heißen, sie sei nicht mehr da? „Wo ist sie denn?“ „Wir wissen es nicht, Merelie“, räumte Alinas Vater ein. Die Polizistin stand auf und streckte Merelie ihre Rechte entgegen: „Ich bin Polizeihauptmeisterin Bettina Guthe.“ Ganz instinktiv griff Merelie nach der Hand und schüttelte sie. „Mein Kollege ist Polizeiobermeister Dieter Reindl. Dürfen wir noch ‚du‘ sagen?“ „Ja, klar.“ Dies mochte Merelie ohnehin lieber. Sie empfand es immer wieder als seltsam, dass sie seit einiger Zeit von Fremden gesiezt wurde. Obwohl sie sich darüber freute, als Erwachsene wahrgenommen zu werden, fühlte sich die förmliche Anrede für sie immer noch sehr ungewohnt an. „Kannst du uns sagen, wann du Alina zum letzten Mal gesehen hast?“ Da brauchte sie nicht lange zu überlegen: „Vorgestern, wir saßen bis spät in die Nacht in ihrem Zimmer.“ „Warst du gestern nicht auch da?“, mischte sich Frau Rieder ein. Merelie schüttelte den Kopf. Für den Moment schien Alinas Mutter mit der Antwort zufrieden zu sein. Sie setzte sich auf und blickte suchend im Wohnzimmer umher. Merelie ahnte, dass sie nach einer Flasche Ausschau hielt, doch sie konnte keine entdecken. Üblicherweise standen hier immer mehrere herum, leere, volle und angefangene. Irgendjemand musste aufgeräumt haben, ehe die Polizei eingetroffen war. Kraftlos sackte die Mutter wieder in sich zusammen. Merelie konnte sich auf all das keinen Reim machen. „Aber was ist denn überhaupt los?“ „Entschuldige bitte“, sagte die Polizistin. „Alina ist verschwunden.“ „Was? Ich verstehe nicht.“ Die Polizistin blickte auffordernd zu Alinas Vater, der noch im Türrahmen stand. Merelie drehte sich zu ihm. „Alinas Mutter hat mich angerufen. Alina sei die Nacht nicht zu Hause gewesen. Ich bin sofort hierhergekommen und habe mir nicht anders zu helfen gewusst, als die Polizei hinzuzuziehen. Sie sind gerade eben, kurz vor dir, eingetroffen.“ „Kann sie nicht einfach beim Shoppen sein oder spazieren?“, fragte die Polizistin. „Alina geht nicht spazieren“, widersprach Frau Rieder, „und zum Shoppen auch nicht mehr.“ Aus einer Sesselritze zog sie ein Taschentuch hervor und schnäuzte lautstark hinein, ehe sie fortfuhr: „Das Bett war unberührt, als ich heute Mittag in ihr Zimmer bin.“ Zum ersten Mal hörte Merelie nun die Stimme des männlichen Beamten: „Vormittags hatten sie gar nicht nach ihr gesehen?“ „Ich schlafe immer so schlecht. Und dann bin ich morgens so müde. Komme dann kaum aus den Federn. Meistens ist Alina vor mir wach. Auch jetzt, in den Ferien.“ „Kann sie nicht einfach bei einer Freundin übernachtet haben?“ „Sie trifft sich in letzter Zeit ja nur noch mit dieser Merelie.“ Merelie wusste, dass Alinas Mutter sie nicht leiden konnte. Es war ihr ein kleiner Trost, dass Alinas Mutter zurzeit überhaupt niemanden leiden konnte, am wenigsten sich selbst. „Sehen Sie sich das Mädchen doch an, in ihren schwarzen Klamotten. Da muss man doch depressiv werden.“ Merelies erster Impuls war es, sich zu verteidigen, aufzubegehren, doch sie begriff schnell, dass es hier nicht um sie ging, und hielt sich zurück. „Glauben Sie, dass Ihre Tochter depressiv ist?“, fragte Frau Guthe und blickte zwischen den beiden Eltern hin und her. Herr Rieder zuckte hilflos die Achseln; Frau Rieder musterte Merelie abschätzig von oben bis unten. Dann giftete sie: „Wundert Sie das? Wenn man sich mit solchen Grufties abgibt …“ Das Wort, verbunden mit dem verächtlichen Tonfall, traf Merelie wie ein Stich ins Herz. Ja, sie mochte gerne schwarze Kleidung und zuweilen schminkte sie sich auch etwas unkonventioneller, dennoch gab es niemandem das Recht, sie in eine Schublade zu stecken. Am liebsten hätte sie Alinas Mutter widersprochen, doch sie spürte den Kummer, der aus ihr sprach. Er suchte sich einen Kanal. Alinas Mutter war nicht sie selbst. Sie wusste nicht mehr, was sie tat. Schon lange nicht mehr. Seit … „Merelie?“, wandte sich Frau Guthe nun direkt an sie. „Ja?“ „Glaubst du, dass Alina depressiv ist?“ Aufgrund der Reaktion der Eltern hielt die Polizistin Merelie anscheinend für kompetenter, ihr eine aussagekräftige Antwort auf diese Frage zu geben. Doch auch sie konnte nur die Schultern hochziehen. „Ich weiß es nicht.“ „Hat sie dir gegenüber je von Selbstmord gesprochen?“ Merelie zögerte. „Nein“, log sie dann. Denn es konnte nicht sein, was nicht sein durfte. „Sie glauben, dass sich meine Tochter …?“ Frau Rieder begann zu weinen und Alinas Vater trat zu ihr. Er hob die Hände, als wolle er sie in den Arm nehmen und trösten, aber er ließ es dann doch bleiben. „Wir müssen allen Spuren nachgehen, Frau Rieder. Dann haben wir die größte Chance, Alina wiederzufinden. Allerdings ist ihre Tochter bereits 18 und damit volljährig.“ Merelie vergaß oft, dass Alina ein Jahr älter war als sie selbst. Die Freundin kam ihr eher jünger vor, was ihre Reife und ihre Anschauungen betraf. „Was soll das heißen?“, hakte Alinas Mutter nach. „Natürlich nehmen wir Ihre Vermisstenanzeige ernst. Aber ein erwachsener Mensch kann tun und lassen, was er will. Es liegen keine Anzeichen für ein Verbrechen vor, oder?“ Die Hand, in der Frau Rieder immer noch das Taschentuch hielt, ballte sich zur Faust. „Muss erst etwas passiert sein, ehe Sie ermitteln?“ Der Vorwurf in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Die Polizistin versuchte sie zu beschwichtigen: „Nein, natürlich nicht. Selbstverständlich werden wir Untersuchungen anstellen. Aber zu Ihrer Beruhigung kann ich Ihnen versichern, dass die meisten vermissten Personen innerhalb weniger Tage wieder wohlbehalten nach Hause kommen.“ „Ich habe doch schon meinen Sohn verloren.“ Alinas Mutter hörte sich kläglich an. Sie faltete das Taschentuch wieder auseinander und wischte sich damit Tränen aus dem Gesicht. Sogleich erschienen neue in ihren...