Wahre Verbrechen - Echte Kriminalfälle aus Großbritannien
E-Book, Deutsch, 182 Seiten
ISBN: 978-3-98661-042-5
Verlag: True Crime International
Format: EPUB
Kopierschutz: PC/MAC/eReader/Tablet/DL/kein Kopierschutz
Adrian Langenscheid ist einer von Deutschlands erfolgreichsten True Crime-Autoren. Seine Erzählungen stellen ein atemberaubendes, zutiefst erschütterndes Portrait menschlicher Abgründe dar, das gerade wegen der kühlen, sachlich-neutralen Schilderung gewaltige Emotionen weckt. Langenscheid ist verheiratet und lebt mit seinen drei Kindern in Stuttgart.
Autoren/Hrsg.
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A ls der Anruf frühmorgens am 3. März 2012 um 3:07 Uhr bei der Notrufzentrale unter der Nummer 999 eingeht, ist der Servicemitarbeiter des ärztlichen Notrufs wie immer voll konzentriert. Es ist die Uhrzeit, zu der sich die meisten Herzinfarkte ereignen. Doch schnell wird klar, dass es sich um etwas ganz anderes handelt. In der Leitung ist eine junge Frau mit polnischem Akzent. Sie ist aufgelöst, leichte Panik schwingt in ihrer Stimme mit, als sie nach einem Krankenwagen fragt. Bei ihr zu Hause ist etwas Schlimmes passiert. Ihrem vierjährigen Sohn gehe es sehr schlecht. Sofort fragt der Servicemitarbeiter drängender nach und erkundigt sich, was genau mit ihm los sei. Diese Angaben werden benötigt und an das Rettungsteam weitergegeben, damit dieses schneller reagieren kann. Doch dann platzt es bereits aus der Mutter heraus: „... er atmet nicht mehr!“ Ende des Jahres 2005 zieht Eryk Pelka mit seiner 27 Jahre alten Frau Magdalena Luczak und ihrem ersten Kind von Polen nach Großbritannien. In der Industriestadt Coventry, in den West Midlands, wird die kleine Familie heimisch. Am 15. Juli 2007 kommt dann der kleine Daniel zur Welt. Obwohl es in der Ehe vermutlich bereits kriselt, wird noch ein drittes Kind geboren. Ende 2008 trifft Eryk eine folgenschwere Entscheidung, die das Aus der Ehe besiegelt: Er geht zurück nach Polen. Seine Ex-Frau bleibt zusammen mit den drei Kindern in Coventry. Kurze Zeit später lernt sie den ebenfalls polnischstämmigen Mariusz Krezolek kennen und auch lieben. Eine Beziehung mit Höhen und Tiefen, in der es offensichtlich auch zu Gewalttätigkeiten gegenüber Magdalena kommt. Dadurch scheinen Zweifel hinsichtlich potenzieller Kindeswohlgefährdung entstanden zu sein, vor allem der kleine Daniel steht dabei im Zentrum der Bedenken. Seit November 2008 beobachten Mitarbeiter des Children, Learning and Young People Directorate (CLYP), eine Fürsorge-Institution, die um das Wohl von Kindern bemüht ist, die Familie. Am 29. Januar 2009 schaut zusätzlich noch ein Sozialarbeiter vorbei, der nach einer eingehenden Befragung der Mutter davon überzeugt ist, dass Magdalena Luczak durchaus in der Lage ist, ihre Kinder ausreichend zu beschützen. Im folgenden Jahr zieht Mariusz Krezolek mit der dreifachen Mutter zusammen und wird somit zum Ersatzvater ihrer Kinder. Kurz darauf vermerkt ein Mitarbeiter der Gesundheitskontrolle in seinem Besuchsprotokoll, dass Daniel seitlich am Kopf einen Bluterguss hat. Ihm wird versichert, dass der zweijährige Junge vom Sofa gefallen sei. Am 8. August 2009 wird die Polizei zur Familie Luczak / Krezolek gerufen. Nach einer heftigen Auseinandersetzung sind die Eheleute mit Messern aufeinander losgegangen, dabei wird Magdalena ein kleiner Schnitt zugefügt. Da ihr Partner sie zudem heftig gewürgt hat, verliert die attraktive Frau mit den meeresblauen Augen und dunklen Haaren für eine Weile ihr Bewusstsein. Als sie wieder ansprechbar ist, wird sie von den Polizisten zu dem Vorfall befragt. Beide waren betrunken, als der Streit entstand. Magdalena gibt außerdem zu, dass ihre Kinder alles mitangesehen haben. Dennoch macht sich offenbar niemand Gedanken darüber, wie die drei Kinder die bedrohliche Situation aufgenommen haben. Des Weiteren gibt Luczak zu Protokoll, dass ihr Partner sich auf seinem Computer Kinderpornographie heruntergeladen hat und sie etliche Male vergewaltigt habe. Der wird zwar wegen des Angriffs auf Luczak verhaftet, kommt aber ohne Anklage wieder frei. Am 27. Dezember 2009 wird ein ähnlicher Fall häuslicher Gewalt protokolliert. Bis 2011 verbessert sich die Situation zwischen den beiden Lebensgefährten, weitere Eskalationen bleiben scheinbar aus. In diesem Jahr steht allerdings für den kleinen Daniel ein großer Schritt an: Der kleine Junge wird vier Jahre alt und kommt im September in die Vorschule. Fotos zeigen ihn als ausgesprochen niedliches Kerlchen mit einem rundlichen, offenen Gesicht, aus dem einen strahlend blaue Augen verschmitzt ansehen. Er ist strohblond und sieht damit vermutlich seinem leiblichen Vater ähnlich. Die Mutter Magdalena hat dunkle Haare. Er wirkt pfiffig und fröhlich. Ein kleiner Kerl, der sich gerade aufmacht, die Welt zu entdecken. Dennoch startet das Jahr 2011 nicht gut für Daniel: Am 6. Januar bringen ihn seine Mutter und Krezolek mit gebrochenem Arm ins Krankenhaus. Die Mediziner entdecken bei der Untersuchung mehrere Prellungen und Blutergüsse am Arm, an der linken Schulter sowie im Unterbauch des Kindes. Es stellt sich heraus, dass der Unfall, bei dem Daniel sich den Arm brach, schon 12 Stunden zurückliegt. Sein Geschwisterkind bestätigt die Geschichte der Eltern, kann dem Krankenhauspersonal dabei aber nicht in die Augen sehen. Weil der Arzt die Unfallerläuterung als glaubhaft empfindet, werden das Jugendamt und der Sozialdienst nicht eingeschalten. Daniel wird zudem routinemäßig gewogen – die Anzeige bleibt bei 14,8 Kilo stehen. Mit seiner Mutter und seinem Stiefvater geht der Junge ganz normal um, wie im Bericht notiert wird. Am 14. September wird Daniel in die Vorschule der Little Heath Primary School in Coventry eingeschult. Zu diesem Zeitpunkt ahnt noch niemand in seinem Umfeld, wie es dem Vierjährigen in Wahrheit ergeht. Dass Magdalena und Mariusz nun so harmonisch miteinander umgehen, hat einen Grund. Offensichtlich haben sie ein anderes Ventil für ihre Aggressionen gefunden: Daniel. Für den 7. Oktober sind Textnachrichten belegt, die beweisen, dass er regelmäßig in einem winzigen, ungeheizten Abstellraum eingesperrt wird, der keine Türklinke an der Innenseite hat. Anscheinend muss der Junge dort hinein, wenn die Erwachsenen sich von ihm belästigt fühlen. Mariusz schreibt an dem Tag: „Tu ihn ins Zimmer und lass ihn da. Dann bekommst du etwas Ruhe.“ Eine Nachricht von Magdalena ist ein Indiz dafür, dass ihr Sohn zur Strafe öfters hungern musste: „Wir werden uns um Daniel kümmern, wenn er wieder aus der Schule kommt. Er wird kein Essen bekommen.“ Im November fällt Lehrern und Betreuern in der Schule erstmals auf, dass Daniel Essen aus den Lunch-Boxen anderer Kinder stiehlt. Außerdem bedient er sich extrem häufig am „Fruit Corner“ im Klassenzimmer. Während seine Klassenkameraden sich in der Regel gerade einmal ein Stück Obst dort nehmen, isst Daniel regelmäßig vier bis fünf Stücke. Für die Pädagogen sieht alles wie eine regelrechte Obsession in Bezug auf Essen aus. Daniels Mutter Magdalena hatte zuvor Ärzten erzählt, dass Daniel nachts den Kühlschrank ausräubert und seinen Stiefvater boxt, wenn der ihm Essen vorenthält. Der Rat eines Sozialarbeiters ist lediglich, man solle ihm schon für den Schulweg einen kleinen Snack mitgeben. Dass der Junge nur zu 63 % beim Unterricht anwesend ist, wird nicht weiter registriert. Ein für den 15. November angesetzter Termin beim Kinderarzt wird nicht wahrgenommen. Luczak schreibt ihrem Lebensgefährten dazu: „Ich werde in der Klinik anrufen und seinen Termin verschieben. Es geht ihm sogar noch schlechter als vorher.“ Am 14. Dezember besucht ein Mitarbeiter des Jugendamtes Daniels Familie. Ihm wird gesagt, dass es Magdalena nicht gut gehe und sie Daniel daher auch nicht in die Schule bringen konnte. Der Junge sitzt währenddessen am Küchentisch und isst Cornflakes. Anfang 2012 wird die vermeintliche Ess-Obsession des Kindes immer stärker, nun beginnt er auch, sich Essen aus Mülleimern zu fischen. Einmal vertilgt er einen halben Geburtstagskuchen, den ein Lehrer eigentlich für die ganze Klasse mitgebracht hatte. Daniel schwatzt anderen Kindern ihr Essen ab, um es dann heimlich auf der Toilette zu verspeisen. Er buddelt in die Erde gepflanzte Bohnen aus und isst diese. Währenddessen wundert sich der stellvertretende Schulleiter, dass Daniel offensichtlich nicht wächst. Später fällt auch der starke Gewichtsverlust des Jungen auf. Lehrer entdecken Abdrücke von Fingern in Daniels Nacken und immer wieder, zwischen Dezember 2011 und Februar 2012, werden Blutergüsse in seinem Gesicht bemerkt. Doch niemand schreitet ein. Der Kinderarzt, dem Daniel am 10. Februar 2012 vorgestellt wird, kann nichts Dramatisches feststellen. Der Junge sei zwar dünn, aber „nicht verkümmert“. Der Arzt vermutet deshalb wohl Wurmbefall und verschreibt ein entsprechendes Mittel. Am 28. Februar wird Daniels Gesicht vom Schulpersonal als „teigig“ beschrieben, er habe „eingesunkene Augen“. Außerdem interagiert er nicht mehr mit seinen Klassenkameraden. Die Nahrungssuche in Mülleimern setzt er weiterhin fort. Beispielsweise holt er einen mit Sand und Matsch verschmutzten Pancake aus dem Abfall, den er ohne Nachdenken aufisst. Einen Tag darauf, am 1. März, sucht sich das Kind erneut ein halb aufgegessenes Stück Obst aus dem Müll und isst „Schleimi“ (Spielzeugschleim), mit dem andere Kinder im Sandkasten gespielt haben. Aufnahmen der Überwachungskamera der Schule zeigen, wie Daniel nach dem Unterricht von seiner Mutter abgeholt wird. Das sind die letzten Momente, in denen man den gerade einmal vierjährigen Jungen lebend sehen wird. Etwa zwischen 16 und...