Der 4. und 5. Kreuzzug
E-Book, Deutsch, 484 Seiten
ISBN: 978-3-7412-3149-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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Strafe Gottes Im Jahre 1198 rief Papst Innozenz III. zum vierten Kreuzzug in das Heilige Land auf. Doch das Abendland war von zwei vorangegangenen Kreuzzügen erschöpft, und der Aufruf des Papstes fand wenig Gehör. Erst als ein Priester aus der Nähe von Paris, Fulko von Neuilly, mit einer Gefolgschaft von Mönchen von Dorf zu Dorf zog und mit seinen Predigten die Menschen begeisterte, fanden sich viele bereit, den Zug nach Palästina zu wagen. Bischof Konrad von Krosigk und zwei ihn begleitende Mönche hatten die üppige Vegetation und die Hitze des italienischen Alpentals hinter sich gelassen und konnten schon die schneebedeckten Gipfel des Sankt Bernhardino sehen. Hier in der Höhe war die Luft kühl und fast schon kalt, auch wenn die Oktobersonne die Haut noch angenehm wärmte. Auf einem schmalen Bergpfad zwischen Tannen und Krüppelholz, wanderten sie nun aufwärts zum Bernhardino Pass, den sie nach zwei Tagesmärschen zu erreichen hofften. Der Aufstieg war beschwerlich. Sie mussten zu Fuß laufen, nur begleitet von einem kleinen geduldigen Maultier, das unter der Last von Zelten, Werkzeugen, Decken, Kochutensilien und Proviantvorräten fast zu zerbrechen schien und dennoch ruhig aufwärtsstapfte. Später, wenn der Pass überwunden war, würden sie Pferde mieten, und die Reise würde schneller und auch angenehmer verlaufen. Der Bischof stieg in Gedanken versunken mühsam Schritt für Schritt bergan. Er und seine beiden Gefährten hatten vor zwei Wochen Rom verlassen, und in nochmals vier Wochen würden sie die Heimat, das Bistum Halberstadt in Deutschland, erreichen. Bischof Krosigk galt mit seinem stattlichem Bauch, dem feistem Doppelkinn und zwei wohlgenährten rot geäderten Hängebäckchen in Halberstadt als Respektperson. Unter der Tonsur, die von einem Kranz schlohweißer Haare umrandet war, und einer breiten Stirn blickten wasserblaue Augen gottergeben und fromm. Dies war ein Blick, der seine andachtheischende Wirkung bei der gläubigen Gemeinde nie verfehlte. Der Aufstieg strengte Krosigk an, und er atmete schwer. Aber er war zufrieden und fast glücklich, denn in dem kleinen Bergdorf Ivrea hatte er endlich das erreicht, woran er jeden Tag während der langen Reise gedacht und was er sehnlichst erhofft hatte. Vom Kaplan der Santa Maria Assunta Kathedrale in Ivrea hatte er eine kostbare Reliquie erworben. Dieser Kauf machte ihn stolz, ja fast übermütig. Es war ein wunderbares Geschenk des Himmels, dieser Zahn des heiligen Evasius. Er würde einen würdigen Platz in der umfangreichen Reliquiensammlung von Halberstadt finden. Zwar hatte Krosigk den Kaplan überreden und mit einigen Münzen auch gefügig machen müssen, aber schließlich hatte der arme Tölpel nicht widerstehen können. Schnell, heimlich und mit deutlich erkennbarem Schuldgefühl hatte er den letzten Backenzahn aus dem Schädel des Märtyrers herausgebrochen und dem Bischof ausgehändigt. Vorsichtig tastete Krosigk nach der kleinen Holzschachtel, die unter der Kutte an einer Schnur um seinen Hals hing. Jetzt war der heilige Backenzahn zwar noch in diesem erbärmlichen Kästchen aufgehoben, aber schon bald würde der Goldschmied Meister Capesius in Halberstadt einen kleinen Schrein fabrizieren, aus Gold mit filigranen Verzierungen, Edelsteinen und Perlen besetzt. Der Zahn sollte hinter einer Glasscheibe sichtbar sein, und oben auf dem Schrein würde ein feuriger Rubin funkeln, den Krosigk in Erwartung einer wichtigen Reliquie schon lange bereithielt. Herrlich und erhaben würde das……..… Jäh wurde dieser so angenehme Gedankengang unterbrochen. Krosigk stolperte,verlor das Gleichgewicht, taumelte und glitt die Böschung hinunter. Gottlob, der Abhang war nicht steil, und ein Busch hinderte ein weiteres Rutschen in die Tiefe. Aber ein unerträglicher Schmerz war wie von einem Messerstich in Krosigks rechtes Bein gefahren. Mühsam versuchte er sich aufzurichten, doch das Bein gehorchte seinem Willen nicht mehr. „Das ist Gottes Strafe!“, durchzuckte es den Bischof. Das schlechte Gewissen wegen des unanständigen Handels in Ivrea meldet sich. Verzweifelt faltete er die Hände und murmelte: „Herr, ich habe gesündigt. Aber du weißt, ich habe es aus Liebe zu meinen Klosterbrüdern in Halberstadt getan. Der Zahn des Heiligen wird dort alle entzücken und mit Dankbarkeit und Andacht erfüllen.“ Oder war der Sturz die Strafe für eine andere Liebe, die ihn seit langem beunruhigte und quälte? Erschrocken stockte Krosigks Atem, und ein leichtes Zittern durchlief seinen Körper. Eine Liebe, von der der Apostel Paulus sagt, dass sie Männern das Reich Gottes verwehre. Krosigk war sich sicher: Nie, nie würde er sich einer solchen sündigen Tat hingeben. Doch war nicht schon der Gedanke daran Sünde? Hatte Jesus nicht gesagt: ‚Wenn dich dein rechtes Auge zum Abfall verführt, reiß es heraus und wirf es von dir.’1 „Exzellenz, was ist denn passiert? Wartet wir kommen!“ Die beiden Mönche seiner Gefolgschaft kletterten vorsichtig die Böschung hinunter, griffen unter die Arme des Alten und zogen ihn nach oben zum Weg. Krosigk stöhnte, der Schmerz in Rücken und Bein war, als würde ein Messer wieder und wieder ins Fleisch gestoßen. Das rechte Bein hing jetzt völlig schlaff und kraftlos am Körper und knickte bei jeder Belastung ein. Die beiden Begleiter lehnten den Bischof an einen Baumstamm. Der Jüngere der beiden – Jörg war sein Name – flößte seinem Herrn Wasser aus einer Feldflasche ein und wischte mit einem feuchten Tuch seine Stirn. Krosigk blickte sorgenvoll und voller Mitleid auf den schönen Jungen, denn der sah krank und müde aus. Er war erbärmlich mager, und die viel zu weite Kutte schlackerte um den ausgezehrten Körper. Flachsblonde Haarsträhnen hingen unordentlich in die Stirn, die dunkelblauen Augen lagen in tiefen Höhlen, und die Wangen waren eingefallen. Die sonst blasse, wächsern durchsichtige Haut des Gesichtes hatte sich, wohl wegen des Schrecks über den Unfall, gerötet. Jörg war ein Benediktinermönch aus dem Kloster Huysburg bei Halberstadt. Dort hatte er schon mehrere Jahre in der Krankenabteilung gearbeitet, und weil er dies mit unermüdlichem Eifer und viel Geschick tat, hatte Bischof Krosigk beschlossen, ihn zum Arzt ausbilden lassen. Für eine solche Ausbildung war das italienische Mutterkloster der Benediktiner in Montecasino am besten geeignet. Als vor kurzem Papst Innozenz den Bischof nach Rom eingeladen hatte, hatte es nahegelegen, dass Jörg ihn auf der Reise begleitete. Später sollte der Junge allein weiter nach Montecasino wandern. Doch dieser Plan wurde durchkreuzt. Schon auf dem Weg nach Rom erkrankte Jörg plötzlich an heftigem Fieber mit unbändigem Husten und blutigem Auswurf. Wahrscheinlich hatte er sich bereits in Huysburg bei Kranken, die an tödlicher Lungenfäule litten, angesteckt. In diesem Zustand hätte man ihn im Kloster Montecasino nicht aufgenommen, und deshalb war er jetzt zusammen mit Krosigk auf dem Weg zurück nach Halberstadt. Mehrere Pilger wanderten nach und nach an Krosigk und seinen beiden Begleitern vorbei. Sie erkundigten sich, boten freundlich ihre Hilfe an, aber einen gelähmten Mann ohne Wagen und ohne Tragestuhl zu transportieren war unmöglich. So erklärten alle ihr Bedauern und zogen weiter. Endlich kam ein junger Bauer mit einem Eselkarren. Jörg lief ihm entgegen. „Ich bitte dich, halte an. Du musst uns helfen. Unser Bischof ist gestürzt. Wir können ohne Wagen nicht weiter. Bitte hilf uns, wenigstens bis zum nächsten Dorf.“ Der Bauer, ein untersetzter junger Mann mit etwas einfältigen Gesichtszügen, brauchte längere Zeit, ehe er verstand. Dann zeigte er nach hinten auf den zweiräderigen Karren.„Nicht möglich. Bin selber abgestiegen. Der Esel schafft es nicht. Im Wagen liegt meine lahme Mutter. Der Esel kann nicht zwei Menschen ziehen. Der Weg ist hier zu steil.“ "Wir sind kräftig, wir werden den Wagen schieben", wandte der junge Mönch ein. Endlich, nachdem Jörg dem Bauern seinen Geldbeutel gezeigt hatte, lief ein verstehendes Lächeln über das dümmliche Gesicht, und der Mann gab nach. Zu dritt hoben sie Krosigk in den Karren zu der Alten, einer abgemagerten geistig verarmten Frau, die mit zahnlosem Mund nur kurz ächzte und dann weiter vor sich hindöste. Der Karren, vom Esel gezogen und von zwei Mönchen geschoben, holperte über den steinigen Weg, und Krosigk wurde unsanft hin und her gerüttelt. Er schloss die Augen, versuchte, dies äußere Ungemach zu verdrängen, und lenkte seine Gedanken zurück nach Rom. In der Laterankirche hatte Papst Innozenz III. vor drei Wochen ihm und anderen Bischöfen des Abendlandes eine Audienz gewährt. Im feierlichem päpstlichen Ornat und mit der Tiara auf dem Kopf hatte er zu ihnen von der Kanzel herab gesprochen. „Welch ein unsympathischer Asket, dieser neue Papst ", dachte Krosigk, „hager, dürr, übernächtigt, bleiche Wangen, eng stehende, leblose Augen,...