E-Book, Deutsch, 236 Seiten
ISBN: 978-3-347-21463-7
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Uwe Lange, Jahrgang 1956, ist in Frankfurt geboren und aufgewachsen. Er lebt noch heute in der Region, ist als freiberuflicher Sportjournalist mit den Fachgebieten Fußball, Eishockey und American Football tätig. Seine Erfahrungen als lizenzierter Fußball-Trainer (Jugend) und Schiedsrichter (bis BOL) sowie als Teammanager verschiedener Proficlubs haben ihn unter anderem zu seinem ersten Buch inspiriert. Durch diese Einblicke hinter die Kulissen sind Ähnlichkeiten mit realen Personen und Ereignissen nicht auszuschließen.
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KAPITEL 1 Einige Jahre früher… „Robin, wo bleibst du, komm endlich runter, wir müssen los, ansonsten sind wir zu spät!“, rief Jessica laut in den ersten Stock, wo sich die Kinderzimmer der beiden Geschwister befanden. „Ja, ja, bloß kein Stress, ich komme ja schon“, tönte es aus dem Zimmer am Ende des kurzen Ganges zurück, wo es sich Robin schon vor Jahren gemütlich gemacht hatte, als sich die Eltern ein Reihenhaus am Stadtrand kauften. Jedes der Kinder hatte damals sein eigenes kleines Reich bekommen. „Du und Stress…“, brummelte Jessica vor sich hin, die ihr Bruderherz mehr als gut kannte und wusste, dass er von derlei Symptomen gänzlich befreit war. In der größten Hektik des Tages bewahrte ihr drei Jahre jüngerer Bruder die Ruhe, ließ sich durch nichts aus dem seelischen Gleichgewicht bringen. Eine Eigenschaft, die die angehende Abiturientin liebend gerne besessen hätte, wie sich Jessica in stillen Momenten eingestand, ihren oft phlegmatisch wirkenden Bruder darum ein wenig beneidend. Sie selbst erwarb schon sofort mit 18 Jahren den Führerschein, nachdem die Eltern keinen erkennbaren Interessenkonflikt zum bevorstehenden Abitur für die überragende Schülerin sahen. Nun durfte sie hin und wieder den kleinen Flitzer der Sommers nutzen, der ansonsten im Carport der Familie vorwiegend der Mutter zur Verfügung stand. Heute stand die Ausarbeitung eines Referats auf der Tagesordnung, das Jessica gemeinsam mit ihrer besten Freundin Stefanie halten sollte. Steffi wohnte in direkter Nähe zu Robins Sportplatz, so dass sich die Mitnahme zum Trainingsgelände der Sportgemeinde anbot. Endlich kam er die Treppe herunter, fast bedächtig und ohne jedes Zeichen der Eile: „Was eine Hektik heute wieder, ein alter Mann ist doch kein ICE“, ließ Robin die wartende Schwester wissen, sein Blick wies fast so etwas wie gespielte Empörung auf. „Du und ICE…jede Bimmelbahn hat mehr Tempo als du, dir kann man beim Laufen die Schuhe besohlen“, konnte sich Jessica einen Konter nicht verkneifen. „Ich muss dich nicht zum Training mitnehmen, kannst ja laufen oder das Fahrrad nehmen, ich will pünktlich bei Steffi sein.“ „Mannomann, ihr Weiber müsst andauernd so hektisch sein, dabei sagt Papa immer, dass er die meiste Zeit seines Lebens mit dem Warten auf die Frauen verbracht habe“, zitierte der 16-jährige seinen Dad, der gerne seine Lebensweisheiten mit der Familie teilte, anstatt die ins 3-Euro-Phrasenschein zu werfen. Schnell warf sich Robin die Trainingsjacke seines Clubs über, die Geschwister schickten ihrer Mutter ins Wohnzimmer ein hastiges „Tschüss!“, schlossen die Haustür und verschwanden in die Einfahrt, wo der Polo geparkt war. Zehn Minuten später fuhren sie an der Seite des Fußballplatzes vor, wo sich schon einige Jungs versammelt hatten, die alle sichtbar in Robins Alter waren. „Thanks Schwesterherz fürs Mitnehmen, gut gemacht, Einparken üben wir beim nächsten Mal“, konnte sich der freche kleinere Bruder einen Kommentar nicht verkneifen, nachdem er meinte, eine vermeintliche Schwachstelle bei Jessicas Fahrkünsten ausgemacht zu haben. Die schnaufte sichtlich verächtlich, um dann prompt die Retourkutsche zu fahren: „Erst drei Haare am Sack, aber eine große Klappe…“, rief Jessica ihrem Bruder hinterher, der aber schon längst bei den Mitspielern gelandet war und dort lautstark begrüßt wurde. Während Jessica den Polo wendete, um zu ihrer Freundin zu fahren, fiel das ´Hallo´ mit den Jungs eher unsportlich aus: „Hast du schon Mathe gemacht, ich habe da überhaupt keinen Plan?“, wollte Verteidiger Erkan von seinem Kapitän wissen. „Haben wir denn was in Mathe auf?“, kam sofort die Replik zur Frage des Freundes, der mit Robin gemeinsam das örtliche Gymnasium besuchte. „Logo, der Müller-Herrmann hat uns doch noch die Aufgaben 1-3 aufgegeben, wo warst du da wieder mit deinen Gedanken?“, schüttelte Erkan ungläubig sein dunkles Haupt, hinter den langen Locken verschwand für Sekunden das Gesicht des Freundes. „Na gut Alter, dann eben nach dem Training. Muss nochmal gucken, rufe dich an, falls ich die Lösung finde!“, zog Robin ein kurzes Zwischenfazit zum Thema, wohlwissend dass es dank seiner Schwester immer eine Antwort zu den diversen schulischen Themen gab. „Eure Sorgen möchte ich haben“, sagte da Eddi, der Torhüter des Teams, „was bin ich froh, dass ich aus der Anstalt raus bin.“ Eddi hatte die Schule im Sommer beendet, eine Lehre zum Schreiner begonnen, was seinem handwerklichen Geschick besonders entgegenkam. Er kam aus einfachsten sozialen Verhältnissen, seine Eltern hatte man nur einmal bei einem Vereinsfest auf dem Sportplatz gesehen, Robin stufte danach den Vater als Trinker ein, die Mutter bedachte er mit einem Ausdruck, den selbst er für nicht hoffähig erachtete und runterschluckte. Eddi, den alle nur ´Manu´ nannten, da sein großes Vorbild der Torwart des FC Bayern München Neuer war, hatte von der Erbmasse seiner Erzeuger wenig mitbekommen, entpuppte sich stets als dufter Kumpel, mit dem man Pferde stehlen konnte und der immer für andere da war. Dazu war er noch ein glänzender Torhüter, hatte Hände groß wie Pfannen, konnte an einem guten Tag ein Spiel alleine entscheiden. „Mach bloß die Zigarette vor dem Training aus, Manu, wenn dich der Coach sieht, bist du raus für das Spiel am Wochenende“, ermahnte Robin seinen Goalie, wohlwissend um die Konsequenz seines Trainers in gewissen Situationen. Ihren Übungsleiter kannten die meisten der Jungs von Kindheitsbeinen an, er löste seinerzeit den ersten Trainer der Jungs ab, den es aus beruflichen Gründen an einen anderen Standort gezogen hatte. Als Vater eines spielenden Jungen gab der sich stets große Mühe die Kleinen zu begeistern, was ihm auch gelang, zumal das Team Talent zeigte, erste Erfolge feierte. Doch der viel betrauerte Weggang des Trainers ebnete dem Club die Chance, für seine talentierten Spieler einen neuen Coach zu suchen. „Der noch mehr aus dem Kader machen kann, da er selbst schon in höheren Gefilden gegen das Leder getreten hat“, wie der Jugendleiter des Vereins Tim Hofmann den fragenden Eltern beim Sprechtag erklärt hatte. Mit Bernd Lohr stellte sich den Verantwortlichen ein Mann vor, der es bis in die Dritte Liga geschafft hatte, durch eine Verletzung am Kreuzband aber um höhere Aufgaben gebracht wurde. Das frühe und unerwartete Ende seiner Karriere wusste Lohr jedoch zu nutzen, indem er die notwendigen Trainerscheine in Angriff nahm: „Ich brauche den Duft des Rasens, ich brauche diesen Sport, ich brauche den Fußball“, erklärte er dazu seiner Gattin Jutta, die eigentlich hoffte, ihren Mann an den Wochenenden wieder mehr für die Familie zu gewinnen. Er machte schnell die wichtigsten Scheine, mit dem B-Schein als Lehrgangsbester in Grünberg war seine Karriere und die Rückkehr in den Profibereich eigentlich vorprogrammiert. „Und Sie wollen wirklich unsere Jugend übernehmen?“, zeigte sich Jugendleiter Hofmann sichtlich überrascht, als der Mann mit den prima Referenzen ihm gegenübersaß. „Sie sind doch überqualifiziert!“ „Das sehe ich etwas anders, denn für mich ist es wichtiger, dass Kinder eine gute Ausbildung haben, dementsprechend sollten die besten Trainer im Nachwuchsbereich tätig sein. In einer Bundesliga-Mannschaft können alle kicken. Da geht es mehr darum, die Herren Millionäre bei Laune zu halten, die zu bespaßen, sie auf dem Erfolgsweg als Motivator zu begleiten.“ Hofmann erstaunten diese Worte des Dreißigjährigen, die offene Art des ex-Profis imponierte ihm. Das Gesagte wirkte glaubwürdig, denn der Mann im saloppen Poloshirt vermittelte einen durchweg authentischen Eindruck. „Ihnen ist schon klar, dass wir kein Riesenhonorar werden zahlen können, ein Engagement im Seniorenbereich sicherlich lukrativer ist?“, legte der Jugendleiter von selbst einen Finger in eine mögliche offene Wunde. „Das ist mir bewusst, aber ich möchte auch etwas zurückgeben was mir in den jungen Jahren widerfahren ist, als ich in etwa so alt war wie die Jungs heute. Ich kam nie auf dumme Gedanken, nach den Hausaufgaben ging es direkt auf den Bolzplatz mit den Kumpels, bis es dunkel wurde. Mein Vereinstrainer war ein ehemaliger Nationalspieler, der uns mit väterlicher Härte und Fürsorge die Grundlagen des Fußballs vermittelte. Ich habe mich nie für Zigaretten, Alkohol oder gar Drogen interessiert, denn das wäre der K.o. für das nächste Spiel gewesen, auf dass ich mich wie die anderen die ganze Woche über freute.“ Diese Worte hatte Robin nun im Ohr, als er ´Manu´ bat, seine angezündete Kippe zu löschen, damit der rauchende Torhüter nicht erwischt und bestraft würde. Denn bei seiner...