Laewen / Andres | Gut aufgehoben in der Kita | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 160 Seiten

Laewen / Andres Gut aufgehoben in der Kita

Zur Praxis einer professionellen Ethik

E-Book, Deutsch, 160 Seiten

ISBN: 978-3-451-82575-0
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Betreuung von Kindern in Kindertageseinrichtungen ist heute aus dem Leben der meisten Familien nicht mehr wegzudenken. Ist aber das Vertrauen der Eltern, dass ihre Kinder in den Einrichtungen gut aufgehoben seien, gerechtfertigt? Gestützt auf den Stand der internationalen Forschung machen Hans-Joachim Laewen und Beate Andres auf Risiken für die Kinder durch überfordernde Stressbelastungen aufmerksam, die mit Mängeln in der Qualität der Betreuung zusammenhängen. Die Autor:innen fordern zur Entwicklung einer professionellen Ethik im Bereich der Frühpädagogik auf und bieten konkrete Vorschläge an, wie die Lage der Kinder verbessert werden kann.
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Einleitung
An der Hand ihrer Mutter überquert Eleana, 18 Monate alt, die Straße und macht sich los, als die andere Seite erreicht ist. Sie rennt die kurze Strecke zum Eingang ihrer Kita, und als sie angekommen ist, versucht sie, die Klinke der gläsernen Eingangstür zu fassen. Das gelingt noch nicht und sie muss auf ihre Mutter warten. Augenblicke später sitzt Eleana auf der Bank im Flur, die Jacke wird ausgezogen, die Schuhe werden gewechselt. Ihr Blick geht einige Male zwischen „ihrer“ Erzieherin und ihrer Mutter hin und her. Die beiden wechseln noch einige Worte, dann hat Eleana die volle Aufmerksamkeit „ihrer“ Fachkraft. Ein kurzes Winken zum Abschied und Eleana geht in der Obhut „ihrer“ Erzieherin zu den anderen Kindern. Einige Zeit später sehen wir Eleana auf dem Wickeltisch stehen, „ihre“ Erzieherin löst die Verschlüsse der Windel, möchte, dass Eleana sich setzt. Die aber bleibt stehen, greift nach dem Tüchlein in der Hand der Erzieherin, bekommt es auch und beginnt, sich selbst zu säubern. Dazu hat sie ihr T-Shirt mit einer Hand ein wenig hochgezogen, den Kopf nach unten geneigt, und die Erzieherin hilft ihr, das Gleichgewicht zu halten. Das Kind ist konzentriert bei der Sache, lässt es aber nach einiger Zeit zu, dass Petra Ritter, so heißt „ihre“ Erzieherin, das Werk vollendet. Das Ganze dauert etwa eine Viertelstunde und ist begleitet von gestischer, verbaler und mimischer Kommunikation zwischen den beiden. Das Filmteam, das die Ankunft von Eleana und nun die Interaktion zwischen Fachkraft und Kind dokumentiert hat, ist angerührt von der Stimmigkeit der Kommunikation: Die Gesten beider sind aufeinander abgestimmt, der Rhythmus der Bewegungen passt, und trotz der Ernsthaftigkeit, mit der Eleana bei der Sache ist, bestimmt eine heitere Leichtigkeit die Atmosphäre. Eleana fühlt sich offensichtlich gut aufgehoben bei „ihrer“ Erzieherin, sodass alle Kritik an der Qualität von Kindertagesbetreuung in der Bundesrepublik Deutschland sehr weit entfernt zu sein scheint und möglicherweise auch als völlig unzutreffend gelten könnte. Auch eine andere Szene, die einige Tage zuvor zu beobachten war, spricht für eine solche Sicht. In der vierten Woche nach ihrer Aufnahme in der Einrichtung zögerte Eleana noch mit dem letzten Schritt, der häufig den Abschluss einer gelungenen Übergangszeit markiert: Sie mochte noch nicht einschlafen, wenn sie müde wurde. In einer solchen Situation hatte Petra Ritter sie aufgenommen und mit sachten Schritten durch den Raum getragen, hin und wieder zurück, und schließlich vertraute sich Eleana ihr an und schlief auf ihrem Arm ein. Die Zuordnung zwischen dem Mädchen und „ihrer“ Fachkraft ist unschwer als Ausdruck einer Beziehung zu erkennen, die von dem Kind sehr ernst genommen und deren Bedeutung uns auch im weiteren Verlauf immer wieder beschäftigen wird. Es ist eine Beziehung, die dem Kind einen angstfreien Aufenthalt in der Kindertagesstätte sichert. Was immer das Team dieser Einrichtung mit Blick auf die frühen Bildungsprozesse der dort betreuten Kindern sonst noch anzubieten hat: Die Grundlage für alle nachhaltigen Lernprozesse, das „Gut-AufgehobenSein“, ist so unübersehbar vorhanden, dass jede Mutter, jeder Vater sicher sein kann, dass in dieser Umgebung kein kalter Hauch ihr Kind berühren und ängstigen wird.2 Beziehung zwischen Fachkraft und Kind Nun wurden in weiteren Tageseinrichtungen allerdings auch andere Bilder von Kameras eingefangen: Ein etwa dreijähriger Junge steht an dem großen Fenster einer Einrichtung und blickt auf die Straße. Man darf zweifeln, ob er viel von dem Geschehen dort wahrnimmt, denn im Abstand von wenigen Sekunden schüttelt ein Schluchzen den schmalen Körper, obwohl die Augen ohne Tränen sind. Nach einiger Zeit zeichnen die Mikrophone leise Laute auf: Mama … Mama. Ein Schwenk der Kamera in den Raum zeigt andere Kinder, die in einer Art von Ratlosigkeit gefangen herumstehen; einige laufen durch den Raum, aneinander vorbei, nehmen einen Gegenstand auf, lassen ihn wieder fallen, blicken den beiden erwachsenen Personen nach, die ab und an durch das Bild eilen und keinerlei Notiz von der Situation nehmen. Kein Wort ist zu hören, keine Geste der Zuwendung zu einem der Kinder zu erkennen. Welches Bild von Kindheit und Kindern müsste man haben, um hier von einem „Gut-Aufgehoben-Sein“ sprechen zu können? Eigene Erfahrung ebenso wie Forschungsdaten zeigen in der Tat, dass angstfreie Situationen für die Kinder keineswegs in allen Einrichtungen der Tagesbetreuung in gleicher Weise gegeben sind, auch wenn es gute und exzellente Kindertagesstätten überall in der Bundesrepublik gibt. Das Problem ist, dass es zu wenige sind. Die Daten aus wissenschaftlichen Studien weisen darauf hin: Die Qualität der Kindertagesbetreuung in der Bundesrepublik Deutschland ist im Durchschnitt mittelmäßig (Kindergarten) bis schlecht (Kinderkrippe). Woraus die naheliegenden Fragen resultieren, worauf solche Unterschiede zwischen guter und mittelmäßiger bis schlechter Tagesbetreuung zurückzuführen und was die Folgen für die Kinder sind. Gute Kitas sind nicht die Regel Kita-Qualität ist heterogen Wir haben während unserer Arbeit in den letzten Jahren ähnliche Situationen des „Gut-Aufgehoben-Seins“ gesehen, wie die eingangs beschriebene: in Baden-Württemberg, in Brandenburg, in der Schweiz, in Einrichtungen unterschiedlicher Träger, unterschiedlicher Größe und in verschiedensten sozialen Umfeldern. Was diese „Orte für Kinder“, wie es das Deutsche Jugendinstitut vor vielen Jahren einmal formulierte, von anderen unterschied: In den allermeisten dieser Einrichtungen hatte sich das Fachpersonal intensiv mit neueren Konzepten der Frühpädagogik auseinandergesetzt, hatte es ein gegebenenfalls auch langes Ringen um Veränderung gegeben und schließlich eben den Erfolg. Diese Einrichtungen beweisen jeden Tag aufs Neue, dass unter verschiedensten Rahmenbedingungen ein Höchstmaß an Geborgenheit für die Kinder erreicht werden kann, das wenig Anlass für die Besorgnisse bietet, die manche Eltern – und auch Kinderärzte – empfinden, wenn Kinder für einen Teil des Tages in die Obhut von Kindergärten oder Krippen wechseln sollen. Auseinandersetzung mit neueren Konzepten fördert höhere Qualität Wir selbst sind überzeugt davon, dass die große Mehrheit der Fachkräfte ein vollkommen glaubwürdiges und authentisches Interesse daran hat, für die Kinder in ihrer Obhut ein Gefühl des „Gut-AufgehobenSeins“ zu sichern und bestmögliche Bedingungen für die Entfaltung ihrer frühen Bildungsprozesse zu schaffen. Umso rätselhafter wäre dann aber ein Misslingen bei der Umsetzung der guten Absichten und umso drängender die Fragen nach seinen möglichen Ursachen. Insbesondere wäre zu prüfen, ob und inwieweit die Bedingungen für exzellente pädagogische Arbeit im Einflussbereich der Fachkräfte selbst liegen. In der Fachdiskussion zur Betreuungsqualität in Kindertageseinrichtungen wird in diesem Zusammenhang – zu Recht – auf strukturelle Rahmenbedingungen hingewiesen, die für eine gute Qualität der pädagogischen Arbeit in den Einrichtungen nicht immer förderlich sind. Die zu Beginn beschriebenen Beispiele für exzellente Arbeit und wissenschaftliche Studien zeigen jedoch, dass unter den unterschiedlichsten Bedingungen hervorragende Arbeit geleistet werden kann. Ohne den Einfluss der Rahmenbedingungen ignorieren zu wollen, für den es auch aus der Forschung gute Belege gibt, müssen wir deshalb davon ausgehen, dass noch andere Faktoren existieren, die möglicherweise unabhängig von den Strukturbedingungen wirksam sind. Was beeinflusst die Qualität? Dieses Buch befasst sich deshalb mit Fragen danach, ob nicht jenseits von Rahmenbedingungen Handlungsräume für die Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen identifiziert werden können, deren Ausgestaltung die Entscheidung über die Qualität der eigenen Arbeit wieder in die Hände der Pädagoginnen und Pädagogen zurückführt, wo sie eigentlich auch hingehört. Dabei werden Forschungsergebnisse eine Rolle spielen, die ernst zu nehmende Hinweise auf problematische Entwicklungen in der Praxis von Frühpädagogik enthalten, es andererseits aber auch erlauben, diese Sachverhalte soweit zu konkretisieren, dass Grundlagen für Veränderungen erkennbar werden. Um weitere Klarheit zu gewinnen, haben wir in den vergangenen Jahren zahlreiche Fachgespräche mit Leiter*innen, Erzieher*innen, Berater*innen und Vertreter*innen von kommunalen und freien Trägern geführt. Befragungen von Fachkräften wurden...


Diplom-Soziologe, Mitbegründer des außeruniversitären Forschungsinstituts infans, Mitarbeit bei der Entwicklung des infans-Konzeptes und seine Erprobung in der Praxis
Studium der Erziehungswissenschaft, Psychologie und Soziologie an der Freien Universität Berlin, Mitarbeit in verschiedenen Forschungsprojekten im Bereich Krippe und Tagespflege, Gründungsmitglied und wissenschaftliche Mitarbeiterin von infans.


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