E-Book, Deutsch, Band 1, 228 Seiten
E-Book, Deutsch, Band 1, 228 Seiten
Reihe: Kriminalgeschichten aus der bayerischen Provinz
ISBN: 978-3-7412-1583-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Veronika Lackerbauer wurde 1981 in Landshut geboren. Nach dem Abitur 2001 studierte sie zunächst Tourismus-Management und verbrachte einige Zeit im Ausland. 2012 wurde sie Mutter und arbeitet seither als Dozentin für Deutsch als Fremdsprache und Berufliche Integration. Ihre (un)heimliche Leidenschaft gehörte aber schon immer der Schreiberei. 2014 debütierte sie mit ihrem Roman "Burgfried" im Fantasy-Verlag ohneohren, Wien. Im Folgejahr war "Burgfried" für den Deutschen Phantastik Preis nominiert. Seit 2016 veröffentlicht sie auch als Selbstverleger.
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Kriminalistischer Nachmittag
Es war ein widerlicher Regentag Ende November, und es war einer von den Tagen, an denen einfach alles zusammenpasst. Mein Telefon war nämlich ausgefallen und mein Guthaben auf der Handykarte erschöpft – im 21. Jahrhundert eine mittlere apokalyptische Katastrophe. Dazu dann noch ein Sonntag, was ja auch wieder typisch war, denn da hatte man bei uns auf dem Land auch keine Chance auf ein offenes Geschäft oder auch nur eine Tanke, um die Karte wieder aufzuladen. Weil ich aber zu allem Überfluss meiner Mutter einen Anruf versprochen hatte, blieb mir nichts andres übrig, als mich in den strömenden Regen hinauszubegeben und mich in die Telefonzelle zu stellen. Wie sehen die nochmal aus? Sind die nicht gelb? Oder sind die jetzt auch rosa – Pardon! Magenta? Es dauerte eine Weile, bis mir einfiel, dass es unten auf dem Marktplatz gegenüber der Eisdiele tatsächlich noch so ein Ding gab. Wer brauchte heutzutage schon eine Telefonzelle? Als ich dann in meiner ausgebeulten, quietscheentchenorangen Jogginghose und meinen Birkenstocklatschen dort ankam – ich hatte mir überlegt, dass mich am Sonntagnachmittag bei dem Wetter sicherlich niemand sehen würde und das gesellschaftsfähige Styling deshalb ausfallen konnte – musste ich feststellen, dass nicht nur andere Menschen unterwegs waren, einer davon stand sogar frech in der Telefonzelle und telefonierte. Na super. Da braucht man einmal eine Telefonzelle und dann ist sie besetzt! Nun stand ich also im Regen, ohne Regenschirm, im Couch-Potato-Outfit mitten auf dem Marktplatz und wartete darauf, dass dieser Schnösel mit seinem Gespräch fertig wurde. Schnösel nannte ich ihn im Geiste deswegen, weil er einen akkurat gebügelten Nadelstreifenanzug mit farblich aufeinander abgestimmtem Hemd und Krawatte trug, dazu italienische Schuhe, die trotz Regen glänzten wie ein polierter Apfel. Es regnete in Strömen, in meine Latschen lief vorne das Wasser hinein und hinten wieder hinaus. Meine Haare klebten mir an den Schläfen. In meinem alten Jogginganzug musste ich aussehen wie eine Karotte auf zwei Beinen. Wenn mich jemand so sehen würde! Und der Schnösel telefonierte und telefonierte! Worüber redete der denn so lang? Da er mit dem Rücken zu mir stand, klopfte ich gegen die Plexiglasscheibe. Schnösel beachtete mich nicht. Er redete wild gestikulierend auf den Hörer ein. Ich fragte mich eben, wieso er mit Händen und Füßen redete, wo sein Gesprächspartner ihn doch in der vorsintflutlichen Telefonanlage sicherlich nicht sehen konnte, da schnappte ich Gesprächsfetzen auf, die mich stutzig machten. Schnösel sagte Folgendes: „... ja, eiskalt ... Aber blau von morgens bis abends ... Jede Menge Schnee, ganz reiner Pulverschnee ... Ja, schade, dass du dieses Mal nicht dabei sein konntest ... Nächstes Mal kommst du wieder mit, genau. Du, ich muss Schluss machen. Wie starten gleich ... Grüß die Kleinen von mir, ja? Ich dich auch, ja. Tschüss!“ Verdattert stand ich noch vor der Zelle, als Schnösel herausstürmte und mich dabei fast über den Haufen rannte. „Passen Sie doch auf!“, schnauzte er mich an. Ich stammelte eine Entschuldigung, obwohl eindeutig er in mich hineingelaufen war, und zwängte mich an ihm vorbei in die Telefonzelle. Dort nahm ich aber keineswegs den Hörer ab oder warf Münzen hinein. Nein, ich drehte mich verstohlen um und beobachtete, wo Schnösel jetzt hinwollte. Dabei gingen mir seine Worte nicht aus dem Kopf: Pulverschnee? Hier bei uns? Wollte der hier Skifahren? Unser Ort war so flach und platt wie der Busen einer Zehnjährigen. Hier konnte man noch nicht einmal Schlittenfahren! Und Schnee gab es ja nun wahrlich auch keinen. Im Gegenteil: Es regnete Bindfäden! Da fiel es mir wie Schuppen aus den Haaren. Der verarscht daheim Frau und Kinder!, dachte ich erbost. Die Art Mann kennt man doch! Der erzählt etwas von Geschäftsreise und stattdessen trifft er seine heimliche Geliebte, das ist doch nichts Neues. Und die liebende Ehefrau zieht daheim ahnungslos die Kleinen groß. Männer sind einfach Schweine! Neugierig drückte ich meine Nase an der Scheibe der Telefonzelle platt. Ich tat das ja nicht für mich, insofern war es ja auch kein Spionieren, ich tat es ja aus hehren Motiven. Für die vereinigte Frauenwelt quasi. Stellvertretend für alle betrogenen und belogenen Ehefrauen. Umgekehrt hätte ich doch auch gewollt, dass Schnösels Frau mich nicht im Stich ließe und meinem untreuen Mann nachginge. So ich denn einen hätte. Aber das stand ja gar nicht zur Debatte. Ich verfolgte also Schnösels Weg von der Telefonzelle. Er überquerte die Straße und lief auf das bekannte Café zu, das bei diesem Wetter seine Tische und Stühle, die normalerweise auf dem breiten Gehweg standen, an der Hausmauer gestapelt hatte. Es war menschenleer. Bei so einem Wetter verließ niemand freiwillig die Wohnung, es sei denn, sein Telefon war kaputt, oder aber er hatte etwas zu verbergen. Schnösel blickte rasch die Straße hinunter, drehte sich kurz um und betrat dann das Café. Na, der hat aber mächtig was auf dem Kerbholz, dachte ich bei mir. Mein Telefonat war in der Zwischenzeit vergessen. Ich vergewisserte mich ebenfalls, dass niemand auf dem Marktplatz war, und verließ dann die Zelle wieder, huschte über die Straße und schlich mich an der Hausmauer entlang in Richtung der Eingangstür. Einen Moment zögerte ich, ob ich einfach hinterhergehen sollte. Immerhin wohnte ich ja hier. Da konnte ich doch an einem Sonntagnachmittag ins Café gehen, wenn ich das wollte, oder? Andererseits, gerade weil ich hier wohnte, würde ich mich womöglich peinlichen Fragen ausliefern, wenn ich jetzt da hineinging. Als ich vorsichtig ums Eck lugte, konnte ich Schnösel nirgends erblicken. Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Ich hatte ihn doch selbst hineingehen sehen! Er konnte doch nicht einfach wie vom Erdboden verschluckt sein. Nein, überlegte ich, er muss da drin sein. Ich wusste, dass diese Kneipe keinen Hinterausgang hatte, ich war oft genug dort gewesen. Immerhin war es die einzige öffentliche Wärmestube im ganzen Ort. Hier ging man entweder ins Straßencafé oder man blieb zu Hause. Also betrat ich die Bar. Es musste so aussehen, als sei ich zufällig vorbeigekommen, als wollte ich an einem beschissenen Regentag einfach nur einen Kaffee trinken – im Jogginganzug. Und alleine, wohlgemerkt. Drinnen bestätigte sich, was ich schon von draußen gesehen hatte: Schnösel war nicht da. Dafür aber Rosi, die ewige Kellnerin des Straßencafés. Rosi war irgendwie in den Achtzigern hängengeblieben. Damals war sie jung, knackig und modisch auf dem Zenit gewesen. Heute war sie nicht mehr ganz so jung, nicht mehr wirklich knackig und modisch ein absolutes No-Go. Ihr toupiertes, dauergewelltes, platinblondiertes Haar harmonierte ungemein mit den rot gepunkteten Leggins, dem lila Body und einem unförmigen Sweater – in Kanariengelb. Ich schluckte bei ihrem Anblick. Rosi war außerdem auch die bekannteste Presseinstitution im Dorf – nach der Bild. Morgen würden mich beim Metzger die Leute seltsam von der Seite anglotzen und sich zuraunen: Das ist die Verrückte, die beim Regen im Jogginganzug ins Café geht! Einen Moment lang dachte ich, wenn hier gerade ein Typ hereingekommen war, dann wäre das Rosi mit Sicherheit nicht entgangen. Sie war nämlich außerdem dafür bekannt, dass sie ständig (und vergebens) auf der Suche nach der großen Liebe war. Doch ich verwarf die Idee wieder, schließlich wollte ich nicht, dass die Gaffer an der Wursttheke sich auch noch den Mund darüber zerrissen, dass ich unbekannten Männern hinterherstieg. Rosi sah mich gelangweilt an. Ihre Begeisterung über die unerwartete Kundschaft hielt sich offensichtlich in Grenzen. Sie nölte mir entgegen, wobei sie ihr Pferdegebiss inklusive Kaugummi entblößte: „Was willst’n du hier? Kommst du auch zum Spiel? Dann beeil dich, es hat schon angefangen.“ Die etwa fünfzehn Fragen, die diese Aussage in mir auslösten, standen mir wohl ins Gesicht geschrieben, denn Rosi setzte ungefragt hinzu: „Da hinten.“ Ihr Zeigefinger mit der pink lackierten Kralle wies in Richtung einer Tür mit der Aufschrift: Privat. Da hinten ist Schnösel!, fuhr es mir durch den Kopf. Hier trifft er sich mit seiner Geliebten! Und Rosi wusste Bescheid! Sie fiel praktisch unserer Schwester im Geiste, seiner armen Frau zu Hause, in den Rücken! Und er vergnügte sich hier ungestört. Na warte! Ohne nachzudenken, stürmte ich auf die Tür zu und riss sie auf. Was sich dahinter verbarg, verblüffte sowohl mich als auch Rosi, die einen erstaunt-erschrockenen Quietschton von sich gab. Offensichtlich war sie nicht eingeweiht gewesen. Auf den Anblick, der sich mir und Rosi jedoch bot, war ich in keinster Weise vorbereitet gewesen. Statt einer jungen, knackigen Blondine (Männer wie Schnösel standen auf vollbusige Blondinen, das war ja klar!) in inniger Umarmung mit dem skrupellosen...